Sie sind hier
E-Book

Taube oder Falke

Warum wir sind, wie wir sind - und was wir daran ändern können

AutorClaudia Szczesny-Friedmann
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783644457713
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Claudia Szczesny-Friedmann analysiert in diesem Buch evolutionspsychologisch die grundlegenden Strategien im Umgang mit anderen: Kooperation und Konkurrenz. «Tauben» sind kooperativ eingestellt und neigen zu Vorsicht und Rücksicht. «Falken» sind auf Kampf eingestellt und darauf, die überlegene Position zu erringen. Die Kenntnis der unterschiedlichen Verhaltensweisen hilft uns, unser eigenes Repertoire zu erweitern, um flexibel und den Umständen angemessen reagieren zu können. «Tauben» können lernen, dem Impuls zu widerstehen, im Konfliktfall zu fliehen oder sich zu unterwerfen, während «Falken» bei der Durchsetzung ihrer Interessen die Rücksicht auf andere im Blick haben sollten. Die Autorin zeigt, wie wir unser eigenes Verhaltensrepertoire erweitern und so zu einem fairen Umgang mit uns selbst gelangen können.

Claudia Szczesny-Friedmann hat Psychologie, Soziologie und Philosophie studiert und arbeitet als Journalistin und Autorin. Ihr Interesse gilt der Evolutionspsychologie. Bei Rowohlt sind von ihr erschienen: 'Du machst mich noch verrückt. Psychoterror in Beziehungen' (1999) und 'Die neue Großfamilie. Notlösung oder Zukunftsmodell' (1996).

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

1 Der kooperative Modus


1.1 Wissenschaftliche Erkenntnisse


Eine Hand wäscht die andere


Beziehungen zu haben ist ein Schlüssel zum Erfolg. Mehr noch: Wir sind existenziell auf andere Menschen angewiesen, um das Leben zu bestehen. Ob es um Liebe geht oder um Krieg, um die Herstellung von Kühlschränken oder die Veröffentlichung von Gedichten, Menschen müssen zusammenarbeiten, um diese Aufgaben zu bewältigen. Unsere Mitmenschen können uns zudem Rat und Hilfe geben, uns unterstützen, wenn wir in Not sind, wichtige Informationen oder lebensnotwendige Ressourcen mit uns teilen. Das soziale Netzwerk, in dessen Mittelpunkt wir leben, schützt uns vor Isolation und Vereinsamung, fördert unser berufliches und soziales Fortkommen und erfüllt überdies eine Pufferfunktion in Stresssituationen: Je tragfähiger unsere sozialen Beziehungen sind, desto höher ist unsere Lebenserwartung, desto besser ist unser Gesundheitszustand, desto eher erholen wir uns von Krankheiten und Krisen, und desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, seelisch zu erkranken.

Verbindliche Beziehungen werden geknüpft, indem man einander Dienste und Gefälligkeiten erweist. Durch wechselseitiges Geben und Nehmen entstehen Bindungen, auf die der Einzelne im Bedarfsfall zurückgreifen kann. Dabei erfordert jede Leistung eine Gegenleistung. Wer nimmt, der geht damit die Verpflichtung ein, bei nächster Gelegenheit zu geben – wobei der Wert der einen Leistung in etwa dem Wert der anderen entsprechen soll. Eine Einladung beispielsweise erfordert eine Gegeneinladung, und wenn ihnen jemand dabei behilflich gewesen ist, einen Job zu finden, so hat er ein Anrecht darauf, dass Sie ihm auch seinen Weg ebnen, falls dies einmal nötig sein sollte. Nicht immer erfolgt die Rückzahlung in derselben Währung: Ein Kochrezept kann gegen Petersilie aus dem Gemüsegarten getauscht werden, die Vermittlung eines zuverlässigen Handwerkers gegen die Adresse eines guten Tierarztes, die Bereitschaft, zuzuhören, kann mit der Bereitschaft abgegolten werden, als Babysitter einzuspringen. Der kooperative Modus funktioniert also nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit, und Menschen sind mit der Fähigkeit ausgestattet, Schuld- und Verdienstkonten für jede einzelne ihrer sozialen Beziehungen zu führen und auf eine ausgeglichene Bilanz zu achten: unser Sinn für Fairness und Gerechtigkeit.

Kooperation oder reziproker Altruismus sind auch im Tierreich bekannt. Da sind zum Beispiel die Vampirfledermäuse. Sie tragen ihren Namen, weil sie vom Blut anderer Tiere leben. Tagsüber verstecken sie sich und nachts saugen sie das Blut von Rindern und Pferden. Nicht immer sind sie dabei erfolgreich. Vor allem die jüngeren, unerfahrenen Fledermäuse gehen bisweilen leer aus. Das ist deshalb dramatisch, weil Vampirfledermäuse nur drei Tage ohne Nahrung überleben können. Dennoch kommt es selten zum Tod durch Verhungern, weil die Vampirfledermäuse sich gegenseitig helfen. Der Biologe G. S. Wilkinson entdeckte, dass die Fledermäuse regelmäßig einen Teil des Blutes, das sie gesaugt haben, wieder von sich geben und an die erfolglosen Jäger ihrer Kolonie abtreten. Dies geschieht aber nicht willkürlich. Die Fledermäuse spenden Blut nur denjenigen, mit denen sie in der Vergangenheit viel zusammen gewesen waren und die ihnen ebenfalls Blut abgaben, wenn es erforderlich war.

Kooperatives Verhalten zahlt sich nämlich nur aus, wenn auch der andere kooperativ ist. Wenn jemand sich Vorteile verschafft, die Gegenleistung aber schuldig bleibt, dann hat der Geber das Nachsehen. Da der wechselseitige Austausch in den meisten Fällen nicht gleichzeitig stattfindet, ist Kooperation anfällig für Betrug. Wenn ich Ihnen heute einen Gefallen erweise, muss ich darauf vertrauen, dass Sie mir diesen Gefallen irgendwann in Zukunft erwidern. Helfe ich Ihnen in Zeiten der Not, muss ich darauf vertrauen, dass Sie mir später ebenfalls helfen. Falls Sie mir dann jedoch Ihre Hilfeleistung verweigern, war meine Hilfsbereitschaft umsonst oder hat unter Umständen sogar meine eigenen Lebenschancen beeinträchtigt. Es gehört deshalb zur mentalen Ausstattung des Menschen (wie auch beispielsweise der Vampirfledermäuse), das Betrugsrisiko abzuschätzen: die Wahrscheinlichkeit, etwas zurückzubekommen, ist umso größer, je länger man sich kennt und je weiter in die Zukunft hinein eine Beziehung angelegt ist. Einem Freund Geld zu leihen, mit dem man vermutlich auch viele Jahre später noch Kontakt haben wird, ist weitaus weniger riskant als einem Fremden, dem man vielleicht nie wieder begegnen wird.

Wahre Nächstenliebe, so haben wir gelernt, erwartet keine Gegenleistung. Doch wer wahrhaft selbstlos ist, macht sich zum Objekt der Ausbeutung durch andere. Um dies zu verhindern, hat uns die Natur nach Ansicht des Evolutionsbiologen Robert Trivers mit der Fähigkeit ausgestattet, bei mangelnder Gegenseitigkeit moralische Entrüstung zu empfinden. Der Ärger über eine ausgebliebene Gegenleistung hindert einen kooperativen Menschen daran, einem Empfänger, der sich als unwürdig erwiesen hat, weiterhin entgegenzukommen. Gleichzeitig dient der Ärger dazu, den anderen zu größerer Kooperationsbereitschaft zu ‹erziehen›. Wir leben in einer sozialen Welt, in der unser Ruf darüber entscheidet, ob andere sich mit uns befreunden oder ob sie uns meiden. Wer als jemand gilt, der andere ausnützt, riskiert, seine Reputation als guter Kooperationspartner zu verlieren und beim nächsten Mal übergangen oder sogar ausgeschlossen zu werden.

Auch Tiere können sich moralisch entrüsten. Vor allem unter Menschenaffen und ganz besonders unter Schimpansen und Bonobos gehört wechselseitiges Geben und Nehmen zu den herausragenden Kennzeichen ihres Soziallebens. Dabei müssen die ausgetauschten Güter nicht unbedingt die gleichen sein: Nahrung kann gegen Nahrung, aber auch gegen Dienstleistungen wie Fußpflege oder gegen Sex getauscht werden. Wenn eine Gruppe von Schimpansen sich Nahrung teilt, dann geht es in der Regel friedlich zu. Nur gelegentlich kommt es zu einem aggressiven Schlagabtausch. Opfer der Aggression sind jene Schimpansen, die in der Vergangenheit wenig von ihrem Futter abzugeben bereit waren. Wenn die offensichtlich erwartete Gegenleistung für großzügiges Teilen ausbleibt, dann neigen Schimpansen zu Strafmaßnahmen – häufig erst nach langen persönlichen Erfahrungen mit einem Mitglied ihrer Gruppe. Auch wir kennen alle den Schnorrer, der, immer wenn es ans Bezahlen der gemeinsamen Mahlzeit geht, gerade kein Geld dabeihat. Einmal lassen wir es ihm durchgehen. Vielleicht sind wir sogar noch ein zweites Mal spendabel – aber dann machen wir unserem Ärger Luft oder verzichten auf die Gesellschaft des Schnorrers.

Wie du mir, so ich dir


Das Problem des reziproken Altruismus ist von dem Mathematiker Robert Axelrod und dem Evolutionsbiologen William D. Hamilton spieltheoretisch analysiert worden. Spieltheorie ist eine abstrakte Form, strategisches Denken im stark vereinfachten Rahmen eines Spiels darzustellen. Eines der bekanntesten dieser Spiele heißt das «Gefangenen-Dilemma». Es ist ein Spiel mit zwei Spielern, von denen jeder zwei Entscheidungsmöglichkeiten hat, nämlich zu kooperieren oder nicht zu kooperieren. Jeder muss seine Wahl treffen, ohne zu wissen, wie der andere sich verhalten wird. Das Dilemma liegt darin, dass es für jeden Spieler vorteilhafter ist, eine egoistische Strategie zu verfolgen, also nicht zu kooperieren, dass es jedoch für jeden Spieler ungünstiger ist, wenn beide sich egoistisch statt kooperativ verhalten. Die Situation wird folgendermaßen verdeutlicht: Zwei Gefangene werden verdächtigt, gemeinsam eine Straftat begangen zu haben. Die Höchststrafe für das Verbrechen beträgt fünf Jahre. Der Richter macht jedem der beiden Gefangenen das Angebot, straffrei davonzukommen, falls er gesteht und damit den anderen belastet. Falls beide schweigen, erhalten beide aufgrund von Indizienbeweisen eine Strafe von zwei Jahren, falls beide gestehen, eine Strafe von fünf Jahren. Die beiden Gefangenen sind voneinander isoliert und können sich deshalb nicht über ihr Vorgehen abstimmen. Jeder von ihnen hat zwei Möglichkeiten: zu schweigen oder zu gestehen, also (aus der Sicht des jeweils anderen Gefangenen) zu kooperieren und sich damit eine Haftstrafe von zwei Jahren einzuhandeln, oder den anderen zu verraten und damit im besten Fall ohne Strafe davonzukommen. Wenn die Gefangenen sich gegenseitig verraten, so ist der Ausgang denkbar ungünstig: Beide müssen fünf Jahre lang im Gefängnis sitzen.

Wenn dieses Spiel über wenige Runden gespielt wird, so erweist sich die egoistische Strategie, also Verrat, als vorteilhaft, vor allem dann, wenn der Gegenspieler kooperiert. Rücksichtslosigkeit führt zum Erfolg. Das Gegenstück zur Strategie der bedingungslosen Durchsetzung eigener Interessen ist die unbedingte Kooperation. Falls der Mitspieler ebenfalls kooperationsbereit ist, ist diese Strategie durchaus erwägenswert, weil sie das Risiko herabsetzt, fünf Jahre eingesperrt zu werden, und moralisch gesehen Pluspunkte bringt. Es besteht jedoch die Gefahr der Ausbeutung, falls der Partner die aggressive Strategie anwendet.

Nehmen Sie, übertragen auf eine Alltagssituation, beispielsweise eine Wohngemeinschaft. Da haben sich zwei, drei oder mehr Menschen in einer Wohnung zusammengetan, was ein gewisses Maß an gegenseitiger Rücksichtnahme und Kooperationsbereitschaft erfordert. Im Gegensatz zur Familie, die hierarchisch strukturiert ist, sind Rechte und Pflichten auf die Mitglieder einer Wohngemeinschaft theoretisch gleich verteilt. In der Praxis kommt es jedoch immer wieder vor, dass...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Lebensführung - Motivation - Coaching

PS: Glücklich sein

E-Book PS: Glücklich sein
Format: PDF

Glücklich sein beinhaltet nicht nur Gesundheit, eine gesunde Ernährung und eine sportliche Betätigung. Glücklich sein kann von jedem von uns anders empfunden werden.In dem hier vorliegenden Buch "PS…

Simplify your life

E-Book Simplify your life
Küche, Keller, Kleiderschrank entspannt im Griff Format: ePUB/PDF

»Das bisschen Haushalt …« kann leider ganz schön anstrengend sein, wenn in der Sockenschublade ein undurchdringbares Chaos herrscht, sich in der Küche vor lauter…

Das Pippilotta-Prinzip

E-Book Das Pippilotta-Prinzip
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt Format: ePUB/PDF

Frech, respektlos, mutig – und viel Spaß dabei! Jeder kennt sie aus der Kindheit: Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter, kurz: Pippi Langstrumpf. Und fast jedes M…

Das Pippilotta-Prinzip

E-Book Das Pippilotta-Prinzip
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt Format: ePUB/PDF

Frech, respektlos, mutig – und viel Spaß dabei! Jeder kennt sie aus der Kindheit: Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter, kurz: Pippi Langstrumpf. Und fast jedes M…

Das Pippilotta-Prinzip

E-Book Das Pippilotta-Prinzip
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt Format: ePUB/PDF

Frech, respektlos, mutig – und viel Spaß dabei! Jeder kennt sie aus der Kindheit: Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter, kurz: Pippi Langstrumpf. Und fast jedes M…

Das Pippilotta-Prinzip

E-Book Das Pippilotta-Prinzip
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt Format: ePUB/PDF

Frech, respektlos, mutig – und viel Spaß dabei! Jeder kennt sie aus der Kindheit: Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter, kurz: Pippi Langstrumpf. Und fast jedes M…

Simplify your love

E-Book Simplify your love
Gemeinsam einfacher und glücklicher leben Format: ePUB/PDF

Gemeinsam einfacher und glücklicher lebenEgal ob Single, frisch verliebt oder schon in einer festen Beziehung: Fast alle Menschen wünschen sich eine stabile und glückliche Partnerschaft. Doch…

Simplify your love

E-Book Simplify your love
Gemeinsam einfacher und glücklicher leben Format: ePUB/PDF

Gemeinsam einfacher und glücklicher lebenEgal ob Single, frisch verliebt oder schon in einer festen Beziehung: Fast alle Menschen wünschen sich eine stabile und glückliche Partnerschaft. Doch…

Simplify your love

E-Book Simplify your love
Gemeinsam einfacher und glücklicher leben Format: ePUB/PDF

Gemeinsam einfacher und glücklicher lebenEgal ob Single, frisch verliebt oder schon in einer festen Beziehung: Fast alle Menschen wünschen sich eine stabile und glückliche Partnerschaft. Doch…

Weitere Zeitschriften

Ärzte Zeitung

Ärzte Zeitung

Zielgruppe:  Niedergelassene Allgemeinmediziner, Praktiker und Internisten. Charakteristik:  Die Ärzte Zeitung liefert 3 x pro Woche bundesweit an niedergelassene Mediziner ...

FREIE WERKSTATT

FREIE WERKSTATT

Die Fachzeitschrift FREIE WERKSTATT berichtet seit der ersten Ausgaben 1994 über die Entwicklungen des Independent Aftermarkets (IAM). Hauptzielgruppe sind Inhaberinnen und Inhaber, Kfz-Meisterinnen ...

BEHINDERTEPÄDAGOGIK

BEHINDERTEPÄDAGOGIK

Für diese Fachzeitschrift arbeiten namhafte Persönlichkeiten aus den verschiedenen Fotschungs-, Lehr- und Praxisbereichen zusammen. Zu ihren Aufgaben gehören Prävention, Früherkennung, ...

BONSAI ART

BONSAI ART

Auflagenstärkste deutschsprachige Bonsai-Zeitschrift, basierend auf den renommiertesten Bonsai-Zeitschriften Japans mit vielen Beiträgen europäischer Gestalter. Wertvolle Informationen für ...

DSD Der Sicherheitsdienst

DSD Der Sicherheitsdienst

Der "DSD – Der Sicherheitsdienst" ist das Magazin der Sicherheitswirtschaft. Es erscheint viermal jährlich und mit einer Auflage von 11.000 Exemplaren. Der DSD informiert über aktuelle Themen ...

building & automation

building & automation

Das Fachmagazin building & automation bietet dem Elektrohandwerker und Elektroplaner eine umfassende Übersicht über alle Produktneuheiten aus der Gebäudeautomation, der Installationstechnik, dem ...

VideoMarkt

VideoMarkt

VideoMarkt – besser unterhalten. VideoMarkt deckt die gesamte Videobranche ab: Videoverkauf, Videoverleih und digitale Distribution. Das komplette Serviceangebot von VideoMarkt unterstützt die ...