“…It’s important for everyone to understand and take advantage of the changes taking place. IP Communications is ‘disruptive’ communications in the most positive sense, and it will dramatically enhance the ways in which we communicate.”
Jeff Pulver, IPbRTK-Entrepreneur [PULV05a, S. 2]
Die Geschichte der Sprachkommunikation über das Internet begann bereits 1995 mit der Entwicklung der ersten Voice over Internet Protocol (VoIP) Software durch die israelische Firma Vocaltec. Angetrieben von der damaligen Internet- und New Economy-Euphorie entwickelte sich ein wahrer Hype. Marktforschungsinstitute prognostizierten gewaltige Wachstumsraten [WEIS03, S. 8], sogar von der gänzlichen Ablösung der herkömmlichen Telefonie war die Rede [ZIEG01, S. 154]. Die Technologie war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht ausgereift und auch die damals für die Datenübertragung verfügbaren Bandbreiten waren zu gering, um eine ausreichende Sprachqualität zu gewährleisten. Mit dem Platzen der Internetblase schwand die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Allerdings wurde die Technologie in der Zwischenzeit kontinuierlich weiterentwickelt.
Seit vergangenem Jahr ist als Folge der verbesserten Technik und der heute verfügbaren höheren Bandbreiten das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien an der neuen Technologie wieder erheblich gestiegen.
VoIP isoliert zu betrachten ist kaum möglich, da die Sprachkommunikation in der Regel mit anderen Kommunikationsformen (Video und Text) kombiniert wird. Au-ßerdem ist VoIP mittlerweile ein vom Marketinghype der Telefonieanbieter belasteter Ausdruck, der lediglich auf günstige Gesprächsgebühren abzielt und dabei das Potenzial der Integration mit anderen Diensten und bestehenden Systemen außer Acht lässt. Um diesen Aspekten gerecht zu werden, wurde für diese Arbeit die Bezeichnung „Internet Protocol basierte Real-Time-Kommunikation“ (IPbRTK ? Definition siehe 2.1) gewählt.
In einem größeren Kontext ist die IPbRTK als die wichtigste Anwendung konvergenter Netze zu sehen [DELO05, S. 3]. Der Trend zur Konvergenz der Netze ist für die Zukunft der Informations- und Telekommunikationstechnik von enormer Bedeutung und lässt sich folgendermaßen definieren: „Konvergenz beschreibt (…) den evolutionären Prozess des Zusammenwachsens der ursprünglich weitgehend unabhängig operierenden Industrien Medien, Telekommunikation und Informationstechnologie. Sie kennzeichnet sowohl die Annäherung der Technologien als auch die Verbindung der Wertschöpfungsketten sowie das Zusammenwachsen der Märkte insgesamt“ [PICO01, S. 161]. Der Antrieb und die Notwendigkeit zur Konvergenz ergeben sich aus dem Zusammenspiel folgender drei Faktoren [SCHO03, S. 2]:
Veränderte Informations- und Kommunikationsbedürfnisse der Nutzer
(z. B. Mobilität – „jeder Dienst zu jeder Zeit an jedem Ort“, integrierte Sprach-, Video- und Textkommunikation),
Technischer Fortschritt (z. B. Internet Protocol, höhere Bandbreiten, leistungsfähigere Endgeräte) und
Veränderte gesetzliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen
(Globalisierung und Deregulierung).
Die Entwicklung zu konvergenten Netzen führt zu substituierenden aber auch zu völlig neuen Diensten, welche aufgrund von Verdrängungs- und Kannibalisierungseffekten einschneidende Veränderungen der bestehenden oder sogar die Schaffung völlig neuer Kommunikationsmärkte zur Folge haben.
Das Beratungsunternehmen Deloitte Touche Tohmatsu bezeichnet die Konvergenz als „The Trillion Dollar Challenge“ und rechnet bis 2010 mit einem Marktvolumen von einer Billion Dollar, das sich aus neu entstehenden konvergenten Produkten und Diensten ergeben wird [DELO05, S. 1]. Für VoIP als wesentliches Element der Konvergenz wird ein Marktvolumen von 196 Milliarden Dollar im Jahr 2007 prognostiziert [DELO05, S. 3].
Betrachtet man die Chancen und Möglichkeiten, welche die beschriebenen Entwicklungen mit sich bringen, wird schnell deutlich, wie wichtig es für Unternehmen ist, sich diese zu Nutzen zu machen und in die eigenen Prozesse zu integrieren, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern bzw. Wettbewerbsnachteile zu vermeiden. Dies zeigt auch die Aussage: „If they don’t understand the technology, if they aren’t ready to make the move to IP, they actually take the worst of all decisions for their bottom line.“ von Andy Mattes, Präsident und CEO (Chief Executive Officer) Siemens Communications [MATT05, S. 3].
„Nichts ist stärker, als eine Idee, deren Zeit gekommen ist!“
Victor Hugo (franz. Dichter 1802-1885)
„Eine Idee muss Wirklichkeit werden können, oder sie ist eine eitle Seifenblase."
Berthold Auerbach (deutscher Schriftsteller 1812-1882)
Die Motivation für diese Arbeit ergibt sich neben der Bedeutung der IPbRTK als wesentliches Element bei der Konvergenz der Netze u. a. aus folgenden Tatsachen, die im weiteren näher erläutert werden:
Die von der IPbRTK bisher nicht erfüllten Erwartungen,
Die prognostizierten Nutzenpotenziale,
Die bestehenden und noch entstehenden Sicherheitsrisiken und
Die Unsicherheit, die die IPbRTK aufgrund ihrer Bedeutung, Komplexität sowie der geringen Erfahrung mit der neuen Technologie mit sich bringt.
Die Anbieter von Hard- und Software sowie Diensten für die IPbRTK sind sich einig über die Praxistauglichkeit und den Nutzen der neuen Technologie. Auch Marktforschungsunternehmen bescheinigen enorme Chancen. Einer Studie der Economist Intelligence Unit zufolge planen bis Ende 2006 bereits 43 % der befragten Unternehmen VoIP-Anwendungen einzusetzen [ATTC04, S. 2]. Doch angesichts der in Abschnitt 1 dargestellten Entwicklung stellt sich realistisch betrachtet die Frage, ob nun die Zeit für die neue Technologie gekommen ist, oder ob es sich nicht erneut nur um eine Blase handelt wie bereits um das Jahr 2000.
Die Nutzenpotenziale der neuen Technologie liegen neben der Kostensenkung durch günstigere Verbindungskosten sowie der gemeinsam genutzten Infrastruktur für Daten und Sprache vor allem in der Produktivitäts- und Effizienzsteigerung durch Integration in die bestehenden Prozesse sowie der verbesserten Erreichbarkeit.
Neben den Chancen gilt es allerdings auch die Risiken, welche die Umsetzung der Echtzeitkommunikation als IP-basierten Datendienst mit sich bringt, zu bewerten. Die folgenden Zahlen verdeutlichen zum einen den Wunsch der Nutzer entsprechende Anwendungen zu verwenden, zum anderen zeigen sie aber auch, dass das Thema Sicherheit selbst dann Beachtung finden muss, wenn noch keine Real-Time-Kommunikation auf IP-Basis im Unternehmen eingeführt wurde.
Die populäre VoIP-Anwendung Skype (www.skype.com – siehe 3.4) ermöglicht neben der Sprachkommunikation auch den Austausch von Dateien und Textnachrichten in Echtzeit (Instant Messaging). Skype wird bereits heute von 30 % der aktuell über 100 Millionen registrierten Nutzer für geschäftliche Zwecke genutzt [SKYP05 u. SKYP06]. Es ist davon auszugehen, dass zumindest ein Großteil dieser Nutzer die Software außerhalb der gemanagten unternehmensinternen IT-Infrastruktur (Informationstechnik) und somit nicht nach den geltenden Sicherheitsrichtlinien der Unternehmen einsetzen [DATA05 u. CERN05]. Das von „illegal“ genutzten Anwendungen verursachte Sicherheitsproblem ist jedoch nicht auf Skype beschränkt. Laut Gart-ner wird in 70 % der Unternehmen Instant Messaging (IM) Software genutzt, wobei nach einer Studie der Yankee Group lediglich 15-20 % eine offizielle Lösung einsetzen [JOEP05].
Die aufgezeigten Chancen und Risiken veranschaulichen, dass es für Unternehmen unumgänglich ist, sich mit dem Thema IPbRTK auseinanderzusetzen. Da die Kommunikation für jedes Unternehmen einen erfolgskritischen Faktor darstellt, und es sich hier um eine junge Technologie handelt, ist eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema in jedem Falle erforderlich.
Bei der Erstellung dieser Arbeit und dem Besuch verschiedener Fachveranstaltungen hat sich gezeigt, dass die aktuelle Situation von einer teilweise deutlichen Verunsicherung und Skepsis bei Anwendern und Entscheidern geprägt ist. Diese Unsicherheit lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen. Das Image der neuen Technologie leidet noch heute unter den überzogenen Versprechungen aus der frühen Phase des Produktlebenszyklus einerseits und der gegenüber jungen Technologien typischen Skepsis andererseits. Dies und auch die bei den Risiken sehr gegensätzlichen Einschätzungen führen zu der erwähnten Verunsicherung. Wenn man sich jedoch die Komplexität vor Augen führt, die sich aus dem Zusammenwachsen der klassischen Telefonie mit der Welt der Informationstechnologie sowie insbesondere auch aus der Vielschichtigkeit der Technik der IPbRTK ergibt, werden die divergierenden Meinungen schnell verständlich.
Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, auf Basis der...