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E-Book

Toleranz

Ein philosophischer Kommentar

AutorPierre Bayle
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl354 Seiten
ISBN9783518744185
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR

1686, als Reaktion auf die Aufhebung des Edikts von Nantes durch Ludwig XIV., verfasste Pierre Bayle seinen Kommentar zu jener Stelle aus dem Lukas-Evangelium, die häufig zur Begründung religiöser Unterdrückung herangezogen wurde: »Nötige sie hereinzukommen«. Bayles Buch ist das radikalste und philosophisch umfassendste Plädoyer für Toleranz, das die Aufklärung hervorgebracht hat, da Bayle anders als seine Zeitgenossen die Toleranz nicht primär auf Basis der Religion oder um des friedlichen Zusammenlebens willen rechtfertigt. Vielmehr entwirft er Grundsätze der Vernunft und der Moral, die jenseits aller Glaubenslehren einsichtig und verbindlich sind. Die so entwickelte neue Lehre des Verhältnisses von Vernunft, Moral und Religion ist heute noch so aktuell wie damals.

Pierre Bayle (1647-1706), französischer Philosoph und Schriftsteller hugenottischer Herkunft, ist einer der einflussreichsten und originellsten Denker der französischen Aufklärung. Vor allem sein Historisches und kritisches Wörterbuch, das der Enzyklopädie von d'Alembert und Diderot als Vorbild diente, fand europaweit große Beachtung.



<p>Pierre Bayle (1647-1706), franz&ouml;sischer Philosoph und Schriftsteller hugenottischer Herkunft, ist einer der einflussreichsten und originellsten Denker der franz&ouml;sischen Aufkl&auml;rung. Vor allem sein <em>Historisches und kritisches W&ouml;rterbuch</em>, das der Enzyklop&auml;die von d&rsquo;Alembert und Diderot als Vorbild diente, fand europaweit gro&szlig;e Beachtung.</p>

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Leseprobe

51Vorrede
Mehrere Bemerkungen, die sich von denen des Kommentars unterscheiden


[Anlass zu diesem Werk] Ein Franzose, den ich während einer Reise in Frankreich vor sieben oder acht Jahren häufiger gesehen habe und der sich nach der Aussendung der Dragoner[1] nach England zurückgezogen hatte, sagte mir jedes Mal, wenn wir miteinander sprachen, dass von allen bösen Gemeinheiten, mit denen die Missionare (und unter diesen Begriff fasste er Priester, Mönche, Anwälte des Königs, Richter, Verwalter, Offiziere der Kavallerie und der Infanterie sowie andere Personen jeder Art und jeden Geschlechts) ihn geplagt hatten, keine ihm törichter erschienen und gleichzeitig haarsträubender und weniger schlüssig gewesen seien als diejenigen, die sie aus den Worten Jesu Christi, Nötige sie hereinzukommen,[2] 52abgeleitet hatten, um die Verfolgung oder, wie sie es nennen, die barmherzige und heilbringende Gewalt zu rechtfertigen, die sie gegen die Ketzer einsetzten, um sie von ihren Irrwegen abzubringen. Er bekundete mir seinen leidenschaftlichen Wunsch, man möge dieser Schimäre der Verfolger den Boden entziehen; und da er meinte, bei mir nicht nur ein äußerstes Befremden über die Verfolgungen festgestellt zu haben, sondern auch einige Übung, nach den wahren Gründen der Dinge zu suchen, sagte er mir, er halte mich für dieses Unternehmen für geeignet, und bedeutete mir, dass ich, wenn ich damit, wie er hoffte, erfolgreich wäre, der guten Sache, ja der ganzen Welt einen großen Dienst erweisen könne. Er fügte hinzu, dass er einen Übersetzer zur Hand habe, der das von mir in meiner Sprache Verfasste wenn nicht in schönes Französisch, so doch in einen gut verständlichen Stil bringen würde.

Ich antwortete ihm, dass ich mein Können nicht für ausreichend erachtete, um zu glauben, ich könne irgendetwas von dem, was er mir da vorschlug, zustande bringen, und dass ich eine noch weniger gute Meinung von den Bekehrern hätte, die ich für außerstande halten würde, sich jemals in dem Punkte zu bessern, von dem ihre merkwürdige Voreingenommenheit herrührte; und dass Bücher im Allgemeinen der Welt nur als Zeitvertreib dienten, nachdem sie den Autoren viel Mühe gemacht hatten, wodurch diese neuerliche Kränkung erfahren, wenn sie sehen, dass das, wovon sie sich große Wirkung erhofft hatten, keinen Wandel hervorruft. Da er ein Mensch[3*] von glühendem Geist ist, wie er in seinem kleinen Buch mit dem Titel Ce que c’est que la France toute catholique sous le règne de Luis le Grand,[4] bezeugt hat, bedrängte er mich jedes Mal, wenn er mich sah, sehr energisch, ohne auf meine Ausreden zu achten. Schließlich, um mich vor seiner Aufdringlichkeit zu retten, sowie 53gleichermaßen, um zu sehen, wozu ich in der Lage wäre in Bezug auf ein Thema, das mir einerseits äußerst einleuchtend schien, das andererseits ziemlich harte Folgen mit sich bringen könnte, wenn man es nicht gut erklärt, versprach ich ihm, einen philosophischen Kommentar zu den Worten des Gleichnisses vom großen Gastmahl zu verfassen, die missbraucht werden von den Bekehrern, besser gesagt, von den Verfolgern; denn von nun an wird Bekehrer und hinterhältiger Mensch und Verfolger und alles, was man sonst an Beleidigungen verwenden kann, gleichbedeutend sein: So werde ich mich dieser Begriffe unterschiedslos bedienen, worauf von Anfang an hinzuweisen ratsam war.

[Was ist ein Bekehrer?] Dem Begriff des Bekehrers ist es ergangen wie dem des Tyrannen und dem des Sophisten. Zu Beginn meinte der Begriff des Tyrannen nichts anderes als den König und der des Sophisten den Philosophen, doch weil einige von denjenigen, die die souveräne Autorität ausübten, diese übel und grausam missbraucht haben, und weil einige von denen, die die Philosophie praktizierten, in falsche und lächerliche Klügeleien verfielen – geeignet, die Wahrheit zu verdunkeln –, wurden deren Namen verhasst und bezeichneten nur noch unehrliche Menschen beziehungsweise grausame, Unterdrücker, Streitsüchtige und Hinterlistige. Hier also die naive Vorstellung vom Schicksal des Wortes Bekehrer: Ursprünglich sollte es ein Wesen bezeichnen, das wirklichen Eifer für die Wahrheit zeigt und dafür, die Irregeleiteten von ihren Irrtümern zu heilen; doch wird es künftig nichts anderes bezeichnen als einen Scharlatan, einen Schurken, einen Dieb, einen Plünderer von Häusern, eine Seele ohne Mitleid, ohne Menschlichkeit, ohne Billigkeit, einen Menschen, der versucht, indem er andere quält, seine eigenen vergangenen und zukünftigen Verstöße gegen Sitten und Regeln wiedergutzumachen; oder wenn jemand findet, dass all diese Eigenschaften nicht auf jeden Bekehrer genau passen, wollen wir zumindest mit wenigen Worten sagen, was gleichwohl die wahre und angemessene Bedeutung dieses Begriffs sein wird. Er wird ein Ungeheuer bezeichnen, halb Priester, halb Dragoner, und dieses verbindet, wie der Zentaur der Sage, der in einer Person halb Mensch und halb Pferd ist, in einem einzigen Helfer die verschiedenen Rollen des disputierenden Missionars und des Soldaten, der einen armen menschlichen Körper peinigt und der ein Haus plündert. [Wie man ihn auf einem Gasthausschild 54malt] Man sagt, dass es in Deutschland bereits mehrere Gasthäuser gebe, die als Aushängeschild den Bekehrer haben, der nach dem Vorbild einiger Kupferstiche bekleidet ist, die, wie man sagt, den Bischof von Münster Bernard von Galen[5] darstellen, auf denen man diesen mit einer halben Mitra und einem halben Helm auf dem Kopf sieht, einen Bischofsstab in der einen Hand und einen Säbel in der anderen; eine Hälfte mit Chorhemd, die andere mit einem Brustpanzer, und entsprechend bei dem Rest, wenn er nach der Hälfte seiner Messe das Auf zu Pferde ertönen ließ und an der Stelle, an der man den Segen hätte erteilen müssen und das Ite missa est, einen Einsatzbefehl. Nach diesem Modell, so sagt man, mutatis mutandis, mit den erforderlichen sinngemäßen Änderungen, hat man das Aushängeschild des Bekehrers an einem bereits berühmten Gasthaus oder einer Schenke in mehreren Reichsstädten verfertigt. Schauen Sie selbst, ob Herr Arnauld[6] es verdient, dass man ihm auf das antwortet, was er so sehr an dem hervorgehoben hat, was der liebenswürdige Autor[7] von La Politique du Clergé als Lob auf die Protestanten formuliert hat, dass sie in der Welt nicht als Bekehrer aufträten. Es ist ganz erstaunlich, dass Hollands Schildermacher den Deutschen den Vorrang gelassen haben.

Indem ich mich also entschlossen habe, an einem Kommentar neuer Art über die berühmten Worte Nötige sie hereinzukommen zu arbeiten, glaubte ich, dass man die Herren Bekehrer ein wenig verwirren, ich möchte sagen, sie ein wenig von ihren Gemeinplätzen abbringen und sie mit Schwierigkeiten konfrontieren sollte, für die sie noch keine Muße gehabt haben, Ausflüchte zu erfinden; denn hierin besteht das große Ziel der Autoren dieser Gruppierung; sie bemühen sich weit weniger, ihre These zu beweisen, als vielmehr, den Argumenten auszuweichen, mit denen man sie überführt, ähnlich wie diese falschen Zeugen griechischer Herkunft, deren Charakter Cice55ro so schön beschrieben hat, numquam laborant quemadmodum probent quod dicunt, sed quemadmodum se explicent dicendo.[8] So sehe ich voraus, dass sie meine grundsätzlichen Einwände vernachlässigen, wenn sie mir antworten, und stattdessen danach suchen werden, ob ich mir an irgendeiner Stelle widersprochen habe, mir irgendeine fehlerhafte Bemerkung unterlaufen ist oder ob aus meinen Grundsätzen Absurdes folgt. Wenn sie sich darauf beschränken werden, erkläre ich ihnen schon jetzt, dass ich mich weder für widerlegt noch mein Anliegen grundsätzlich für weniger erfolgreich halten werde; denn der Sieg eines Rechtsstreits geht nicht damit verloren, dass es einem Anwalt unterlaufen kann, nicht immer richtig argumentiert oder an einer Stelle Gedanken gehabt zu haben, die sich nicht ganz folgerichtig aus denjenigen ergeben, die er an anderer Stelle hatte, beziehungsweise den Bogen an einigen Stellen zu weit gespannt zu haben oder sich gelegentlich zu verrennen. [Deshalb gibt es Erwiderungen auf die besten Bücher] All dies mag mir vielleicht unterlaufen sein, doch trotz dieser Fehler, die nicht Fehler der Sache, sondern nur persönliche Unzulänglichkeiten ihres Verfechters sind, glaube ich, Dinge gesagt zu haben, die das, was ich vorbringen wollte, zweifelsfrei beweisen; ich behaupte deshalb auch, dass die Bekehrer, wenn sie sich rechtfertigen wollen, auf das eingehen müssen, was ich an Gewichtigem und Vernünftigem gesagt habe, und dass sie nicht nach Art der Belehrer verfahren sollten, die dazu führt, dass es kein noch so überwältigendes Buch mehr gibt, gegen das man nicht Erwiderungen publiziert, und die darin besteht, dass man die Stellen sucht, an denen ein Autor eine Textpassage falsch zitiert, ein strittiges Argument einmal auf diese, einmal auf eine andere Weise verwendet und diesen oder jenen fast unvermeidlichen Fehler begangen hat. Jemand, der alle diese Stellen zusammenzuklauben und hier und da Argumente von dem abzulösen versteht, was auf den vorangegangenen Seiten ihr Fundament und ihr wahres Ziel ausmacht oder zumindest andeutungsweise erkennen lässt, was die Absicht des Autors war, liefert auf das beste Buch eine umfängliche Entgegnung, die für diejenigen als scheinbar überlegen dasteht, die nicht genau und ohne Sorgfalt die beiden Seiten vergleichen. Daher kommt es also, dass man auf alles Entgegnungen formuliert, aber genau genommen 56heißt das nicht, ein Buch zu widerlegen; es heißt, mit seinem Anliegen stecken zu bleiben, und zwar in den...

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