Teil 2
DAS HEILWESEN DES SOZIALEN ORGANISMUS
Kapitel 1: Aspekte der wirtschaftlichen und finanziellen Integrität des lokal-global vernetzten sozialen Organismus:
Gespräch mit Dr. John Nash, Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften, Univ. Princeton, Boston, NJ, USA
Interview in Englisch mit
Dr. John F. Nash - Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften, Princeton University, Princeton/USA
G.D.: Sehen Sie eine Anwendung der Spieltheorie auf die europäische Währungsfrage?
Prof Nash: Nicht so sehr die mathematisch formulierte Spieltheorie, wohl aber die Logik der Betrachtung einer Sache als Spiel. Wenn Personen sich darüber im klaren sind, daß sie ein Spiel spielen, nehmen sie die Geisteshaltung eines Mitspielers und Wettbewerbers an. Zwei Familien, die beispielsweise eine Hochzeitsfeierlichkeit ausrichten, betrachten dieses vielleicht nicht als ein Spiel, sondern als etwas, das im Zeichen der göttlichen Liebe steht, und nicht Gegenstand eines Spiels sein sollte. Selbst wenn man die Europäische Union für etwas Gottgewolltes und in jeder Hinsicht Gutes hält und dies für alle Mitglieder gleichermaßen, wobei der Mitgliedschaft und der Nichtmitgliedschaft göttlicher Ratschluß zugrundeliegt, so wird man sie nicht als ein Spiel betrachten. Betrachtet man sie jedoch von einem anderen Standpunkt aus, so gleicht sie durchaus einem Spiel. Da gibt es Entscheidungen darüber, ob ein Land Mitglied werden sollte oder nicht. So hat Norwegen beispielsweise die Wahl gehabt, Mitglied zu werden, sich jedoch bisher dagegen ausgesprochen. Innerhalb der Union ist die Sache mit der Europäischen Währungsunion, die - soweit man dies als unbeteiligter Beobachter zu beurteilen vermag - aufgrund der Standpunkte der verschiedenen Mitgliedsstaaten möglicherweise nicht ganz verwirklicht werden kann. Der deutsche Außenminister beispielsweise ließ verlautbaren, daß die italienische Lire nicht ihren gegenwärtigen hohen Kurs verdiente, was zu einem Abfallen dieser Währung um 10% führte.
Zum anderen gibt es da viele Briten, die man als Euroskeptiker bezeichnet. Diese betrachten die Europäische Union insgesamt sehr skeptisch und wollen überhaupt keine Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union; viele Jahre waren sie ja keine Mitglieder. Und mehr noch haben Zweifel am Nutzen der Währungsunion. Dies ist nur vor dem Hintergrund der Tatsache zu verstehen, daß das Pfund eine Geschichte als internationale Währung hatte und eine herausragende Rolle spielte, als die Deutsche Mark noch keine Bedeutung als internationale Währung hatte; ebensowenig natürlich die italienische Lire. Der französische Franc spielte eine gewisse Rolle in den Gebieten, die unter französischem Einfluß standen.
Würden die Briten also beitreten, so würde ihre Währung mit großer Wahrscheinlichkeit einen untergeordneten Rang einnehmen. Sie würden ihre Führerschaft verlieren und zweitrangige Mitglieder werden, vergleichbar mit einer Provinz des Römischen Weltreiches, was der südliche Teil der Britischen Inseln ja eine Zeit lang war. Es besteht also ein gewaltiger Unterschied darin, ob man eine Provinz des Römischen Weltreichs oder das Zentrum des Britischen Weltreichs ist.
G.D.: Also eine Prestigefrage!
Prof. Nash: Hier spielt in der Tat der Prestigefaktor eine Rolle.
I. Sch.: Inwieweit kann die europäische Frage mit Monopoly verglichen werden?
Prof. Nash: Nun, Monopoly ist die Bezeichnung für das Spiel, das in Amerika vom Gedanken der Immobilieninvestitionen inspiriert wurde. Die Euroskeptiker in Großbritannien stehen der europäischen Idee skeptisch gegenüber, sind aber nicht zwangsläufig Gegner der Europäischen Union und erwarten nicht gutgläubig, daß diese ihnen zum Nutzen gereicht. Euroskeptiker betrachten sie natürlich als ein Spiel. Da ich persönlich die Dinge von außen betrachte, scheint es mir, daß die Briten ihre Interessen maximal durch ein Doppelspiel befriedigt sähen, indem sie dem Club zwar beitreten und die erforderlichen Mitgliedschaftsbeiträge bezahlen und in dem Maße kooperieren wie sie dazu gezwungen sind, doch mit dem Herzen stets nicht dabei sind. Sie gehen keine verbindliche Verpflichtung ein und sie haben viele andere Interessen, wie den Britischen Commonwealth, soweit er noch von Bedeutung ist. Gewiß sind da auch noch die großen Gebiete, in denen die englische Sprache gesprochen wird. Sie haben guten Grund für dieses Doppelspiel und nicht mit ganzem Herzen bei der Sache zu sein. Ähnliche Erwägungen könnte sogar bei Spaniern und Portugiesen eine Rolle spielen, doch sie treten williger bei, da sie mit größerem Nutzen rechnen können. Man kann Kosten und Nutzen für jedes Land schätzen. Belgien hat das vorteilhafteste Kosten-Nutzen Verhältnis. Italien kann mit sehr großem Nutzen rechnen, ebenso kann Deutschland aufgrund seiner Ex- und Importe beträchtlichem Nutzen erwarten. Darüber hinaus wird der Nutzen geringer...Die Briten haben weniger Grund, mit Nutzen zu rechnen. Die Iberische Halbinsel hat ihre Verbindungen zu Brasilien, Mittel- und Südamerika, die ihre Aufmerksamkeit anziehen und die sie nicht um des Transpyrenäischen willen gänzlich verlieren wollen...Aber sie kann mit großem Nutzen rechnen. Die Norweger sind nicht der Ansicht, daß sie Nutzen erwarten können. Sie haben Erdöl.... Die Schweden spielen vielleicht ein ähnliches Spiel wie die Engländer. Aber das Volk ist gar nicht so sicher, daß Schweden überhaupt Mitglied sein sollte. Frankreich kann - geographisch betrachtet - großen Nutzen erwarten. Aber es hat nicht die Bedeutung eines großen Landes, vielmehr die eines weiteren, wenn auch größeren Belgien in der EU. Es kann das Vetomacht-Spiel spielen. Ich denke, die Union wird ein Gewinn für Frankreich sein.
G.D.: Glauben sie an eine wissenschaftliche Lösung der Frage der Europäischen Währungsunion, mit anderen Worten, kann sie von ihrem psychologischen Input abgekoppelt werden?
Prof. Nash: Ich denke, daß eine internationale Lösung der Währungsfrage viel besser wäre, und ich selbst bin gar nicht so sehr am Europäischen interessiert. Vielmehr betrachte ich es als ein Spiel, das es zu beobachten gilt. Aber ich denke, die europäische Währungsunion könnte von großem Nutzen sein. Wenn sie erst einmal in Kraft ist, könnte sie sich sehr vorteilhaft auswirken. Die Briten wollen vielleicht nicht drin sein und wollen vielleicht auch nicht, daß die anderen diese ohne sie schaffen. Sie würde den Handel erleichtern. Es geht nicht nur darum, Handel zu ermöglichen. Ein Kunde in Berlin, der den Katalog eines Pariser Kaufhauses hat, in dem die Warenpreise in französischen Francs angegeben sind, muß erst einmal überlegen und umrechnen, wieviel das Kleidungsstück, das er kaufen möchte, kostet. Wenn die Preise in einer Union jedoch metrische Größen wären, wäre es ein leichtes. Man könnte beispielsweise leicht feststellen, daß ein Berliner Kaufhaus es zu einem Preis, ein Pariser Kaufhaus zu anderen Preis anbietet; also bestelle gegebenenfalls das Kleidungsstück in Paris
G.D.: Wäre es möglicherweise nicht besser, die Aufmerksamkeit nicht ausschließlich auf die Schaffung einen europäischen, sondern eines universellen Standards zu richten, den sie bereits anklingen ließen? Das würde bedeuten, daß man die Problematik der europäischen Ebene überspringt und diese Teil einer umfassenderen Lösung werden läßt.
Prof. Nash: Auch hier befinden wir uns wiederum in einem Spielszenario...Ein solcher internationaler Standard wäre durchaus im Interesse von Staaten - wie beispielsweise Australien - weltweit. Er wäre sehr gut und von großem Nutzen. Wenn man jedoch ein sehr gutes europäisches System schaffen könnte, vergleichbar mit dem metrischen System, das in Frankreich erfunden wurde und zuerst in Europa und dann schließlich weltweit eingeführt wurde! Eine gute Idee kann Schule machen und sich weltweit durchsetzen, wenn sie wirklich gut ist.
G.D.: Europa als Versuchslabor für eine universelle Lösung!
Prof. Nash: Wenn sie etwas wirklich Gutes zustande bringen, etwas das der Vorstellung von einer Europäischen Union entspricht, die gegenwärtig ein europäischer Club ist - so verwehrt man den Beitritt. Man möchte die Türken draußen haben, die Griechen drinnen, aber die Türken mögen das nicht. Wo soll die Grenze gezogen werden? Man möchte die Norweger drinnen haben und die Türken draußen aber gegenwärtig wollen die Türken rein, die Norweger aber draußen sein. Wenn sich das ganze jedoch sehr gut entwickeln würde, könnte es sich weltweit ausbreiten und sogar an die Stelle der Welthandelsorganisation, den neu organisierten GATT, treten. Aber ich bin kein Experte, sondern nur ein frei Denkender.
Kapitel 2. Politische Dimensionen von Krieg und Frieden im sozialen...