Sie sind hier
E-Book

Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde

Vollständige Ausgabe

AutorArthur Schopenhauer
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl210 Seiten
ISBN9783849610166
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Eines der ersten und besten Werke des Philosophen. Die Grundlage für sein Weltbild und seine Elementarphilosophie.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Drittes Kapitel. Unzulänglichkeit der bisherigen Darstellung und Entwurf zu einer neuen.


 

§ 15.

 

Fälle, die unter den bisher aufgestellten Bedeutungen des Satzes nicht begriffen sind.

 

Aus der im vorigen Kapitel gegebenen Uebersicht ergiebt sich als allgemeines Resultat, daß man, obwohl erst allmälig und auffallend spät, auch nicht ohne öfter von Neuem in Verwechselungen und Fehlgriffe zu gerathen, zwei Anwendungen des Satzes vom zureichenden Grunde unterschieden hat: die eine auf Urtheile, die, um wahr zu seyn, immer einen Grund, die andere auf Veränderung realer Objekte, die immer eine Ursache haben müssen. Wir sehn, daß in beiden Fällen der Satz vom zureichenden Grund zur Frage Warum berechtigt, welche Eigenschaft ihm wesentlich ist. Allein sind unter jenen beiden Verhältnissen alle Fälle begriffen, in denen wir Warum zu fragen berechtigt sind? Wenn ich frage: Warum sind in diesem Triangel die drei Seiten gleich? So ist die Antwort: weil die drei Winkel gleich sind. Ist nun die Gleichheit der Winkel Ursache der Gleichheit der Seiten? Nein, denn hier ist von keiner Veränderung, also von keiner Wirkung, die eine Ursache haben müßte, die Rede. – Ist sie bloß Erkenntnißgrund? Nein, denn die Gleichheit der Winkel ist nicht bloß Beweis der Gleichheit der Seiten, nicht bloß Grund eines Unheils: aus bloßen Begriffen ist ja nimmermehr einzusehn, daß, weil die Winkel gleich sind, auch die Seiten gleich seyn müssen: denn im Begriff von Gleichheit der Winkel liegt nicht der von Gleichheit der Seiten. Es ist hier also keine Verbindung zwischen Begriffen, oder Urtheilen, sondern zwischen Seiten und Winkeln. Die Gleichheit der Winkel ist nicht unmittelbar Grund zur Erkenntniß der Gleichheit der Seiten, sondern nur mittelbar, indem sie Grund des So-seyns, hier des Gleichseyns der Seiten ist: darum daß die Winkel gleich sind, müssen die Seiten gleich seyn. Es findet sich hier eine nothwendige Verbindung zwischen Winkeln und Seiten, nicht unmittelbar eine nothwendige Verbindung zweier Urtheile. – Oder wiederum, wenn ich frage, warum zwar infecta facta, aber nimmermehr facta infecta fieri possunt; also warum denn eigentlich die Vergangenheit schlechthin unwiederbringlich, die Zukunft unausbleiblich sei; so läßt sich Dies auch nicht rein logisch, mittelst bloßer Begriffe, darthun. Und eben so wenig ist es Sache der Kausalität; da diese nur die Begebenheiten in der Zeit, nicht diese selbst beherrscht. Aber nicht durch Kausalität, sondern unmittelbar durch ihr bloßes Daseyn selbst, dessen Eintritt jedoch unausbleiblich war, hat die jetzige Stunde die verflossene in den bodenlosen Abgrund der Vergangenheit gestürzt und auf ewig zu nichts gemacht. Dies läßt sich aus bloßen Begriffen nicht verstehn, noch durch sie verdeutlichen; sondern wir erkennen es ganz unmittelbar und intuitiv, eben wie den Unterschied zwischen Rechts und Links und was von diesem abhängt, z.B. daß der linke Handschuh nicht zur rechten Hand paßt.

 

Da nun also nicht alle Fälle, in denen der Satz vom zureichenden Grunde Anwendung findet, sich zurückführen lassen auf logischen Grund und Folge und Ursache und Wirkung; so muß bei dieser Eintheilung dem Gesetz der Specifikation kein Genüge geschehn seyn. Das Gesetz der Homogeneität nöthigt uns jedoch vorauszusetzen, daß jene Fälle nicht ins Unendliche verschieden seyn, sondern auf gewisse Gattungen müssen zurückgeführt werden können. Ehe ich nun diese Eintheilung versuche, ist es nöthig zu bestimmen, was dem Satz vom zureichenden Grunde, als sein eigenthümlicher Charakter, in allen Fällen eigen sei; weil der Geschlechtsbegriff vor den Gattungsbegriffen festgestellt werden muß.

 

 

§ 16.

 

Die Wurzel des Satzes vom zureichenden Grund.

 

Unser erkennendes Bewußtsein, als äußere und innere Sinnlichkeit (Receptivität), Verstand und Vernunft auftretend, zerfällt in Subjekt und Objekt, und enthält nichts außerdem. Objekt für das Subjekt seyn, und unsere Vorstellung seyn, ist das Selbe. Alle unsere Vorstellungen sind Objekte des Subjekts, und alle Objekte des Subjekts sind unsere Vorstellungen. Nun aber findet sich, daß alle unsere Vorstellungen unter einander in einer gesetzmäßigen und der Form nach a priori bestimmbaren Verbindung stehn, vermöge welcher nichts für sich Bestehendes und Unabhängiges, auch nichts Einzelnes und Abgerissenes, Objekt für uns werden kann. Diese Verbindung ist es, welche der Satz vom zureichenden Grund, in seiner Allgemeinheit, ausdrückt. Obgleich dieselbe nun, wie wir schon aus dem Bisherigen entnehmen können, je nach Verschiedenheit der Art der Objekte, verschiedene Gestalten annimmt, welche zu bezeichnen der Satz vom Grunde dann auch wieder seinen Ausdruck modificirt; so bleibt ihr doch immer das allen jenen Gestalten Gemeinsame, welches unser Satz, allgemein und abstrakt gefaßt, besagt. Die demselben zum Grunde liegenden, im Folgenden näher nachzuweisenden Verhältnisse sind es daher, welche ich die Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde genannt habe. Diese nun sondern sich, bei näherer, den Gesetzen der Homogeneität und der Specifikation gemäß angestellter Betrachtung, in bestimmte, von einander sehr verschiedene Gattungen, deren Anzahl sich auf vier zurückführen läßt, indem sie sich richtet nach den vier Klassen, in welche Alles, was für uns Objekt werden kann, also alle unsere Vorstellungen, zerfallen. Diese Klassen werden in den nächsten vier Kapiteln aufgestellt und abgehandelt.

 

In jeder derselben werden wir den Satz vom zureichenden Grund in einer andern Gestalt auftreten, sich aber überall dadurch, daß er den oben angegebenen Ausdruck zuläßt, als den selben und als aus der hier angegebenen Wurzel entsprossen zu erkennen geben sehn.

 

 

Viertes Kapitel. Ueber die erste Klasse der Objekte für das Subjekt und die in ihr herrschende Gestaltung des Satzes vom zureichenden Grunde.


 

§ 17.

 

Allgemeine Erklärung dieser Klasse von Objekten.

 

Die erste Klasse der möglichen Gegenstände unsers Vorstellungsvermögens ist die der anschaulichen, vollständigen, empirischen Vorstellungen. Sie sind anschauliche, im Gegensatz der bloß gedachten, also der abstrakten Begriffe; vollständige, sofern sie, nach Kants Unterscheidung, nicht bloß das Formale, sondern auch das Materiale der Erscheinungen enthalten; empirische, theils sofern sie nicht aus bloßer Gedankenverknüpfung hervorgehn, sondern in einer Anregung der Empfindung unsers sensitiven Leibes ihren Ursprung haben, auf welchen sie, zur Beglaubigung ihrer Realität, stets zurückweisen; theils weil sie, gemäß den Gesetzen des Raumes, der Zeit und der Kausalität im Verein, zu demjenigen end- und anfangslosen Komplex verknüpft sind, der unsere empirische Realität ausmacht. Da jedoch diese nach dem Ergebniß der Kantischen Belehrung, die transscendentale  Idealität derselben nicht aufhebt; so kommen sie hier, wo es sich um die formellen Elemente der Erkenntniß handelt, bloß als Vorstellung in Betracht.

 

 

§ 18.

 

Umriß einer transscendentalen Analysis der empirischen Realität.

 

Die Formen dieser Vorstellungen sind die des innern und äußern Sinnes, Zeit und Raum. Aber nur als erfüllt sind diese wahrnehmbar. Ihre Wahrnehmbarkeit ist die Materie, auf welche ich weiterhin, wie auch § 21, zurückkommen werde.

 

Wäre die Zeit die alleinige Form dieser Vorstellungen; so gäbe es kein Zugleichseyn und deshalb nichts Beharrliches und keine Dauer. Denn die Zeit wird nur wahrgenommen, sofern sie erfüllt ist, und ihr Fortgang nur durch den Wechsel des sie Erfüllenden. Das Beharren eines Objekts wird daher nur erkannt durch den Gegensatz des Wechsels anderer, die mit ihm zugleich sind. Die Vorstellung des Zugleichseyns aber ist in der bloßen Zeit nicht möglich; sondern, zur andern Hälfte, bedingt durch die Vorstellung vom Raum; weil in der bloßen Zeit alles nach einander, im Raum aber neben einander ist: dieselbe entsteht also erst durch den Verein von Zeit und Raum.

 

Wäre andererseits der Raum die alleinige Form der Vorstellungen dieser Klasse; so gäbe es keinen Wechsel: denn Wechsel, oder Veränderung, ist Succession der Zustände, und Succession ist nur in der Zeit möglich. Daher kann man die Zeit auch definiren als die Möglichkeit entgegengesetzter Bestimmungen am selben Dinge.

 

Wir sehn also, daß die...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Metaphysik - Philosophie

Die Lebenswelt

E-Book Die Lebenswelt
Auslegungen der vorgegebenen Welt und ihrer Konstitution. Format: PDF

Der Band versammelt Forschungsmanuskripte Edmund Husserls aus zwei Jahrzehnten, in denen er das bis heute auf die Sozialwissenschaften wirkende Konzept der Lebenswelt detailliert entwickelt. In den…

Die Lebenswelt

E-Book Die Lebenswelt
Auslegungen der vorgegebenen Welt und ihrer Konstitution. Format: PDF

Der Band versammelt Forschungsmanuskripte Edmund Husserls aus zwei Jahrzehnten, in denen er das bis heute auf die Sozialwissenschaften wirkende Konzept der Lebenswelt detailliert entwickelt. In den…

Überschüsse der Erfahrung

E-Book Überschüsse der Erfahrung
Grenzdimensionen des Ich nach Husserl Format: PDF

Die vorliegende Arbeit zielt darauf ab, Momente der Husserlschen Phänomenologie hervorzuheben, in denen diese an ihre Grenzen stößt. Der Ausweis dieser Grenzphänomene, die in der Husserl-Literatur…

Selbstbewusstsein in der Spätantike

E-Book Selbstbewusstsein in der Spätantike
Die neuplatonischen Kommentare zu Aristoteles' 'De anima' - Quellen und Studien zur PhilosophieISSN 85 Format: PDF

The three ancient commentaries on Aristotle's On the Soul (De anima) are interesting because the commentators, as neo-Platonists, understand the soul completely differently than Aristotle. For…

Selbstbewusstsein in der Spätantike

E-Book Selbstbewusstsein in der Spätantike
Die neuplatonischen Kommentare zu Aristoteles' 'De anima' - Quellen und Studien zur PhilosophieISSN 85 Format: PDF

The three ancient commentaries on Aristotle's On the Soul (De anima) are interesting because the commentators, as neo-Platonists, understand the soul completely differently than Aristotle. For…

Bacon und Kant

E-Book Bacon und Kant
Ein erkenntnistheoretischer Vergleich zwischen dem 'Novum Organum' und der 'Kritik der reinen Vernunft' - Kantstudien-ErgänzungshefteISSN 156 Format: PDF

Anyone interested in establishing an intellectual connection between Kant and Bacon must first ask the question as to what similarity could exist between Kant, who carried out a transcendental…

Bacon und Kant

E-Book Bacon und Kant
Ein erkenntnistheoretischer Vergleich zwischen dem 'Novum Organum' und der 'Kritik der reinen Vernunft' - Kantstudien-ErgänzungshefteISSN 156 Format: PDF

Anyone interested in establishing an intellectual connection between Kant and Bacon must first ask the question as to what similarity could exist between Kant, who carried out a transcendental…

Bacon und Kant

E-Book Bacon und Kant
Ein erkenntnistheoretischer Vergleich zwischen dem 'Novum Organum' und der 'Kritik der reinen Vernunft' - Kantstudien-ErgänzungshefteISSN 156 Format: PDF

Anyone interested in establishing an intellectual connection between Kant and Bacon must first ask the question as to what similarity could exist between Kant, who carried out a transcendental…

Normativität

E-Book Normativität
Eine ontologische Untersuchung Format: PDF

The book deals with a central question for the understanding of reality and the way in which human beings relate to it. Humans are creatures that can deliberate and define their actions by virtue…

Normativität

E-Book Normativität
Eine ontologische Untersuchung Format: PDF

The book deals with a central question for the understanding of reality and the way in which human beings relate to it. Humans are creatures that can deliberate and define their actions by virtue…

Weitere Zeitschriften

Card Forum International

Card Forum International

Card Forum International, Magazine for Card Technologies and Applications, is a leading source for information in the field of card-based payment systems, related technologies, and required reading ...

crescendo

crescendo

Die Zeitschrift für Blas- und Spielleutemusik in NRW - Informationen aus dem Volksmusikerbund NRW - Berichte aus 23 Kreisverbänden mit über 1000 Blasorchestern, Spielmanns- und Fanfarenzügen - ...

DHS

DHS

Die Flugzeuge der NVA Neben unser F-40 Reihe, soll mit der DHS die Geschichte der "anderen" deutschen Luftwaffe, den Luftstreitkräften der Nationalen Volksarmee (NVA-LSK) der ehemaligen DDR ...

ea evangelische aspekte

ea evangelische aspekte

evangelische Beiträge zum Leben in Kirche und Gesellschaft Die Evangelische Akademikerschaft in Deutschland ist Herausgeberin der Zeitschrift evangelische aspekte Sie erscheint viermal im Jahr. In ...

F- 40

F- 40

Die Flugzeuge der Bundeswehr, Die F-40 Reihe behandelt das eingesetzte Fluggerät der Bundeswehr seit dem Aufbau von Luftwaffe, Heer und Marine. Jede Ausgabe befasst sich mit der genaue Entwicklungs- ...