Das Ich, der Astralleib, der Ätherleib und der physische Leib des Menschen
Die Anthroposophie von Rudolf Steiner spricht von vier Wesensgliedern, die namentlich das Ich, der Astralleib, der Ätherleib und der physische Leib sind. Dieses System, den Menschen in vier Glieder zu differenzieren, kann eine außerordentlich praktische Arbeitsgrundlage geben, denn mit dieser wird es für die Betrachtungen und begrifflichen Einordnungen möglich, auf genauere und sorgfältige Weise die Wirkungsrichtungen zu beurteilen, die eine Seelenübung einnimmt. Das menschliche Wesen wird durch diese Viergliederung nicht nur auf theoretische Weise erfasst, sondern auf eine analytische, gegliederte und vorstellbare Ebene geführt, und gleichzeitig ergeben sich mit den Bildern und Beschreibungen zu diesen vier Wesengliedern nicht nur übergeordnete Betitelungen, sondern tatsächliche Wirklichkeiten, die im Menschen selbst verborgen sind.
So wie der Chemiker die einzelnen Bestandteile eines kompakten Stoffes, wie beispielsweise eines Nahrungsmittels extrahieren muss, damit er sie in Quantität und Qualität bestimmen kann, so muss im gleichen Maße die menschliche Seinsexistenz in ihren Gliedern differenziert betrachtet werden, damit diese der menschlichen Erkenntnis dienen und der praktischen Erfahrung zugänglich werden. Spricht beispielsweise der Yoga von einer Art Einheitserfahrung als Ziel, so kann diese nicht sofort in Anspruch genommen werden, denn der Mensch muss sich zunächst der Disziplin des Erkenntnissuchens unterziehen, damit er beispielsweise die trennenden Kräfte und die vereinenden Kräfte in der Weltenschöpfung erfahren lernt. Es wäre zu einfach, sich selbst in ein sogenanntes geistiges Erleben hineinzuleben und dabei analysierende und differenzierende Erfahrungen über das menschliche Dasein unterlassen zu haben.
Das menschliche Ich ist das höchste Glied, das der geistigen Welt angehört. Das Ich-Selbst ist rein geistig und besitzt keine stoffliche und auch keine feinstoffliche Grundlage. Ob dieses Ich nun das ganz gleiche darstellt, wie das Selbst des Yoga, der parātman, die höchste Seinsexistenz, wird im Laufe der Auseinandersetzung noch geklärt. Es ist dieses Wesensglied, obwohl es transzendenter Natur ist, als eigenes Wesensglied erkennbar und in der Art seiner Zugehörigkeit und Wirkung zu den anderen Gliedern unterscheidbar. So wie der Geist eine von der Seele unterschiedliche Realitätsebene darstellt, so stellt das Ich eine unterschiedliche Realitätsebene zu den anderen Gliedern dar. In der Summe ist dieses Ich-Selbst das Gleiche wie der reine Geist des Menschen. Wäre der Mensch auf einer Stufe des Pflanzenreiches stehen geblieben, so hätte er kein Ich und würde den Naturbedingungen gehorchen. Indem der Mensch jedoch ein Ich-Selbst besitzt, steht er über allen anderen Reichen, sowohl den Pflanzen als auch dem Tierreich, und besitzt die Fähigkeit, sein Schicksal in eine gewünschte Richtung zu lenken. Der Mensch ist durch die Kraft des Geistes und die daraus resultierenden Fähigkeiten der Schöpfer seines Schicksals. Das Ich und der Geist gehören zusammen.
Der Astralleib, das nächstfolgende Glied, ist bereits in einer gewissen feinstofflichen Grundlage gegründet und er ist der kosmische Leib, das ist jener Leib, den der Mensch gewissermaßen mit den Sternen als Mikrokosmos in sich trägt. In ihm sind auch die Planeten und die Wirkungen, Dimensionen, Motive und Gesetze des zugehörigen Kosmos enthalten. Der Astralleib ist ein Lichtleib, der aber nicht das klare Sonnenlicht, wie es an den taghellen Einstrahlungen des wolkenlosen Himmels sichtbar ist, repräsentiert, sondern tatsächlich mehr das innere Licht der Sterne und Planeten trägt, und der in diesem Sinne mehr wie eine Art modifiziertes Licht oder sogar eine Art spezifiziertes Licht der Sonnensphäre darstellt. Dieses Licht des Astralleibes bringt Wesen und Wesensgestaltungen aus sich selbst hervor. Die Seele, wenn man diesen Begriff nicht zu profan nimmt, und der Astralleib sind das gleiche, denn beide bringen nicht ein unmittelbares Licht durch sich selbst hervor, sondern sie kreieren Prozesse und somit diejenigen Erscheinungen, die für das physische Auge in jeder Weise unsichtbar sind und doch eine reale, wirkende und durchaus für das Gemüt nachempfindbare Tatsache darstellen. Wäre der Astralleib nicht als reale Anlage im Menschen vorhanden, so könnten keine Bewusstseinsprozesse entstehen. Der Astralleib ist der Träger des Bewusstseins und der Werkmeister von all jenen Gestaltungen, die aus dem nach innen gelagerten Licht der Sonne entstanden sind.
Wieder ein anderer Leib ist der Ätherleib, der bereits näher an dem physischen Körper angelehnt ist. Aber auch dieser Leib ist für das physische Auge unsichtbar. Er besteht aus dem sogenannten Äther oder aus dem konkreten Licht selbst, das in sich hell ist und wie aus sich selbst eine entzündende Flamme hervorbringt. Der Ursprungsort dieses Lichtes ist tatsächlich die Sonne, aber man darf sich dieses Licht, das den Äther in sich birgt, nicht als das gewöhnliche, physikalische Licht allein vorstellen, denn es ist vielmehr das in sich fluktuierende und arbeitende Licht, das aus einer übergeordneten Sphäre kommt und eine Beziehung zu der irdischen Welt erschafft. Die Sonne selbst ist der physische Ausdruck derjenigen Kräfte unseres Sonnensystems, die ätherisch im Weltenall bis hin zur Erde fluktuieren. Der Äther entspringt nicht aus den Erdenstoffen oder aus den Erdenverhältnissen. Er besitzt seinen Ursprung in sonnenähnlichen Sphären und wird aus diesen heraus die Erde beleben, bereichern, die Stoffe bearbeiten und in eine nächstmögliche Struktur verwandeln. Am Werden und Wachsen der Pflanzen arbeitet die Ätherkraft, die tatsächlich mehr ist als das physisch wahrnehmbare Sonnenlicht. Im Menschen selbst befindet sich der Ätherleib als eine sakrale Tiefe veranlagt. Durch die verschiedenen Aktivitäten, ganz besonders durch die Denktätigkeit, erzeugt das menschliche Geschöpf die verschiedensten Ätherkräfte. Indem der Künstler ein Porträt in Gedanken ersinnt und dieses schließlich durch eine präzise Ausarbeitung manifestiert, bewegt er nicht nur in sich selbst ätherische Kräfte, sondern er erschafft förmlich neue, unbekannte Dimensionen, die schließlich für die Weltenschöpfung zur Verfügung stehen. Welche großartigen Kräfte erstrahlen heute noch aus einer Figur, die Michelangelo ersonnen und geschaffen hat? Die Ätherkräfte eines Davids können heute noch den Menschen beim Anblick dieser gewaltigen Statue in seinem Rückgrat und Haupte erheben. Der Betrachter erspürt, wie diese Aufrichtekräfte aus der Figur auf ihn hinüberstrahlen. Diese Aufrichtekraft erfolgt durch die manifest gewordenen Ätherkräfte in der Figur.
Die astralen Einströmungen nimmt das Tier außerordentlich über die Hörner auf. Aus diesem Grund sollten Kühe nicht der Hörner beraubt werden. Bei Beschnitt der Hörner werden die Tiere dem Wesen ihrer Art fremd. Eine Beobachtung der Hörner und Geweihe bei verschiedenen Tieren schenkt eine Ahnung, wie das Tier die Instinkte empfängt. Die Hörner und Geweihe sind wie Antennen, die den Kosmos über das Tier zur Erde leiten.
Der physische Leib besteht aus den Elementen der Natur, und dieser ist nun, wie es wohl am trefflichsten zu beschreiben ist, nicht mehr von feinstofflicher, sondern von grobstofflicher Art. Mineralstoffe, Enzyme, Blut- und Lymphflüssigkeit, Gewebefasern, Eiweiße, Zuckerverbindungen und vieles, das den Körper in seiner Komplexität erbaut, sind nachweisbare oder physisch wägbare Substanzen und deshalb sagt man, sie seien diejenigen, die der Erde angehören. An diesem physischen Leib arbeiten die drei höheren Glieder, das Ich, der Astralleib und der Ätherleib, und erhalten diesen in der Entwicklung, in einem Bewusstsein und am Leben.
Indem nun diese Viergliederung in einer praktischen Arbeitsgrundlage angewendet und aufgebaut wird, stellt sich die problematische Anforderung, dass der Übende ab jenem Moment, ab dem die menschliche Beurteilung die wägbare Sinnessphäre verlassen muss und in die übersinnlichen Dimensionen eindringen will, die sich mit dem Wahrnehmen und Erschauen des Ätherleibes beginnend und sich steigernd mit dem Erschauen des Astralleibes und des Ich ergeben, eine große Verunsicherung kalkulieren muss, da er eigentlich nie mit definitiver Sicherheit sogleich beurteilen kann, ob er seinen Wahrnehmungen eine Berechtigung einräumen darf und ob seine Erkenntnisse einer fundierten Wahrheit angehören. Aufgrund dieser bestehenden Unsicherheiten zwischen Subjektivismus und objektiver Gültigkeit auf dem Weg des übersinnlichen Schauens werden in der Regel alle spirituellen Wege zu einer Relativität erklärt, und es wird eigenartigerweise, wie das heute der Fall ist, die physische Welt und ihre wissenschaftliche Grundlage als einzige, sichere Realität angenommen.
Die Blume webt im Licht und in der Wärme. Sie bleibt nahezu bewegungslos und nimmt die...