1
Ein Coach für alle Lebenslagen?
Vom ungeschützten Begriff eines Berufsstandes
„Vernunft kann man nicht mit den Gütern vergleichen,
die aus den Märkten verkauft werden
und welche, je größer die Menge ist, umso weniger Wert haben.
Der Wert der Vernunft wächst mit ihrem Überfluss.
Doch würde sie am Marktplatz angeboten,
könnte nur ein Weiser ihren wahren Wert erkennen.“
Khalil Gibran (1883-1931)
Beispiel 1: Phänomen unserer Zeit: Martin Rütter, der Hundecoach
Martin Rütter, Jahrgang 1970, der einen Fernlehrgang an einer Privatakademie für Tierheilkunde in der Schweiz absolviert hat, bietet seit 2004 ein sogenanntes Hundecoaching an und hat mittlerweile eine bemerkenswerte mediale Präsenz erreicht. Was macht dieser Mann? Hat jemand einen Hund mit auffälligem Verhalten, so kommt Martin Rütter mit seinem Fernsehteam und „behandelt die daraus resultierenden Problematiken“. So wird zum Beispiel ein vormals bissiger, unverträglicher Hund im Idealfall (und fast nur der scheint vorzukommen und gezeigt zu werden) zum Schmuseobjekt der ganzen Familie: So wird Hund Saulus zum Paulus. Wie erreicht Martin Rütter diese kleinen Wunder? Schlicht und einfach: Er trainiert und berät – und zwar nicht das Objekt, den Hund, nein: den Besitzer, den Menschen. Martin Rütter erzählt den Hundehaltern, was sie „falsch“ machen; neue, von ihm vorgegebene Verhaltensweisen werden eingeübt. Doch weshalb funktioniert das? Zum einen ist der Hund ein idealer Spiegel des Besitzers, so dass die „Fehlerquellen“ von Martin Rütters geschultem Auge leicht zu erkennen sind. Zum anderen ist der Hund auch der Resonanzkörper für neues Verhalten des Besitzers, jede Änderung wird sofort mit Erfolg belohnt. Eine Formulierung, die immer wieder fällt, ist: „Martin Rütter und seine Tricks“. Dabei verwendet der Mann keine undurchschaubaren Zauberkunststücke, sondern einfache Grundlagen der menschlichen Kommunikation.5 Und wie gesagt und von ihm selbst offengelegt: Martin Rütter, der Hundecoach, trainiert in Wahrheit die Menschen, wie er dem Fernsehzuschauer verrät (O-Ton: „Ja, Rudeltraining ist Menschentraining. Sieht man hier sehr schön.“). Warum kommt diese Form des „Coachings“ so gut an? Die Akzeptanz des Hundehalters beruht auf dem Transport des Inhaltes über das Vehikel Hund, das Coaching wird quasi über Bande gespielt. Es scheint ja um den Hund und dessen zu änderndes Verhalten zu gehen. Bei diesem sehr erfolgreichen Tun Martin Rütters handelt es sich um Beratung und Training; es ist kein Coaching im klassischen Sinne.
Ein vergleichbares Prinzip findet sich auch in ähnlichen Formaten wie dem der „Super-Nanny“, die „schwierige“ Kinder „coacht“ oder dem des „Jugendcoachs“, der straffällig gewordene Jugendliche auf den Pfad der Tugend zurückführt. Weiter führt der Weg zu Diät-, Einkaufs-, Schulden-, Einrichtungs-, Ausmistungs-“Coaches“…
Beispiel 2: „ Ich brauche keinen Coach, der mir doch nur wieder sagt, was ich alles falsch mache.“
Dem Geschäftsführer einer sehr erfolgreichen Non-Profit-Organisation wird aufgrund von Teamproblemen und gravierenden Kommunikationsstörungen dringend empfohlen, eine externe Beratung in Anspruch zu nehmen. Hintergrund: In der Zentrale herrscht eine starke Fluktuation; auch im und mit dem Außendienst gibt immer wieder massive Auseinandersetzungen mit gegenseitigen Schuldzuweisungen, so haben E-Mails mit langen cc-Listen Hochkonjunktur. In dieser Phase wird der Druck so groß, dass der Geschäftsführer scheinbar willens ist, auf den Vorschlag einzugehen, externe Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Doch noch bevor es dazu kommt, wird dieser Prozess abgebrochen mit der Begründung: „Ich brauche keinen Coach, der mir doch nur wieder sagt, was ich alles falsch mache.“
Jeder noch so gut gemeinte Rat-schlag, nimmt man dieses Wort einmal auseinander, kann als Schlag empfunden werden. Ratschläge haben im klassischen Coaching nichts zu suchen, sondern sind Beratungselemente, die auch als solche erkennbar sein sollten.6
Beispiel 3: Das Glückscamp von Ella Kensington
Eine Freundin war sehr begeistert von dem Buch „Robin“ von „Ella Kensington“. Ein Angebot der Glücks-Versprecherin geriet daraufhin in den Fokus, das dann von der Freundin auch gebucht wurde: das Glückscamp in Spanien. Bodo Deletz, der Anbieter, der sich hinter dem Pseudonym „Ella Kensington“ verbirgt, preist dieses wie folgt an:
„Das Camp ist eine gelungene Mischung zwischen Urlaub und Glücksseminar. (…) Hier erleben Sie professionelle Maßnahmen, mit denen Sie Erkenntnisse wie diese7 in ihrer gesamten Tragweite an nur einem einzigen Tag vollständig umsetzen können. 14 Tage lang nehmen wir uns täglich eine andere Erkenntnis für unser Lebensglück vor und integrieren diese in unsere Persönlichkeitsstruktur und damit in unser Lebensglück. Danach steht kein Stein mehr auf dem anderen (im positiven Sinne natürlich!). Man verlässt nach 14 Tagen das Camp als eine neue, charismatische Persönlichkeit, die bedingt durch ihr Wissen zu einem Glücksmagneten für ihr gesamtes Umfeld wird.“
Tagsüber, wie im Urlaub, den Strand genießen, abends – neben Singen und Tanzen – die Vortragsversammlungen besuchen. Die etwa 300 Teilnehmer werden mit einer eindringlichen Botschaft eingeschworen: „Das Äußere ist ein Spiegel Eures Inneren und Ihr habt es damit in der Hand, das Innere positiv zu gestalten, so dass auch das äußere Glück in Erscheinung tritt.“ Diese Aussicht und das starke Gefühl der Gemeinschaft führen schließlich zum nächsten Schritt, auch anderen den Weg zum Glück weisen zu wollen: der Ausbildung zum „Glückscoach“.
Das Angebot von Ella Kensington steht nicht allein: Der auf Hawaii ansässige Chuck Spezzano mit seiner Psychology of Vision (POV) ist den Topverdienern unter den Sinn- und Glückssuchern vorbehalten, und in der (Colin C.) Tipping-Methode wird für harte Währung radikale Vergebung zur seelischen Heilung gelehrt. Dies nur als prominente Beispiele für unzählige Anbieter, der Markt wächst weiter.
Aber nicht nur im spirituellen Bereich ist das Angebot groß und verlockend. Es mag seriös klingen, eine Ausbildung nach ISO-Norm 17024 als Business-Coach absolviert zu haben, aber beim Blick hinter die Kulissen bleiben mehr Fragen als Antworten. Die in Krefeld ansässige „Akademie für Trainer und Coaches“ wirbt damit, in nur fünf (!) Tagen zum Business Coach auszubilden:
„In dieser Coaching-Ausbildung lernen Sie in nur 5 Tagen die Methoden für effiziente und nachhaltige Veränderungen kennen und nutzen. Mit einem ausserordentlich hohen Praxisanteil setzen Sie Schritt für Schritt das umfassend vermittelte theoretische Wissen um und entwickeln so gemeinsam mit Ihrem Mentor und der Gruppe Ihre individuelle Persönlichkeit als Business Coach.“
Im Anschluss an dieses einwöchige Seminar hat der so Geschulte dann die Möglichkeit, eine Zertifizierung durch den BZTB („Bundesverband zertifizierter Trainer und Business-Coaches e.V.“) zu erlangen.8 Besser noch: Auch eine Zertifizierung bei der IHK („Industrie- und Handelskammer“) in Anlehnung an oben genannte ISO-Norm ist wählbar. Was verbirgt sich hinter der ISO-Norm 17024? Der Begriff Sachverständiger! Wikipedia:
„Voraussetzungen für die Tätigkeit als Sachverständiger ist fachliche Kompetenz, man spricht von der „besonderen Sachkunde“. In der Regel ist diese Sachkunde erworben durch ein für das Fachgebiet geeignetes Hochschulstudium mit Abschluss sowie mehrjährige Berufserfahrung bzw. Weiterqualifizierung auf dem entsprechenden Gebiet. (…) Die Bezeichnung „Sachverständiger“ ist in Deutschland, Liechtenstein und Österreich nicht geschützt. Jeder darf sich „Sachverständiger“ nennen. Die irreführende Verwendung des Begriffes kann als unlauterer Wettbewerb qualifiziert werden. Dies ist dann anzunehmen, wenn eine entsprechende Fachausbildung, sowie mehrjährige fachbezogene Berufspraxis nicht nachgewiesen werden können, damit aber geworben wird.“
Begriffe wie „Qualität, Professionalität und Bedeutung ihrer Verantwortung“ sind der Eigenwerbung der die Ausbildung anbietenden Akademie bzw. der dahinter stehenden BISW-Gruppe („Berufsbildungsinstitut für Sachverständigenwesen“) zu entnehmen. Während auf der Verkaufsseite der Präsenzseminare der Wert und Vorteil der Praxisanteile in den Vordergrund gerückt wird, ist im Angebot „Homeseminar Business Coach“, das komplett von zu Hause absolviert werden kann, nicht mehr zu erkennen, was mit „praxisnah“ gemeint sein soll.
Die Kernelemente unserer Beobachtungen:
1) Coaching in Anspruch zu nehmen, wird leider noch oft damit gleichgesetzt, Defizite zu haben, und gerät damit leicht in den Verdacht einer persönlichen Bankrotterklärung.9
2) Training und Beratung werden häufig unter dem Titel Coaching angeboten.
3) Die Bezeichnung „Coach“ ist in Deutschland ungeschützt, dementsprechend gibt es keine einheitlichen Ausbildungsstandards, auch Absolventen esoterischer Sinnlehrgänge firmieren als solche. Mehr noch: Sollten Sie irgendeine Dienstleistung unter dem Begriff „Coaching“ anbieten wollen, steht dem...