Als Christoph Kolumbus nach Indien wollte, dann aber Amerika entdeckte, stützte er sich im Wesentlichen auf die Aufzeichnungen des Venezianers Marco Polo. Eine Kopie von dessen Reisebericht »Il Milione« mit den handschriftlichen Anmerkungen von Kolumbus ist noch heute in Spanien erhalten. Und als es Vasco da Gama Ende des 15. Jahrhunderts erstmals gelang, die Ostküste Indiens auf dem Seeweg zu erreichen, waren es venezianische Adelige, die als Reaktion auf diese Entwicklung den Bau des Suez-Kanals vorschlugen.8
Man spricht zwar immer von den Inseln in der Lagune, aber eigentlich wurde Venedig, ganz wie die historischen Pfahlbauten, ins Wasser gebaut, denn selbst bei Ebbe waren die meisten der über 100 Inseln damals leicht überflutet. Auch gab es eine Reihe von Kanälen unter Wasser. Die heutige Form Venedigs ergab sich letztendlich dadurch, dass man die »Inseln« mit Holz befestigte, das aus Istrien stammte – was zu dem bekannten Ausspruch führte, dass Venedig eigentlich auf dem istrischen Wald stehe.
Noch immer findet man in Venedig auch wertvolle Masken.
Auf diesen Holzpfählen wurden zu Beginn nur Holzbauten errichtet. Die Basilica di San Marco war lange Zeit der einzige Steinbau der Stadt. Nach mehreren Bränden wurde aus der Pfahlstadt ab dem 12. Jahrhundert dann allmählich eine stolze Steinstadt.
Das erste politische Zentrum der Lagune war Torcello. Bevor der Regierungssitz nach Venedig selbst verlegt wurde, war Malamocco auf dem venezianischen Lido der Sitz des Dogen. Venedig war die erste Föderation, die aus dem Klerus, den Noblen und dem Volk bestand. Die Bezeichnung Doge für das gewählte Oberhaupt Venedigs geht auf die lateinische Bezeichnung Dux (»Anführer«) zurück.
Der hl. Markus wurde der Schutzheilige Venedigs in der Nachfolge des hl. Theodors, der auf die Griechen zurückgeht. Das Problem mit dem hl. Markus waren nur seine Gebeine, denn diese ruhten in Alexandria. Dass sie ihren Weg nach Venedig fanden und der Basilika bzw. dem Markusplatz den Namen gaben, ist angeblich zwei beherzten Seeleuten, Buono da Malamocco und Rustico di Torcello, zu verdanken.
Eine der Inseln, die in der Lagune aus dem Watt ragte, wurde Rivo alto genannt. Auf diese Bezeichnung geht Rialto zurück, das ab dem 12. Jahrhundert das wirtschaftliche Zentrum der Lagunenstadt wurde. Bis ins 15., 16. Jahrhundert hatten dort Banken und Händler ihren Sitz, die den Aufstieg Venedigs unterstützten.
In über tausend Jahren haben sich die Rialto-Inseln in ihrer grundsätzlichen Struktur nicht verändert. Andere Zentren in Europa haben sich dagegen im gleichen Zeitraum aus kleinen, meist burgartigen Kernen mit immer neuen Randbezirken ringartig erweitert. So sind Metropolen mit Millionen von Einwohnern entstanden, während Venedig in seinen Umrissen gleich blieb und sich die Anzahl seiner Bewohnern sogar dramatisch zurückentwickelt hat: Waren es etwa Ende des 14. Jahrhunderts noch weit über 200.000, so zählt Venedig heute gerade mal etwas über 58.000 Einwohner! Daran zeigt sich, dass das Leben in der Lagunenstadt für die lokale Bevölkerung immer schwieriger wird.
Diesen Schrumpfungsprozess dokumentiert Andrea Morelli auf einer digitalen Anzeige an seiner Apotheke am Campo San Bartolomeo, neben dem Aufgang zur Rialto-Brücke. 2008 wurden dort noch über 60.000 Einwohner vermeldet.
Die Venezianer selbst sehen ihre Stadt seit Langem kritisch: »Nach einer anstrengenden Studie über die Bauwerke Venedigs bekannnte der englische Maler, Schriftsteller und Philosoph John Ruskin bereits im 19. Jahrhundert, dass sich nur wenige Venezianer an dem Anblick ihrer Stadt erfreuen, diesem schönsten urbanen Wandteppich der Welt.«9
In Venedig fehlt eine Form des Individualverkehrs, die das Aussehen aller anderen Städte geprägt hat, völlig – der Automobilverkehr. Wenn Sie per Auto angereist sind, müssen Sie Ihren Wagen am Tronchetto, der künstlichen Parkinsel, in Mestre oder, wenn Sie gut bei Kasse sind, am Piazzale Roma in einer der Parkgaragen abstellen.
Dabei kann man interessante Erfahrungen machen. Bei der Einfahrt in ein Parkhaus wurden wir einmal aufgrund unseres Kennzeichens sofort als Touristen klassifiziert und auf den ultimo piano verwiesen. Das ist in Venedig, speziell in den Wintermonaten, nicht sehr praktisch, da das letzte Stockwerk eine offene, ungedeckte Terrasse ist. Ich wählte also stattdessen den dritten Stock, il terzo piano. Nach der Einfahrt landeten wir vor dem Parkwächter, der Zeitung lesend in einem kleinen Glasverschlag saß. Als er das Motorgeräusch vernahm, senkte er nur kurz die Zeitung, schüttelte den Kopf und vertiefte sich sogleich wieder in seine »Gazzetta dello Sport«. Ich ließ die Scheibe hinunter und hielt meine Hand mit einigen Geldscheinen deutlich sichtbar vor die Wagentür. Weil der Motor weiterlief und ich keine Anstalten machte, weiterzufahren, senkte unser Parkwächter nochmals seine Zeitung. Die Geldscheine in meiner Hand zauberten ein Lächeln auf sein Gesicht, er faltete die Zeitung zusammen, kam freundlich auf uns zu, nahm die Geldscheine an sich und gab uns einen Parkplatz in seiner Sichtweite. »Il signore è molto gentile!« Damit bedankte er sich. Dieser Satz hat sich seither als stehende Redewendung in meinem Freundeskreis etabliert …
Unsere Städte sind inzwischen verschandelt von unzähligen Ge- und Verbotsschildern, die das Zusammenspiel von Fußgängern, Fahrrädern, Autos, Bussen und Straßenbahnen regeln. In den 1960er-Jahren gab es einmal eine Ampel in Venedig, an einer Kreuzung am Canal Grande, die inzwischen wieder demontiert wurde. Und auch für Boote gibt es durchaus Einbahnen. Die Absenz des Autoverkehrs macht Venedig so wohltuend anders. Die Segnungen des städtischen Verkehrs, mit immer neuer Tangenten, Unterführungen, Fahrradwegen und Parkgaragen, die wir von jeder anderen Stadt kennen, gehen an Venedig spurlos vorüber.
So sehen ein perfekter cappuccino und ein caffè latte mit biscotti am Markusplatz aus.
Das zentrale Verkehrsmittel ist und bleibt das Boot. Da gibt es zum einen das Vaporetto als öffentliches Verkehrsmittel. Das Wort stammt aus dem Französischen (von vapeur, Dampf), denn es war ein französisches Unternehmen, das im 19. Jahrhundert die Linienschifffahrt in Venedig mit Dampfschiffen begann. Dann gibt es die eleganten, flachen Wassertaxis. Eine Fahrt vom Flughafen ins Zentrum kostet damit mehr als der Flug mit einer Billigfluglinie. Und schlussendlich gibt es das klassische venezianische Boot – La Gondola.
Einmal sollten Sie sich eine solche Fahrt leisten, am besten im Zeitraum zwischen Mai und Oktober. Ich wurde einmal in einer Gondel vom Bahnhof Santa Lucia abgeholt und zu einem Fest in der Nähe der Holzbrücke der Accademia gebracht. Es war Ende November. Bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt war diese Reise nah am Wasserniveau sehr ungemütlich. Ich habe mich damals als Aperitif nicht nach Prosecco oder Bellini, sondern nach einem Glühwein gesehnt.
Eine günstigere Alternative zur klassischen Gondelfahrt ist das Traghetto. Venedig verfügt ja neben der neuen Brücke vom Piazzale Roma zum Bahnhof nur über drei Brücken über den Canal Grande: die bekannte Rialto-Brücke, die Steinbrücke – Ponte degli Scalzi – neben dem Bahnhof Santa Lucia und die Holzbrücke – Ponte dell’Accademia. An mehreren Stellen entlang des Canal Grande gibt es sogenannte Traghetti, wo man mit einer Gondel, die von zwei Gondolieri gesteuert wird, über den Canal Grande übersetzen kann. Sie erkennen die Traghetti an den grünen Schildern, die von der Modemarke Paul & Shark gesponsert werden. Die wassererprobten Venezianer absolvieren diese Überfahrt in der Gondel stehend. Früher bedankte man sich beim Ausstieg mit einem Euro bei den Gondolieri. Diese Gebühr wurde mittlerweise auf zwei Euro angehoben, parallel zu den Gebühren für die Vaporetti, die in den letzten Jahren im Sechs-Monats-Rhythmus jeweils um 0,50 Euro angehoben wurden. Vor einigen Monaten lag der Preis für die Einzelfahrt bereits bei 7 Euro pro Person.
Die Gondeln der Traghetti werden übrigens als Vorbereitung auf die Gondoliere-Prüfung betrieben und jeder Anwärter muss Dienst auf diesen Gondeln versehen.
Anders als anderswo ist in Venedig auch die Nummerierung der Gebäude, die nicht der Logik folgt, wie wir sie von anderen Städten kennen. Vielmehr geht man bei der Vergabe der Hausnummern eher nach dem Baujahr der Errichtung. Das führt dazu, dass selbst Venezianer ein bestimmtes Haus oder einen Palazzo mitunter nicht auf Anhieb finden.
Während andere Städte mit den Bezeichnungen Straße, Gasse, Platz oder Durchgang auskommen, hat sich in Venedig eine Fülle von Bezeichnungen etabliert: Als...