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Verführerin oder Heilige? Die Frau in Gesellschaft und Literatur des Mittelalters

Die Frau in Gesellschaft und Literatur des Mittelalters

AutorAnna Dück, Christina Gieseler, Claudine Massard, Elena Tresnak, Marion Luger
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl162 Seiten
ISBN9783656608486
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Wie war die Frau des Mittelalters? Ähnelte sie Eva oder Maria - der Verführerin oder der Heiligen? War sie eine rechtlose Ehefrau oder gar das zurückgezogene Burgfräulein, dessen romantisiertes Bild uns heute noch vor Augen steht? Ob in der mittelalterlichen Literatur oder der Gesellschaft, die Rolle der Frau bleibt verschwommen, mehrdeutig und vor allem von männlichen Autoren der Zeit geprägt. Dieser Band beleuchtet die Rolle der Frau im mittelalterlichen Alltag ebenso wie ihre Darstellung in der vorherrschenden Literatur und gibt Auskunft über ihre rechtlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Pflichten und Privilegien. Aus dem Inhalt: Liebe und Ehe Erziehung und Arbeit in der mittelalterlichen Stadt Frauen als Autorinnen

Anna Dück wurde 1985 in der moldawischen Stadt Kischinjow geboren. Ihr Studium der Fächer Deutsch und des Lernbereichs Gesellschaftswissenschaften an der Universität Münster schloss die sie im Jahre 2009 erfolgreich mit dem 1. Staatsexamen ab. Das Referendariat machte sie am Niederrhein und beendete es im Sommer 2012 mit dem 2. Staatsexamen. In ihrem Studium setzte sich die Autorin intensiv mit dem historischen Lernen von Grundschülern auseinander und erforschte in ihrer Masterarbeit die Schülervorstellungen von Viertklässlern zu historischem Wandel.

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Leseprobe

Mädchenerziehung und Frauenbildung in der mittelalterlichen Stadt – Arbeit im weiblichen Lebenslauf


Kindheit


Bis zum siebten Lebensjahr[29] war die Erziehung der Söhne und Töchter die Aufgabe der Mutter.[30] Laut Ketsch wurde „[d]ie Erziehung, auch die des Kleinkindes,… mit Strenge durchgeführt, denn anderenfalls würde das Kind verderben“.[31] Die ersten sieben Jahre seien nach Ansicht Ketschs dennoch „als die eigentlichen und die sorglosen Kinderjahre, die mit Spiel und weniger mit Arbeit und Lernen verbracht wurden“ anzusehen.[32] So haben die Frauen den Kindern Lieder vorgesungen, ihnen Märchen erzählt und sie das Sprechen und Beten gelehrt.[33] Zudem habe es eine Vielzahl von Spielen für Jungen und Mädchen gegeben, wobei Spiele und Spielzeug häufig der „geschlechtsspezifischen Sozialisation“ dienten und die Kinder so „auf einige ihrer zukünftigen Arbeitsfelder“ vorbereitet wurden.[34] Auch wenn die meisten Erziehungsaufgaben bei Kleinkindern von Frauen übernommen worden sind, gibt es in der Literatur auch einige Zeugnisse „väterlicher Liebe, Hingabe und Opferbereitschaft für das Kind in Notfällen“[35]. Boockmann äußert über die familiären Beziehungen im Spätmittelalter:

Die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern waren in einer großen spätmittelalterlichen Familie gewiß von anderer Art als die, welche für die moderne Kleinfamilie typisch sind…, [aber] eine zärtliche Zuneigung der Eltern zu ihren Kindern ungeachtet deren großer Zahl, ungeachtet auch der Alltäglichkeit ihres Todes, ungeachtet schließlich der Nüchternheit, mit welcher die älteren Kinder in die Hauswirtschaft einbezogen wurden, in den spätmittelalterlichen Städten nicht unbekannt gewesen sein kann.[36]

Die eigentliche Erziehung und Ausbildung der Kinder begann mit dem vollendeten 7.Lebensjahr.[37] Ab diesem Zeitpunkt sollten die Söhne hauptsächlich vom Vater und die Töchter von der Mutter erzogen werden.[38] Bezüglich der Mädchenerziehung sagt Ketsch aus:

Die Töchter der Handwerker wurden nicht nur von ihrer Mutter in die weiblichen Zweige der Hauswirtschaft eingeführt […], sondern sie arbeiteten auch in der Werkstatt des Vaters oder der Mutter mit.[39]

Es bestand die Überzeugung, mit der Kindererziehung bzw. Ausbildung so früh wie möglich zu beginnen, „denn in dieser Zeit werde der Grundstein für die künftige Entwicklung gelegt: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr’.“[40] Kinder seien wie „frischer Ton oder halbflüssiges Wachs“, welches sich noch gut formen ließe.[41] Es wurde angenommen, dass das Kind durch eine zeitig beginnende Ausbildung in seiner Arbeit am geschicktesten wird.[42] Ketsch führt außerdem aus, dass „in bäuerlichen Schichten und Handwerkerkreisen“, in denen der Vater in der Regel ständig in der Familie anwesend war, die Integration der Kinder in den Arbeitsprozess bis zum siebten Lebensjahr bereits schon erfolgt war: „[E]in Kind mußte in diesem Alter notfalls bereits für seinen eigenen Lebensunterhalt aufkommen können.“[43] Der Einbezug in die Arbeit sei schrittweise erfolgt, wobei die Kinder durch Beobachtung gelernt haben.[44] Auch Power gibt an, dass viele Kinder bereits in noch sehr jungem Alter arbeiteten: „Ganz kleine Kinder halfen ihren Müttern zuhause Wolle vor dem Spinnen zu verlesen und zu krempeln“.[45]

Lehre


Viele Mädchen wurden laut Shahar wie ihre Brüder in einem Handwerk ausgebildet und haben schon früh mit dem Arbeiten begonnen, „obwohl sie nicht in allen Gewerben eine Lehre machen durften“[46]. Die Ausbildung der meisten Mädchen erfolgte eher bei den Eltern als in fremden Handwerksbetrieben.[47] Lehrmädchen in fremden Betrieben seien ähnlich behandelt worden wie die Lehrjungen, wobei es für heranwachsende Mädchen schwieriger gewesen sei „einem brutalen Meister die Stirn zu bieten“[48]: „Nicht selten verklagten die Eltern von Lehrmädchen den Meister, wenn er ihre Tochter prügelte.“[49] Power äußert, dass Mädchen bei Männern und Frauen gleichermaßen in die Lehre gegangen seien, wobei „aber die Vermutung… nahe[liegt], daß weibliche Lehrlinge gewöhnlich unter der Obhut der Ehefrau des Lehrherren standen“.[50] Als Lehrlinge lebten Mädchen bzw. Jungen „als Familienmitglied im Hause des Meisters“ und sollten sich dort allgemein nützlich machen.[51] Zur Ausbildung gehörten neben der Vermittlung von Fachwissen „[d]ie Unterweisung in gutem Benehmen und sittlichem Wohlverhalten und die angemessene Bestrafung für Fehlverhalten“[52]. Außerdem habe die Frau, „da sie gewöhnlich im Betrieb ihres Mannes mitarbeitete, [das Lehrmädchen] sowohl in fachlicher als auch allgemeiner Hinsicht anleiten“[53] können.

Da der Ausbildungsbeginn der Kinder bereits im Alter von sieben Jahren bzw. schon früher begann, wurden sie auch bereits in sehr jungem Alter einem Handwerksmeister zur Lehre übergeben.[54] In den unteren Bevölkerungsschichten wurden Mädchen und Jungen z.B. als Dienstboten in fremde Häuser gegeben. Wie unter Punkt 3. erwähnt, erlernten die Kinder dort kein Gewerbe, sondern verdienten sich ihren Lebensunterhalt. Shahar macht eine Angabe über das Alter der Kinder:

„Dem Florentiner Catasto[55] zufolge waren 41,5 Prozent der männlichen und 34,2 Prozent der weiblichen Dienstboten Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis siebzehn Jahren.“[56]

Zur wirtschaftlichen Lage der Unterschicht bemerkt Ennen:

Die städtischen Unterschichten - Handwerksgesellen, Dienstmägde, Tagelöhner – sind zwar wirtschaftlich schwach und politisch rechtlos, aber es führen Übergänge zu den bessergestellten Schichten: Sparmöglichkeiten und damit Möglichkeiten des Aufstiegs hatten vor allem Dienstboten und Gesellen.[57]

Einige Mädchen, die als Dienstboten arbeiteten, sparten einige Jahre für eine Mitgift und heirateten dann; andere blieben ihr Leben lang ledige Dienstboten.[58] In der Lehre sei es nach den Erkenntnissen Powers üblich gewesen, dass die Lehrlinge

das feierliche Versprechen [gaben], während der Lehrzeit nicht zu heiraten, keine Gastwirtschaft zu besuchen, die Geheimnisse des Meisters nicht auszuplaudern und ihm nicht mehr als 6 Pence im Jahr zu stehlen.[59]

Des Weiteren äußert Shahar: „Mädchen, die ihr Gewerbe im Elternhaus erlernten, wurden etwas später als Töchter wohlhabender Bürger verheiratet[60], häufig mit einem Mann aus dem Gewerbe des Vaters.“[61]

 

Arbeitswelt der Frauen nach Abschluss der Lehre


Frauen mit abgeschlossener Lehre konnten sich durch ihren Beruf ernähren[62] und spielten laut Power „eine den Männern ebenbürtige Rolle im wirtschaftlichen Leben der Nationen“.[63]

Das Wirtschaftsleben des Mittelalters stand Frauen offen, und sie spielten darin eine nicht unwesentliche Rolle. Es gab kaum ein Handwerk, das Frauen nicht ausgeübt hätten. Sie waren Metzgerinnen, Kerzenzieherinnen, Eisenwarenhändlerinnen, Netzknüpferinnen, Schusterinnen, Handschuhmacherinnen, Weiß- und Kurzwarenhändlerinnen, Gürtlerinnen, Täschnerinnen, Hutmacherinnen, Kürschnerinnen, Buchbinderinnen, Vergolderinnen, Malerinnen, Seidenweber- und Stickerinnen, Gewürzhändlerinnen, Schmiedinnen und Goldschmiedinnen, um nur einige Berufszweige zu nennen.[64]

 

Verheiratete Frauen – Mithilfe im Familienbetrieb und selbstständige Arbeit


Die Ehe im Mittelalter bedeutete nicht, „daß eine Frau sich ganz dem Haushalt widmete und von Erwerbstätigkeit frei war“, sondern dass diese weiter für ihren Lebensunterhalt und den der Familie arbeiten musste.[65] Laut Ennen deckten „die mittelalterlichen Einkommen… in den mittleren Schichten oft nur das...

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