Wir fangen schon mal an
Kommen wir zunächst mal zu den Verplanten!
»Ich habe zwar keine Ahnung wo ich hinfahre, aber dafür bin ich rascher dort.« 1
Mit diesem Teilsatz aus dem Lied von Gerhard Bronner könnte man eigentlich schon aufhören!
Denn in den Firmen hat sich eine Unkultur des Sofortbeginns breitgemacht, die einen hohen Unterhaltungswert hat, wenn von außen betrachtet. Aber leider nur von außen und wenn man nicht betroffen ist.
In allen Firmen, ich betone in allen, hat sich in den Köpfen der Führungskräfte die angebliche Erkenntnis von C. N. Parkinson2 festgesetzt, dass zur Verhinderung von Leerlauf, mit dem Projekt sofort zu beginnen ist.
Dabei bleibt unerwähnt, dass das Projekt seit 2 Jahren zur Entscheidung anstand, jedoch die selbstverständlich nicht verantwortlichen Verantwortlichen (zu diesen komme ich später noch ausführlicher) sich nicht zu einer Entscheidung durchringen konnten, um ihren Bonus nicht zu gefährden, oder ihre längst nötige Absetzung zu verhindern.
Doch nun macht sich sofort hektischer Aktionismus breit und das Projekt wird unverzüglich auf die Schienen gesetzt. Welche das sind ist noch unbekannt und wird parallel dazu ermittelt. Aber begonnen werden muss sofort!
Somit sind wir wieder bei der Überschrift. Wenn man die Literatur der 50er und 60er Jahre, als das Projektmanagement sich als Disziplin etablierte, liest, so stellt man fest, dass Eines ganz sicher ausgeschlossen wurde: Hektischer Aktionismus.
Und genau das haben wir heute. Es werden Experten beauftragt ein Projekt zu definieren und zu konzipieren. Diese kommen zu dem Schluss, dass es 6 Jahre dauert. Nach unzähligen Runden, in denen zwei Jahre vergeudet werden, wird das Projekt freigegeben, mit der Auflage, dass es nun nur 4 Jahre dauern darf. Weil es so wichtig ist.
Das Ergebnis ist dann, dass es nach 7 Jahren und mit deutlich höheren Kosten abgeschlossen wird. Man siehe nur die großen Projekte der öffentlichen Hand in den letzten Jahren, die 2018 immer noch laufen.
Wenn Sie jetzt glauben, dass es das in den Firmen nicht gibt, so irren Sie gewaltig.
Denn die Flops der Großkonzerne werden einfach mit vielen Millionen zugekleistert und sind deshalb nach außen nicht so sichtbar, wie Projekte der Öffentlichen Hand. Besser geht es dort aber auch nicht zu. Damit da kein Missverständnis aufkommt!
Schaut man sich das Vorgehen von ganz, ganz oben an, also intergalaktisch, dann merkt man rasch, dass hier etwas falsch läuft und zwar sehr, sehr falsch! Und das wollen wir nun tun.
Da ist zunächst einmal das Realitätsmodell.
Konstruktivisten, als bekannter Vertreter Paul Watzlawick, sind sich sicher, dass wir stets mit Fiktionen arbeiten, also Realitätsmodellen, die wir uns selbst konstruieren.
Das Modell von Parkinson, das ja nicht streng wissenschaftlich erarbeitet, sondern als eingehendes Beispiel einfach mal zur anschaulichen Unterhaltung postuliert wurde, passt vollständig zum modernen Denkmodell.
Dass der, der mit seinem Produkt schneller auf dem Markt ist einen Vorteil hat, das ist unstrittig.
Doch nun wird das Verkaufs- und Marketingmodell einfach auf ein Projekt übertragen.
Wir nehmen uns nicht die Zeit es sauber zu definieren, sondern fangen schon mal an. Dann schauen wir, was überhaupt zu tun ist und suchen nun mal die 49 Shades of Grey im Projekt.
Das ist in EDV-Projekten teilweise sogar noch möglich, weil lange an den Strukturen gefeilt wird und der Kunde häufig nicht weiß, was er überhaupt will. Auch wenn dieses Vorgehen nicht gut ist. Doch Nullen und Einsen lassen sich spurenfrei entsorgen, wenn der Code falsch ist.
Ganz schlecht ist es aber, wenn Sie etwas bauen. Egal ob eine Maschine oder ein Gebäude. Wenn die Dimensionen schon am Anfang nicht stimmen, dann kann es nicht passen. Egal wie agil und dynamisch sie sind.
Jeder erfahrene Projektleiter kennt mehrere Beispiele, wie so Projekte an die Wand gefahren wurden.
Ein schönes Beispiel ist der Berliner Flughafen, bei dem unter anderem Flächen umgewidmet wurden und man dann überrascht feststellte, dass nichts mehr zusammenpasste3.
»Bereits in den Jahren vor 2010 kam es zu umfangreichen Planungsänderungen im Bauvorhaben BER. Insbesondere in den Jahren 2006 bis 2008 veranlasste die FBB zahlreiche und teilweise massive bauliche Änderungen (u. a. Umwandlung von Aviation-Flächen in Ladenflächen, Änderungen im Südpier, doppelstöckige Fluggastbrücken, Verschiebung einer Abfertigungsbrücke, Ebenenshift).«
Eigentlich soll man gefallene Engel nicht nochmals demütigen, aber für Außenstehende hat BER den Vorteil, dass das Warum des Scheiterns gut dokumentiert ist. Einmal durch den Landesrechnungshof und einmal durch den Berliner Senat. Die Berichte lesen sich wie ein Krimi. Sollten Sie unbedingt tun. Spannung ist garantiert.
Anders Beispiel gefällig?
In einem Projekt in das ich sehr spät kam, als schon die Installationen im 3. Stock stattfanden, wurde im zweiten Stock ein Kessel auf die andere Seite gestellt, anders als im aktuellen Plan eingezeichnet.
Auf Nachfrage erklärte mir der Zuständige, dass es gar keine wirkliche Planung gebe, sondern man während des Baus parallel dazu die Installation plane, weil das Projekt ganz schnell fertig werden müsse. Also agil die Planung fortführe, während die Installationen weiterlaufen.
Das Ergebnis war schon im ganzen Gebäude zu hören: Die Kernbohrungen fanden bereits täglich im Unter- und Erdgeschoss statt, während 3 Stockwerke weiter oben noch die Installation nach altem Modell erfolgte.
Als ich das Projekt nach einem Jahr verließ, hatte ich den Eindruck, dass hier nicht ein Gebäude entstanden war, sondern eine Aneinanderreihung von Löchern, zusammengehalten durch viel guten Willen und etwas Beton. Aber es war sofort begonnen worden!
Pflicht erfüllt.
Man könnte hier noch viele weitere Beispiele aufführen, aber ich will Sie ja nicht langweilen, und wir wollen ja noch andere Aspekte des Agilen beleuchten.
Um ein Zwischenresümee zu ziehen (Dörner, 1994 S. 66): »Es kommt sogar vor, dass Menschen falsche Annahmen über ein System mehr lieben als richtige und daß sie sich mit Händen und Füßen dagegen sträuben, erweislich falsche Hypothesen fallenzulassen.«
Wir arbeiten also schneller und glauben das ersetze das Nachdenken. Wer früh anfängt kann mehr Fehler machen und diese dann parallel dazu korrigieren. Dies setzt aber voraus, dass diese Fehler ohne Mehraufwand zu reparieren sind. Und das ist schlicht sehr, sehr selten der Fall. Eigentlich nie!
Oder wie es Horst Evers (ein Kabarettist) ausdrückt: »Nachdenken hilft, insbesondere wenn es vorher erfolgt.« Da bin ich ganz bei ihm, um es neudeutsch auszudrücken.
Aber gegen solche simplen Regeln wird in den letzten Jahren immer mehr verstoßen.
Um nochmal BER als Beispiel zu verwenden. Wenn ein Kabelkanal für eine Menge X von 10 KV Kabeln gerechnet wurde (wegen der Wärme), dann darf man nicht einfach die doppelte Menge reinlegen. Das weiß jeder E-Techniker. Und doch hat man es so getan. (Berliner Morgenpost, 2014)
Weil der Prozess nicht zu Ende gedacht wurde. Zunächst war es sicher nur ein Kabel mehr, dann nochmals zwei und so weiter. Das hat jeder leidgeprüfte Projektleiter schon so ähnlich erlebt.
Man hat ja noch was zugegeben, wie beim Backen. Aber nach dem 5ten mal zugeben macht sich keiner mehr Gedanken, ob das dann auch wirklich noch geht. Oder der Planer hat sich gedacht, das ist dann später das Problem der anderen. Auch das gibt es.
Und es kommt der immer mehr steigende Termindruck hinzu. »Personen unter Zeitdruck arbeiten nicht besser, sondern nur schneller.« (deMarco, 2007 S. 20)
Genau!
Es geht immer noch etwas schneller, aber zu Lasten von Qualität.
Und Qualität ist heute leider kein Wert mehr. Da die Produkte immer schneller auf den Markt kommen müssen, auch die Fertigungshallen dazu, reift das Produkt/ die Halle beim Kunden.
»Manager gefährden die Qualität von Produkten, indem sie unhaltbare Termine vorgeben.« (deMarco Tom, 1999 S. 22)
Dazu kommt noch zusätzlich, dass sich der Zuständige denkt, dass er ja dann schon weg ist, wenn die Inbetriebsetzung stattfindet. Also warum soll er der Überbringer der schlechten Nachricht sein und sich dafür bestrafen lassen?
Die Softwarebranche verzichtet heute teilweise sogar komplett auf ausführliche Tests. Das überlässt man den Kunden, fordert diese sogar explizit auf, das gekaufte Produkt zu testen und Fehler zu melden.
Ich betone: Der Kunde kauft das Produkt, also einen Prototyp, und soll es noch testen, weil der Hersteller die Kosten scheut und das Produkt möglichst schon gestern auf den Markt muss, mit allen Fehlern.
Ein gutes Geschäftsmodell!
Und es wird akzeptiert. Also warum soll die Branche dies ändern. Auf jeden Fall sind sie damit schneller und unsicherer. qed4!
Nun wird immer wieder eingewandt, dass man ja immer schneller auf dem Markt sein müsse, dass die Kunden alles sofort haben wollen, der Markt extrem schnelllebig sei, und so fort.
Das war der Markt früher auch schon. Diese Aussagen kenne ich seit 35 Jahren.
Aber wenn man die Kunden vor die Wahl stellt: ›Schnell‹ oder ›Gute Qualität‹, dann entscheiden sich nur wenige für ersteres.
Auch interne Projekte erhalten selten die Zeit, die sie benötigen.
Und wenn es absolut schnell sein muss, dann nur weil sonst der Bonus des Auftraggebers...