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E-Book

Vom Leben verletzt

Wie das Dasein meiner herzkranken Tochter meine Wirklichkeit bewegt - Eine Geschichte vom Leben und Ruhe finden

AutorRomy Hofmann
Verlagneobooks Self-Publishing
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl172 Seiten
ISBN9783742717658
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Das Werk erzählt die Geschichte der Begleitung meiner herzkranken Tochter, die mit nur einem 'halben Herzen' zur Welt kam und nach mehreren operativen Eingriffen entschied, diese Welt mit siebeneinhalb Monaten wieder zu verlassen. Ich zeige mit unserer Geschichte, wie einzigartig eine chronische Krankheit - in diesem Fall das Hypoplastische Linksherzsyndrom (HLHS) - verlaufen kann und was es bedeutet, das eigene Kind gehen zu lassen. Die Erzählung gibt einen Einblick in die Höhen und Tiefen des Alltags einer Mutter, die ihr erstes Kind nach der Geburt in die Hände von Ärzt*innen geben musste und von diesem Tag an eine ganz andere Normalität erlebte - zwischen Klinik, zu Hause und Kinderarzt. Es ist eine Erklärung der eigenen Gefühle und Umstände, die vielen Nahe- oder Außenstehenden verborgen blieben. Darin wird aufgezeigt, welche Bedeutung (un-)ausgesprochene Wörter haben können und dass zwischenmenschliche Kommunikation nicht nur verbinden, sondern auch Mauern errichten kann. Bekannte, eigentlich vertraute Beziehungen werden auf die Probe gestellt. Die Autorin geht auch darauf ein, wie und dass Trauer erlebbar wird - als Ausnahmesituation für Betroffene und Angehörige. Ziel ist es, eigene und andere Blicke und Meinungen zu relativieren oder zu überdenken. Gleichzeitig wirft dieses Werk auch einen Blick auf eine allgemeinere Ebene. Es beleuchtet den Wert von Bindungen, die Menschen eingehen und wie diese aufrechterhalten oder - nämlich durch den Tod eines geliebten Menschen - brüchig werden. Die Autorin klärt, was es bedeutet, zu verstehen und warum Verstehen nie selbstverständlich mit Verständnis einhergeht. Und auch wenn die vorliegende Geschichte kein 'Happy End' hatte, so möchte sie Mut machen, um den Mut nicht zu verlieren. Das Buch adressiert andere Betroffene, die ein schwer oder chronisch krankes Kind haben und im Lesen Ähnlichkeiten oder Unterschiede in ihrem Alltag erkennen. Insbesondere werden auch diejenigen angesprochen, die den Verlust eines (nahestehenden) Kindes ertragen müssen. Daneben werden enge Verwandte und Nahestehende von Betroffenen angesprochen, die mit solchen Situationen oft nur schwer umzugehen wissen.

Geboren bin ich 1986. Nach dem Schulabschluss am Gymnasium absolvierte ich ein Bachelorstudium der Kulturwissenschaften mit Auslandsaufenthalt in Peru sowie ein Masterstudium in Kulturgeographie. Anschließend (2011) begann ich meine Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin. In meiner 2015 abgeschlossenen Doktorarbeit beschäftige ich mich mit Räumen sowie der Raumaneignung Jugendlicher aus einer geographischen Perspektive.

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Leseprobe

Zwischen Klinik, zu Hause und Kinderarzt


Die ersten vier Wochen nach Leonies Geburt verbrachten wir, ja auf den Tag genau, in der Klinik. Wie ich diese Zeit rückblickend empfand? Die Neuheit, das Ungewohnte an der Situation waren zunächst noch sehr bestimmend und vereinnahmend. Ich tat vieles, was ich tun musste, mir gesagt wurde. Zeit für Rückbildung und Ruhe war weniger gegeben bzw. nahm ich sie mir nicht in dem Maße, in dem es normal gewesen wäre. Über Normalität zerbrach ich mir zu dem Zeitpunkt noch nicht den Kopf. Der nicht nur körperliche, sondern auch psychische Stress sorgte dann auch dafür, dass mein Körper anzeigte, es sei ihm gerade zu viel, Milchstau und Brustentzündung mit Fieber, höllische Nackenschmerzen, die mich nachts schlaflos und glauben machten, ich hätte eine unheilbare Entzündung im ganzen Körper. Zu viert bzw. zu acht - vier Säuglinge und bis zu vier Mütter - in einem Raum auf der Kinderkardiologischen Station, überwacht von Monitoren und den Eintritten der Schwestern, die abwechselnd Windeln, Milchflaschen und Medikamente brachten. Gelegen, also passend, ging wohl nur selten die Tür auf und zu. Ebenso selten wie alle Kinder gleichzeitig ruhig und zufrieden waren. Die Station, auf die man mit seinem Kind nach der Intensivstation verlegt wurde, nannte sich umgangssprachlich „Normalstation“, aber normal war ein Tag dort keineswegs. Es gab daneben auch sehr heilvolle, wenn auch aufregende Momente: der erste „Ausgang“ mit Leonie im Kinderwagen. Sie hatte die ersten drei Wochen ihres Lebens nie ihre Umwelt draußen kennengelernt. Gelb gestrichene Klinikzimmer, sauber gefilterte und regulierte Luft durch die Klimaanlage auf der Intensivstation, Licht und Schatten, die durch die Jalousien reguliert wurden, wiederkehrende Stimmen des Personals und Pieptöne der Maschinen. Daneben ein Lächeln, ein Grinsen aus Leonies Gesicht. Und später der Entlassungsbericht. Trotz der Überforderung und Panik, die ich an diesem Tag empfand, gab es wohl nichts Schöneres, mit Leonie nach Hause zu fahren und uns dort langsam einzurichten.

Die regelmäßigen Untersuchungen und Impfungen beim Kinderarzt begleiteten unseren Alltag genauso wie die Medikamentengaben, unruhige Nächte, täglich penible Einträge in Leonies „Tagebuch“ zum Stillen, Wickeln, Wiegen und ihren Aktivitäten. Auch wenn Ängste oder Sorgen dabei gar nicht immer meine Begleiterinnen waren und meine Gedanken bestimmten, war es doch keine ruhige und entspannte Zeit. Kaum blieben mir ruhige Stunden für mich. Natürlich ist auch das Leben mit dem ersten gesunden Kind nicht immer nur entspannt und bleibt die Mutter auch einmal im Schlafanzug und ohne die Haare gewaschen zu haben. Doch diese innere Gewissheit, bald wieder in die Normalität zurückzukehren, wird schon bald die aufgebrachten Meereswellen beruhigen und eine gewisse Gelassenheit herbeiführen. Nie habe ich mich an die Besuche beim Kardiologen gewöhnt, weil es eine so derart angespannte und unangenehme Situation war: Ich sah mein Kind nicht gern leiden, schreien, sich aufregen. Jede Berührung, jeder Ultraschall waren für Leonie eine Qual. Mir brach es das Herz. Auch die Metaphern der Ärzte, mit denen sie Leonies Zustand beschrieben, waren da wenig bestärkend. Ihr Herz sei ein rohes Ei; es bliebe ein Ritt auf der Rasierklinge. Sprache kann sehr starke Emotionen auslösen, ohne dass man solche Bilder bis ins Kleinste aufspaltet und interpretiert. Die Worte und Diagnosen der Ärzte haben oft gesessen, mich getroffen. Und doch, zu Hause zu sein, mit Leonie „nichts“ zu tun, ihr und mir Ruhe zu schenken, sie zu beruhigen, ihr die Welt im Kleinen zu erklären, spazieren zu gehen - das überwand gefühlt so viele Steine und Berge.

Nach genau zwei Monaten zu Hause wurden wir wieder in der Klinik zur Herzkatheter-Untersuchung aufgenommen. Eine Routine-Untersuchung zur Vorbereitung der zweiten Operation, eigentlich, mit Aussicht auf Entlassung nach drei Tagen. Letztlich verbrachten wir die folgenden drei Monate durchgehend in der Klinik. Das Kuriose dabei war: Wir ließen uns eine Parkgenehmigung der Klinik ausstellen, um als Dauerpatienten, die auch in der Klinik bzw. dem Ronald-McDonald-Haus schliefen, für ein geringeres Entgelt in der Nähe parken zu dürfen. Eine Schwester kam - es war irgendwann im Dezember - zu uns um uns die Bescheinigung für die Behörde auszuhändigen. Ein Blick auf das Datum machte uns zunächst etwas stutzig: bis dahin waren es drei volle Monate! Sollten wir denn nach einer Routineuntersuchung so lang im Krankenhaus bleiben? „Keine Angst, die haben wir nur erstmal bis dahin ausgestellt. Das heißt nicht, dass Sie so lang hierbleiben“. Ok, ich glaubte auch nicht wirklich daran. Dass aber das Datum exakt (!) stimmte und wir also bis zum wirklich letzten auf diesem Zettel angegebenen Tag in der Klinik blieben, gleichte doch im Nachhinein irgendwie einem Wunder. Wenn auch keinem, das wir uns gewünscht hätten.

Gefühlt verlängerten sich diese drei Monate um das Doppelte oder Dreifache - gern würde ich diese Zeitspanne in Stunden oder Minuten ausdrücken, um nur annährend die tatsächlich gefühlte Dauer mit sämtlichen Höhen und Tiefen zu verdeutlichen - durch die zwei Wochen, die Leonie nach ihrer zweiten Operation mit viereinhalb Monaten an der Herz-Lungen-Maschine (ECMO) am Leben gehalten wurde. Ungern erinnere ich mich an diese Zeit, vielmehr wohl unvollständig. Oft stand ich an Leonies Bett, streichelte ihr Köpfchen und legte meine Hand auf ihren Brustkorb um sie zu beruhigen, um ihre Atmung zu begleiten und ihr meine Aufmerksamkeit zu schenken. Langsam pendelte sich ihre Atmung ein, sie atmete einige Züge selbst und brauchte in dem Moment die Unterstützung der Maschine - „Teufels“- oder „Höllenmaschine“, wie ich sie nannte - nicht. Leonie macht das wirklich gut, denke ich erfreut. Ihr Atem wurde wieder unregelmäßiger, sie ließ sich von der künstlichen Beatmung helfen. Gleich empfand ich wieder eine Unruhe, ich hoffte aber, sie überträgt sich nicht auf Leonie. Was ich wollte, war Ruhe ausstrahlen und ihr Kraft geben. Diese Momente dauerten zwar gemessen nicht lang, und doch fühlte ich durch die Addition von Anstrengung und Erleichterung Stunden verstreichen. Es waren Stunden, bis hin zu Tagen, die so und ähnlich verliefen, angereichert mit Gesprächen zwischen Schwestern, Ärzt*innen und Eltern, kleinen Freudenmomenten, genauso wie Rückschlägen. Dazu zählten auch die zwei Versuche, Leonie von dieser ECMO zu befreien, die aber nicht erfolgreich waren. Es waren Leonies Zeichen uns zu sagen, dass sie noch zu schwach war, vielleicht auch schon, dass ihr Herz gar nicht mehr genug Kraft hatte, um den Lebensaufgaben allein gerecht zu werden. Wie enttäuscht ich war - ohne aber wirklich auf Leonie zu hören. Ich war zu sehr davon überzeugt, dass es doch normal weitergehen konnte. Aber normal war dieser Zustand, waren diese Umstände schon nicht mehr. Ich hielt an Leonie fest. Nach außen hin schien es wohl so, als ob in der Zeit nichts voranging. Entsprechend erreichten uns so merkwürdig anmutende Fragen von Außenstehenden wie „Wisst ihr schon, wann ihr wieder zu Hause seid?“; so, als wäre der Bus an einer Haltestelle und müsse ja seinen Fahrplan erfüllen und unverzüglich weiterfahren oder Ersatz schicken. Dass es aber an einem oder zwei Tagen auch mal nicht offensichtlich vorangehen konnte, das war - verständlicherweise - zunächst gar nicht denkbar für Andere. Schließlich wollte ich ja auch, dass es Neuigkeiten gibt, wenn ich früh zu Leonie auf die Intensivstation kam und gleich eine Schwester nach Auffälligkeiten in der Nacht und dem geplanten Vorgehen am Tag befragte. Dass sich aber Leonie nicht äußerlich-offensichtlich verwandelte, ihre Narben nicht auf einmal sichtbar verheilten, sondern sie innen drin so viel vollbrachte, ihr Körper metaphorisch gesprochen Arbeit für ein Jahr vor sich hatte, welche innerhalb von einem Monat zu verrichten anstand, das war vielleicht wirklich nur Ärzt*innen bewusst. Oft erzählten mir Schwestern, dass es Leonie ja bereits besser ging, dass sie beispielsweise nachts nicht mehr so unruhig war. Das waren für mich echte Fortschritte. Und im gleichen Moment wusste ich doch, dass ich nie auch nur alle Details erfahren würde, weil man in so einer Verfassung, wie ich es war, wahrscheinlich gar nicht in der Lage wäre, die Fakten zu ertragen. Weiterhin lernte ich in der Zeit, dass auch Ärzt*innen sich irren können. Sie können nicht in den Menschen schauen und vorhersagen, was mit einer Operation tatsächlich verändert wird, welchen Verlauf sie nimmt. „Tempo und Richtung bestimmt das Kind“ war ein oft von ihnen geäußerter und in meinen Ohren erklingender Satz. Wie viel Wahrheit doch dahinter steckt.



HILFE UND AUSZEITEN


Ich habe in der Klinik begonnen, so etwas wie ein Tagebuch zu schreiben. Auch das gehörte zu den kleinen „Auszeiten“ am Krankenbett meiner Tochter. Manchmal hatte ich jedoch nicht die Kraft (Was heißt Kraft eigentlich?) den Stift in die Hand zu nehmen. Wollte der Gedanke wiederkommen, tat er das. In einem anderen Moment. Nach Leonies Tod habe ich die Seiten des kleinen Büchleins herausgetrennt, um sie in ein neues blanko Buch zu kleben und wiederum darauf zu antworten; ich habe Erfahrungen ergänzt, mit kleinen Zeichnungen und später auch Bildern gefüllt. Dabei sind ganz unterschiedliche Formate entstanden. Ich erzähle von Tagen, die ich als kleine Glücksmomente erlebt habe, zwei Monate nach dem Tod; von Symbolen, die mir unendlich Halt gaben; den Menschen, wie sie mit uns umgingen. Manchmal erscheinen selbst meine eigenen Worte und die früher gefühlten Gefühle paradox. Das ganze Leben. Ja, ich verstehe mich manchmal im Nachhinein selbst nicht. Aber das Schreiben war und ist...

Blick ins Buch

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