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Vom unerwarteten Vergnügen, nüchtern zu sein

Frei und glücklich - ein Leben ohne Alkohol

AutorCatherine Gray
Verlagmvg Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783961212651
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Deutschland ist ein Hochkonsumland: Laut BZgA trinken rund 9,5 Millionen Deutsche zwischen 18 und 64 Jahren so viel Alkohol, dass sie ihre Gesundheit damit gefährden. Catherine Gray trinkt zunächst hin und wieder, dann immer mehr, bis der Alkohol fester Bestandteil ihres Lebens ist. Doch sie schafft die Kehrtwende und war völlig überwältigt von den Möglichkeiten, die sich ihr dadurch eröffneten. Ihr Buch geht weit über lustige Suffgeschichten hinaus: Sie spricht mit Wissenschaftlern und Psychologen darüber, warum wir trinken, was wir uns damit antun, und wie der Ausstieg gelingen kann. Herzzerreißend und geistreich erzählt sie, wie sich der erste Tag »danach« anfühlt und warum ein nüchternes Leben viel berauschender sein kann, als Sie es sich jemals vorgestellt haben. »Tapfer, witzig und brillant geschrieben« - Marie Claire

Catherine Gray ist eine preisgekrönte Autorin und Redakteurin, die fast ein Jahrzehnt lang für Magazine wie Cosmopolitan und GLAMOUR arbeitete. Seit 2011 ist sie freiberuflich tätig und schreibt Zeitungen und Magazine wie Marie Claire und The Guardian. Ihre thmatischen Schwerpunkte sind Psychologie und Reisen, außerdem liebt sie es, faszinierende Menschen zu interviewen. Ihr erstes Buch, The Unexpected Joy of Being Sober, schaffte es auf die Bestellerliste der Sunday Times. Noch wichtiger als dieser Erfolg ist es ihr aber, mit dem Buch andere Menschen anzuregen, über ein Leben ohne Alkohol nachzudenken.

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Leseprobe

EINFÜHRUNG


Nüchtern

Adjektiv

  1. nicht betrunken
  2. ernsthaft, sachlich und vernünftig
  3. gedeckt, gedämpft

Synonyme: nicht unter Alkoholeinfluss stehend, leidenschaftslos, geschäftsmäßig, streng, puritanisch, unromantisch, platt, spartanisch, konservativ, wenig abenteuerlustig, ruhig, trostlos

Antonyme: betrunken, unbeschwert, frivol, effekthascherisch, emotional, umwerfend2

Genau das dachte ich 20 Jahre lang: »Scheiß drauf. Nüchtern zu sein ist doch total öde. Ich will nicht in dieser grauen, geschäftsmäßigen, kalten und wenig abenteuerlustigen Welt leben. Ich will mein Leben in Technicolor, reißerisch, ganz das Gegenteil von nüchtern. Machen wir doch noch ’ne Flasche auf!«

Als Teenager hatte ich einen selbst gemachten Bilderrahmen über meinem Bett hängen. Darin prangte ein Foto von mir und meinen Freunden. Wir hatten uns aneinandergekuschelt wie Katzenbabys und guckten leicht bedröhnt aus der Wäsche, nachdem wir uns als 13-Jährige nach einem Elastica-Konzert in einen Klub geschmuggelt hatten. Rund um das Foto hatte ich Sterne in Neonfarben geklebt, und darunter leuchtete in meiner ausladenden Handschrift mein Wahlspruch: »Die Wirklichkeit ist eine Halluzination, die auf dem Mangel an Alkohol beruht!« Warum sollte man auch nüchtern sein, wenn man sich betrinken konnte?

Der Alkohol hatte lange Zeit einen Thron in meiner Welt inne. Wir salbten ihn zum Spaßkönig, zum Freudenspender, zur goldenen Quelle sozialer Fähigkeiten. Wann immer etwas Tolles geschieht, feiern wir – und wir assoziieren das Feiern mit dem Plopp, dem Sprudeln und dem Gluckern der Champagnerflasche. Das Nüchternsein hingegen entlockt uns höchstens mal ein müdes Gähnen. Derartige Mangelerscheinungen wollen wir doch lieber vermeiden. Es gibt da doch diese lustigen Meme, in denen es heißt: »Es hat schon seinen Grund, dass ›nüchtern‹ und ›schüchtern‹ sich reimen.« Auf Grußkarten liest man so launige Sprüche wie »Wein: wie eine Umarmung von innen«. Und Kneipen-Webseiten locken plakativ: »Alkohol. Denn keine wirklich große Liebesgeschichte fing je mit Salat an.«

Super! Trinken ist also göttlich und Nüchternsein gruslig. Kapiert!

Doch wenn das Trinken so toll ist, wenn es soziale Kontakte so sehr fördert, ja sogar Liebesgeschichten schreibt, warum wollen es dann so viele sein lassen?

Warum wollen 43 Prozent der Britinnen und 84 Prozent der Briten weniger trinken, wenn es doch so super ist? Wenn Alkohol so wunderbar ist, warum haben sich fünf Millionen Menschen im Januar 2017 entschieden, komplett darauf zu verzichten? Ist doch merkwürdig, oder?

Der Grund, warum die Statistik das Hohelied des Trinkens nicht bestätigt, ist ganz simpel: Es ist nicht toll! Wo es um Alkohol geht, hat unsere Gesellschaft ihren blinden Fleck. Man hat uns eine Gehirnwäsche verpasst, die uns glauben machen soll, Alk sei spitze. Die uns wie die Lemminge einer hinter dem anderen in die Kneipe rennen lässt, obwohl wir tief drin wissen, dass Alkohohl nur »hohl« macht. Wir wissen, dass er nicht gut für uns ist. Er verursacht schlimmste Kater und Angstzustände, die uns Schauer über den Rücken jagen. In Großbritannien tötet er mehr Menschen als der Verkehr. Und doch prosten wir uns ständig zu, drängen andere, mitzutrinken, und versuchen, selbst schwangere Frauen zu überzeugen, dass ein »Gläschen in Ehren« ja nicht schaden kann.

Warum tun wir so was? Weil das Nüchternsein einen schlechten Ruf hat. »Du trinkst nichts? Ach, jetzt sei doch nicht so ein Langweiler.« Wenn Sie in der Kneipe einen Softdrink bestellen, werden Sie ausgebuht. Und sprachliche Bilder wie »stocknüchtern« oder »nüchtern wie ein Stockfisch« bestärken die Leute noch. Niemand will doch ein kalter Stockfisch sein oder steif wie ein Stock.

Nüchtern sein nervt, oder?


2013 wurde mir klar, dass ich hoffnungslos alkoholsüchtig war. Ich merkte, dass ich, wenn ich so weitertrank, bald Billigwein in irgendeiner Absteige saufen würde, weil ich alle meine Freunde und Angehörigen vertrieben hätte. Von meinem Beruf gar nicht zu reden. Im Grunde war das Selbstmord auf Raten. Ich hatte plötzlich eine Eingebung: Wenn ich nicht mit dem Trinken aufhörte, würde ich niemals das Leben führen können, das ich mir wünschte.

Aber das Trinken aufzugeben hörte sich nach einem heftigen Verlust an. Nach einem Trauerfall. Ich war überzeugt, dass das Trinken mein Leben mit Spaß und Lachen erfüllte. Ich dachte: »Ich werde nie wieder ein Date haben, tanzen, eine Party feiern oder mich total entspannen können.«

Zu meinem Erstaunen entdeckte ich, dass die eigentliche Definition eines nüchternen Lebens so aussehen sollte:

Nüchtern

Adjektiv

  1. nicht betrunken
  2. scharfsinnig, freudvoll und gelassen
  3. gedeckt, gedämpft

Synonyme: nicht vergiftet, authentisch, rücksichtsvoll, gütig, schlagfertig, ausgeruht, klug, abenteuerlustig, aufregend, fähig, verlässlich, witzig

Ich kam dahinter, dass ich nüchtern eine Million Mal glücklicher war als je zuvor in alkoholisiertem Zustand. Und dass ich buchstäblich Hunderte nüchterner Freunde hatte, die ich auf dem Weg dorthin auflas. Ich fand heraus, dass mein Tag mehr Stunden hatte, ich mehr Energie und außerdem 23 000 britische Pfund mehr Geld (über vier Jahre gerechnet). Meine Familienbeziehungen besserten sich. Ich hatte eine schönere Haut, einen definierteren Körper, zum ersten Mal gebräunte Beine, und ich entwickelte die Fähigkeit, acht Stunden am Stück durchzuschlafen. Das bescherte mir ein tiefes Gefühl des Wohlbefindens, eine durch und durch positive Weltsicht und viel Erfolg in beruflicher Hinsicht. Was war daran so übel?

Ich steckte nicht mehr länger im Teufelskreis von »Trink, was reingeht! Stopf dich mit halben Hühnern voll! Quäl dich durch den Arbeitstag! Und dann das Ganze wieder von vorn!«. Mein Leben war auf diesen traurigen kleinen Zyklus zusammengeschrumpft. Nüchtern fühlte ich mich plötzlich frei! Meine Welt wurde weiter. Ich gab mein ganzes gespartes Geld für Reisen aus. Ich lernte viele neue Menschen kennen, die zu Freunden wurden. Und ich hörte (endlich) auf, emotional nicht verfügbare Idioten zu daten. Ich lernte sogar, in nüchternem Zustand in der Öffentlichkeit ein Tänzchen hinzulegen.

»Nüchtern wie ein Stockfisch« – den kalten Fisch sollte man aus diesem Ausdruck unbedingt entfernen. Wie wäre es mit »nüchtern wie ein Sommertag«? Denn genau so fühlt es sich an. Die Schönheit des Tageslichts, die Klarheit und die echten sozialen Kontakte. Ja, Sie können sich nicht länger mit Alkohol vom sozialen Level »Unsicherheit« hinaufbeamen zum Level »Ich mach den Pogo auf der Tanzfläche«. Sie müssen schon lernen, wie Sie sich selbst über Ebene 3 bis zu Ebene 7 und höher vorarbeiten, statt die dunklen Künste der Suchtdroge zu nutzen. Aber sobald Sie die Superkraft »soziale Kontakte voll nüchtern« erworben haben, geht sie Ihnen nie wieder verloren. Und Sie werden ganz sicher nicht zurückwollen.

Natürlich gibt es Dinge, die ich nicht mehr tun kann, seit ich trocken bin. Punkt, aus. Zum Beispiel: Typen knutschen, die ich schrecklich finde; Zeit mit Leuten verbringen, die ich eigentlich nicht mag; vor 90 Leuten den Macarena machen; zu Musik tanzen, die mir nicht gefällt; und über Scherze lachen, die ich nicht witzig finde. Hmmmm. Kein allzu großer Verlust, oder?

Großbritannien nüchtert sich aus


Tatsächlich bin ich nicht die Einzige, die sich die unerwartete Freude des Nüchternseins gönnt. Und die dahintergekommen ist, dass es weit einfacher ist, nichts zu trinken als »in Maßen«.

Alkohol ist ein hochgradig suchterregender Stoff. Das heißt, er schmeckt nach mehr, wie das bei allen Suchtdrogen der Fall ist. Man erzählt uns, wir sollten in der Lage sein, »mäßig« zu trinken. Wenn wir uns dann an die wöchentlich empfohlenen Mengen nicht halten können (und ich habe locker eineinhalb Flaschen Wein jeden Abend getrunken), fühlen wir uns als Versager. Und begraben diese Verdrossenheit tief in uns.

Ein Drittel der Menschen, die regelmäßig Alkohol zu sich nehmen, machen sich Sorgen, dass sie zu viel trinken. Aber 51 Prozent dieser Leute unternehmen nichts dagegen. Vermutlich fühlen sie sich dazu nicht in der Lage. Kommt Ihnen das bekannt vor? Nun, Ihre mangelnde Fähigkeit, nur eineinhalb Flaschen Wein pro Woche zu trinken, ist tatsächlich der Normalfall. Weil Alkohol eine Suchtdroge ist. Ganz einfach.

Ein Viertel der britischen Frauen und ein Fünftel...

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