Das folgende Kapitel gibt einen kurzen Überblick über die theoretischen Grundlagen sowie die Bestandteile und Funktionen der Vergütung des TopManagements in der Praxis. Top-Management wird dabei synonym für die Vorstände deutscher Aktiengesellschaften verwendet. Grundlagen, wie die Aufgaben von Vorständen und Eigenheiten des deutschen Führungsprinzips von Aktiengesellschaften, sind nicht Gegenstand des Kapitels.
Das Kapitel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit in der Abbildung vergütungsrelevanter Theorien und dient lediglich zum Verständnis später verwendeter Begrifflichkeiten.
Die Prinzipal-Agent-Theorie befasst sich mit der durch Informationsasymmetrie erschwerten Vertragsgestaltung zwischen einem Auftraggeber und einem Auftragnehmer in einer Vertragsbeziehung. Dieses Vertragsverhältnis wurde 1976 von Jensen und Meckling wie folgt definiert: "We define an agency relationship as a contract under which one or more persons (the principal(s)) engage another person (the agent) to perform some service on their behalf which involves delegating some decision making authority to the agent."[3]
Dabei wird davon ausgegangen, dass beide Seiten opportunistisch handeln und zum selben Zeitpunkt nicht über das gleiche Wissen über für die Vertragsbeziehung relevante Gegenstände verfügen (Informationsasymmetrie)[4]. Da grundsätzlich der Agent (Auftragnehmer) über den Informationsvorsprung verfügt, kann der Prinzipal (Auftraggeber) nicht direkt versichern, dass der Agent in seinen (des Prinzipals) besten Interessen handelt[5]. Dies geschieht vor allem, wenn Handlungen, die für den Prinzipal günstig sind, für den Agenten ungünstig sind, und wenn die Überwachung dieser Handlungen Kosten für den Prinzipal verursacht.
In der Literatur wird nach verschiedenen Typen der asymmetrischen Informationsverteilung unterschieden[6]: "Hidden characteristics", "hidden intention", "hidden information" und "hidden action". Diese unterscheiden sich in Entstehungszeitpunkt, Entstehungsursache sowie resultierendem Problem, sollen mangels Relevanz für die vorliegende Arbeit an dieser Stelle jedoch nicht weiter ausgeführt werden.
Die Agentur-Theorie lässt sich direkt auf die Trennung von Eigentum und Entscheidungsgewalt in Unternehmen, also das Verhältnis von Anteilseignern und Managern übertragen. Sie wurde 1932 erstmals von Berle und Means beschrieben[7]. Die Agentur-Theorie führt zu der Annahme, dass das Management nicht nach den Interessen der Anteilseigner handelt und die Vertragsbeziehung somit Kontroll- und Anreizsysteme bedarf, um die Informationsasymmetrie weitestgehend zu eliminieren. Die dadurch entstehenden Kosten werden Agenturkosten genannt[8] und setzen sich zusammen aus Kosten für Informationssysteme, Hierarchie, Anreize (monetär, nicht-monetär) und weiche Faktoren wie Unternehmenskultur und Vertrauen[9].
Die Implikation für die Vergütung des Top-Management (Agent) ist, dass erfolgsorientierte Anreizsysteme bei richtiger Ausgestaltung einen Weg aus dem Prinzi- pal-Agent-Dilemma darstellen können und dass die Incentivierung an den Unternehmenserfolg und die Zielsetzung der Anteilseigner geknüpft sein sollte[10].
Diese Fixierung auf Unternehmenswertsteigerung durch Orientierung der Vergütungsziele des Managements an den Zielen der Anteilseigner, wird zusammengefasst unter dem Shareholder-Value-Ansatz.
Die Fokussierung auf den Shareholder-Value wurde 1986 durch Alfred Rappaport in seinem Buch „Creating Shareholder Value - The New Standard for Business Performance“ erstmals detailliert ausgeführt und in der Folge, mindestens bis zum Anfang der 2000er-Jahre, zum unumstrittenen Primat der Unternehmensführung.
Der Shareholder-Value-Ansatz besagt, dass das höchste Maß für den Erfolg eines Unternehmens die Steigerung des Unternehmenswertes für die Eigenkapitalgeber (Shareholder) ist. Es fordert somit die ausschließliche Berücksichtigung der Interessen der Eigentümer bei allen unternehmerischen Entscheidungen[11].
Diese sollen durch das Management dementsprechend gemäß Nutzen/Kosten bzw. Ertrag/Aufwand in Bezug auf die Wertsteigerung für die Anteilseigner bewertet werden[12].
Dem Ansatz entsprechende Messkennzahlen orientieren sich stark an den Anforderungen der Kapitalmärkte, da hier der Marktwert des Eigenkapitals eines Unternehmens bewertet wird[13]. Die Verzinsung des eingesetzten Kapitals soll stets die Kapitalkosten für Fremd- und Eigenkapital übersteigen. Buchhalterische Kennzahlen und traditionelle Kenngrößen wie der Unternehmensgewinn stellen, durch Gestaltungsspielräume der (deutschen) Rechnungslegung und Außerachtlassung der Kapitalbasis, ungeeignete Messgrößen dar[14]. Es gelten Kennzahlen, die den an die Anteilseigner verteilbaren Anteil der liquiden Mittel anzeigen und in Relation zu den Kapitalkosten stellen, als sinnvolle Messgröße[15]. Im Kontext variabler Vergütungsbestandteile für Top-Management stellen Free Cash Flow oder Total Shareholder Return dabei zwei mögliche Beispiele dar.
In Anbetracht der Tatsache, dass die gesamtgesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens beim Shareholder-Value-Ansatz in der Regel gänzlich außer Acht gelassen wird[16], und in Anbetracht verschiedener Wirtschaftsskandale[17] und -krisen v.a. ab dem Jahr 2007[18], findet allmählich ein Umdenken statt.
Ein die Umwelt einer Unternehmung einbeziehender Ansatz, der StakeholderAnsatz, löst die alleinige Steigerung des Marktwertes des Eigenkapitals in der Unternehmensführung ab.
Der Stakeholder-Ansatz postuliert, dass nicht die einseitige Konzentration auf die Interessen der Kapitalgeber, sondern nur die Beachtung der Interessen aller dem Unternehmen verbundener Gruppen zu langfristiger Wertsteigerung für die Kapitalgeber führt[19]. Um Gewinne zu maximieren, benötigen Unternehmen hochwertige Produkte und Leistungen für ihre Kunden, gute Beziehungen zu Lieferanten, innovative Mitarbeiter, die hinter den Werten des Unternehmens stehen und es voranbringen, sowie die Unterstützung der Städte und Gemeinden, in denen die Leistungserstellung stattfindet[20]. Die Unternehmung wird verstanden als eine Vielzahl von Beziehungen zwischen Gruppen, die ein (wirtschaftliches) Interesse an den Aktivitäten haben, die die Unternehmung ausmachen. In der Unternehmung geht es darum, wie Lieferanten, Mitarbeiter, Geldgeber, Gemeinden und Manager interagieren und Wert schaffen[21]. Abbildung 1 verdeutlicht das Gebilde aus verschiedenen Anspruchsgruppen eines Unternehmens.
Abb. 1: Creating value for stakeholders
(Quelle: R. Edward Freeman, Jeffrey S. Harrison und Andrew C. Wicks, 2007, in Managing for Stakeholders: Survival, Reputation and Success; New Haven: Yale University Press)
Eigentümer oder Kapitalgeber erwarten finanzielle Rückflüsse als Ausgleich für ihre Investition. Dabei unterscheiden sich die Kapitalgeber in Hinblick darauf, ob sie privater und institutioneller Art sind, nach der Höhe der Renditeerwartung, ihren Moralvorstellungen u.a.[22].
Mitarbeiter hängen durch Herstellung und Absicherung ihres Lebensstandards existenziell von ihrem Arbeitsplatz ab und erwarten im Austausch für ihre Arbeitsleistung Lohn oder Gehalt, Zusatzleistungen und sinnstiftende Arbeit[23]. Im Fall des (Top-)Managements übernehmen sie darüber hinaus Verantwortung für die Organisation als Ganzes[24].
Kunden und Lieferanten tauschen Ressourcen für die Leistungen des Unternehmens und profitieren im Gegenzug von deren Vorteilen. Wie auch in der Beziehung zu Kapitalgebern und Mitarbeitern, spielen moralische Aspekte eine Rolle im Umgang mit Kunden und Lieferanten. Das Unternehmen weckt durch die Werbung bestimmte Erwartungen bei Kunden, deren Nichterfüllung zu Sanktionen führen kann. Zwischen Lieferanten und Unternehmen besteht der Anspruch auf Fairness und Transparenz, z.B. bei Preisverhandlungen oder Produktentwicklungen[25].
Die Gemeinde, Kommune oder Stadt in der das Unternehmen angesiedelt ist, ermöglicht dem Unternehmen den Bau von Produktionsstätten und bietet Infrastruktur. Im Gegenzug erwartet sie Steuereinnahmen und Arbeitsplätze sowie ggf. andere positive Effekte, wie weitere Unternehmensansiedlungen, Senkung der Arbeitslosenrate, Attraktivität für Direktinvestitionen und erhöhte Steuereinnahmen durch Bevölkerungswachstum. Das Unternehmen ist daher wie ein Bürger anzusehen[26], von dem entsprechendes, das Gemeinwohl nicht negativ beeinflussendes Verhalten erwartet wird. Dies kann sich auf soziale Faktoren wie den Umgang mit Mitarbeitern (Leiharbeit oder Lohnpolitik), aber auch auf Umweltfaktoren wie Giftmüll oder Luftverschmutzung beziehen[27].
Diese primären Stakeholder können erweitert werden um...