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E-Book

Wagnis und Verzicht

Die ermutigende Botschaft des Dalai Lama

AutorDalai Lama, Michael Brück
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783641242138
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
2500 Jahre Buddhismus, 2000 Jahre Christentum. Was hat es gebracht?
In Dharamsala trafen sich der Religionswissenschaftler Michael von Brück und der Dalai Lama, um sich über das Leben und die Zukunft des Menschen auszutauschen.

Die Überschrift ihrer Gespräche lautet »Wagnis und Verzicht«. Es ging um persönliche Erfahrungen, Misserfolge, Hoffnungen, Ängste der beiden langjährigen Freunde. »Wagnis« beinhaltet Mut, Abenteuer, Fortschritt ohne Angst vor dem eigenen Leben. »Verzicht« enthält Zurückhaltung, Illusionen verlassen, bescheiden sein, sich selbst zurücknehmen, realistisch sein angesichts der Misserfolge, die man gehabt hat. Dieses persönliche Gespräch soll den Menschen Hoffnung bringen, die sie aufgrund persönlicher Fehlschläge aufgegeben haben.

Der Dalai Lama ist das geistliche und weltliche Oberhaupt der Tibeter. Der amtierende 14. Dalai Lama wurde 1935 geboren. Nach der Besetzung Tibets durch China floh er 1959 nach Indien, wo er seitdem im Exil lebt. Für seine spirituelle Arbeit und seinen Einsatz für den Weltfrieden findet der Dalai Lama Anerkennung in der ganzen Welt. Seine Bemühungen um die politische Unabhängigkeit Tibets sowie um dessen kulturelle und religiöse Identität wurden 1989 mit dem Friedensnobelpreis geehrt.

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Leseprobe

Zukunft gestalten

Transformation der Religionen

MvB: Lass uns jetzt zu einem Thema kommen, das sich recht einfach auf den Punkt bringen lässt: 2500 Jahre Buddhismus, 2000 Jahre Christentum, und immer noch keine Verbesserung der Menschheit! Warum machen wir da immer noch so viel Aufhebens um die Religionen? Haben sie versagt? Oder sind zweieinhalbtausend Jahre einfach ein zu kurzer Zeitraum, um ein begründetes Urteil zu fällen?

DL: Wenn wir heute Rückschau halten auf historische Entwicklungen, so geschieht das bewusst und mit bestimmter Absicht. Wir analysieren individuelles und kollektives menschliches Handeln in den jeweiligen historischen Zusammenhängen. Wir versuchen, Schlussfolgerungen zu ziehen und aus der Vergangenheit zu lernen. Unser kollektives Gedächtnis lehrt uns, dass mehr Erziehung stattfinden muss, und zwar eine umfassende Form von Erziehung und Bildung. Mit der entsprechenden Erziehung wird die Neugier, das Interesse am analytischen Denken, an einer Schulung des Geistes, die auch die Emotionen mit einbezieht, ganz gewiss zunehmen. Für solche Religionen und Vorstellungen, die ausschließlich auf Glauben beruhen, wird dies allerdings wohl eher schwierig werden, wie wir schon diskutiert haben. Soweit es den Buddhismus betrifft, unterscheide ich immer zwischen dem Buddhismus als Religion und dem Buddhismus als Philosophie und praktischer Psychologie. Dieser Teil kann wie ein akademisches Studium betrieben werden, und die Ergebnisse aus solchen empirischen Untersuchungen lassen sich in der Praxis, im Alltag anwenden. Das geeignete Mittel dafür ist die Erziehung. Erziehung ist nicht nur Faktenvermittlung, sondern sie sollte darauf abzielen, die Instrumente des Wissens zu entwickeln, und zwar alle – Denken, Fühlen, Gedächtnis, Willenskraft. Wie ich bereits sagte, gibt es auch einen glaubensbasierten Buddhismus, doch wie lange es ihn noch geben wird, vermag ich nicht abzusehen. Jene Form des Buddhismus aber, die auf Erfahrung und Einsicht beruht, wird Bestand haben, weil sie Entscheidendes beitragen kann zur Entwicklung des Potenzials, das im Menschen angelegt ist. In den tibetisch-buddhistischen Klöstern von Sera, Ganden und Drepung, die in Bylakuppe bzw. Mundgod in Südindien liegen, leben Tausende von Mönchsstudenten, die den Buddha-Dharma als philosophisch-analytische Praxis und als Geistesschulung studieren und weitertragen. Dieser Aspekt sollte und wird in Zukunft von Bedeutung sein, wie wir bereits erörtert haben. Überall auf der Welt greifen Menschen, unabhängig von ihrer Religion und ihrem Glauben, diese Formen der Praxis auf – und viele von ihnen hängen überhaupt keinem Glauben und keiner Religion an.

In den klassischen Texten werden zwei Arten von Anhängern der Lehren des Buddha unterschieden: Diejenigen, deren rationale Fähigkeiten weniger stark entwickelt sind und die sich mehr auf den Glauben als auf den Verstand stützen, und diejenigen, die eher verstandesbetont sind und von denen gesagt wird, dass sie über höhere rationale Fähigkeiten verfügen. Wir müssen diese höheren rationalen Fähigkeiten entwickeln.

MvB: Schaut man aber nach Rom, Mekka, Jerusalem oder Dharamsala, sieht man, wie die Menschen, oder zumindest viele, mit großem Glauben und enormer Hingabe ihren rituellen Praktiken nachgehen. Hier in Dharamsala praktizieren Hunderte, manchmal Tausende von Gläubigen die Kora (skor ra), das rituelle Umschreiten Deiner Residenz. In Fatima versammeln sich die Menschen an dem Ort zur Andacht, an dem die Madonna erschienen sein soll. Juden pilgern zur sogenannten Klagemauer nach Jerusalem, Muslime nach Mekka. In Bodhgaya, wo der Buddha Erleuchtung fand, versammeln sich die Gläubigen um den Bodhi-Baum. Hindus verehren an der Gangesquelle den Gott Shiva in seiner Gestalt als Erhalter und Zerstörer. Hindus und Buddhisten umschreiten voller Verehrung den Berg Kailash in Tibet, der beiden Religionen gleichermaßen heilig ist. All diese Menschen vollführen solche Rituale in der Erwartung, dass sie ihnen Glück und Segen, Heilung von Krankheit und Leiden sowie Seelenfrieden bringen. So war es und so ist es, allen säkularen Tendenzen, allem wissenschaftlichen Fortschritt und modernen Lebensstil zum Trotz. All das zeigt doch, dass es im Menschen eine Dimension zu geben scheint, die diese Art von Glauben einfach braucht.

DL: Wenn wir uns in einer verzweifelten Lage befinden, dann sollten wir etwas haben, worauf wir unsere Hoffnung gründen, und das ist bei diesen Menschen Gott.

MvB: Worauf stützt Du als Buddhist Deine Hoffnung?

DL: Im Buddhismus gründen wir unsere Hoffnungen nicht auf das Vertrauen in den Buddha, sondern auf das Vertrauen in den Dharma. »Dharma« meint hier so viel wie »die eigenen geistigen Qualitäten«. Wie ich bereits sagte, unterscheide ich zwischen Buddhismus als Religion und Buddhismus als philosophischer und meditativer Weg. Natürlich gibt es im Buddhismus auch ein Element des Glaubens, das hinreichend begründet ist. Es gibt ein Vertrauen ins Leben, das Vertrauen in die Gesetzmäßigkeit der Wirklichkeit, das Vertrauen auf die umfassende Vernetztheit aller Dinge. Diese Art von Glauben schenkt den Menschen neben Kraft auch geistige und emotionale Klarheit, was sie befähigt, mitfühlend zu handeln und mitzuhelfen, das Leiden in der Welt zu verringern. Dies ist eine andere, sehr hilfreiche Form von Glauben, und vielleicht brauchen wir diese Form von Glauben auch. Doch Glauben ohne Vernunft ist mehr oder weniger blinder Glaube, und auf diese Form von Glauben sollten wir uns nicht zu sehr stützen. Allerdings ist bei diesem Thema Fingerspitzengefühl vonnöten. Das eben Gesagte sollte nicht als Geringschätzung des Glaubens von Christen, Muslimen, Juden oder Hindus und Buddhisten verstanden werden. Jeder Mensch entwickelt seinen eigenen Glauben auf der Grundlage überlieferter religiöser Erzählungen und Rituale. Ob die Vorstellungen, die ein Mensch daraus ableitet, sich als hilfreich erweisen oder nicht, ob sie ihn zur Befreiung oder in ungewollte Widersprüche führen, hängt von den Umständen und vom Einzelfall ab.

MvB: Nicht alle Erscheinungsformen des Religiösen sind akzeptabel, hier müssen wir notwendig Unterscheidungen treffen. Doch ebenso wenig sind alle Aspekte einer Religion überholt, hier gilt es ebenso zu unterscheiden. Religionen entwickeln sich. Das war in der Vergangenheit der Fall und wird auch in Zukunft so sein.

Nehmen wir zum Beispiel das Christentum. Es hat einen langen Weg hinter sich von seinen Anfängen bis zum heutigen Tag. Es begann mit einem spirituellen Impuls, mit der Erkenntnis, dass zwischen Gott und Mensch nicht Welten liegen, sondern dass das, was die Menschen Gott nennen, hier, in Raum und Zeit, als Mensch präsent ist. Und dass jeder, der an diesem Geschehnis teilhat, gleichfalls Gott ähnlich sein würde. Die Christen bezeichneten dies als das Geheimnis der Menschwerdung Gottes und davon abgeleitet der Vergöttlichung des Menschen, der Theosis, wie die Griechen sagen, und sie waren sich gewiss, dass allem Leid, aller Ausbeutung, aller Ungerechtigkeit, allem Sterben zum Trotz am Ende diese göttliche Qualität obsiegen würde, die Kraft von Liebe und Hoffnung. Und so verbanden sie die Idee der Menschwerdung mit der leidvollen Erfahrung des Kreuzestodes und der siegreichen Auferstehung. Diese Vorstellung drückten sie in der Sprache und in der Bilderwelt ihrer Zeit aus, wobei hebräische Heilserwartungen sowie griechisches und ägyptisches Gedankengut ineinander geflossen sind. Dennoch blieb philosophisch und theologisch diese große Kluft zwischen Gott und Welt, zwischen Gott und Natur, zwischen Geist und Materie bestehen – vor allem in der täglichen Praxis der Menschen.

Nichtsdestotrotz gibt es seit den ersten Anfängen der christlichen Theologie in der Antike zwei entgegengesetzte, aber gleich starke Denkströmungen: Unter die erste fällt das, was als negative Theologie (theologia negativa) bezeichnet wird. Ihr zufolge kann man von Gott nur sagen, was er nicht ist. Das höchste Mysterium ist unfassbar und nicht in Worten auszudrücken. Diese Vorstellung weist große Ähnlichkeiten auf mit dem, was in den alten vorbuddhistischen Texten der indischen Upanischaden gesagt wird. Die andere Vorstellung ist, dass Gott in uns selbst ist, dass er uns sogar näher ist als unser Herzschlag. Gott ist nicht nur irgendwo außen. Diese Richtung sollte später als mystische Gotteserfahrung bezeichnet werden.

Mit der Aufklärung und daran anschließend mit dem Atheismus eines Schopenhauer, Feuerbach, Nietzsche, Freud und anderer Denker wurde der Dualismus von Gott und Welt aufgehoben, indem man den einen Pol einfach eliminierte. Als wirklich und relevant sollte von nun an nur noch gelten, was mit den Sinnen erfahrbar ist. Alles Reden von Gott sei müßig und stelle eine kindlich-regressive Projektion menschlicher Eigenschaften und Wünsche in eine himmlische Sphäre dar. Daher sprach man auch vom »Tod Gottes«. Philosophen und Psychologen lehrten, dass sämtliche auf Glauben basierenden religiösen Vorstellungen bloße Konzepte, mentale Projektionen seien. Andere Menschen hingegen entdeckten daneben noch etwas anderes, so etwas wie ein Prinzip universeller Liebe. Manche der christlichen Theologen wie Dietrich Bonhoeffer sprachen in der Folge vom »religionslosen Christentum«, oder von »Gott als Geheimnis der Welt« oder von »Gottes Sein ist im Werden« (Eberhard Jüngel). Einige dieser Formulierungen klingen de facto recht buddhistisch.

Wie auch immer, es gibt im christlichen Denken Entwicklungen wie diese und eine hochkomplexe christliche Philosophie, die versucht, eine Sprache zu finden, die mit...

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