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E-Book

Walden - Leben in den Wäldern

AutorHenry David Thoreau
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl325 Seiten
ISBN9788027300242
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Walden - Leben in den Wäldern' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. In Walden beschreibt Thoreau sein Leben in einer Blockhütte, die er sich 1845 in den Wäldern von Concord am See Walden Pond auf einem Grundstück seines Freundes Ralph Waldo Emerson baute, um dort für mehr als zwei Jahre der industrialisierten Massengesellschaft der jungen USA den Rücken zu kehren. Nach eigener Aussage ging es ihm dabei jedoch nicht um eine naive Weltflucht, sondern um den Versuch, einen alternativen und ausgewogenen Lebensstil zu verwirklichen.Das 1854 veröffentlichte Buch kann nicht als Roman im eigentlichen Sinne angesehen werden, vielmehr ist es eine Zusammenfassung und Ausformung seiner Tagebucheinträge, die er in den symbolischen Zyklus eines Jahres integriert und zusammenfasst. Dabei ist sein Stil geprägt von hoher Flexibilität und Sprachkunst, die die Übertragung in andere Sprachen oft erschwert hat. Die achtzehn Kapitel des Buches sind unterschiedlichen Aspekten menschlichen Daseins gewidmet, so enthält es zum Beispiel Reflexionen über die Ökonomie, über die Einsamkeit, Betrachtungen über die Tiere des Waldes oder über die Lektüre klassischer literarischer Werke. Henry David Thoreau (1817-1862) war ein amerikanischer Schriftsteller und Philosoph.

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Leseprobe

Wo ich lebte und wofür ich lebte



 In einem gewissen Lebensalter haben wir die Gewohnheit, jedes Fleckchen Erde für einen eventuellen Hausbau in Betracht zu ziehen. So habe ich das Land nach allen Richtungen im Umkreis von zwölf Meilen angeschaut. In meiner Phantasie kaufte ich alle Farmen der Reihe nach auf, denn alle waren zu verkaufen, und ich kannte den verlangten Preis. Ich ging mit jedem Farmer durch Haus und Hof, kostete von seinen wilden Äpfeln, sprach mit ihm über Landwirtschaft, kaufte die Farm für den geforderten Preis, für jeden Preis und fertigte im Geiste die Hypothek aus. Ich selbst setzte dann einen höheren Preis der Farm fest, nahm alles, nur keinen Vertrag – ließ mir anstatt des Vertrages sein Wort geben (denn ich liebe es sehr zu plaudern) und kultivierte, wie ich glaube, nicht nur den Besitz, sondern auch den Besitzer in gewissem Grade. Hatte ich mich lange genug so vergnügt, dann zog ich mich zurück und überließ ihm die Fortsetzung.

Meine Kenntnisse verleiteten meine Freunde dazu, in mir gleichsam einen Makler in Grundbesitz zu sehen. Wo auch immer ich saß, da hätte ich auch leben mögen, und die Landschaft dehnte sich dementsprechend radienförmig um mich aus. Was ist ein Haus anderes als ein sedes – ein Sitz? Ist es ein Landsitz – nun, um so besser! Ich entdeckte manchen Platz, auf dem wohl so bald kein Haus gebaut werden würde, denn mancher würde zu sich sagen: Der Platz liegt zu weit vom Dorfe ab; meiner Ansicht nach war das Dorf zu weit von dem Platze entfernt. »Gut; hier möchtest Du leben«, sprach ich zu mir, und so lebte ich dort eine Stunde lang ein Sommer- und ein Winterleben, sah im Geiste wie die Jahre eilten, wie ich mich durch den Winter schlug und wie der Frühling ins Land zog. Die zukünftigen Bewohner dieser Gegend können sicher sein, daß ihnen, wohin sie auch immer ihre Häuser stellen mögen, stets einer zuvorgekommen ist. Ein Nachmittag genügte, um das Land in Obstgarten, Waldung und Weiden abzuteilen, um zu entscheiden, welche schönen Eichen oder Fichten geschont werden und vor dem Hause stehen bleiben sollten, und von wo aus irgend ein verwitterter Baum am interessantesten zu betrachten war. Dann ließ ich alles liegen – geradezu brach liegen. Denn ein Mensch ist um so reicher, je mehr Dinge er unbeschadet am Wege liegen lassen kann.

Meine Phantasie trieb ihr Spiel so weit, daß ich für manche Farmen sogar das Vorkaufsrecht besaß. Das Vorkaufsrecht war übrigens wirklich alles was ich wollte. Ich habe niemals meine Finger an realem Besitz verbrannt. Ich war allerdings nahe daran, Grundbesitzer zu werden, als ich Hollowell kaufte. Ich hatte schon begonnen die Saat auszulesen und auch schon Material zur Herstellung eines Schubkarren gesammelt, um sie darin zu transportieren. Bevor mir jedoch der Besitzer den Vertrag aushändigte, besann sich sein Weib – jedermann hat solch ein Weib – eines bessern und wünschte die Farm zu behalten. Er bot mir zehn Dollars Entschädigung an. Nun besaß ich selbst, um der Wahrheit die Ehre zu geben, auf Gottes weiter Welt nur zehn Cents, und meine Rechenkunst erwies sich als vollkommen ungenügend, um festzustellen, ob ich der Mann war, der zehn Cents besaß oder eine Farm oder zehn Dollars oder alles zusammen. Kurzum – ich ließ ihm die zehn Dollars und die Farm obendrein, denn ich hatte mein Spiel weit genug getrieben. Mit andern Worten: um großmütig zu sein, verkaufte ich die Farm um denselben Preis an ihn, den ich bezahlt hatte und schenkte ihm, da er kein reicher Mann war, zehn Dollars. Trotzdem hatte ich noch meine zehn Cents, die Aussaat und das Material für einen Schubkarren in meinem Besitz. Und so erkannte ich, daß ich ein reicher Mann gewesen war, ohne an meiner Armut irgend eine Einbuße erlitten zu haben. Die Landschaft blieb ja ohnehin mein Eigentum, und alljährlich habe ich seither, was sie hervorbrachte, ohne einen Schubkarren davongetragen. Ja, die Landschaft! ...

»Soweit mein Auge reicht, bin ich der König!
»Dies Recht soll niemand mir bestreiten.«

Ich sah häufig einen Dichter, der die Farm verließ, wenn er an ihren wahren Schätzen sich erquickt hatte. Der mürrische Farmer dagegen glaubte, daß er sich nur ein paar wilde Äpfel genommen habe. Ja, der Besitzer selbst weiß oft jahrelang nichts davon, daß ein Dichter sein Landgut in Reime setzte, es durch das herrlichste, unsichtbare Gitter einhegte, die Kühe molk, den Rahm von der Milch schöpfte, und dem Farmer nichts als abgerahmte Milch zurückließ.

Daß mir gerade die Hollowell-Farm so sehr gefiel, hatte folgende Gründe: Das Gut war völlig abgelegen, denn die Entfernung bis zum Dorf betrug zwei Meilen, bis zum nächsten Nachbar eine halbe Meile. Außerdem trennte ein breites Feld das Farmhaus von der Landstraße. Ferner grenzte das Besitztum an den Fluß, und die Nebel – so behauptete wenigstens der Eigentümer – schützten es im Frühling vor Nachtfrösten. Das war mir allerdings ganz einerlei. Die graue Farbe, der verfallene Zustand des Hauses und des Stalles, und die zerbrochenen Zäune vergrößerten den Zeitraum, der zwischen mir und dem letzten Bewohner verstrichen war. Die hohlen, mit Flechten bedeckten Apfelbäume waren von Kaninchen benagt und zeigten mir, von welcher Art hinfort meine Nachbarn sein würden. Vor allem aber wurde ich an meine ersten Fahrten flußaufwärts erinnert. Das Haus konnte man von dort aus nicht sehen, es lag in einem dichten Hain roter Ahornbäume versteckt. Nur den Haushund hörte man bellen. Ich hatte es eilig mit dem Kauf, um zu verhüten, daß der Besitzer einige Felsblöcke ganz bloßlege, die hohlen Apfelbäume umhaue und einige junge Birken, die auf der Weide in die Höhe sproßten, ausgrübe, kurz, um weitere Verbesserungen seinerseits hintenan zu halten. Um diese Vorzüge genießen zu können, war ich bereit die Farm zu übernehmen. Ich wollte, wie Atlas, die Welt auf meine Schultern nehmen – ich habe übrigens niemals erfahren können, welches Entgelt er dafür bekam –, alle Arbeit willig verrichten; und zwar hatte ich dafür keinen andern Grund, keine andre Entschuldigung, als daß ich nach geleisteter Zahlung mich ungestört ihres Besitzes erfreuen wollte. Denn das wußte ich während der ganzen Zeit, daß die Ernte, auf die es mir ankam, überreichlich ausfallen würde, wenn ich allen Dingen ihren Lauf ließe. Die Angelegenheit endete übrigens so wie ich bereits mitteilte.

Alles was ich also über Landwirtschaft im großen Stil sagen kann, – ich habe stets einen Garten gehabt – ist, daß ich meine Aussaat vorbereitet hatte. Viele glauben, daß der Samen mit der Zeit besser wird. Ich bezweifle nicht, daß die Zeit das Gute vom Bösen scheiden wird, und wenn ich schließlich säe, werde ich wahrscheinlich nicht so leicht eine Enttäuschung erleben. Ich möchte aber meinen Freunden ein für alle Mal anraten: Lebt so lange wie möglich frei und ungebunden. Es macht nur wenig Unterschied, ob Ihr an eine Farm oder in einem Gefängnis gebunden seid.

Der alte Cato, dessen Buch de re rustica mein »Sämann« ist, behauptet (und die einzige Übersetzung, die mir vor Augen gekommen ist, gibt diese Stelle geradezu unsinnig wieder): »Willst Du eine Farm erwerben, mußt Du es Dir recht überlegen, und nicht zu hastig sein. Scheue keine Mühe, sondern betrachte sie gründlich und glaube nicht, daß es genügt, wenn Du einmal um sie herumgehst. Je häufiger Du dorthin gehst, desto besser wird sie Dir gefallen, wenn sie gut ist.« Ich glaube, ich werde nicht in Übereilung kaufen, sondern all mein Leben lang um die Besitzung herumgehen. Wenn ich daselbst erst begraben bin, werde ich sie schließlich ganz in mein Herz schließen.

Das jetzige, zweite Experiment dieser Art will ich etwas ausführlicher beschreiben, und zwar will ich der Bequemlichkeit halber die Erfahrungen zweier Jahre in eines zusammenziehen. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß ich keine Ode an die Traurigkeit dichten, sondern lustig und stolz wie der Hahn am Morgen auf seinem Balken krähen will, und wäre es auch nur, um meine Nachbarn aufzuwecken.

Als ich meinen Wohnsitz im Walde aufzuschlagen, d. h. als ich dort nicht nur meine Tage, sondern auch meine Nächte zuzubringen begann – das geschah übrigens zufällig am 4. Juli 1845, am Jahrestag der Unabhängigkeits-Erklärung Der vierte Juli ist ein amerikanischer Nationalfeiertag zur Erinnerung an die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von England (4. Juli 1776). – war mein Haus noch nicht gegen den Winter gewappnet, sondern bot nur gegen den Regen Schutz. Es hatte weder einen Bewurf, noch einen Kamin, die Wände bestanden aus rohen, wettergefleckten Brettern mit großen Spalten, so daß es kühle Nächte gab. Die groben, weißen, behauenen Pfosten, die frisch gehobelte Tür- und Fensterverkleidung verliehen dem Haus ein sauberes und luftiges Aussehen, hauptsächlich morgens, wenn das Holz vom Tau befeuchtet war. Ich dachte dann, daß um die Mittagszeit irgend ein duftendes Harz daraus hervorquellen würde. In meiner Phantasie behielt es während des Tages mehr oder weniger diesen morgentaufrischen Charakter. Es erinnert mich an ein Haus auf einem Berge, das ich im letzten Jahr besucht hatte. Das war eine luftige Hütte ohne Bewurf, geeignet zur Rast für einen wandernden Gott. Eine Göttin hätte ihre Gewandung hier nachschleppen lassen können. Die Winde, die übers Haus dahinzogen, glichen denen, die über Bergesgipfel stürmen. Sie trugen mir zerrissene Akkorde zu, göttliche Klänge in irdischer Musik ... Ohne Unterlaß weht der Morgenwind, die Schöpfungsmelodie ist unendlich, doch nur wenige Ohren...

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