3 «I have bomb, I have pistol, you have no chance.»
Die gescheiterte Entführung einer EL-AL-Maschine am 10. Februar 1970
Dienstag, der 10. Februar 1970; es sind noch 928 Tage bis zur Olympiade. München ist trotz des Schrecks, den die ersten Nachrichten von den Ereignissen des Vortages auf dem Flughafen Riem ausgelöst haben, immer noch in Feierlaune. Traditionellerweise steht an diesem Tag der Faschingskehraus an. Doch das Wetter ist weiterhin ungemütlich nasskalt. Die starke Bewölkung wird nur hin und wieder von kurzfristigen Sonnenscheinabschnitten durchbrochen. Von den Bergen der nahegelegenen Alpen ist nichts zu sehen, sie sind vollständig in Wolken gehüllt. Immer wieder kommt es zu schauerartigen Schnee- und Regenfällen. Während die Temperaturen tagsüber nur wenig über die Nullgradgrenze gelangen, ist für die Abend- und Nachtstunden leichter Frost mit Straßenglätte vorhergesagt. Ein böig auffrischender Westwind macht das Schmuddelwetter noch unangenehmer, als es ohnehin schon ist.
Während die Lokale dabei sind, sich auf einen heiteren Nachmittag und eine feuchtfröhliche Nacht vorzubereiten, machen sich einige tausend Kilometer voneinander entfernt zwei Flugzeuge fast zur selben Zeit auf den Weg in die bayerische Landeshauptstadt. Um 8.45 Uhr startet von dem in der Nähe von Paris gelegenen Flughafen Orly aus eine Maschine der Air France (Flugnummer AF 730). Mit an Bord sind drei junge Araber. Sie besitzen falsche Pässe und führen Waffen mit sich, die bei der Zollkontrolle nicht entdeckt worden sind.
Mit einer Verspätung von 25 Minuten startet um 8.40 Uhr mitteleuropäischer Zeit eine Boeing der israelischen Fluggesellschaft EL AL (Flugnummer LY 435) auf dem Flughafen Lod bei Tel Aviv. In München soll nur eine Zwischenstation gemacht werden; das eigentliche Ziel ist London. An Bord befinden sich rund 70 Passagiere, vier Mann Personal, sechs Stewardessen und zum Schutz vor Anschlägen ein Steward vom israelischen Sicherheitsdienst. Zu den Passagieren zählen auch ein aus Deutschland geflohener Jude mit seinem Sohn. Der 56-jährige Heinz Katzenstein ist in Marburg geboren, sein 32-jähriger Sohn Arie hingegen in Haifa.18 Die beiden sind von Yuval Katzenstein, Aries jüngerem Bruder, zum Flughafen gebracht worden. Das Auto, mit dem sie gekommen sind, ein Ford Taunus, ist ganz neu. Weil Arie Katzenstein unbedingt einen neuen Wagen haben wollte, haben ihm sein Vater und sein Bruder den Gefallen getan und ihm einen gekauft. Mit diesem nagelneuen Wagen fährt Yuval nun allein vom Flughafen aus zurück nach Jerusalem. Er ahnt noch nicht, welche Nachricht ihn dort erwarten wird.
Die Air-France-Maschine landet um 10.08 Uhr in München-Riem. Die drei Palästinenser begeben sich in den Transitraum. Sie besitzen Bordkarten für den Weiterflug nach Rom, der um 14.30 Uhr starten soll. Nacheinander begeben sie sich auf die Toilette, inspizieren ihre Waffen und machen ihre Pistolen einsatzfähig. Um nicht weiter aufzufallen, nehmen sie im Restaurant an drei verschiedenen Tischen Platz.
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Am Viktualienmarkt erreicht der «Tanz der Marktfrauen» seinen Höhepunkt. Bereits um sieben Uhr haben sich dort als Can-Can-Tänzerinnen, Pin-up-Girls, Zofen und Zigeunerinnen verkleidete Obst- und Gemüsehändlerinnen zu ihrem alljährlichen Stelldichein versammelt. Aus den Lautsprechern dröhnt «Grüezi wohl, Frau Stirnimaa», der ultimative, aus der Schweiz stammende Faschings-Ohrwurm. Bei einigen der «Marktweiberl» stellt sich jedoch heraus, dass es sich nicht um Närrinnen, sondern um als Revue-Girls verkleidete Narren handelt.
Auch im Vorort Trudering zieht ein von einem Kübelwagen angeführter Faschingszug durch die Straßen. Eine Teilnehmerin schiebt einen Kinderwagen vor sich her, auf dem die lakonisch anmutende Aufschrift zu lesen ist: «Mit Pille wär das nicht passiert.» Und in Anspielung auf das Beinahe-Unglück vom Tag zuvor in München-Riem heißt es: «Trudering ist lustig und schön, da kann man die Flieger aufsteigen und runterfallen seh’n.»19 Einen derartigen schwarzen Humor kann man sich offenbar nur dann leisten, wenn noch einmal alles gutgegangen ist.
Zur Mittagszeit sperrt die Polizei für die Narren und Närrinnen die gesamte Innenstadt. Im Bereich Marienplatz, Sendlinger Straße, Rosenstraße und Rindermarkt ist kein Auto mehr unterwegs. Überall herrscht buntes Treiben. Aus den Lautsprechern dröhnt Musik. Junge Leute tanzen, mit Spielzeugpistolen wird umhergeknallt, Luftschlangen und Konfetti fliegen durch die Luft. Erst als am Himmel eine dunkelblaue Wand aufzieht, die Sonne endgültig verschwindet und ein leichtes Schneetreiben einsetzt, beginnen sich die Reihen langsam zu lichten.
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Am selben Vormittag findet im Bundeskanzleramt in Bonn unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt ein zweieinhalbstündiges Gespräch über die Nahost-Politik statt.20 Daran nehmen auch Außenminister Walter Scheel, Innenminister Hans-Dietrich Genscher, Verteidigungsminister Helmut Schmidt, der SPD-Abgeordnete Hans-Jürgen Wischnewski und andere Nahost-Experten teil. Da in Kürze ein Besuch des israelischen Außenministers Abba Eban bevorsteht und im März der seines tunesischen Amtskollegen erwartet wird, soll die Position der Bundesrepublik genauer bestimmt werden. Der Bundeskanzler betont, wie sehr ihm an einer ausgewogenen Politik in einem Spannungsgebiet wie dem Nahen Osten gelegen sei, ohne dass das zu einer Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal Israels führe.
Der als «Brandts Nordafrika-Experte» (Der Spiegel) geltende Wischnewski hat seine Fühler bereits in Richtung der Maghreb-Staaten ausgestreckt. Zur Jahreswende hatte er sich in Tunis und Tripolis zu Sondierungsgesprächen mit dem tunesischen und dem libyschen Außenminister getroffen. Geplant sein soll ein «Geheimtreffen» zwischen Bundesaußenminister Scheel und einem seiner arabischen Kollegen.21 Um Israel nicht von vornherein zu verärgern oder zu beunruhigen, will man es auf neutralem Boden durchführen.
Scheel erinnert nun im Kanzleramt daran, dass es zu den Grundsätzen der Bundesrepublik gehöre, keine Waffen in Spannungsgebiete zu liefern. Die Normalisierung in den Beziehungen zu den arabischen Staaten dürfe nicht auf Kosten Israels gehen. Um sich den Vorwurf zu ersparen, dass es sich bei der Gewährung größerer Kredite gegenüber Israel doch nur um eine andere Form der Waffenlieferung handle, solle der Grundsatz gelten, Israel so lange keine Finanzhilfe zu gewähren, wie dies nicht auch offen vertreten werden könne. Keiner der Teilnehmer ahnt, dass es wegen des Nahostkonflikts nur wenige hundert Kilometer entfernt zu einem blutigen Gewaltakt kommen wird. Und dass die Begründung, die dafür später ins Feld geführt wird, lautet, dass man die Unterstützung Israels mit bundesdeutschen Waffen nicht akzeptieren könne.
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Währenddessen tagt der jordanische Ministerrat in Amman, um über die angespannte Lage im Nachbarland Israel zu beraten. Nicht nur westliche Beobachter befürchten, dass es zum Ausbruch eines Bürgerkrieges kommen könnte. Die Bedeutung der Sitzung wird dadurch unterstrichen, dass an ihr auch König Hussein, Kronprinz Hassan und der Oberkommandierende der Streitkräfte teilnehmen. Das Ergebnis ist eine zwölf Punkte umfassende Anordnung zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit. Die jordanische Regierung versucht damit, auf die Machtausweitung palästinensischer Organisationen, insbesondere der PLO und der Fatah, zu reagieren, die bis an die Zähne bewaffnet sind und sich wie ein Staat im Staate gebärden.
Seit dem Ende des Sechs-Tage-Krieges sind immer mehr Palästinenser aus den israelisch besetzten Gebieten nach Jordanien geflohen. Gleichzeitig hat die PLO samt ihren Unter- und Nebenorganisationen einen beträchtlichen Zulauf bekommen. Ganz offensichtlich dürsten sie nach einer Gelegenheit, um die Schlappe wettzumachen und ihre Gebiete zurückzuerobern. Im Grunde sehen sie das Nachbarland als eine Art Aufmarschgebiet an, von dem aus sie sich militärisch wappnen und ihre Operationen vorbereiten können. Da König Hussein – wenn auch mit großer Vorsicht – einen prowestlichen Kurs vertritt, ist der Konflikt letztlich unausweichlich. Durch die Anordnung seiner Regierung wird den Palästinensern nun das Tragen von Waffen verboten; sie sind gezwungen, eine Identitätskarte mit sich zu führen und ihre Fahrzeuge mit den vorgeschriebenen jordanischen Kennzeichen auszustatten. Es wird sich jedoch schon bald zeigen, dass diese Maßnahmen nur wenig fruchten.
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Die EL-AL-Maschine hat derweil über den Alpen wegen starken Schneetreibens weitere 25 Minuten verloren. Sie landet schließlich mit einer Verspätung von insgesamt 50 Minuten um 12.26 Uhr auf dem Flughafen München-Riem. Ursprünglich hätte sie bereits um 12.10 Uhr nach London weiterfliegen sollen. Passagiere und Piloten verlassen das Flugzeug, lediglich die Stewardessen und der Sicherheitsmann bleiben an Bord. 18 Passagiere wollen nach London weiterfliegen. Bis auf zwei begeben sie sich zusammen mit der Crew in den Transitraum. Wegen der seit anderthalb Jahren gestiegenen Gefahr von Terroranschlägen werden alle israelischen und arabischen Maschinen am Rande des Flugfeldes platziert und von zwei Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag gesichert.
Sieben...