Brot aus der Bäckerei
Auch in urig anmutenden Bäckereien wird selten noch vor Ort geknetet und gebacken. Was macht echtes Backhandwerk aus und wie erkennen Sie handwerklich gebackenes Brot?
Während die einen den Begriff Handwerk wörtlich auslegen und auf maschinelle Unterstützung zugunsten der Handarbeit weitgehend verzichten, mechanisieren die anderen so viele Arbeitsvorgänge wie irgend möglich. Beide backen Brot, aber worin unterscheiden sich Handwerksbrot und Industriebrot?
Die Politik zieht eine flexible und rechtliche Grenze zwischen handwerklichen und industriellen Betrieben, die den Qualitätsaspekt außen vor lässt: „Die Bundesregierung folgt bei der Abgrenzung von Handwerk und Industrie – auch im Lebensmittelbereich – dem dynamischen Handwerksbegriff, der in der Handwerksordnung angelegt und durch die Rechtsprechung anerkannt ist. Die Entscheidung über die organisatorische Zugehörigkeit eines Betriebes zum Handwerk kann danach nur im Einzelfall auf der Grundlage einer umfassenden Betrachtung der Gesamtstruktur des betreffenden Unternehmens erfolgen“, lautete die Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen im Deutschen Bundestag im Jahr 2015.
Moderner und historischer Hubkneter
Hubknetmaschinen sind dem Kneten von Hand nachempfunden und kneten besonders schonend und lange. Sie werden vor allem für Roggen- und Dinkelteige eingesetzt. Während sich der Arm hebt und senkt, dreht sich die Schüssel.
Was ist Bäckerhandwerk?
Von der historischen Seite betrachtet, war der Bäcker seit jeher befähigt, sich an schwankende Mehlqualitäten anzupassen. Je nach den Erntebedingungen musste er den Teig weicher oder fester, kühler oder wärmer, länger oder kürzer führen. Erst mit dem Aufkommen von moderner Landwirtschaft und Müllerei, dem Einsatz von Mehlbehandlungsmitteln sowie Zusatz- und Hilfsstoffen im Teig war der Bäcker nicht mehr gezwungen, seine Verfahren an den Rohstoff anzupassen. Der Rohstoff wurde dem Verfahren angepasst.
Klein- oder Großbäckerei? Eine klare Abgrenzung gibt es nicht. Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks teilt die Backbetriebe unter anderem nach Umsatz ein: weniger als 500 000 Euro Jahresumsatz, zwischen 500 000 und 5 Mio. Euro Jahresumsatz, mehr als 5 Mio. Euro Jahresumsatz. Die Europäische Kommission unterscheidet nach Mitarbeiteranzahl und jährlichem Umsatz. Demnach erwirtschaften Kleinstbetriebe mit maximal zehn Beschäftigen weniger als 2 Mio. Euro, Kleinbetriebe mit maximal 50 Mitarbeitern höchstens 10 Mio. Euro und mittlere Betriebe mit maximal 250 Beschäftigten weniger als 50 Mio. Euro. Großbetriebe beschäftigen danach mehr als 250 Mitarbeiter und/oder erwirtschaften einen Umsatz von mehr als 50 Mio. Euro. Allerdings schließt die Betriebsgröße weder aus noch ein, dass handwerklich gebacken wird.
Durch Backmittel und Maschinen wurde Brotbacken plötzlich einfacher und Wissen ging verloren. Der Bäcker gab einen Teil seiner Verantwortung an die Backmittel- und Maschinenhersteller ab und wurde dadurch immer abhängiger. Heute bräuchte ein Bäcker noch nicht einmal mehr die Finger am Teig haben. Fertigteiglinge zum Aufbacken gibt es zahlreich, auch in guter geschmacklicher Qualität. Das aber kann kein Handwerksbäcker mehr sein, oder?
- Vorschlag einer Definition
Ein Handwerksbäcker ist ein souveräner Bäcker, der auf Basis von traditionellem und modernem Wissen naturbelassene Rohstoffe und natürliche Prozesse zur Herstellung von Backwaren nutzt und dabei auf natürlichem Wege auf Schwankungen von Rohstoffqualitäten reagieren kann. Er setzt sich mit seinem Handwerk bewusst für den Aufbau, den Erhalt und die Förderung der Handwerker seiner regionalen Wertschöpfungskette ein.
Kleine Bäcker können ihr Sortiment genauso mit Vormischungen und Fertigteiglingen aufbauen, wie Großbäckereien hoch mechanisiert, aber handwerklich im oben genannten Sinne arbeiten können. Wichtig ist, dass der Bäcker sich vorher Gedanken darüber gemacht hat, was für ihn ein gutes Brot ist und ob er den Bezug zu seinem Lebensmittel bewahren möchte. Doch nicht nur darüber sollte er sich den Kopf zerbrechen, sondern im besten Falle über alle Aspekte, die davor und danach einen Einfluss auf die Brotqualität haben – vom Saatgut bis zur Landwirtschaft, von der Mühle bis zur Backstube, vom Ladentisch bis zu Ihnen, dem Brotesser.
Moderner Etagenofen in einem Kleinstbetrieb
Der Ofen wird elektrisch betrieben. Jede Backkammer kann einzeln temperiert und bedampft werden. Durch Programmierung des Ofencomputers kann der Ofen den Backvorgang vollautomatisch steuern.
Warum gibt es immer weniger handwerkliche Bäckereien?
Die Chance, in einem kleinen Bäckereibetrieb ein naturbelassenes Brot zu finden, ist in aller Regel größer als bei einem Großbetrieb. Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit gering, denn auch viele Kleinbetriebe arbeiten indirekt über Vormischungen oder Spezialbackmittel mit Zusatz- und Hilfsstoffen.
Mythos Ostschrippe: Klein und fest, aber unübertroffen im Geschmack – viele Deutsche schwelgen in Erinnerungen an die Ostschrippe. Handelt es sich dabei um Ostalgie, oder war die Qualität wirklich so gut? Eindeutig beweisen lässt sich das nicht mehr, aber erklären. So war das Mehl in der DDR unbehandelt, also zum Beispiel frei von Ascorbinsäure und technischen Enzymen. Heute helfen diese Zusatzstoffe unter anderem dabei, dass der Teig besser aufgeht und die Krume lockerer wird. „Die eine“ Ostschrippe aber gab es wohl nicht. Sie war eher das Resultat täglicher Improvisationskunst – mal war die Hefe zu trocken, mal das Mehl nicht ideal. Handwerksbäcker glichen das mit vielen Kniffen, Wissen und Erfahrung aus, ließen den Teig etwa lange ruhen oder gaben Teig vom Vortag zu. Das verbesserte ganz nebenbei auch den Geschmack.
Um mit den über mittlere und große Betriebe belieferten Filialbäckereien, Backshops und Discountern mithalten zu können, stellten über die Jahre viele kleine Betriebe ihr Sortiment und ihre Produktionsbedingungen um. Ziel war eine ebenso breite Auswahl an Broten, Klein- und Feingebäck, wie es die großen Betriebe anboten. Außerdem veränderte sich das Kaufverhalten. Wurde früher noch morgens beim Bäcker gekauft, kaufen heute viele Menschen entweder Snacks zwischendurch oder Brot und Brötchen erst in den Abendstunden. Die Erwartung der Kundschaft, auch abends noch volle Brotregale vorzufinden, stellte kleine Betriebe vor schicksalhafte Veränderungen.
Der Maschinenpark wurde vergrößert. Es kamen Vormischungen oder Fertigmischungen, gar Tiefkühlteiglinge zum Einsatz, um mit der vorhandenen Arbeitskraft die gestiegenen Anforderungen erfüllen zu können. Als Folge daraus sank die Qualität auf ein Niveau, das dem der Discounter und Backshopketten in nichts nachstand. Kein Wunder, denn die Rohstoffquellen waren nun dieselben, die Verarbeitung ähnlich.
Und dennoch konnten die Kleinbetriebe ihre Backwaren nur teurer anbieten als die Konkurrenz, weil bei der im Vergleich geringen Produktionsmenge Lohn- und Energiekosten viel stärker zu Buche schlugen. Der scheinbar einzige Ausweg war: weitere Expansion, mehr Filialen, mehr Mechanisierung.
Tipp vom Profi
Achten Sie beim Bäcker auf ein kleines Sortiment und die Kernkompetenz des Bäckers. Nicht alles, was in der Auslage liegt, ist von gleich guter Qualität. Fragen Sie kritisch nach, welche Backwaren tatsächlich nur aus den Grundrohstoffen Mehl, Wasser und Salz (und eventuell Hefe) hergestellt werden. Halten Sie die Augen auf: Brote kleinerer Bäckereien, die mit professionell gestalteter Banderole verkauft oder mit professionellen Plakaten beworben werden, sind meistens aus zugekauften Vormischungen der Backindustrie entstanden.
Metamorphose der deutschen Bäckerlandschaft
So ist es kein Wunder, dass in den letzten knapp zwanzig Jahren (1995–2014) etwa 45 Prozent der Bäckereien verschwunden sind, die Beschäftigtenzahl aber nur um circa 7 Prozent zurückgegangen ist. Immer weniger Betriebe backen immer mehr Brot. Jeden Tag schließt in Deutschland auch heute noch eine Bäckerei ihre Türen, meistens der klassische Kleinst- oder Kleinbetrieb.
Vor wenigen Jahrzehnten sah die Bäckerlandschaft noch anders aus. Typisch war der Familienbetrieb mit Backstube und Verkaufsstelle in einem Haus: der Bäcker in der Backstube, seine Frau im Verkauf. Das Sortiment war übersichtlich, drei bis fünf Brotsorten, fünf bis zehn Kleingebäckarten. Die regionale Vielfalt war größer. Heute gibt es in ganz Deutschland Laugenbrezeln, Seelen oder Schrippen. Die Vereinheitlichung des Angebots schreitet voran.
Viel mehr als einen Backofen und eine Knetmaschine brauchte der Bäckermeister damals nicht, um gutes Brot zu backen. Handarbeit war gefragt. Auch heute gibt es noch derartige Kleinstbetriebe, aber sie kämpfen ums Überleben. Ihr Sortiment ist meist ein Kompromiss aus traditionellen Rezepturen, Rezepten mit komplexen Backmittelzugaben und zugekauften Backwaren in Form von Backmischungen oder Tiefkühlteiglingen.
Die Zukunft kleiner Bäckereien liegt in der Vergangenheit
Diejenigen, die nicht kämpfen müssen, haben sich auf ihre Kernkompetenz besonnen und backen beispielsweise nur Brot oder nur Kleingebäcke, je nach fachlicher Vorliebe des Bäckers, dann aber richtig gut. Sie backen das, was Großbetriebe nicht leisten können. Sie haben ihre Nische und ihre Kundschaft gefunden.
Auch für eher traditionell beziehungsweise ursprünglich arbeitende Kleinbetriebe hat sich das Arbeitsregime verändert. Dank technischer...