Wie in Kapitel 2 festgestellt, verändert sich die E-Commerce-Branche ständig. Neue Geschäftsmodelle entstehen, andere werden erweitert und wieder andere sterben aus. Disruption, hervorgerufen durch Innovation, ist ein Stichwort, welches längst nicht mehr nur traditionelle Branchen verunsichert. Auch vermeintlich moderne E-Commerce-Unternehmen müssen ständig ihr Geschäftsmodell und ihre Unternehmensstrategie überdenken, um nicht abgelöst zu werden, wie es bspw. bei Firmen wie MySpace, AOL oder Napster der Fall war.
Es ist deshalb von großer Bedeutung, strategische Erfolgsfaktoren im E-Commerce zu betrachten und zu untersuchen, inwieweit sie in diesem wachsenden Sektor eine Rolle spielen. Dazu soll im Folgenden zunächst eine Auflistung der in der Literatur vorherrschenden Systematisierungsansätze von Erfolgsfaktoren stattfinden. Danach sind die in der Recherche identifizierten strategischen Erfolgsfaktoren in eine passende Kategorisierung einzuordnen und zu erläutern, weshalb die verschiedenen Autoren diese Faktoren als ausschlaggebend für den Erfolg ansehen. Hierbei ist zu erwähnen, dass die Auswahl der genannten Erfolgsfaktoren keinen Vollständigkeitsanspruch besitzt. Rusnjak (2014) ermittelte in seiner Arbeit aufbauend auf Erfolgsfaktorenstudien bereits 48 einzelne Erfolgsfaktoren für E-Commerce-Unternehmen.[82] Werden noch die Erfolgsfaktoren aus der Fachliteratur dazugezählt, ist die Anzahl von betitelten Erfolgsfaktoren enorm.[83] Der Umfang der Arbeit beschränkt die Nennung der Vielzahl von in der Literatur identifizierten Erfolgsfaktoren.
In Kapitel 3.2 werden eine Auswahl der wichtigsten und meist diskutierten strategischen Erfolgsfaktoren genauer erläutert und die Anwendbarkeit innerhalb E-Commerce-Unternehmen analysiert. Grundlage des Kapitels sind Lehrbücher sowie Forschungsarbeiten. Die kritische Diskussion der Erkenntnisse in Kapitel 3.3 bildet den Abschluss des dritten Kapitels.
Aus Übersichtlichkeitsgründen bietet es sich an, Erfolgsfaktoren in Kategorien einzuordnen.[84] In der Literatur existieren mehrere Systematisierungsansätze, von denen eine Auswahl im Folgenden kurz dargelegt wird, um im Anschluss eine für die Arbeit passende Kategorisierung auszuwählen.
Seibert (1987) nimmt eine Differenzierung zwischen generellen, branchenspezifischen und unternehmensspezifischen Erfolgsfaktoren vor. Generelle Erfolgsfaktoren gelten für jedes Unternehmen, während die branchenspezifischen nur für einen gewissen wirtschaftlichen Sektor zutreffen. Unternehmensspezifische Erfolgsfaktoren hingegen sind abhängig von individuellen Geschäftsmodellen und internen Spezifika.[85]
Kowallik (2004) hingegen unterteilt in quantitative und qualitative Erfolgsfaktoren.[86] Quantitative Erfolgsfaktoren zeichnen sich durch klare Messbarkeit aus, bspw. in der Umsatzentwicklung oder anhand von Konversionsraten im Online-Marketing. Qualitative Erfolgsfaktoren sind nicht oder nur schwierig messbar. Beispiele hierfür sind z.B. das Marken-Image, die Produktqualität oder die Kundenzufriedenheit.
Kroiß (2003) nimmt eine Einteilung in endogene und exogene Erfolgsfaktoren vor.[87] Endogene Erfolgsfaktoren sind Determinanten, die durch das Unternehmen und dessen Manager beeinflussbar sind, während exogene Erfolgsfaktoren durch das Unternehmensumfeld beeinflusst werden, und das Unternehmen auf diese Umstände zu reagieren hat. Exogene Erfolgsfaktoren sind hierbei als Rahmenbedingungen zu sehen, die entscheidend zum Unternehmenserfolg beitragen.[88]
Nach dem 7-S-Konzept nach Peters und Watermann (2003) erfolgt eine Untergliederung in harte und weiche Erfolgsfaktoren.[89] Harte Erfolgsfaktoren bestimmen die Effektivität und Effizienz des Unternehmens und sind aufgrund von Plänen und Strategiedokumenten greifbar. Weiche Faktoren beschreiben menschliche und kulturelle Unternehmensaspekte und Werte, die weniger gut greifbar sind.
Aufgrund der Vielzahl möglicher strategischer Erfolgsfaktoren, die in der Literaturrecherche festgestellt wurden, ist eine heterogene Zuordnung in die verschiedenen Kategorien nicht immer zweifelsfrei möglich.[90] Im Folgenden wird aufgrund der vergleichsweise einfachen Anwendung eine Kategorisierung nach harten und weichen strategischen Erfolgsfaktoren vorgenommen. Abbildung 3 zeigt häufig diskutierte Erfolgsfaktoren in der recherchierten Literatur.
Abbildung 3: Übersicht und Einordnung der strategischen Erfolgsfaktoren
Quelle: Eigene Darstellung
Einer der harten Erfolgsfaktoren ist die Vertriebsstrategie. Lasko und Lasko (2018) sehen bspw. den Vertrieb im Unternehmen als zentrale Herausforderung und Schlüssel für nachhaltigen Erfolg an.[91] Fost (2014) prognostiziert, dass sich „produzierende Unternehmen [...] ohne E-Commerce-Vertriebskanal [...] nicht mehr langfristig behaupten können“[92], da sich die Lebensgewohnheiten der Bevölkerung verändern. Heinemann (2018) merkt an, dass gerade für E-Commerce-Unternehmen eine durchdachte (Multi-Channel-)Vertriebsstrategie von großer Relevanz ist, da ein Kannibalisierungseffekt unter mehreren Vertriebskanälen stattfinden kann, der Umsätze sinken lässt.[93] Speziell hier setzt auch die aktuell vielfach diskutierte Omni-Channel-Strategie an, bei der die verschiedenen Vertriebskanäle einander angepasst und synergetisch genutzt werden.[94]
Konflikte, die aus den verschiedenen Vertriebskanälen entstehen können, gilt es innerhalb des Marketings zu managen.[95] Für viele Autoren stellt dementsprechend die Marketingstrategie einen weiteren wichtigen strategischen Erfolgsfaktor im E-Commerce dar.[96] Eine Schwierigkeit besteht jedoch darin, das Marketing vom Vertrieb abzugrenzen, da bspw. Onlineshops grundsätzlich beides sein können.[97] Nach der Unterscheidung von Homburg und Jensen (2007) ist der Vertrieb als kurzfristige Stimme der Kunden zu sehen, während Marketing die langfristige Stimme der Produkte darstellt.[98] Nach Stallmann und Wegner (2015) zählt die Marketingstrategie zu den besonders erfolgskritischen Faktoren, da E-Commerce-Unternehmen möglichst schnell eine kritische Masse an Kunden finden müssen, um Reputation aufzubauen.[99] Des Weiteren fand Böing (2001) in seiner Forschungsarbeit heraus, dass ein Mix aus verschiedensten Marketing-Maßnahmen im Internet direkten Einfluss auf den Unternehmenserfolg im E-Commerce hat.[100]
In den letzten 20 Jahren ist disruptive Innovation immer mehr in den Medien diskutiert worden.[101] Innovation stellt nach Ansicht mehrerer Autoren einen Erfolgsfaktor für Unternehmen dar.[102] So ist nach Große Holtforth (2017) Innovation einer der wichtigsten strategischen Erfolgsfaktoren für E-Commerce-Unternehmen, da aufgrund von gesteigerter Leistungsfähigkeit und Ressourceneffizienz Wettbewerbsvorteile ausgebaut und dadurch überdurchschnittliche Gewinne erwirtschaftet werden können.[103] Heinemann (2018) beschreibt in seinem Werk, dass Innovationen zu Zeitvorteilen, sog. „First-Mover“-Vorteilen[104], führen, welche auschlaggebenden Einfluss auf den E-Commerce-Erfolg haben.[105] Böing (2001) sieht technologischen Fortschritt als einen der maßgeblichen Treiber für Innovation.[106] Entsprechend identifiziert er u.a. Innovationsmanagement und Technologieorientierung als zentrale Erfolgsfaktoren für E-Commerce-Unternehmen.[107] Steuernagel (2017) spricht der Forschung und Entwicklung, als Teilbereich des Innovationsmanagements, zentrale Bedeutung für den Unternehmenserfolg zu.[108]
Kundenorientierung zählt laut Manzoor (2018) zu einem der wichtigsten Erfolgsfaktoren im E-Commerce.[109] Den Grund hierfür sieht er darin, dass Kunden Bequemlichkeit als wichtigsten Faktor einer Online-Transaktion einschätzen und dafür die Kundenbeziehung einwandfrei sein muss.[110] Große Holtforth (2017) sieht eine einfache Kundenorientierung als nicht mehr ausreichend an und erklärt Kundenzentrierung zu einem der Schlüsselfaktoren im E-Commerce.[111] Er begründet dies mit dem Argument, dass die Unternehmen von Kunden bevorzugt werden, die im Zuge der starken Transparenz im Internet aufgrund von exzellenten Kundenerfahrungen auffallen.[112] Hoberg (2018) bemerkt, dass Individualisierung, als extreme Form der Kundenorientierung, zwar schon im traditionellen stationären Handel ein Erfolgsfaktor war, durch das E-Commerce jedoch in verstärkter Form wiederbelebt wurde.[113] Die technologischen Möglichkeiten erlauben es, Kundendaten und Informationen zu analysieren und so automatisiert auf die Kundenbedürfnisse immer genauer eingehen zu können.[114]...