Was bewegt mein Baby? Was braucht mein Baby? Womit kann ich ihm guttun? Was schadet ihm? Sind das nicht die wichtigsten Themen, die Sie als frischgebackene Eltern bewegen? Lassen Sie mich mit einer kleinen Geschichte beginnen, um anschaulich zu machen, worum es in diesem Buch geht.
Das Bäumchen
Stellen Sie sich vor, Sie setzen eine Eichel in die Erde, damit daraus ein Baum wachsen soll. Ungeduldig umkreisen Sie die Stelle, an der Sie sie vergraben haben – einen Tag, noch einen Tag, noch einen Tag. Nichts rührt sich, nichts tut sich. Sie fangen an, an der Stelle zu graben, an der Sie das Eichelchen gepflanzt haben, und finden es, die Schale ein kleines bisschen geöffnet. Durch diesen winzigen Spalt blitzt ein kleiner Hauch von Hellgrün-Beige. Schnell vergraben Sie den Samen erneut und warten wieder, gespannt, ungeduldig, unschlüssig, was Sie tun sollen. Vielleicht haben Sie eine Art Gebrauchsanleitung, auf der steht: Es ist genug, den Samen zu pflanzen und für gedeihliche Bedingungen zu sorgen. Aber nun dauert das schon so lange – sollten Sie nicht doch mal nachschauen? Und wenn es jetzt schneit und so kalt ist? Erfriert er nicht?
Sollte – müsste – ??? Und diese lange Trockenheit? Was macht die mit Ihrem kleinen Setzling?
So kommen Fragen über Fragen …
Wenn Sie jedoch wissen, dass Ihr Samen Zeit braucht, er sich zuerst mit der Erde anfreunden und dort zurechtkommen muss, werden Sie sich das kontrollierende Ausgraben leichter verkneifen können.
Und wenn Ihnen klar ist, dass Sie nicht gleich nach dem Einsetzen des Samens ein Pflänzchen erwarten können, werden Sie beobachten, dass sich zunächst die Erde ein bisschen wölbt und auftut. Sie schauen ganz anders: genauer, gelassener, mit dem Wissen, worauf Sie achten, wonach Sie suchen müssen.
Und dann blitzt es ein winziges bisschen grün aus dem braunen Erdreich. Sie werden Sorge tragen, dass niemand darauftritt. Das zarte Pflänzchen schützen, dass es nicht verletzt wird. Und wenn es lange nicht regnet, werden Sie ans Gießen denken. Vor dem ersten Winter werden Sie es vielleicht vorsichtig abdecken.
Sie werden das Bäumchen beobachten, ihm Aufmerksamkeit schenken – es wachsen lassen! Sie werden sich auch darüber klar sein, dass es nichts bringt, ihm nur schadet, wenn Sie an seinen ersten Blättchen ziehen, in der Vorstellung, Sie würden damit sein Wachstum anregen, beschleunigen. Genauso wenig werden Sie irgendwelche Manipulationen an ihm vornehmen, damit es endlich Äste treibt!
Was hat diese Geschichte in einem Babybuch zu suchen?
Möchten Sie gern Rat-»Schläge«?
Oder lieber viele praktische Tipps zu Ihren Fragen? Davon finden Sie manche in meinem Buch.
Doch ich möchte Ihnen klarmachen, dass Sie mit den Informationen zu den Wachstumsbedingungen Ihres Kindes, die Sie in diesem Buch bekommen, gut Ihre eigenen Antworten und Lösungen finden können.
Die Begriffe, die in der deutschen Sprache den Umgang mit Babys und Kindern bezeichnen, haben verblüffend viel mit »ziehen« zu tun. Kinder werden er-zogen, es gibt sogar Menschen, die von sich behaupten, sie haben ihre Kinder groß gezogen. Meine sind von alleine gewachsen! Und die vielen anderen auch, die ich zusammen mit ihren Eltern begleitet habe! Ich erwähne das, um Sie zu beruhigen und zu entlasten: Kinder bringen den Impuls zu wachsen, sich zu entwickeln mit auf die Welt! Sie selbst wollen sich entfalten.
Wir brauchen sie auf ihrem Weg nur zu begleiten, ihnen gedeihliche Bedingungen schaffen! Sie können ganz auf die Bereitschaft bauen, die Ihr Kind mitbringt und die sich mit Ihrer eigenen verbinden und verbünden kann. Das Bild vom Bäumchen passt auch deshalb, weil Sie nicht ein einjähriges Böhnchen pflanzen, das nur einen Sommer blüht, sondern unterstützende Bedingungen für Langzeitwirkung und Nachhaltigkeit planen und schaffen.
Viel von dem, was Sie jetzt am Beginn Ihrer Beziehung mit Ihrem Baby planen, wird Früchte tragen,
? wenn es sich im Kindergarten in einer Gruppe einbringen,
? wenn es seinen Schulalltag bewältigen,
? wenn es die Irrungen und Wirrungen seiner Pubertät überstehen muss.
Um nochmal im Bild zu bleiben: wenn es auch einmal mit Frostzeiten und Insektenbefall, Durstzeiten, Stürmen und Hagel klarkommen muss. Sie geben ihm eine tragende Grundlage, buchstäblich dadurch, dass Sie es auf die Erde bringen. Dadurch, dass es seine Kräfte und Fähigkeiten zunächst im geschützten Spiel-Raum und dann im immer größeren Rahmen entwickeln darf.
Dass es sein Gleichgewicht stabilisieren und seine Orientierung im Raum kennenlernen kann und sein Aufrechtwerden dadurch sicher macht.
Dadurch, dass es sein Fallen erforschen und auch erleiden darf, dass es lernt, dass es immer wieder aufstehen kann.
Sie erlauben ihm zu erfahren, dass es seine Zeit haben darf, um in seiner Art zu seinen Fähigkeiten zu finden.
Entwicklung begleiten statt fördern, fordern, überfordern
Sie geben Ihrem Baby Zeit und Aufmerksamkeit, sich zu entwickeln, seine Gaben zu entfalten. So wie Sie auch dem Bäumchen seine Zeit geben, zunächst Blättchen für Blättchen und Zweiglein für Zweiglein zu treiben.
In unserer Gesellschaft neigen wir dazu, Kindern Fertigkeiten nahebringen zu wollen, bevor sie reif dazu sind. Die Entdeckung, dass es zum Erwerben bestimmter Fähigkeiten bestimmte Zeitfenster gibt, in denen sie sich am leichtesten entwickeln, hat dazu geführt, dass Förderprogramme entstanden sind, die diese Fenster viel zu früh aufstoßen, um »nur ja nichts zu versäumen«. Das ist die große Angst, die die Peitsche schwingt, mit der Kinder aus ihren Spiel-Räumen verjagt werden in Förderprogramme! Und diese Peitsche trifft.
Genauso lange, wie Eltern sich und ihre Kinder diesen Hieben aussetzen.
Dieses Buch will Sie begleiten und unterstützen, damit Sie Ihre eigene Kompetenz, Ihr eigenes Wissen entwickeln. Ich finde es bemerkenswert, dass Menschen mit ihren Welpen und jungen Hunden in die Hundeschule gehen, um zu verstehen, was Hunde zu diesem Verhalten oder zu jener Unart bewegt. Und wie sie die vermeiden können. Bei Kindern hingegen wird der Blick hauptsächlich auf ihre mentalen Fähigkeiten, auf das Erreichen messbarer Ergebnisse gerichtet. Lesen, Schreiben, Kombinieren, Fremdsprachen müssen je früher desto besser erlernt und »spielerisch« eingeflößt werden. Ein solches Vorhaben geschieht ohne Wurzeln und ohne Boden, wie wenn Babys, viel zu früh hingesetzt, zu Sortierspielen und Fingerfertigkeiten angeregt werden. All diese einseitig aus dem Zusammenhang gerissenen Förderprogramme bringen Babys und Kinder aus ihrem Takt, aus ihrer eigenen Entwicklung, aus ihrer ganz persönlichen Zeit mit ihren speziellen Bedürfnissen!
Wie das Gras nicht schneller wächst, wenn man daran zieht, so braucht Ihr Baby keine Programme, die sein Wachstum oder seine Entwicklung beschleunigen.
Kommen wir noch einmal auf die Ausgangsfragen zurück: Was bewegt Ihr Baby? Was braucht Ihr Baby? Womit kann ich ihm guttun? Was schadet ihm?
Das Erste und zugleich Allerwichtigste, was ein Baby braucht, sind gedeihliche Bedingungen.
Und was sind gedeihliche Bedingungen für Ihr Baby?
Da ist die Art, wie Sie es anschauen. Aus Ihrem Blick liest es Wärme, Zuneigung, Liebe, Vertrauen. Das sind die Qualitäten, die es sucht, die es braucht. Denn alle Bereitschaft zu wachsen, sich zu entwickeln, seine Fähigkeiten zu entfalten, die bringt es bereits mit.
Ein kleines Kind braucht Zeit, Ruhe, Ermutigung, Bewunderung und den Respekt, dass es seine Entwicklung vollbringt in seiner Zeit, auf seine ureigene Art und mit seiner Weisheit. Weisheit – ein Baby? Sie haben richtig gelesen! Genau die bringt es mit auf die Welt. Die bewegt es, einen Entwicklungsschritt nach dem anderen zu tun. Eine Entwicklungsstufe nach der anderen zu erklimmen.
Damit Sie es dabei unterstützen und begleiten können, möchte ich meine Erfahrungen, die ich mit unzähligen Babys sammeln durfte, mit Ihnen teilen. Denn auch wenn jedes Kind individuell und einzigartig seinen eigenen Weg geht, seine Entwicklung gestaltet, so gibt es doch die einzelnen Stufen, die erklommen werden wollen, um zum aufrechten Gang zu kommen. Und die sind nach gewissen Gesetzmäßigkeiten folgerichtig aufeinander aufgebaut. So leuchtet es ein, dass Ihr kleiner Forscher gut daran tut, sich zunächst robbend oder krabbelnd fortzubewegen, bevor er das mit Inlineskatern probiert.
Kurz eine Anmerkung zu meinen Ansprechformen: Wenn ich in der männlichen Form von Ihrem Forscher, Entdecker oder Pionier spreche, bitte ich Sie, das nicht als unkorrekte Anrede zu betrachten. Ich habe sehr wohl auch Ihre kleine Abenteurerin, Expertin, Forscherin und Spezialistin im Blick. Um im Fluss unserer Betrachtungen zu bleiben, habe ich mich für die eine – männliche – Version entschieden, ohne damit die weibliche zu missachten.
Stufe für Stufe
Für Ihr Baby ist es hilfreich, wenn es eine Stufe nach der anderen erreichen und in Ruhe erfahren, erleben darf. Wenn Sie es nicht zur Eile drängen, weil das...