Schein und Sein
Archäologen sind cool! Sie haben einen der beliebtesten Berufe der Welt und spielen in einer Liga mit Astronauten, Lokomotivführern und Eisverkäufern. Wer hat noch nie davon geträumt in entlegene Gebiete des Erdballs zu reisen, exotische Gefahren zu bestehen und ein einmaliges Fundstück mitzubringen, damit es zur Mehrung des eigenen Ruhmes in einem Museum von jedermann bestaunt werden kann?
Nur Fiktion?
Dieses romantische Bild des abenteuerlustigen Forschers ist in unserer Zeit maßgeblich durch Dr. Henry Walton Jones Jr., genannt Indiana „Indy“ Jones, geprägt worden. Von Harrison Ford kongenial verkörpert, kämpfte sich der charmante Haudegen seit 1981 durch bisher vier Kinofilme. Nicht zu vergessen sind eine Fernsehserie, diverse Romane, Comics, Handy- und Computerspiele. Selbstverständlich werden echte Archäologen nicht müde zu betonen, dass Indiana Jones mit dem Leben von Archäologen genauso viel zu tun hat, wie Pretty Woman mit dem von Prostituierten. Doch freuen wir uns insgeheim über die unserem Fach zu teil werdende Anerkennung und manch ein Kollege wurde bereits mit Fedora und Bullenpeitsche vor dem Spiegel ertappt (Abb. 1).
Abb. 1. Archäologen pflegen in der Öffentlichkeit gerne ihr Abenteurerimage. (VERFASSER)
In zahlreichen weiteren Film- und Fernsehproduktionen wird ein ähnliches Bild gezeichnet. Das weibliche Gegenstück zu Indiana Jones ist die Professorin Sydney Fox von der Universität Toronto, die sich als „Relic Hunter – die Schatzjägerin“ in drei Staffeln einer Fernsehserie leichter Hand gegen zumeist testosterongesteuerte Widersacher behauptet. Die Powerfrau wird von privaten Sammlern und staatlichen Stellen engagiert, um nach verschwundenen Relikten auf der ganzen Welt zu suchen. Dabei muss sie mehr als einmal ihren etwas unbeholfenen, gleichwohl klugen und mutigen Assistenten Nigel Bailey aus einer gefährlichen Situation retten. Um die Milleniumswende entstanden, gab die Serie durch ihre gendergerechte Identifikationsfigur nun endlich auch die Attraktivität des Faches für das weibliche Geschlecht korrekt wieder. Auf der anderen Seite schlägt die Darstellung des Assistenten den Bogen zurück in das 19. Jahrhundert, wo ein ähnlicher Typus durch den von Karl May erdachten Sir David Lindsay verkörpert wird. Dieser liebenswerte, tapfere Tollpatsch ist den primären archäologischen Interessen seiner Zeit entsprechend vor allem im Orient unterwegs. Beachtenswerterweise sind er und sein jüngeres Pendant beide Engländer.
Vordringlich bei Vertretern aus der Männerwelt scheint die toughe Amazone Lara Croft ihre Anhänger zu finden. Ihre herausragenden Qualitäten mögen dazu eine nicht unerhebliche Rolle spielen, auch wenn diese in der jüngsten Verfilmung auf ein natürliches Maß reduziert wurden. Zudem treibt sie sich überwiegend in Computerspielen der Sorte herum, die von Mädchen und Frauen noch immer weitgehend gemieden werden. Als Aristokratin und Erbin des elterlichen Vermögens verfügt sie über erhebliche finanzielle Möglichkeiten und stellt diese bereitwillig in den Dienst der Archäologie. Eine ideale Situation in Zeiten immer spärlicher fließender öffentlicher Mittel.
Der kampfsportaffine Archäologe, der als Allrounder mehrere lebende und ausgestorbene Sprachen beherrscht, sich rasch in neue Aufgabenfelder einarbeitet und die an ihn gestellten Anforderungen stets zur vollsten Zufriedenheit erfüllt – der Traum eines jeden Personalchefs also – hat es schließlich auch in den Weltraum geschafft. Dr. Daniel Jackson darf als essentieller Bestandteil des ersten amerikanischen Außenteams SG-1 durch das bei Ausgrabungen in Ägypten gefundene Stargate auf fremde Planeten reisen.
Archäologie in Dokumentationen
Wenn das tatsächliche Archäologenleben auch geringfügig anders aussieht3, dürfen wir uns darüber freuen, dass Archäologen nicht nur in der Fiktion, sondern auch den realen Medien einen hervorragenden Ruf genießen. Gleichgültig ob Presse, Funk, Fernsehen oder Internet, über die Arbeit von Archäologen wird gerne und fast ausschließlich positiv berichtet. Da Archäologen gewöhnlich im öffentlichen Interesse arbeiten, sind wir auf das Wohlwollen der Allgemeinheit geradezu angewiesen. Die allermeisten Kollegen, nicht nur in den Museen, haben daher schon vor Jahrzehnten den viel zitierten „Elfenbeinturm“ verlassen, bemühen sich aktiv um die Vermittlung ihrer Forschungsresultate und gehen bei jeder Gelegenheit auf Medienvertreter zu. Nur wenige, meist jüngere Wissenschaftler und Studierende, sind hingegen in den sozialen Netzwerken aktiv und stellen ihre Resultate dort selbst einer großen Öffentlichkeit vor. So erreichen in diesem Umfeld die krudesten Ideen von selbsternannten Experten noch immer die größte Aufmerksamkeit.
Meist rennt man als Archäologe bei Journalisten offene Türen ein, da das Fach mit Recht als spannend und informativ angesehen wird. Ausnahmen bilden lediglich die Fälle, in denen archäologische Ausgrabungen von Investoren als Gründe für Verzögerungen und Kostenexplosionen von Baumaßnahmen vorgeschoben werden (Abb. 2). Ausdrücklich sei betont, dass die Bauwirtschaft solches durch unhaltbare Angebote und Fehlplanungen auch ganz alleine schafft, wie der Berliner Flughafen oder die Hamburger Elbphilharmonie als bekannte Beispiele hinlänglich gezeigt haben4.
Abb. 2. Archäologie als Bremse des Aufschwungs-Ost im Juni 1995. (BILD CHEMNITZ)
Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, aber auch bei einigen privaten Sendern ist der Vorabend nicht mehr ohne Reihen wie „Abenteuer Archäologie“ „Terra-X“ oder „Deutschlands Supergrabungen“ denkbar. Diese und vergleichbare Formate laufen offenbar so gut, dass man mit Themen und Produktion nicht mehr nachkommt und viele Sendungen noch Jahre später in einer Art Endlosschleife immer wieder ausgestrahlt werden. Dies fällt einem erst so richtig ins Auge, wenn man unvermittelt sein eigenes, noch kaum ergrautes Haupt beim Zappen auf dem Bildschirm wiedererkennt.
Auch in Doku-Formaten steht die Suche nach Schätzen, genau wie in der hauptsächlichen Beschäftigung der fiktiven Archäologen, im Vordergrund. Um Klischees zu bedienen, geraten die Ergebnisse gewissenhafter Forschungen schnell ins Hintertreffen. Es sei denn sie beziehen sich auf Sex, Blut, Tod und/oder Kannibalismus. Die Lust am Makabren ist stets ungebrochen.
Ein legendäres Beispiel für das Genre der sensationsheischenden Scripted Reality Doku ist die Serie „Chasing Mummies: The Amazing Adventures of Zahi Hawass“ (dt.: „Der Mumienjäger“) aus dem Jahr 2010. Darin treibt Dr. Zahi Hawass, der damalige Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung, für den amerikanischen History Channel vorgebliche Studierende durch die bekanntesten Monumente Ägyptens. Kultstatus hat die Folge, in der eine Studentin in Ermangelung einer erreichbaren Toilette in die Cheops-Pyramide pinkelt und damit zusätzlich zu der Grabschändung noch die Luftfeuchtigkeit zum Schaden für das Denkmal dramatisch erhöht.
Hat ein Journalist keine Pyramide im eigenen Redaktionsgebiet, protzt man in der Berichterstattung gerne mit Superlativen, etwa dem „ältesten Toten aus dem Eis“ (Ötzi) oder der „ältesten beweglichen Himmelsdarstellung“ (Himmelsscheibe von Nebra). Handelt es sich bei diesen beiden Funden noch um wirklich bedeutsame Entdeckungen, so spielen der „älteste Stuhl Sachsens“ (aus Zwickau) oder die „älteste Brezel Bayerns“ (aus Regensburg) eher auf Kreisliganiveau. Oder es wird tief in die Floskelkiste gegriffen: Ständig „muss die Geschichte umgeschrieben werden“ oder es wird ein „Streit unter Wissenschaftlern“ postuliert, weil die jüngste Ausgrabung wieder einmal „unser bisheriges Denkgebäude zum Einsturz bringt“. Wenn Sensationen Alltag werden5, sinkt die Aufmerksamkeit der Zielgruppe, die man nur noch mit immer größeren Sensationen zurückgewinnen kann. Ein Teufelskreis, der in der Lokalpresse die Untersuchung der tausendsten römischen Villa Rustica zu einer internationalen Sternstunde der Archäologie erhebt. Ein bisschen Glanz von Indiana Jones fällt dann auch in den Pfaffenwinkel.
Aber ich will nicht ungerecht sein. Für die meisten Menschen ist die Arbeit von Archäologen, auch wenn sie für den Fachvertreter schon lange Routine geworden ist, fremd und aufregend. So können wir aus wissenschaftlicher Perspektive zwar nicht immer mit all dem, was geschrieben wird, einverstanden sein, doch ist eine geneigte, möglicherweise fehlerhafte Berichterstattung in jedem Fall überhaupt keiner Berichterstattung vorzuziehen.
Und es muss noch einmal ausdrücklich gesagt werden: Wir sind halt einfach super!
Was Archäologen wirklich tun
Oft werde ich gefragt, wie mir Ägypten gefällt und wie man in der heutigen Situation da arbeiten könne. Ich ernte dann...