1. Kapitel Warum Männer zu wenig lieben
Es war im Juni 2006. Ich lag auf dem Bett des Bellagio Hotels in Las Vegas, als er mich fragte, ob ich ihn heiraten will. Wenn ja, würde er sich scheiden lassen. Wenn nein, auch. Für ein zwar mit viel Schmuddelwetter, dafür aber wenig Romantik verwöhntes, kompliziertes Großstadtkind der 60er Jahre ein überraschendes Angebot, in einer komplizierten Affäre, in einem grandiosen Hotel mit einer kompliziert zu bedienenden Telefonanlage.
»Wie bitte? Frag das nochmal!«, sagte ich und lutschte neckisch an meiner galaktisch garnierten Pina Colada. Welcome to Romance! Na, wurde ja auch Zeit! Schließlich findet doch jedes Töpfchen mal sein Deckelchen, wie meine Großmutter immer sagte!
»Willst du mich heiraten?«, wiederholte er. 37, Sportschwimmer, polyglott, und Doktor der Gynäkologie. Da, wo jeder Drehbuchautor den Rotstift ansetzt, da packt das wahre Leben eben immer noch eins drauf! Ich meine, Gynäkologen haben ja auch Beziehungen. Und da muss man nicht gleich sagen, es sei unter der Gürtellinie. Die können ja nicht plötzlich ihren Beruf ändern, wenn sie liiert sind, nur um einen guten Eindruck bei der Schwiegermutter zu machen!
Seinen Beruf hatte ich ihm natürlich längst verziehen. Ich antwortete nicht ohne Zögern. O.k., mein zuckergusstortenartiges bombastisches Polyesterbrautkleid aus dem Türkenladen hing schon im Schrank. Mit apricotfarbenen Teerosen am Dekolleté. Ich musste es nehmen, denn es war 70% reduziert. Ein Schnäppchen. Für alle Fälle. Man weiß ja nie, wer einem noch über den Weg läuft.
Das Kleid also gab’s schon. Nun musste nur noch ein Mann her. Ich habe ihn tatsächlich in seiner Praxis kennen gelernt. Ich wollte mir meine Spirale entfernen lassen, weil ich seit drei Jahren keinen Sex hatte. Promis sind der Presse ja schon mit Schlagzeilen wie: »Hilfe, ich hatte 100 Tage keinen Sex!« eine Titelstory wert. Da konnte nach drei Jahren mit mir was nicht stimmen.
Nach der Konsultation schaute er hoch und sagte: »Alles in bester Ordnung, wie lange soll ich Sie krankschreiben?«
»Wozu das denn, ich hab doch nichts«, sagte ich und guckte runter.
»Wenn ich Sie krankschreibe, dann können Sie den Sommer genießen und abends zu mir Schwimmen kommen!«
»Ach so ist das. Haben Sie einen Pool? In dem Fall kann ich die Spirale ja doch drin lassen«, entgegnete ich.
»Überlegen Sie es sich. Wenn nicht, dann verschreibe ich Ihnen, einmal wöchentlich mit mir essen zu gehen. Bis es Ihnen wieder gut geht.«
Leider waren seine Augen zu blau. Der Blick zu klar. Die Zähne zu strahlend weiß. Das Kinn zu männlich. Die Haut zu rein. Sein Lächeln zu sympathisch. Sogar den Hauch von Tränensäcken entschuldigte ich als charaktervoll!
»Man lebt nur einmal«, sagte ich mir.
Ich hievte mich vom Stuhl und hörte mich sagen: »Herr Doktor, ich bin mir sicher, dass Sie als Arzt genau wissen, was das Beste für mich ist. Ist der Pool indoor oder outdoor?«
Von da an ging ich nie wieder arbeiten. Wollte nur für ihn da sein. Es gab sie also doch: die große Liebe auf den ersten Blick. Eine Liebe, die vertraut, nicht infrage stellt und niemals zweifelt!
Von seiner Frau lebte er längst getrennt. Die Scheidung abzuwickeln war nur noch eine Formalität. Mit der schmutzigen Wäsche dieser zerrütteten Verbindung hatte ich nichts zu tun. Das war alles vor meiner Zeit. Das haben Gott sei Dank andere Frauen für mich erledigt, indem sie sich ihm als Geliebte an den Hals geschmissen und damit für mich die Vorarbeit geleistet haben.
Dass ER es war, der mir, der 39-Jährigen, den ersten und einzigen Heiratsantrag meines Lebens machte, wertete ich als die Frucht meines reifen Charmes, der mich in die Lage versetzte, Liebschaften routiniert und souverän zu arrangieren. Während meine jugendlichen Konkurrentinnen kein Fettnäpfchen ausließen, in das ein Normalbürger nur treten kann, feilte ich gelassen meine Fingernägel und setzte auf die Reize einer erfahrenen Frau. Und nun endlich der Lohn für all meine Irrungen und Wirrungen auf dem Pfad des Herzens.
O.k., ich hätte es auch ahnen können. Es gab Hinweise, Zeichen, kleine Wunder im Alltag, die das große Ereignis ankündigten. Da waren die vierstündigen Telefonate. Die galanten SMS, die mich durch den Tag begleiteten. Dieser zwanghafte Drang, ihn während einer Familienfeier anzurufen, nur um zu sagen: »Stell dir vor, meine Schwester heiratet einen Typen, der ausländerfeindlich ist!« Der Blumenstrauß mit frischen Brötchen, der eines Morgens vor meiner Wohnungstür lag. Seine kleinen Eifersüchteleien, wenn ich zum Single-Monatstreff meines Fitnesscenters ging. Das Herzklopfen, das ich jedes Mal bekam, wenn ich seinen Namen auf dem Display meines Handys las.
Es hat so lange gedauert, bis ich ihn fand! 20 Jahre lang habe ich auf die Uhr geschaut, mit dem Fuß gewippt und mit den Fingern auf der Tischplatte getrommelt, bis ER die letzten vier katastrophalen Liebhaber, die sich die Klinke in die Hand gegeben hatten, mit einem einzigen Blick in meine Augen vergessen machte. Ein gemeinsamer Abend und ich war erledigt. Es traf mich mitten ins Herz. Ich wusste es, aber es war mir egal. Ich hatte ja bereits aufgegeben. All die Richtigen, mit denen ich mich aus lauter Angst, dass sie sich am Ende als die Falschen entpuppten, niemals einließ. Innerlich war ich auf ihn schon vorbereitet, bevor wir uns überhaupt trafen.
Am Ende unseres ersten Dates haben wir gegenseitig unsere Sätze vervollständigt. Und als er einen viertel Liter geeisten Latte Macchiato über mein kleines Schwarzes kippte, wusste ich, dass dies nur ein Vorwand war, um vor mir auf die Knie zu gehen und meine Oberschenkel mit Taschentüchern trockenzureiben.
Ich hatte mir für den Abend vorgenommen, mich nicht ad hoc erobern zu lassen und die »Ich bin keine Frau für eine Nacht«-Nummer zu geben. Für den Fall, dass der Abend seinerseits mit der Frage »Zu mir oder zu dir?« enden würde, hatte ich den Satz: »Beides! Du gehst zu dir und ich gehe zu mir!« einstudiert.
Vor der Haustür angekommen, schlich er sich mit dem Argument über die Schwelle, dringend mal »für kleine Jungs« zu müssen – und auf halber Treppe schon ging ich vor ihm auf die Knie und öffnete mit den Zähnen den Reißverschluss seiner Hose.
Mit Müh und Not haben wir für den endgültigen Showdown gerade noch meinen Flur erreicht. Wenige Wochen später saß die Liebe meines Lebens neben mir, als der 99-Euro-Flug mit der Condor nach Las Vegas abhob. Mein kleiner Maltesermischling in einer Hundetasche auf meinen Knien, 4,5 kg geballtes Hundeliebekonzentrat auf meinem Schoß und die Hand meines Traummannes unter meiner Bluse: kann das Leben mehr bieten?
Die Stretchlimousine unseres Kitschhotels glitt endlos durch Suburbia Los Angeles, und was ich für das Flimmern von Glühwürmchen in perfekt manikürten Vorgärten hielt, war das Funkeln im Auge der Coyoten.
Was würde meine Mutter von all dem halten? Wie würde ich diese unvorhergesehene Wendung in meiner tristen Biographie meinem Therapeuten erklären? War das etwa sein Behandlungserfolg?
Zu allem Überfluss musste ich mal. Ich bat unseren Fahrer, mal eben bei einer verlorenen »Petrol Station« rechts ranzufahren, stieg aus und hockte mich in die Steppe. Ich pullerte auf einen schwarzen, flachen Felsen. Während sich kleine Wolken von Rauch und Staub erhoben, starrte mich ein eichhörnchenartiges Showmetropolen-Murmeltier wie hypnotisiert an. Ich habe »Hi, how you’re doing?« gesagt.
Bei der Ankunft in unserem gigantischen Marmorpalast wurden wir mit Metalldetektoren nach Waffen durchsucht. Ich nutzte die Angabe der Personalien im Hotel, um meinem Namen gleich eine neue mittlere Initiale – J. – beizufügen. Das gigantisch aufgetuffte Toupet des turbobraunen Elvis-Doppelgängers am Check-in verführte mich automatisch dazu, aus allem mehr zu machen. Ohne Brustvergrößerung gilt man in Las Vegas ja als unzivilisiert – wie ein Eingeborener, der noch nie Schuhe an den Füßen hatte. Primitiv eben.
Meine Gedanken verloren sich in Erinnerungen an all die Momente, die ich an zahllosen Feierabenden in unzähligen Gesprächen mit enttäuschten Freundinnen vor endlosen Cappuccinos mit unendlichen Diskussionen über das Thema verbracht hatte, was Männer denn nun wirklich meinen, wenn sie sagen: »Ich rufe dich in den nächsten Tagen an«. Nun war es vorbei, dass wir uns gegenseitig versichern mussten, dass nicht wir es sind, die zu wenig lieben, sondern die Männer. Dass es sie gibt, die Liebe auf den ersten Blick! Jedes Töpfchen sein Deckelchen findet.
Mir würden, wenn ich alleine in der Wanne lag, niemals wieder Gedanken durch den Kopf gehen, wie: »Du bist wieder viel zu fett geworden, und dein Arsch geht in die Breite und diese hässlichen Füße, denen sieht man auch dein wahres Alter an, und diese verdammten Haare an Körperstellen, die in keinem Biologiebuch der Welt verzeichnet sind … Welcher Mann will jemanden mit so neurotischen Selbstzweifeln und deiner ganzen verdammten Bedürftigkeit und Verzweiflung und überhaupt … Meine Beine sind gar nicht braun, dabei hab ich doch die Clubkarte fürs Solarium, hach, das nützt doch alles bei mir nichts … Ist ja auch egal, sei doch froh, dass du alleine bist, da kannst du wenigstens laut pupsen, wenn dir danach ist … Vielleicht sollte ich mal schwarzen Nagellack probieren?«
Vorbei.
»Willst du mich heiraten?«, fragte er nochmals. Dieser Satz wusch all das...