Ehe Sie starten, möchte ich Ihnen ein paar Hinweise an die Hand geben, die Ihnen die Arbeit mit diesem Buch und an sich selbst erleichtern sollen. Mir ist es wichtig, dass Sie wissen, was in etwa auf Sie zukommt, denn, so leid es mir tut: Die Befreiung aus der Nettigkeitsfalle wird kein gemütlicher Spaziergang, sondern eine immer wieder mühsame und manchmal auch anstrengende Wanderung, die meistens bergauf geht. Aber: Wenn Sie oben angekommen sind, werden Sie sich großartig fühlen!
Ich sagte es schon im vorigen Kapitel: Dieses Buch wird keinen neuen Menschen aus Ihnen machen – aber das muss auch gar nicht sein, denn ich bin sicher, es gibt viele Seiten, die Sie sehr gern an sich mögen. Sie hätten dieses Buch aber nicht gekauft, wenn alles fein wäre.
Die gute Nachricht ist: Veränderung ist möglich. Die vielleicht nicht ganz so gute Nachricht lautet: Veränderung gelingt nur durch Reflexion des eigenen Tuns und durch viel Üben. Das Lesen dieses Buches reicht also nicht aus, damit sich etwas bewegt – Sie müssen auch etwas dafür tun! Denn die Erkenntnisse müssen ihren Weg von der Theorie in die Praxis finden, sie müssen angewendet werden, und Sie müssen sie fühlen. Ohne Gefühle läuft nämlich nichts in Sachen Lernen – oder, wie es Christian Peter Dogs und Nina Poelchau in ihrem lesenswerten Buch „Gefühle sind keine Krankheit“ sehr treffend auf den Punkt bringen:
„Einsichten verändern kein Verhalten.
Das funktioniert nur, wenn die Gefühle beteiligt sind.“
Deswegen gibt es in jedem Kapitel Übungen, die Sie dazu anregen sollen, Ihren Verhaltensmustern auf die Spur zu kommen und sie aktiv zu verändern. Das ist nicht immer einfach, oftmals sogar sehr schwer – und wird sich auch manchmal erst einmal richtig bescheuert anfühlen. Aber da müssen Sie durch, sonst bleibt alles, wie es ist.
In jedem Kapitel gibt es Übungen, die Sie dazu anregen sollen, Ihren Verhaltensmustern auf die Spur zu kommen und sie aktiv zu verändern.
Was sich da so mies anfühlt, wenn Sie mal wieder in die Nettigkeitsfalle getappt sind, sind Ihre kleinen Wächter an der Schwelle von der Komfortzone zur Lern- und Wachstumszone. Ich habe Ihnen das mal auf Seite 16 aufgezeichnet, damit es leichter zu verstehen ist.
Sie befinden sich mit Ihrem üblichen Verhalten in der Komfortzone. Die Komfortzone heißt nicht etwa so, weil es dort immerzu wahnsinnig komfortabel ist, sondern weil wir uns dort in einem Bereich befinden, in dem wir uns auskennen. Hier fühlen wir uns sicher, denn alles ist vorhersehbar. Natürlich brauchen wir eine solche Zone unbedingt, um zur Ruhe zu kommen. Stellen Sie sich vor, Sie befänden sich ständig in der Lern- und Wachstumszone – da wären Sie ganz schön schnell mit den Nerven am Ende! Doch Veränderung ist in der Komfortzone niemals möglich.
Veränderung ist in der Komfortzone niemals möglich.
Ich gebe mal ein Beispiel für eine typische Szene aus meiner Komfortzone: Ich bin regelmäßig mit meiner Hündin Pippa in der Hundeschule. Dort gilt die Regel: Füttere nur deinen eigenen Hund. Niemals die Hunde der anderen mit Leckerli belohnen – und wenn sie dich noch so bedürftig ansehen! Eine frühere Mitteilnehmerin sah das anders, lächelte mich an, gab meinem Hund ein Leckerli und sagte: „Ich hab das jetzt einfach mal gemacht. Ist doch okay, oder?“ Pippa war natürlich glücklich, ich stinkig – gesagt habe ich aber nichts, um des lieben Friedens willen. Man will sich ja schließlich nicht streiten … Ich bin also brav in meiner Komfortzone geblieben, die ich in diesem Fall auch in Harmoniezone hätte umbenennen können.
Wie hätte das Ganze ausgesehen, wenn ich mich da rausbewegt hätte? Ich hätte zu der anderen Teilnehmerin gesagt: „Nein, das ist nicht in Ordnung. Und ich möchte dich bitten, das nicht mehr zu machen.“ Was hätte ich riskiert? Klaro: vermutlich ihren Missmut. Wäre das schlimm gewesen? Ganz rational gesehen: Nein. Zum Kuckuck – es geht um ein Hundeleckerli! Und vielleicht hätte sie auch mit einem „Okay, sorry!“ geantwortet. Wer weiß? Ich bin aber nicht gegen meine Wächter angekommen. Diese fiesen kleinen Mistkerlchen haben mir eingeflüstert: „Sei mal lieber nett zu ihr, denn das gehört sich so. Wenn du nicht nett bist, dann hat sie dich nicht mehr lieb und redet vielleicht nicht mehr mit dir!“
Und so ist es ganz oft. Wir tragen eine große Angst mit uns herum, die uns einredet, niemand hätte uns mehr lieb, wenn wir mal nicht nett sind, wenn wir mal ehrlich und klar sind, wenn wir mal Nein sagen. Die Angst zensiert und bewacht uns und hält uns davon ab, den Schritt raus aus der Komfortzone zu machen, denn wer weiß, vielleicht ist es da draußen noch viel blöder als in unserer Blase, in der es zwar irgendwie auch doof ist, aber es könnte ja noch doofer werden. Veränderung ist also nichts, was sich von Anfang an gut anfühlt. Anatole France, ein französischer Schriftsteller, hat das mal so aus gedrückt:
Wir tragen eine große Angst mit uns herum, die uns einredet, niemand hätte uns mehr lieb, wenn wir mal nicht nett sind.
„Allen Veränderungen, selbst jenen, die wir ersehnt haben, haftet etwas Melancholisches an; denn wir lassen einen Teil von uns selbst zurück; wir müssen ein Leben sterben, ehe wir ein anderes beginnen können.“
Ich will es nicht verhehlen: Natürlich gehen Sie mit der Entscheidung, nicht mehr zu jedem lieb und nett zu sein, ein Risiko ein. Die Menschen in Ihrem Umfeld werden irritiert bis missmutig reagieren – schließlich funktionieren Sie nicht mehr so, wie es dem einen oder anderen immer so gut gepasst hat. Sie sind nicht mehr berechenbar. Sie sagen auf einmal Ihre Meinung. Sie schwimmen nicht mehr mit dem Strom.
Der Kollege, der immer auf den letzten Drücker seine unerledigten Aufgaben bei Ihnen abgeladen hat, muss seinen Kram in Zukunft selbst machen. Die Nachbarin, die immer Ihre Katze gefüttert, dabei aber auch die ganze Bude durchstöbert hat, wird ihrer Neugier auf einmal nicht mehr nachgehen können. Die Freundin, der Sie immer bei Ihrer ewigen Lamentiererei zugehört und sie mit zusammengebissenen Zähnen in ihrer Alle-sind-ungerecht-zu-mir-Haltung unterstützt haben, wird ab sofort kein Gehör mehr bei Ihnen finden. Die Kollegin, die immer Ihre Ideen geklaut und als ihre eigenen verkauft hat, wird in Zukunft selbst denken müssen. Das wird nicht auf Begeisterung stoßen.
Aber es hilft nichts: Auf dem Weg zu sich selbst werden Sie die Zuneigung des einen oder anderen Mitmenschen verlieren. Allerdings sind das fast immer diejenigen, die Ihnen zu viel Kraft geraubt und nichts zurückgegeben haben – so ist zumindest meine Erfahrung. Hinter all dem Verlust steckt also letztlich ein ganz großer Gewinn: mehr Freiraum, mehr Zeit, mehr Man-selbst-Sein, weniger Ärger – und vielleicht der eine oder andere neue Freund, denn Menschen, die authentisch sind und für sich einstehen, sind ausgesprochen attraktiv. Mit diesem Ziel vor Augen werden Sie auch doofe Phasen überstehen.
MUSIK HÖREN GEGEN DEN FRUST
Wenn’s mal zwischendurch nicht so gut läuft, dann machen Sie was Schönes, zum Beispiel laut Musik hören – besonders empfehlen kann ich den Song „Sowieso“ von Mark Forster. Singen Sie die folgenden Zeilen mit möglichst viel Inbrunst und möglichst wenig Rücksicht auf Mitbewohner oder Nachbarn mit:
„Egal was kommt,
es wird gut, sowieso,
Immer geht ’ne neue
Tür auf, irgendwo.
Auch wenn‘s grad nicht
so läuft, wie gewohnt.
Egal, es wird gut, sowieso.“
Dieses Buch ist aufgebaut wie ein Workshop. Natürlich können und sollen Sie auch mal neugierig darin blättern, damit Sie wissen, was noch so auf Sie zukommt. Vielleicht springt Sie auch ein Kapitel ganz besonders an, so dass Sie es zuerst lesen müssen. Ich empfehle jedoch, die Übungen in der vorgegebenen Reihenfolge zu machen. Sie bauen aufeinander auf, und mir ist es wichtig, dass Sie sich nicht gleich mit den etwas schwereren Übungen aus dem hinteren Teil des Buches überfordern und es dann genervt in die Ecke pfeffern. Starten Sie lieber langsam und behutsam – dann haben Sie gleich am Anfang das eine oder andere Erfolgserlebnis, und die Wahrscheinlichkeit, dass Sie dranbleiben, ist viel höher.
Ich möchte Sie außerdem bitten, die Übungen nicht nur im Kopf zu machen, sondern Ihre Ergebnisse auch schriftlich festzuhalten – und zwar handschriftlich. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass es sehr förderlich für die Konzentration und die Verbindung von Körper und Geist ist, wenn mit der Hand geschrieben wird. Es gibt sogar Studien, die nahelegen, dass Lernstoff besser...