Teil II: Das Streben nach dem Glück
Allgemeine Glücksforschung
Das Glücksbild in der Leistungsgesellschaft
Die Chemie des Glücks
Zeitgeist – die Diktatur der ständigen Selbstverbesserung
Die Erwartung des allzeitigen Glücks
Sinn
Das Leben ist nicht fair?
Das Streben nach Glück
Beziehungen
Liebe
Liebesbeziehungen
Wünsche
Freiheit und Selbstbestimmung
Die Rolle des Geldes
Weniger ist mehr
Psychologische Freiheit
Verantwortung durch Freiheit
Freiheit durch Einverstandensein
Würde
Frieden
Gesundheit
Leben im Bewusstsein, sterben zu müssen
Das Daumenkino des Glücks
Da das Thema Glück weder erschöpfend noch endgültig dargestellt und diskutiert werden kann – und die Praxis ohnehin wichtiger ist – können die Überlegungen und Ausführungen in diesem Teil des Buches als kreative Denkanstöße wirken, als fruchtbare Impulse und Auslöser für die eigene Reflektion und Praxis.
Auch um sich die Frage zu stellen: Wenn ich mich für das Glück entscheiden kann, wofür entscheide ich mich denn da? Wenn ich den Weg des Glücks gehen kann, wo und wie gehe ich denn da? Was begegnet mir auf dem Weg? Welche Aspekte des Glückserlebens spielen dabei für mich eine Rolle?
Die Vielzahl der beteiligten Aspekte und ihre komplexe Verbundenheit machen es schwierig, ein stringentes, lineares Vorgehen bei diesen Betrachtungen zu erreichen. Es geht letztlich mehr darum, herauszufinden, was die Parameter, die möglichen Einflussfaktoren des Glückserlebens sind, unabhängig von den Inhalten, mit denen jeder einzelne diesen Strukturen Leben verleiht, dem Leben seine individuelle Form gibt, und um die daraus entstehende Grundlebensstimmung – also wie ein ‚im Großen und Ganzen glückliches Leben’ erschaffen werden kann.
Allgemeine Glücksforschung
Die Glücksforschung boomt seit einigen Jahren und überschüttet uns mit Informationen über ‚wahres Glück’ und den ‚richtigen Weg’, teilweise hart an der Grenze zu Erfolgsratgebern und naiven ‚Wünsch-dir-was’-Büchern. Mitunter klingt dabei ein Grundtenor heraus, der uns mehr oder weniger offen suggeriert, dass jeder, der nicht ‚glücklich’ ist, etwas falsch mache. Eine wichtige Funktion dabei haben die Medien, insbesondere die Werbung, die uns gemäß der Maximen unserer Leistungs- und Konsumgesellschaft weis machen will, dass die Erfüllung des Glücks maßgeblich in der Umsetzung eben dieser Werte liege.
Immerhin ist mittlerweile auch die Schul-Psychologie soweit, ihr Augenmerk auf die positiven Aspekte des Erlebens zu richten; sogar ein Name wurde dafür geschaffen, die ‚Positive Psychologie’, mit mehr Aufmerksamkeit auf lösungs- und ressourcenorientierte Ansätze (die ja schon in den 1970er- und 80er Jahren entwickelt wurden), so dass man annehmen kann, dass die akademische Psychologie davor sich mehr auf die Probleme konzentriert hat und damit nur bedingt hilfreich war. Psychische Auffälligkeiten bzw. Fähigkeiten gab es natürlich schon seit Menschengedenken, insbesondere in Form von Schamanismus, 'magischen' Ritualen etc. Die Psychotherapie hat ebenfalls schon eine längere Tradition. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts standen die Psychoanalyse und die Intelligenzforschung im Mittelpunkt, später auch und im weitesten Sinne die bessere Nutzung psychologischer Mechanismen zur Gewinnmaximierung und Ausbeutung von Menschen (Medienpsychologie). Erst in Zeiten eines Post-Wirtschaftswunders ergab sich für eine zunehmende Anzahl von Menschen der Luxus der Nabelschau, positiv ausgedrückt, der psychologischen Selbsterforschung, was von einigen mit Selbstoptimierung, genauer gesagt Ego-Stärkung, verwechselt wird. Noch offen ist, in wie weit die Positive Psychologie auch nur etwas oberflächlich dem materialistischen Zeitgeist der 'Selbstoptimierung' und einer hochgeschraubten Glückserwartung Vorschub leistet, oder einen wünschenswerten Beitrag leisten kann, allen Menschen zu mehr Selbstverwirklichung zu verhelfen und die Welt zu einem lebenswerteren Ort zu machen.
So erfahren wir durch die Glücksforschung, dass in Europa die Skandinavier und die Schweizer die Glücklichsten sind. Mag sein, dass es u.a. auch an solchen Kleinigkeiten liegt wie, dass in Schweden die Steuererklärungen aller für jeden einsehbar sind, dass es in Dänemark durchaus üblich und anerkannt ist, separate Beziehungen zu haben, die ausschließlich der Befriedigung sexueller Bedürfnisse dienen, dass in der Schweiz vieles durch Volksabstimmungen ratifiziert wird, statt durch 4- oder 5-jährliche Pseudo-Alibi-Wahlen dem Bürger eine Einflussmöglichkeit vorzugaukeln. Gut belegt ist auch die U-Kurve des Glücks: Es gibt eine Abnahme des subjektiven Glücksempfindens von der Kindheit an in Wellen bis zum Tiefpunkt mit ca. 50 – 53 Jahren, um dann wieder stetig anzusteigen, oft bis auf ein höheres Niveau, als in der Kindheit. Weltweit bekannt wurden die Bhutaner durch ihr verordnetes Bruttosozialglück. Dass viele Menschen in sogenannten Drittweltländern glücklicher sind als die in den führenden Industrienationen, dass ein Haufen Geld nicht so wichtig ist … nichts neues einerseits und andererseits: Kann uns dieses Wissen für unser persönliches Glücksempfinden nützen?
Das Glücksbild in der Leistungsgesellschaft
Bei der statistischen Glücksforschung ist das subjektive Wellbeeing, das subjektiv gefühlte Glück, ausschlaggebend, nicht das Erfülltsein bestimmter moralischer, sozialer oder materieller Bedingungen; was allerdings für Manche mit dem Glückserleben deutlich zusammenhängt (s. ff.). Interessant ist auch, dass “unser Urteil darüber, wie zufrieden wir sind, zu 41-53% von unserer aktuellen Stimmung abhängt. Zieht ein gut gelaunter Mensch Bilanz … wird er sich überwiegend an die positiven Dinge erinnern (Jordi Quoidbach) - also wann, aber auch wer und wie gefragt wird, hat schon bei der Datenerhebung Einfluss.
Die Ergebnisse verschiedener Studien zum Glück zeigen, dass subjektives Glückserleben wenig oder nicht korreliert mit den Faktoren, an die Viele so allgemein glauben: Reichtum, Schönheit, Erfolg, Macht, Ruhm, Intelligenz, Attraktivität, Sportlichkeit, Gesundheit, ...
Bekannt ist, dass glückliche Menschen gesünder und psychisch stabiler sind, und länger leben. Wohl allein schon deshalb, weil sie oft aufmerksamer sind, zuversichtlich denken, sich selbst und andere mehr schätzen, und deshalb mehr tun für ihre Gesundheit und ihre Beziehungen.
Diskutiert wird noch, ob dieses positive Verhalten, in Verbindung mit einer gewissen Gelassenheit und Heiterkeit, als Ursache des selbst erschaffenen Glücks gelten kann: Durch das Glück von innen kommt das äußere, oder als Ergebnis eines glücklichen Lebens: Das äußere Glück macht innerlich glücklich. Die Frage ist, wann das Empfinden anfing, das Leben, das Lernen, das Handeln – pränatal oder noch früher. Fest steht, dass es eine enge Wechselwirkung gibt, die sich konstruktiv in einer Spirale der Entwicklung oder destruktiv in 'Teufelskreisen' zeigen kann.
Keine Frage ist, dass ohne Selbstwertgefühl, ohne Intimität und Zugehörigkeit, ohne Sinnhaftigkeit, das Glücksempfinden zumindest sehr schwierig wird. und dass die Wahrscheinlichkeit von Depression und Ängsten steigt. Wichtiger als Materielles scheinen jedenfalls Sinnhaftigkeit, befriedigende Beziehungen, eine Gefühl von Gerechtigkeit, eine gewisse Aufgeschlossenheit, und ein funktionierendes emotionales System zu sein, d.h. ein emotionales Fließgleichgewicht schaffen zu können im Umgang mit den unvermeidlichen Höhen und Tiefen des Lebens. Eine ganz zentrale Kompetenz hierbei ist die Sicherheit, mit Unsicherheit umgehen zu können. Dazu später mehr ...
Aus der Vielzahl der Untersuchungsergebnisse kristallisieren sich folgende allgemeine Faktoren heraus. Glücksempfinden entsteht durch ein bestimmtes Maß an subjektiv empfundenen Faktoren wie
- Sicherheit: Körperlich und psychisch, äußere Lebensumwelt
- Relativem materiellem Wohlstand: Auskommen mit dem Einkommen; Wasser, Nahrung, Wohnung, Energie
- Gerechtigkeit: In der Verteilung der materiellen Güter, und im gegenseitigen sozialen Umgang
- Gesundheit: Medizinische Grundversorgung und Hygiene; Körperlich besonders bezüglich chronischer Beschwerden, Handicaps, Lebensenergie; psychisch: Würde (Selbstachtung), Selbstwertgefühl, Lebensfreude
- Selbstbestimmung: Selbsteffizienz, Wahlfreiheit
- Befriedigende soziale Kontakte: Liebevolle Beziehungen, z.B. in sichernder, unterstützender, liebevoller Gemeinschaft zu sein
- Zugang zu Informationen und Bildung, Teilhabe am und Beitrag zum Gemeinwesen
- Gefühl von Sinnhaftigkeit bezüglich seiner selbst und der...