Wenn jemand dich alle sechs Monate über einen Zeitraum von dreißig oder vierzig Jahren interviewen würde, würdest du feststellen, dass deine Aussagen über dich selbst in jedem Lebensabschnitt anders ausfallen. Du würdest auch erkennen, dass du in jeder Lebensphase überzeugt wärest, dass sich deine Ansichten auf ein stabiles Wesen beziehen, indem du Dinge sagst wie: »So bin ich nun mal! Keiner kann aus seiner Haut!«
Einmal sagst du vielleicht: »Ich bin überzeugt, dass wir dieses und jenes tun sollten«, und ein paar Interviewtermine später behauptest du mit gleicher Überzeugung das genaue Gegenteil. Es ergäbe sich ein sehr wechselhaftes Bild. Welche dieser Identitäten ist nun dein wirkliches Ich?
Aber auch wenn wir damit beginnen, unseren Glaubenssätzen in Bezug auf uns selbst auf den Grund zu gehen, und so dahin gelangen, sie als falsch zu erkennen, bleiben wir irgendwie weiterhin davon überzeugt, dass wir die Person sind, die wir zu einem beliebigen Zeitpunkt zu sein glauben. Obwohl wir die wechselhafte und unbeständige Natur der Identität erkennen, identifizieren wir alle uns nur allzu oft weiterhin mit dem Verstand, der sich in der Welt der Zeitgebundenheit austobt und die Vergangenheit analysiert, um besser für die Zukunft gewappnet zu sein:
Alles, was wir erreichen wollen, braucht seine Zeit. Aber was benötigt keine Zeit und bedarf keiner Anstrengung? Was befindet sich nicht im Bereich der Zeit? Uhren sind nicht nötig, hier gibt es weder Tag noch Nacht. Eine große Weite öffnet sich, und ein Gefühl von Frieden durchdringt dein Sein, wenn du herausfindest, dass du dieses zeitlose, unwandelbare, unberührte Bewusstsein bist, in dem jede Erfahrung entsteht. Du weißt intuitiv, dass du am richtigen Ort innerhalb deines wahren Selbst bist. Du erkennst, dass diese Gedankenblasen – oder tatsächlich alle Phänomene – nicht dein wesenhaftes Sein sind; sie werden vielmehr von der großen Harmonie oder Einheit, die du bist, erschaffen und in ihrem Inneren gehalten.
Der einfachste Schritt
Der Schritt in das Einssein ist der einfachste Schritt. Um ihn zu tun, brauchst du keinen spirituellen oder religiösen Hintergrund. »Sei in deinem natürlichen Zustand« ist eine so klare Botschaft, dass ich sie sogar Kindern vermitteln kann. Sie nehmen sie bereitwillig auf und sind glücklich, einfach in diesem Gefühl des Seins zu sein, ohne sich mit mentalen Bildern oder Gedanken zu identifizieren und ohne auf das Zeitliche festgelegt oder auf eine bestimmte Form beschränkt zu sein. Wenn du einfach so verweilst, wird es schließlich mühelos.
Der Zustand der Präsenz – das Gefühl von »Ich bin« oder »Ich existiere« – ist für jeden Menschen natürlich. Niemand musste es dir beibringen. Wenn dieses Gefühl von »Ich bin« sich mit anderen Zuständen oder Vorstellungen vermischt oder verbindet, ist es so, als würden diese Zustände ein Teil des »Ich bin«. Aber sie gehören ursprünglich nicht zu dem, was wir sind.
Schon mit jungen Jahren eignen wir uns viele falsche Annahmen an über die Welt, über das Leben und darüber, wer genau wir sind, die dieses Leben führen. Die Vorstellung Ich bin der Körper ist die Grundannahme, die wir schon sehr früh übernehmen. Sobald wir diese grundlegende Vorstellung Ich bin der Körper als das akzeptiert haben, was wir sind, lässt sie sich mit anderen Konzepten aufstocken: Ich bin ein Mann oder Ich bin eine Frau. Ich bin ehrgeizig. Ich bin faul. Ich bin interessant. Ich bin intuitiv. Ich bin dies oder jenes. Und so formt sich eine ganz bestimmte psychologische Identität.
Zumeist gehen wir davon aus, dass diese Identität eine unbestreitbare Tatsache ist, dennoch sind diese erworbenen Annahmen nicht Teil unserer ursprünglichen Natur. Wir glauben von uns selbst, ein besonderer Körper mit einer unvergleichlichen Persönlichkeit zu sein, und dieser Blickwinkel begleitet uns durch unser ganzes Leben. Indem wir diese Identität »Person« für wahr halten, nehmen wir uns selbst als ein getrenntes Wesen in einer Welt vieler anderer getrennter Wesen und Objekte wahr.
ALL DAS, VON DEM WIR MEINEN, DASS ES UNS GEHÖRT – UNSER KÖRPER, UNSER GEIST, UNSERE GEFÜHLE –, IST NICHT DAS, WAS WIR UNSEREM WESEN NACH SIND.
Du könntest viele Seiten mit all den Nuancen deiner Persönlichkeit füllen: Ich bin diese bestimmte Art von Person; dies sind meine Neigungen, meine Träume, meine Hoffnungen, meine Besitztümer; dies ist meine Erfahrung, und dies sind die Nachweise, die dies belegen. Aber all das, von dem wir meinen, dass es uns gehört – unser Körper, unser Geist, unsere Gefühle –, ist nicht das, was wir unserem Wesen nach sind.
Falls das zu viel ist, um es auf einmal zu verdauen, wollen wir es ein bisschen aufgliedern.
Alles, was du wahrnehmen kannst, kommt und geht, auch dein eigener Körper. Du bist derjenige, der auf die Zeit schaut, auf Gegenstände, sogar auf Gedanken und Gefühle. Durch die Sinne kannst du alles wahrnehmen, was als Leben, als Manifestation, als Existenz erfahren wird. Und hinter den Augen – im Reich des Denkens, Fühlens und des Gedächtnisses – wird all das mit dem inneren Auge der Wahrnehmung erfasst. Auch dein Gefühl, eine bestimmte Person zu sein, ist eine Wahrnehmung.
Unabhängig davon, ob das Objekt der Wahrnehmung physisch ist und folglich nach Farbe, Form und Größe bestimmt werden kann oder ob das Wahrgenommene eher subtiler Art ist wie ein Gedanke, ein Gefühl oder eine Empfindung, handelt es sich bei all dem um Phänomene. Es ist das Gefühl des »Ich«, das sie wahrnimmt. Zuerst muss das »Ich« da sein. Man könnte sagen, es ist das Passwort für das mächtige Spiel der Existenz. Erst nach dem »Ich« kommt das »Du« und der, die oder das »Andere« – die Welt, Freunde, Erziehung, Sehnsucht, Religion und so weiter.
Daher müssen wir jetzt die Frage stellen: Was bedeutet »Ich«? Wer oder was ist »Ich«?
Suche angesichts solcher Fragestellungen nicht nach einer verbalen oder mentalen Antwort, und verlasse dich dabei nicht so sehr auf den Verstand und angelerntes Wissen. Schau lieber nach innen und sieh, worauf diese Worte hinweisen. Die nicht-duale Weisheit des Advaita lädt dich ein, für dich selbst herauszufinden, was »Ich« wirklich ist – ob es das ist, was du annimmst oder dir vorstellst.
Die meisten Menschen haben ein ausgeprägtes Gefühl davon, Individuen zu sein, und sind der Überzeugung, dass sie über ihre eigenen Erfahrungen bestimmen und mit ihren eigenen Realitäten vertraut sind. Das mag bis zu einem gewissen Grad wahr sein, aber es ist nur eine geringere, relative Wahrheit. Die größere Wahrheit ist, dass du das Bewusstsein bist, innerhalb dessen die Vorstellung von dir selbst als jemand, der ein Leben führt und Bewusstsein hat, entsteht.
Mit anderen Worten: Die »Person«, die wir zu sein glauben, ist eine Vorstellung, die im Bewusstsein als Ausdruck des Bewusstseins auftaucht. Diese Vorstellung hegt weitere Vorstellungen von sich selbst – zum Beispiel Ich bin ein Körper, der Bewusstsein und ein unabhängiges Leben hat.
Hier ein Witz, der diese Verwirrung gut zum Ausdruck bringt: Ein Mann sitzt beim Arzt mit einem Frosch, der ihm aus dem Kopf ragt. Als er an der Reihe ist, begleitet ihn die Arzthelferin ins Sprechzimmer. Der Arzt fragt den Mann: »Was ist denn da los?« Daraufhin antwortet der Frosch: »Nun, Herr Doktor, das hat vor einer Woche mit einer kleinen Schwellung an meinem Hintern angefangen und hört seither nicht mehr auf zu wachsen!«
Überrascht es dich nicht, dass der Frosch antwortet? So vieles in unserem Leben beruht auf konditioniertem Denken, und wir bestehen darauf, daran zu glauben. Wir wurden dazu erzogen, zu glauben, dass wir Bewusstsein haben. Und ich sage: Nein! Auf der Körper-Geist-Ebene und der Ebene der Persönlichkeit sind wir das Produkt und der Ausdruck von Bewusstsein.
Aber aufgrund unserer kulturellen Konditionierung und übernommenen Denkweisen, die alle auf der Vorstellung des Personseins beruhen, erscheint diese einfache Aussage, die ich gerade gemacht habe – nämlich, dass jeder von uns, als Person, der Ausdruck des Bewusstseins ist statt sein Schöpfer oder Herrscher –, als illusorisch, abwegig und schwer fassbar. Wir bestehen darauf, einfach nicht zu verstehen. Möglicherweise wird uns sogar schwindelig, weil wir es nicht gewohnt sind, auf diese Weise zu denken.
Wir sind eine bestimmte Art zu denken gewohnt, aber es gibt Wege des Verständnisses, die den persönlichen denkenden Verstand umgehen und tief greifende Auswirkungen haben. Der Verstand in seiner natürlichen, intuitiven Funktionsweise ist eine höhere Macht als...