Geleitworte
ES IST GEWISS KEIN ZUFALL, dass in der heutigen Zeit, die sich durch Globalität und Mobilität auszeichnet, die uralte Lebensweise des Nomadischen in neuer Weise, freilich unter gewandelten Bedingungen, aktuell geworden ist. Am freien Wochenende, vollends wenn die Ferien nahen, gehen ganze Völker auf Reisen, sodass man den Eindruck gewinnen kann, dass sich neue Völkerwanderungen ereignen. Wenn man diesen, auf den ersten Blick oberflächlichen Phänomenen eines neuen Nomadentums etwas auf den Grund zu gehen versucht, wird man entdecken, dass das äußerliche Unterwegssein der Menschen Ausdruck eines inneren Unterwegsseins und Sehnsucht nach einem guten Ziel der Lebensreise ist. Denn die Menschen sind umgetrieben von den Fragen, woher sie kommen und wohin sie gehen und wer sie im Licht ihrer Herkunft und Zukunft sind; und die Menschen entdecken im Ringen um Antwort auf diese Fragen, dass sie nur im Unterwegssein wirklich bei sich selbst sein können.
Was damit als säkulare Erfahrung heute beschrieben ist, weist freilich zurück in tiefere Schichten der menschlichen Existenz, die religiöser Natur sind. Wenn der Mensch sich als Geschöpf Gottes versteht, von daher um die Endlichkeit seines irdischen Lebens existenziell weiß und sich in dieser Welt als Fremdling erfährt, der unterwegs ist in seine definitive Heimat, versteht er sein ganzes Leben als Pilgerschaft und ist das Pilgern der eigentliche Modus seines Lebens. Dieses Selbstverständnis des menschlichen Lebens als Pilgerschaft ist vor allem im Christentum lebendig geworden, das in der Pilgerschaft sogar ein Urbild des Glaubens selbst wahrnimmt: Am Beginn der alttestamentlichen Heilsgeschichte steht die Gestalt Abraham, der aus seiner Heimat auszieht und damit alles verlässt, was ihm vertraut ist, um sich ganz auf Gott einzulassen und seinen Verheißungen zu trauen. Und am Beginn der neutestamentlichen Heilsgeschichte begegnen wir der Gestalt Jesus von Nazareth, der in seinem irdischen Leben durch das Land zieht, die Frohe Botschaft verkündet und Kranke heilt.
In diesem pilgernden Unterwegssein erblickt das Christentum das Wesen des Glaubens selbst, wie es der heilige Augustinus mit den Worten umschrieben hat, dass wir »zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes« auf unseren Wegen voranschreiten. Das äußere Pilgern hat dabei vor allem den Sinn, dieses inneren Geheimnisses unseres Lebens ansichtig zu werden, wie es für die biblischen Menschen charakteristisch ist: Sie verstehen sich als »Pilger« in der Welt (1 Petr 2,11). Sie bekennen sich als »Fremde und Gäste auf Erden« (Hebr 11,13). Sie empfinden sich hier »im Exil«, »fern vom Herrn«, bei dem sie ihre eigentliche Heimat haben (2 Kor 5,6). Sie kennen deshalb in dieser Welt »keine Stadt, die bestehen bleibt«, sondern sie »suchen die künftige« (Hebr 13,14); und diese künftige Stadt heißt Jerusalem. Christlich leben bedeutet gemäß der Offenbarung des Johannes, sein Zelt im Himmel aufgeschlagen zu haben und auf ihn hin unterwegs zu sein.
Das Selbstverständnis des menschlichen Lebens als Pilgerschaft kommt zu einem besonders leibhaftigen und sinnfälligen Ausdruck in einer Wallfahrt, die zumeist eine heilige Stätte als Ziel vor Augen hat, an der man entweder eines heiligen Geschehens gedenkt oder einen heiligen Menschen verehrt. Solche Wallfahrten erfreuen sich nicht zufällig neuer Beliebtheit in der heutigen Zeit, in der das Sensorium für das Heilige immer mehr verloren zu gehen droht und den Menschen der Himmel verborgen ist. In dieser Zeit suchen Menschen wieder neu heilige Orte auf, an denen ihnen der Himmel offener begegnet und die dem Heiligen Raum geben, um das Heilige in das alltägliche Leben hineinströmen zu lassen und zu einer neuen Achtsamkeit der Schöpfung Gottes gegenüber zurückzufinden. Dabei stehen weder heilige Orte noch heilige Personen für sich selbst und sind noch nicht das Ziel der Wallfahrt, sondern dienen gleichsam als Fenster, durch die hindurch der weite Horizont der Ewigkeit Gottes und damit das eigentliche Lebensziel der Menschen erspäht werden kann, wie Papst Benedikt XVI. sehr schön hervorhob: »Das Ziel der Wallfahrt ist letztlich nicht eine Sehenswürdigkeit, sondern das Aufbrechen hin zum lebendigen Gott.«
In dieser Durchsichtigkeit des Pilgerns und Wallfahrens liegt es gewiss begründet, dass sie in der jüngeren Vergangenheit immer mehr auch zu ökumenischen Unternehmungen werden konnten. Christen und Christinnen haben in frischer Weise erfahren, dass sie immer mehr zueinander finden, je mehr sie sich gemeinsam auf den Weg zum Heiligen begeben, und dass sie dann die verlorene Einheit wiederfinden, wenn sie sich auf die gemeinsame Heimat beim lebendigen Gott ausrichten. Pilgern und Wallfahren sind so zu einem schönen und willkommenen Weg der ökumenischen Versöhnung geworden.
Von diesem offenen ökumenischen Geist ist das vorliegende Buch von Sibylle Hardegger auf jeder Seite geprägt. Auf ihren Streifzügen durch die äußeren Landschaften im Norden tritt auch die innere Landschaft dieser europäischen Region vor Augen, die wesentlich von der lutherischen Frömmigkeit geprägt ist. Dass diese innere Pilgerreise im vorliegenden Buch von einer katholischen Theologin als Reiseführerin begleitet wird, verleiht dieser Publikation auch einen besonderen ökumenischen Wert, für den ich dankbar bin. Ich wünsche deshalb allen Lesern und Leserinnen, dass sie sich dieser kundigen Reiseführung anvertrauen, sich auf den inneren Weg mitnehmen lassen, dabei der nomadischen Ader in sich selbst neu gewahr werden und sich auch ökumenisch bereichern lassen.
Rom, im Advent 2012
Kurt Cardinal Koch
Präsident des Päpstlichen Rates zur
Förderung der Einheit der Christen
Den längsta resan är resan inåt.
Dag Hammarskjöld
DIE WALLFAHRTSORTE DES NORDENS sind in Mitteleuropa wenig bekannt. Aber auch in Nordeuropa gab es Heilige, und sie werden immer noch verehrt: Olav, Erik, Knut, Birgitta. Ich freue mich, dass Sibylle Hardegger mit diesem Buch verschiedene Wallfahrtsorte in den nordischen Ländern vorstellt. Sie erzählt auch über das heutige Leben der katholischen Kirche in unseren Ländern. Es ist auffällig, dass in diesen sehr säkularisierten Ländern die katholische Kirche wächst, vor allem durch Zuwanderung.
Wenn Sie nun neugierig geworden sind, die Orte zu entdecken und den Menschen zu begegnen, dann kann ich Sie nur bestärken und sagen: Komm und sieh! Als Vorsitzender der Nordischen Bischofskonferenz heiße ich Sie ganz herzlich willkommen bei uns im Norden.
+ Anders Arborelius ocd
Bischof der Diözese Stockholm
IN EINER IN JEDER BEZIEHUNG mobilen Welt ist ausgerechnet das Wallfahren als eine Form des Betens wieder in Mode gekommen. Das kann überraschen, wenn man meint, dass es natürlicher wäre, im Gebet die Ruhe zu suchen, die uns der Alltag so selten schenkt. Aber Beten ist keine Flucht vor dem Alltag, sondern dessen Heiligung. Und so ist auch eine Wallfahrt keine Flucht in eine andere Welt, sondern ein Versuch, die Mobilität unseres Lebens zu heiligen und in der Veränderlichkeit unseres Lebens Gott zu finden. Wer zu einer Wallfahrt aufbricht, weiß, dass wir nur im Unterwegssein zur Ruhe kommen können. Wallfahren ist wie Leben: Hier gibt es keinen Stillstand, sondern nur die kraftvolle, dynamische Ruhe, die der Heilige Geist spendet. »In der Mühe ist er Ruh, haucht in Hitze Kühlung zu« (Pfingstsequenz).
Das vorliegende Buch ist nicht nur eine Einladung zum Wallfahren ganz allgemein, sondern eine Einladung, die Pilgerwege und Pilgerorte in den nordischen Ländern kennenzulernen. Schweden, Dänemark, Norwegen, Finnland und Island sind nicht nur Urlaubsländer mit einer wunderschönen, oft unberührten Landschaft, sondern ein Rahmen, der zum Wallfahren, das heißt zum Zur-Ruhe-Kommen im Gebet förmlich einlädt. Sibylle Hardeggers Buch ist eine Ermutigung, in den Ländern des Nordens auf den Spuren der Pilgernden diese Ruhe zu suchen. Es will dem Wallfahrenden die Augen öffnen für Unbekanntes und Unentdecktes an den Pilgerwegen. Es ist aber auch eine Aufforderung zum Gebet für die Länder des Nordens und für ihre Kirche. Es ist eine Einladung, das Geschenk, das Gott uns mit der weiten Natur, dem klaren, unaufdringlichen Licht und den zurückhaltenden und freundlichen Menschen, aber auch dem neu aufbrechenden Glauben in diesen Ländern gegeben hat, betend und dankend zu entdecken. Der weite Himmel und die stillen Wege im Norden sind wie geschaffen, um in Bewegung zu sein und in der Bewegung die Ruhe zu erfahren, die der Heilige Geist uns schenken will. Das vorliegende Buch ist für diese Unternehmung ein kompetenter Führer und Begleiter.
P. Philip Geister SJ
Rektor des Newmaninstituts, Uppsala
Die längste Reise ist die Reise nach innen.
Dag Hammarskjöld
MENSCHEN BRAUCHEN in der Welt Orte, an denen Begegnung zwischen dem wahren Gott und dem geschaffenen Menschen zustande kommen kann. Das gilt umso mehr dort, wo Menschen alleine mit ihrem Glauben leben, wo sie in ihrem Alltag nur sehr selten Gemeinschaft im Glauben erleben...