Die wertorientierte Unternehmensführung ist in der betriebswirtschaftlichen Forschung kein neues Thema. So wurde bereits in den 1980er Jahren in Amerika und ab den 1990er Jahren auch in der deutschsprachigen Literatur einige Werke zu dieser Thematik veröffentlicht. Dabei zielt die Wertorientierung im eigentlichen Sinne auf die Steigerung bzw. Maximierung des Unternehmenswertes ab. Anfänglich noch als Antwort auf die M&A-Welle, die aus der Unterbewertung von Unternehmen auf dem Kapitalmarkt in den 80er-Jahren in den USA resultierte, entwickelte sich die wertorientierte Unternehmensführung zu einem wichtigen Managementthema auch außerhalb der USA.[1]
Die Globalisierung und Liberalisierung sowie die wachsende Bedeutung professioneller und institutioneller Investoren haben die konsequente Wertorientierung in Unternehmen weiter gestärkt. Im Zusammenhang mit Investoren ist v.a. der zunehmende globale Wettbewerb um Kapital, Veränderungen der Eigentümerstrukturen von Unternehmen, verstärkte Performance-Orientierung auch bei privaten Investoren und die erhöhte Dynamisierung des Marktes für die Unternehmenskontrolle als Impulsgeber aufzuführen. Auch die unzureichende Qualität traditioneller Steuerungs- und Kontrollzahlen und der Trend zur Dezentralisierung der Führungsstruktur ließen bzw. lassen die wertorientierte Unternehmensführung an Bedeutung gewinnen.[2]
Trotz dieser vielen Aspekte und Entwicklungen wird die wertorientierte Unternehmensführung nach wie vor als Steuerungsinstrument gemeinhin nur mit bereits börsennotierten Kapitalgesellschaften assoziiert. Bezüglich kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wurde das Konzept hingegen vergleichsweise wenig diskutiert, was auf den ersten Blick erstaunlich erscheint.[3] 99,9% aller Unternehmen in Deutschland zählen zu den KMU. Sie stellen zudem ca. 60% aller Beschäftigungsverhältnisse dar und erbringen insgesamt 55% der gesamten Nettowertschöpfung in Deutschland. Dies verdeutlicht, dass KMU ein wichtiger Bestandteil der deutschen Wirtschaft sind und ein erhöhtes betriebswirtschaftliches Forschungsinteresse normalerweise vorhanden sein sollte.[4]
Gründe für diese eingeschränkte Betrachtung in der Literatur sind u.a. die häufig fehlende Trennung zwischen Kapitalgeber und Unternehmer und ein daraus resultierender geringerer Leistungsdruck, das regionale und personelle Beziehungsgeflecht sowie die beschränkte Ressourcenausstattung. Die aufgezeigten Trends und Entwicklungen führen jedoch auch zu einer steigenden Dynamik der Umwelt- und Rahmenbedingungen für KMU und erhöhen somit die Relevanz der wertorientierten Unternehmensführung für diese Unternehmensgruppe. Folglich muss bzw. wird sich das bisher eingeschränkte Interesse an diesem Führungskonzept zwangsläufig verändern. Insbesondere der gestiegene Stellenwert von Investoren, welcher durch den erhöhten Kapitalbedarf bei Börsengängen, Expansionen oder im Rahmen der Nachfolgeproblematik entsteht, werden die Relevanz der wertorientierten Unternehmensführung in KMU systematisch erhöhen.[5]
Dabei ist zu beachten, dass KMU keine Miniaturausgaben von Großunternehmen sind und durch besondere Merkmale charakterisiert werden. Sie weisen zudem spezifische Erfolgsfaktoren auf. Eine einfache Übertragung des Konzeptes der wertorientierten Unternehmensführung erweist sich daher vermutlich als nicht möglich und es müssen zielgruppenadäquate Anpassungen vorgenommen werden.[6]
Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine Analyse, ob die wertorientierte Unternehmensführung ein geeignetes Steuerungskonzept für KMU ist.
Nachfolgend wird eine strukturierte Übersicht über den bisher bestehenden Literaturbestand zu diesem Themenbereich gegeben. Die überwiegende Mehrheit befasst sich v.a. mit der wertorientierten Unternehmens-führung in großen börsennotierten Unternehmen. Die ersten Überlegungen stellte Alfred Rappaport, ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, im Jahre 1986 an. Er übertrug die Kapitalmarkt- und Finanzierungstheorie auf die Unternehmensführung und begründete die Anfänge der wertorientierten Unternehmensführung. In der wissenschaftlichen Diskussion herrschte schnell Einigkeit über die Vorzüge und Notwendigkeit, wobei jedoch die Umsetzung und die Bestimmung der Bewertungsmethodik und Wertekennzahl zu verschiedenen Ansätzen führten. Neben dem von Rappaport entwickelten Ansatz des Discounted Cashflow, wurden weitere Bewertungsmethoden entwickelt. Zu benennen sind hier die Ergebnisse von Stewart (1990) mit dem Economic Value Added, Copeland et al. (1993) bzw. Lewis (1995) mit dem Cash Value Added respektive des Cashflow Return on Investment. Im deutschsprachigen Raum wurde die wertorientierte Unternehmensführung durch die Autoren Bühner (1990, 1994) und Günther (1997, 2000) vorangetrieben. Weitere Werke mit einem Fokus auf die Anwendungs- und Nutzungsmöglichkeit in der Praxis entstanden durch Coenenberg/Salfeld (2003) sowie Britzelmaier (2013). Riedl (2000) und Plascke (2003) verfasst zudem praxisorientierte Werke unter dem Titel „Unternehmungswertorientiertes Performance Measurement“ bzw. „Wertorientierte Management – Incen-
tivesysteme auf Basis interner Wertekennzahlen“, die einzelne Bereiche der Wertorientierung genauer beschreiben und analysieren.
Die genannten Werke beziehen sich jedoch in der Mehrzahl explizit auf ausschließlich große börsennotierte Unternehmen. Wortmann (2001) unternahm als Erster umfassende Untersuchungen für KMU, wobei er prüfte, ob die wertorientierte Unternehmensführung für mittelständische Unternehmen ein geeignetes Führungs- und Steuerungsinstrument darstellt. In seiner Untersuchung betrachtet er jedoch nur mittelständische Wachstumsunternehmen und verzichtet auf die Diskussion von Ausgestaltungsmöglichkeiten. Auch der „Arbeitskreis Wertorientierte Führung in mittelständischen Unternehmen“ der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. beschäftigte sich mit der Thematik im Mittelstand, jedoch ohne die Besonderheiten bei KMU zu erarbeiten. Nur wenige weitere Autoren, u.a. Khadjavi (2005), Tappe (2009) und Krol (2009), befassen sich mit der Wertorientierung im Mittelstand. Khadjavi befasste sich vor allem mit der Thematik der geeigneten Spitzenkennzahl und konzeptionell mit den entstehenden Kosten bei der Einführung und Verwendung. Tappe wollte mit seiner Arbeit die Erfolgsfaktoren bei der Implementierung analysieren, aber hat hingegen vielmehr einen Vergleich zwischen den aktuellen Merkmalen des Mittelstands und des Konzeptes durchgeführt. Krol untersuchte als Erster in seiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung die Schwierigkeiten bei der Einführung des Wertemanagements im Mittelstand in der Praxis. Dieses Problem hatte schon Khadjavi formuliert, aber nicht weiter untersucht.[7]
Es ist festzustellen, dass in der Literatur die Thematik der wertorientierten Unternehmensführung in der letzten Zeit weniger Beachtung geschenkt wird. So schreiben auch Weber et al. (2017) in ihrer zweiten Auflage, dass sich seit der Erstauflage in 2004 kaum Weiterentwicklungen an dem Grundkonzept ergeben haben. Anderseits wird möglicherweise auch die bisher geringe Anwendung des Konzeptes in KMU zu diesem Trend beitragen.[8]
Aufbauend auf die beschriebene wissenschaftliche Literatur umfasst der erste Schritt der Arbeit eine Einführung in die theoretischen Grundlagen der wertorientierten Unternehmensführung unter der Berücksichtigung der Relevanz für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit. Es soll aufgezeigt werden, welche Zielsetzung verfolgt wird und wie die wertorientierte Unternehmensführung als Führungskonzept ausgestaltet ist. Anschließend werden die organisatorischen Merkmale bzw. notwendigen Anpassungen der Teilbereiche des Unternehmens aufgezeigt. Die Wertbestimmung wird in diesem Kontext explizit vernachlässigt, da dies selbst eine umfassende Thematik darstellt und Khadjavi (2005) diesbezüglich schon eine umfassende Analyse für KMU erbracht hat.
Anschließend werden die Besonderheiten von KMU anhand quantitativer und qualitativer Merkmale dargestellt. Es folgt eine Übersicht der geänderten Umwelt- und Rahmen-bedingungen, welche die Notwendigkeit einer Veränderung der Unternehmensführung von KMU verstärken. Ein Vergleich der Merkmale der Wertorientierung und der von KMU leitet die Bewertung der Eignung ein. In diesem Kontext werden die grundlegenden Funktionen und Anforderungen an ein Steuerungskonzept bei KMU aufgezeigt und mit den Eigenschaften des Führungskonzeptes verglichen.
Abschließend wird auf die wenigen bisher vorhandenen empirischen Befunde eingegangen und ein Fazit gezogen.
Die zentrale These dieser Arbeit ist, dass...