So blau ist das Meer: physikalische Entdeckungen am Wasser
„Am grauen Strand, am grauen Meer, und seitab liegt die Stadt …“. Vielleicht kennen Sie das bekannte Gedicht von Theodor Storm über seine Heimatstadt Husum. In meiner Schulzeit konnte ich mir nicht erklären, wie ein Dichter so „grau“ über seine Heimat schreiben konnte. Graues Meer, wie schrecklich! So etwas gab es doch gar nicht. Das Meer war doch immer blau, jedenfalls auf allen Postkarten und Bildern. Auch den Astronauten zeigen sich die Meere in intensivem Blau. Heute weiß ich es natürlich besser: Meer ist, wie wir uns das wünschen, oft blau. Aber es kann auch grau, beige oder grün sein.
Bei oberflächlicher Beobachtung scheint das Meer die Farbe des Himmels widerzuspiegeln. Das Meer ist blau, wenn auch der Himmel blau über ihm leuchtet; es nimmt einen grauen Farbton an, wenn der Himmel wolkenverhangen ist. Und bei einem Sonnenuntergang kann man einen Streifen rotgolden glänzenden Wassers auf dem Meer erkennen. Auch der Mond spiegelt sich auf Gewässern, wenn er nur flach genug am Himmel steht.
Reflexion der Himmelsfarbe ist jedoch nur die halbe Erklärung für das unnachahmliche Blau des Meeres. Wie Ihnen bei Spaziergängen am Strand eines Meeres oder großen Sees vielleicht aufgefallen ist, nimmt das Meer einen umso intensiveren Blauton an, je weiter man darauf hinausschaut. Wenn man am Strand steht, hat man beinahe den Eindruck, als hätte jemand ein tiefblaues Band am Horizont ausgebreitet, um diesen zu markieren. Bei der Farbe des Meerwassers spielt nämlich nicht nur die Reflexion von Lichtstrahlen an seiner Oberfläche eine Rolle, sondern auch, wie das Licht unter Wasser auf dieses einwirkt. Wasser hat die Eigenschaft, das Sonnenlicht zu filtern.
Hat Wasser überhaupt eine Farbe?
Der Farbeindruck, den ein Gegenstand auf uns macht, hängt davon ab, wie das auf ihn fallende und gegebenenfalls in ihn hineingelangende Licht mit den Atomen und Molekülen des Stoffes wechselwirkt. Das Licht kann reflektiert, absorbiert oder gestreut werden. Diese Prozesse hängen einerseits von der Wellenlänge des Lichtes, also von dessen Farbe, andererseits aber auch von der Art der Moleküle und deren Bindung ab.
Welche Farbe hat also Wasser? Es erscheint, genauso wie Glas, durchsichtig: Durch ein mit Wasser gefülltes Glas kann man ohne Behinderung hindurchsehen, bei einer Pfütze kann man den Grund beobachten. Aber schon tiefere Seen nehmen einen bläulichen Schimmer an und in den größten Tiefen unserer Ozeane ist es stockdunkel. Wenn Sonnenlicht auf Wasser fällt, dann wird zunächst ein Teil des Lichtes an seiner Oberfläche reflektiert. Der Rest dringt in das Wasser ein und wechselwirkt mit seinen Molekülen, und dieser Effekt hängt von der Wellenlänge, also der Farbe des Lichtes, ab. Wassermoleküle absorbieren, also verschlucken, mit besonderer Vorliebe die langwelligen, also roten Anteile des Lichtes, sodass mit zunehmender Tiefe rote Lichtanteile völlig verschwinden. Jeder Taucher kennt diesen Effekt: Mit zunehmender Tauchtiefe verschwinden zuerst die roten, dann die grünen und schließlich auch noch die blauen Farbanteile. Im physikalischen Praktikum misst man als Student meist die Lichtabsorption des Wassers. Dabei zeigt sich, dass Wasser bereits am roten Ende des sichtbaren Spektrums eine schwache Absorption zeigt, die rasch anwächst, wenn man seine Untersuchungen in den langwelligeren Bereich, nämlich ins Infrarote, fortsetzt. Bei dieser Absorption werden die Moleküle zu Schwingungen gegeneinander angeregt.
Der kurzwelligere, blaue Anteil des Lichtes wird von den Wassermolekülen gestreut, also aus seiner ursprünglichen Richtung abgelenkt. Die Wasserteilchen strahlen das blaue Licht dann in alle Richtungen ab, dabei kehrt natürlich auch ein Teil des Streulichtes wieder zur Wasseroberfläche zurück. Dieser Anteil erzeugt den Blauschimmer. Er ist umso intensiver, je mächtiger die Wasserschicht, also je tiefer das Gewässer ist. Ein Blick aufs Meer beschert uns also mit zunehmender Tiefe auch intensiveres Blau. Ein reflektierender Untergrund, beispielsweise ein heller, nicht zu tief liegender Sandboden, kann den blauen Farbeindruck noch verstärken. Eindrucksvoll sichtbar wird das an flachen Mittelmeerstränden oder Südseeatollen, die das Sonnenlicht reflektieren und das Wasserblau zu einem charakteristischen Türkis verändern. So ist es auch kein Zufall, dass Schwimmbäder einen blauen Anstrich erhalten, das „Blau des Wassers“ wird dadurch angenehm betont. In einem Wasserglas oder einer Pfütze ist die Absorption und Streuung allerdings so gering, dass wir sie nicht wahrnehmen; Wasser in geringen Tiefen erscheint uns also durchsichtig.
Häufig wird jedoch die Farbe des Wassers durch alle möglichen Schwebstoffe verändert. Schon kleine Einschwemmungen gelöster Stoffe, winzige Organismen oder Dünger, der den Algenwuchs begünstigt, zerstören die intensive blaue Farbe des Wassers, da diese Teilchen größer sind und auch blaue Lichtanteile absorbieren können. Belastetes Wasser erscheint daher grünlich oder gar braun. Dass Meerwasser in der Nähe von Korallenriffen klar und blau ist, hat mit der Reinigungswirkung der Korallen zu tun. In der Nähe eines Strandes kann es durch aufgewühlten Sand grau oder beige sein. Und bedrohlich wird es, wenn sich das Meerwasser rot verfärbt. Ursache dieses „Rote Tiden“ genannten Phänomens sind kleine giftige Algen, die nicht nur das Ökosystem gefährden, sondern beim Menschen Hautirritationen und Durchfall verursachen.
Wasser ist immer in Bewegung
Sicher haben Sie schon am Strand eines Meeres oder Sees gestanden und die heranlaufenden Wellen beobachtet, eine Beschäftigung, der man lange Zeit nachgehen kann, ohne dass es langweilig wird. Da rollen kleine und große Wasserauftürmungen auf Sie zu, da bricht sich eine besonders große Welle zu einem schaumigen Gebirge, da verschwinden große Wellenberge so plötzlich, wie sie entstanden sind. Und selbst auf einem ruhigen kleinen See oder Teich kann man kleine Wasserbewegungen beobachten, die Kräuselwellen. Fast sieht es so aus, als bewegten sich die Wassermassen als Wellen immer aufs Neue auf den Strand zu, um dann – in einer kleinen Wellenpause – wieder zurückzufließen. Obwohl es in der Physik außerordentlich viele Beispiele für Wellenvorgänge gibt, denken Sie nur an Schallwellen, Radiowellen oder Erdbebenwellen, kommt uns beim Wort „Welle“ zuerst die bewegte Oberfläche des Meeres in den Sinn. Wasserwellen sind ein typisches Oberflächenphänomen an der Grenze zwischen Wasser und Luft, die nicht mit den unsichtbaren Dichtewellen oder Schallwellen im Wasser verwechselt werden dürfen.
Vielleicht bauen Sie sich zunächst einmal eine ganz spezielle Wellenmaschine aus Klammern. Sie brauchen dazu 10–15 gleichartige Wäscheklammern und einen möglichst großen Gummiring. Zunächst spannen Sie den Gummiring möglichst straff zwischen zwei entfernten Punkten auf, z. B. zwischen den Armlehnen eines Stuhls. Knoten Sie auf beiden Seiten eine kleine Schlaufe, damit die beiden Gummischnüre nahe beieinander verlaufen. Nun klammern Sie in möglichst gleichen Abständen (etwa 5 cm ist sinnvoll) die Wäscheklammern auf Ihre „Wäscheleine“, sodass sie fest sitzen und sich nicht verschieben lassen. Nun kann das Spiel der Wäscheklammern beginnen: Drehen Sie eine der beiden äußeren Klammern möglichst weit nach oben und lassen Sie sie dann fallen. Wenn das Gummi gut gespannt ist, wird sie gleichmäßige Schwingungen ausführen. Doch schon bald beginnt die zweite Wäscheklammer zu schwingen und die Bewegung setzt sich fort, bis sie schließlich auch die letzte Klammer erreicht hat. Die vorausgehenden Klammern sind inzwischen eine nach der anderen zur Ruhe gekommen, doch die Schwingung läuft von der letzten Klammer wieder zurück. Mit etwas Glück bewegt sich Ihre Klammernwelle sogar mehrmals über die ganze Reihe hin und her. Machen Sie vor Ihrem geistigen Auge eine Momentaufnahme des Versuchs: Einige Klammern befinden sich in Ruhe, einige führen heftigste Schwingungen durch. Betrachten Sie den Klammernversuch nur wenige Augenblicke später, dann befinden sich andere Klammern in Ruhe und in heftiger Bewegung. Die Bewegung ist ein kleines Stück über Ihre Gummileine gewandert.
Was ist so erstaunlich an diesem einfachen Versuch? Sie haben eine fortlaufende Bewegung beobachtet, und doch blieb jede Klammer auf ihrem Platz. Die Bewegung einer Welle ist nicht dasselbe wie die Bewegung der Materie (hier: Klammern), auf der sich die Welle bewegt. Jede einzelne Klammer schwingt auf und ab und übermittelt über das Gummiband ihrem Nachbarn diese Bewegung.
Wellen sind also Schwingungen, die sich im Raum fortbewegen, dabei Energie transportieren und trotzdem die beteiligte Materie im Großen und Ganzen an ihrem Platz belassen. Auch bei den Wasserwellen werden die Wasserteilchen mit der Wellenbewegung nicht wahllos und über größere Entfernungen „herumgeschoben“. Sie schwingen (fast) an Ort und Stelle mit der Wellenbewegung mit. Die Welle bewegt sich für uns ausgezeichnet sichtbar als wohl organisierte Bewegung in eine bestimmte Richtung (der Ausbreitungsrichtung der Welle), während sich das Wasser für uns nicht ohne weiteres einsehbar in ganz andere Richtungen (nämlich „auf und ab“) bewegt.
Die Geschwindigkeit der einzelnen Wasserteilchen bei dieser periodischen Bewegung hat nichts mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle zu tun. Nach dem Durchgang der Welle ist die Verteilung der Wasserteilchen in etwa die gleiche wie vorher. Werfen Sie einen kleinen Plastikball nicht zu nahe am Strand in die Wellen, dann wird er auf den Wellen auf und ab tanzen, jedoch nicht wieder zu Ihnen zurückkehren. Und...