Glückserlebnisse und Lebensglück
Die einfachen Dinge des Lebens
»Ich genieße meine freien Tage, an denen ich morgens vom Zwitschern der Vögel geweckt werde und nicht von meinem lauten Wecker.«
Brigitte, 44 Jahre, Sekretärin
»Mein Glückserlebnis passiert jedes Jahr, wenn der erste Schnee vom Himmel fällt.«
Anja, 29 Jahre, Grundschullehrerin
»Mich macht es glücklich, wenn die Sonne scheint, wenn ich Schokolade esse und meine Freunde treffe.«
Nina, 21 Jahre, Studentin
Wenn wir vom Glück träumen, haben wir oft ganz konkrete Dinge vor Augen: den Traumjob, die neueste It-Bag (früher Handtasche genannt) in limitierter Auflage oder das Idealgewicht. Das sind Glücksvorstellungen, die meistens nicht das halten, was sie versprechen. Der Traumjob stellt sich als eine Kampfarena von profilierungssüchtigen Jungmanagern heraus. Die Designer-Handtasche kostet mehrere Monatsgehälter und das bedeutet einen Urlaubsverzicht für die nächsten zehn Jahre. Das Idealgewicht ist nur mit eiserner Disziplin zu halten, was das Urlaubsvergnügen und die Weihnachtsfreude erheblich einschränkt. Dabei sind es gar nicht diese großen und oft unerreichbaren Wünsche, die unser Leben glücklich machen, sondern die kleinen Dinge im Alltag. Luise, eine 20jährige Lehramtsstudentin, antwortete auf die Frage, was für sie Glück sei: »Wenn ich frei bin von Sorgen und unerledigten Dingen. Oder wenn ich Auto oder Fahrrad fahre und gute Musik höre, dann bin ich glücklich. Ich fühle mich frei, weil ich tun und lassen kann, was ich will. Glückliche Momente erlebe ich auch, wenn ich einen bestimmten Geruch wiedererkenne, weil mich das an irgendein Erlebnis, eine Person oder einen Ort erinnert. Dann spüre ich, wie mich das Glück durchfährt, oft nur für einen kurzen Augenblick. Und ich liebe es, wenn ich im richtigen Moment das richtige Lied höre. Es macht die ganze Stimmung in einem aus und kann richtig glücklich machen. Für mich ist auch Glück, dass ich so empfinde. Ich glaube wirklich, dass es die kleinen Dinge sind, die einen glücklich machen.«
Musik, das Gefühl von Freiheit, Bewegung, ein bestimmter Geruch – das alles kann ein Wohlgefühl in uns auslösen. Oder eine Berührung – Giulia, eine 23jährige italienische Studentin, sagte: »Mein letztes Glückserlebnis war erst kürzlich eine Umarmung von meinem Vater.« Oftmals sind es nur kurze Momente. Es ist ein Bewusstsein für den Augenblick; man ist ganz präsent in der Gegenwart. Diese Glücksmomente kann man nicht hervorzaubern, auch wenn wir uns noch so sehr bemühen. Wir müssen sie im Alltag erkennen. Das ist nicht immer ganz einfach, weil unser Denken häufig auf die Zukunft gerichtet ist oder wir der Vergangenheit nachsinnen. Doch das Glück drängt sich manchmal richtiggehend auf. Man spürt, wie einen das Glück durchfährt. Und ein andermal bemühen wir uns vergeblich darum. Man macht es sich in seinem Lieblingssessel gemütlich, um genussvoll eine Tasse Tee zu trinken, ganz so wie es in den Glücksratgebern empfohlen wird, aber es stellt sich einfach kein Wohlgefühl ein. Stattdessen denkt man an die letzte Endlosdiskussion mit der pubertierenden Tochter oder wir sind einfach niedergeschlagen und können nicht einmal einen vernünftigen Grund dafür liefern. Grant Duncan, ein neuseeländischer Politikwissenschaftler und Glücksforscher, schreibt, dass Traurigkeit ein gesundes und normales Gefühl sei, das wir akzeptieren sollten. »Befreien Sie sich von dem sozialen Zwang, glücklich zu sein und sehen Sie Glück nicht als Recht an.«3 Diese Botschaft ist nicht neu, aber sie muss immer wieder gesagt werden, weil wir sie in unserem Glücksstreben ganz vergessen.
Es ist eine der vielen Eigenschaften des Glücks, dass es nicht jederzeit verfügbar ist. Aber das Glück findet uns leichter, wenn wir uns die Zeit nehmen, achtsam zu sein.
Glücksmomente erleben viele Menschen in der Natur. Dort werden alle Sinne angesprochen: Man sieht die hohen Bäume im Wald, riecht die Blüten der Wildkirsche, fühlt die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut, hört die Vögel zwitschern und schmeckt die Himbeere, die man sich im Vorbeigehen in den Mund schiebt. Olga, eine 51jährige russische Krankenschwester, erzählt: »Ich war vor Kurzem an einem schönen Morgen im Wald spazieren, die Sonne stand noch nicht so hoch, die Luft war ganz rein, es war recht frisch. Auf einer großen Wiese hat sich auf den Grashalmen Tau gebildet. Die Sonne kam hinter einer Wolke hervor und diese vielen kleinen Wassertropfen auf dem Gras haben wie tausende Perlen geglitzert und geschimmert. Es war so wunderschön und vollkommen. Bei diesem Anblick und in diesem Moment habe ich mich glücklich gefühlt.« Von einem anderen überwältigenden Glückserlebnis in der Natur erzählt Silke, eine 23jährige Studentin: »Letzten Sommer bin ich mit meinen besten Freunden im Urlaub gewesen und da sind wir zufällig einen unauffälligen steilen Weg gefahren. Und oben auf dem Berg angekommen, hatten wir die schönste Aussicht, die ich je gesehen habe. Ich habe mich wegen der tollen Atmosphäre und meiner Freunde sehr glücklich gefühlt. Dieser Augenblick war unbeschreiblich schön für mich.« Manchmal liegt das Glück abseits vom Weg, dort, wo man es nicht vermutet hätte. Wenn wir uns nur auf das konzentrieren, was glücksversprechend aussieht, entgehen uns leicht solche Glücksmomente.
Auch die Stadt bietet solche intensiven Erlebnisse. Luisa, eine 21jährige Studentin, erzählt: »Ein großes Glückserlebnis war für mich, als ich im Frühjahr von einer Party nach Hause lief. Es war die erste laue Nacht des Jahres und ich war ein wenig angetrunken, aber nicht zu sehr. Es war einfach schön, zu spüren, wie es wieder wärmer wird und die Stadt zu leben beginnt. Ich war sorglos und auch dieser Gedanke machte mich glücklich.« Wenn wir den Augenblick mit allen Sinnen wahrnehmen, werden wir für das Glück empfänglich. Ein Glas Wein ist dabei nicht hinderlich.
Die Geschichten zeigen immer wieder: Glück ist nicht gleich Glück. Das Gefühl, von dem hier die Rede ist, ist ein intensives Hochgefühl, das ein Überraschungsmoment in sich birgt. Dafür können wir nicht sehr viel tun, denn wir können uns nicht selbst überraschen. Aber es gibt auch Glücksgefühle, die wir beeinflussen können. Diese sind vielleicht nicht so intensiv, aber sie dauern oftmals länger an als die Euphorie. Es ist ein Gefühl der Freude oder des Wohlfühlens. Uta, eine 46jährige Heilpraktikerin, erzählt: »Wirklich glücklich macht es mich, an der Münchner Freiheit (ein Platz in München-Schwabing) Cappuccino zu trinken und Eis zu essen. Für mich ist das ein Glück, weil ich es mir häufig verschaffen kann. Auf diese Weise kann ich Einfluss nehmen auf das Glück, zumindest teilweise, und das verschafft mir im Alltag Ressourcen.«
Das Gefühl, sein Leben selbst gestalten zu können, ist ein entscheidender Faktor für das Glückserleben. Aktive Menschen sind glücklicher als passive, sagen Glücksforscher. Dem kann man sicher zustimmen. Sein Leben selbst zu gestalten, heißt, das zu tun, wofür man sich interessiert. Und das bedeutet für manche, in der Hängematte zu liegen und sich mit einem guten Buch unter den Bäumen vom Wind schaukeln zu lassen.
Eine Sinneswahrnehmung, die sehr zu unserem Glück beiträgt, ist das Essen. Es ist deshalb kein Wunder, dass in unserer Gesellschaft, in der die ganze Marketing-Strategie auf Glücksversprechen aufgebaut ist, Kochshows wie Pilze aus dem Boden schießen. Für die Fernsehköche mag es ein Glück sein zu kochen – und nebenbei noch für das eigene Kochbuch zu werben. Aber für die Fernsehzuschauer bleibt nicht viel vom Glück. Auf dem Fernsehschirm zuzuschauen, wie die begeisterten Köche knackiges Gemüse schnippeln und saftiges Fleisch in der Pfanne brutzeln, ist schon hart genug, aber dann noch beim genussvollen Verspeisen des Ergebnisses zuzusehen, trägt wenig zum Glück bei. Eigenes Tun ist nicht durch passives Zusehen zu ersetzen. Übermäßiges Fernsehen gehört zu den größten Glückskillern. Anstatt sich vor dem Fernseher mit einer aufgewärmten, kalorienreduzierten Tiefkühlpizza mit Ersatzschinken und Geschmacksverstärker zu begnügen, sollten wir es uns gönnen, selbst zu kochen.
Kochen ist eine Glücksquelle – allerdings nicht immer. Vor allem dann nicht, wenn man jeden Tag kocht und wenn es nicht um Kreativität geht, sondern nur darum, seine hungrige Familie satt zu bekommen und das möglichst schnell. Lange Zeit war es fast ausschließlich die Frau, die dafür sorgte, dass jeden Tag etwas Warmes auf dem Tisch stand. Als sich die Frauen in den 70er-Jahren von der traditionellen Frauenrolle lösen wollten, bedeutete das auch, sich von der Knechtschaft des Herdes zu befreien. »Wer sich nicht wehrt, endet am Herd«, hieß der Kampfspruch. Stolz verkündeten emanzipationsbewusste Frauen, dass sie nicht kochen könnten. Das hat sich inzwischen geändert. Heute ist Kochen zu einem Lifestyle-Programm geworden. Kochbücher, Küchengeräte, Profi-Küchen und sonstige Kochausstattungen verkaufen sich bestens. Auch Männer haben festgestellt, dass Kochen mehr sein kann, als das Fleisch auf dem Grill zu wenden. Sie kochen allerdings lieber für ein größeres Publikum, das ihre Kochkünste auch zu würdigen weiß: in Gourmet-Restaurants oder zu Hause für Gäste. Das Kochen für die Familie, die sich mit Lobeshymnen zurückhält und mit Kritik nicht spart, bleibt weiterhin vor allem den Frauen überlassen. Inzwischen haben auch Frauen wieder Spaß am Kochen entdeckt. Vor allem mit anderen zusammen, mit dem Partner oder mit guten Freunden....