Wir werden oft gefragt, was uns darauf gebracht hat, müllfrei zu leben. Dieser Prozess lässt sich nicht mit einem Satz zusammenfassen, aber eines ist sicher: Alles hat mit der Geburt unserer ersten Tochter angefangen.
Bis zum Tag von Emmas Geburt war uns unsere Umwelt alles andere als egal, aber die volle Wucht unserer Verantwortung wurde auf einen Schlag spürbar, als wir unser eigenes Kind zum ersten Mal in den Armen hielten. Nach uns kam jetzt nicht mehr irgendeine anonyme Generation, sondern es würden unsere Enkelkinder sein, die mit dem, was wir ihnen hinterließen, leben müssten. Klimawandel, Feinstaubalarm, riesige Müllteppiche im Meer, Gifte wie Chrom6 in Kleidung und hormonverändernde Weichmacher in unseren Nahrungsmitteln. Artikel über Schätzungen wie zum Beispiel die, dass es 2050 mehr Plastik als Fische im Meer geben würde. Oder die neueste Studie des WWF, dass bereits 2020 zwei Drittel aller jetzt lebenden Tierarten ausgestorben sein werden. Die Flut der Umweltprobleme schien an manchen Tagen kaum mehr zu ertragen. Der Wunsch, etwas zu ändern, wurde plötzlich zu einer drängenden Notwendigkeit. Entgegen des beliebten Spruchs »Think Big« tendierten wir zu »Think Small«. Wir wollten in erster Linie Veränderung in unserem kleinsten Umfeld frei nach dem Zitat von Gandhi: »Be the change you wish to see in the world.«
Es ging darum, Dinge umzusetzen, die wenig Aufwand und nur etwas mehr Achtsamkeit unsererseits erforderten. Der Mobilfunkvertrag bietet ein neues Handy an, obwohl das alte noch wunderbar funktioniert? Warum? Mit einem freundlichen »Nein, danke« kann man ein kleines Zeichen setzen, dass Aufmerksamkeiten dieser Art unnötig sind. Der Laptop ist kaputt und kann nicht mehr repariert werden? Dann gibt es die Möglichkeit, gut gepflegte Gebrauchtgeräte zu kaufen. Es sind oft Kleinigkeiten, mit denen man bereits Ressourcen schont.
Zuerst einmal haben wir versucht, uns daran zu erinnern, was unsere Eltern möglicherweise anders gemacht haben. Meine Mutter beispielsweise hat selbst Wolle gesponnen und daraus Pullover gestrickt, und mein Vater hat viele unserer liebsten Spielsachen selbst geschnitzt und gebaut. Der Anspruch, sich von der Konsumgesellschaft abzukoppeln und auf Plastik zu verzichten, war hier also schon vorhanden gewesen, bei Carlo war es ähnlich. Seine Mutter hat ein gutes Auge für Qualität und findet auf dem Flohmarkt immer wieder fantastische Schätze. Unsere Eltern haben uns somit also schon einen guten Start in ein Leben als bewusste Konsumenten gegeben. Trotzdem sind wir das nicht immer gewesen, und der Hauptgrund dafür war sicher oftmals Bequemlichkeit gepaart mit der Tatsache, dass wir hier in Deutschland in der unglaublich privilegierten Situation leben, uns mit vielen Thematiken, besonders jenen, die Müll betreffen, nicht auseinandersetzen zu müssen. Die Straßen sind sauber gefegt, die Mülltonnen werden regelmäßig geleert. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Wir haben bio gekauft und waren oft auf dem Markt, wir haben viel Secondhand erstanden. Wir waren begeistert, wenn wir von Menschen lasen, die den Aussteigertraum lebten oder gänzlich ohne Plastik auskamen. Doch waren diese Selbstversuche wirklich nachahmbar? Ich erinnere mich daran, wie wir durch den Bioladen gegangen sind mit dem Hintergedanken, plastikfrei leben zu wollen, und an die vielen Fragen, die beim Anblick der zahlreichen Verpackungen in unseren Köpfen umherschwirrten. Wie soll das funktionieren? Auch die romantische Vorstellung davon auszusteigen, sich vollständig abzukoppeln und ein Selbstversorgerleben anzustreben, kam uns in den Sinn, unsere Kinder würden einen Großteil ihrer Zeit an der frischen Luft verbringen, viel über die Natur lernen und nur selbst angebautes Gemüse essen. Doch auch hier fragten wir uns, wovon wir dann unseren Lebensunterhalt bestreiten sollten. In unseren Breitengraden schien es uns schier unmöglich, das ganze Jahr über von selbst angebauten Erzeugnissen zu leben. Keiner dieser Lebensstile schien wirklich umsetzbar. Also machten wir weiter wie gehabt. Wir waren achtsam, aber kauften weiterhin regulär ein. Aus gesundheitlichen Gründen (Weichmacher) kauften wir zwar immer schon Milch und Joghurt und auch Sahne im Glas, aber wenn es den Früchtequark nur im Plastikeimerchen gab, dann war das eben so. Ließ sich nicht vermeiden, dachten wir zumindest.
Bea Johnson
Sie ist eine in Kalifornien lebende Französin, die gemeinsam mit ihrer Familie müllfrei lebt. Sie ist die Person, die den Zero-Waste-Lifestyle massiv verbreitet hat, sowohl über ihren Blog, ihr Buch Zero Waste Home als auch über die vielen Vorträge über das Thema, die sie überall auf der Welt hält.
Das änderte sich, als ich eines Tages im Internet auf die Geschichte von Bea Johnson stieß, die mit ihrer Familie ein müllfreies Leben führte. Nicht nur plastikfrei, nein, müllfrei. Den noch anfallenden Müll sammelte die Familie in einem Bügelglas. Der Jahresmüll einer vierköpfigen Familie passte in ein einen Liter großes Einmachglas. Ich fing an, mehr zu dem Thema zu recherchieren, und mit jedem weiteren Artikel, Selbstversuch und Blog wuchs meine Begeisterung. Als ich Carlo davon erzählte, reagierte er zunächst ungläubig, doch mit der Zeit hatte er immer mehr Ideen und Vorschläge, was man ändern könnte und wie man dabei vorgehen könnte.
In diesem Jahr wurde unsere zweite Tochter Holly geboren, sie kam zu Hause auf die Welt. Jeder, der sich schon mal auf eine geplante Hausgeburt vorbereitet hat, weiß, wie viele Widerstände einem begegnen können. Doch gleichzeitig hat uns dieses Erlebnis als Familie geprägt. Wir waren mit unseren Entscheidungen im Einklang und hatten gelernt, dass wir unserem Bauchgefühl vertrauen konnten, auch wenn wir Gegenwind erhielten. Um es auf den Punkt zu bringen, wir waren um einiges selbstbewusster geworden, was unsere Entscheidungen anbelangte. Als der Restbestand von Emmas Neugeborenen-Windeln (wir hatten sie in einem Karton aufgehoben) aufgebraucht war, besorgten wir mitwachsende Stoffwindeln für Holly. Zu Hause hatten wir ohnehin nie Feuchttücher benutzt, und unterwegs gab es nun mehr Baumwolltücher und Wasser. Was hatte uns also so lange aufgehalten, unser Verhalten zu ändern? Rückblickend wissen wir, dass es hauptsächlich damit zu tun hatte, dass all unsere Gedanken zu theoretisch waren. Verkopft, wie wir waren, schienen die Lösungen nicht schlüssig. Dabei war es im Grunde genommen so einfach. Wir mussten nur damit anfangen, etwas zu ändern! Einen Startpunkt setzen!
Die vormals erwähnte Französin, Bea Johnson, war unsere stärkste Inspiration, sie ist die Ikone der Bewegung, und ich verschlang ihr 2013 erschienenes Buch Zero Waste Home und fühlte mich am Ende der Lektüre hoch motiviert. Wenn es in Amerika funktionierte, so konsequent zu leben, dann musste es doch im so umweltfreundlichen Deutschland erst recht gehen.
Ihr könnt euch vorstellen, wie überrascht wir waren, als wir im Zuge unserer Recherchen erfuhren, dass wir Deutschen tatsächlich unter den Europameistern im Müllproduzieren sind. Mit einer durchschnittlichen Gesamtmenge von 618 Kilogramm pro Kopf belegen wir den vierten Platz. Davon machen Verpackungen ganze 213 Kilogramm aus. Damit wollten wir nichts mehr zu tun haben.
Ein paar Fakten im Überblick
In Europa produzieren nur drei andere Länder noch mehr Müll pro Person und Jahr als wir. 774 Kilogramm Abfälle gehen auf die Kappe der Dänen, ihnen folgen die Luxemburger mit 653 Kilogramm, und die Einwohner von Zypern schaffen es auf 624 Kilogramm. Auf den unteren Rängen rangieren die Rumänen (272 Kilogramm) und die Esten (293 Kilogramm), die deutlich niedrigeren Zahlen zeigen, dass es auch anders gehen könnte.
Coffee-to-Go, weil man seinen Becher vergessen hatte, oder auch die Süßigkeiten an der Supermarktkasse gehörten für uns von nun an der Vergangenheit an. Wir waren bereit, dem Müll den Kampf anzusagen, und legten los: mit einem Konsumstopp.
Wir kauften einfach nichts mehr. Das heißt nichts, was wir nicht unbedingt zum Leben brauchten, wie etwa frisches Obst und Gemüse etc. Die Zeit, die wir durch die nicht mehr nötigen Einkäufe sparten, verbrachten wir nun mit einer eingehenden Bestandsaufnahme. Erster Halt war die Küche. Nachdem wir all unsere Vorräte im Speiseregal in Augenschein genommen hatten, beschlossen wir, diese erst zu verbrauchen, bevor neue, unverpackte Lebensmittel Einzug halten durften. Das hat eine angenehme Abwechslung in unseren Speiseplan gebracht, denn wenn man nur mit den Dingen kocht, die man bereits im Haus hat, muss man mitunter kreativ sein. Bis zu diesem Zeitpunkt wussten wir z. B. nicht, dass wir mit unserem Risotto-Reis ebenso gut Milchreis kochen konnten.
Diese Zeit hat uns sehr viel Spaß gemacht, vor allem, weil viele Dinge plötzlich so unkompliziert waren. Wenn es etwas nicht gab, dann war es einfach so, und die Herausforderung, einen passenden Ersatz selbst herzustellen aus dem, was gerade verfügbar war, nahmen wir immer wieder gerne an. Auch sämtliche Küchengerätschaften, Aufbewahrungsmöglichkeiten und Geschirr wurden noch mal unter die Lupe genommen. Was brauchten wir wirklich, und wie viel braucht man wovon? Alles, was nicht mehr funktionierte oder nie benutzt wurde, flog gnadenlos raus.
Eine weitere Herausforderung bestand darin, alle aussortierten Gegenstände weiterzugeben, denn sie wegzuwerfen hätte nicht den Grundsätzen unserer neuen Philosophie entsprochen. Die Gegenstände, die wir nicht weitergeben konnten, packten wir in eine Flohmarktkiste, um sie zu gegebener Zeit zu verkaufen. Unsere Schritte waren also Innehalten,...