Vorwort
Spontanremission bei Krebs – Zwischen Ablehnung, Banalisierung und zentraler wissenschaftlicher Diskussion
»Die Hoffnung ist zurückgekehrt. Und mit ihr das Leben.« Diese letzte Zeile von Susanne Szentandrásis Gedicht wird von Krebspatienten oder ihren Angehörigen immer wieder sinngemäß zitiert, wenn sie im Wartezimmer meiner onkologischen Praxis neben schönen Bildbänden das Buch Wunder sind möglich finden und darin zu lesen beginnen. Sie erwarten deshalb von mir kein Wunder, sondern fühlen sich erleichtert, dass auch bei einer unerbittlichen Diagnose eine ärztlicherseits bisweilen sehr forsch formulierte und dann vernichtend erlebte Prognose keineswegs immer Wirklichkeit werden muss. Die Krebsbetroffenen fühlen sich zudem durch die Tatsache, dass sich Ärzte mit den »medizinischen Wundern« von Spontanheilungen ernsthaft befassen, in ihrem legitimen »Hoffen trotz alledem« ernst genommen und gewinnen Vertrauen in die Medizin zurück.
Die Hoffnung von Menschen bewegt sich ja immer zwischen der Sicherheit zu sterben einerseits und andererseits der Unsicherheit, was im Leben bis zum Tode – und danach – konkret passiert. Und dieses letztliche Nicht-sicher-Wissen macht Hoffnung als Erwartung von positiven Erfahrungen und somit Zukunft möglich.
Nach acht Jahren seit Erstauflage des Buchs Wunder sind möglich im Verlag Herder war es an der Zeit, eine Neubearbeitung zu unternehmen, um neue Erkenntnisse zu diesem spannenden Phänomen Spontanheilung bei Krebs zu berücksichtigen und dem im Geleitwort von Professor Gallmeier 2003 formulierten Anspruch von »stets verlässlichen, breit fundierten und trotzdem immer verständlichen Informationen« zu genügen.
Der als herausragender Krebsspezialist und Vordenker in der Medizin renommierte Professor Walter Michael Gallmeier ist 2004 selbst viel zu früh einem Krebsleiden erlegen. Seine Aussagen in seinem Geleitwort zum Buch Wunder sind möglich sind immer noch aktuell. Deshalb soll das Geleitwort auch diesem Buch erhalten bleiben:
Spontane Rückbildungen von Tumoren (sogenannte Spontanremissionen), ein ungewöhnlich günstiger Verlauf bösartiger Erkrankungen, das sind Beobachtungen, die Kliniker und theoretische Wissenschaftler seit Langem faszinieren. Die Tatsache, dass sich Erkrankungen auch ohne die »ärztliche Kunst« rückbilden können, ist als »medizinisches Wunder« seit Jahrhunderten in Legenden überliefert. Es ist erstaunlich, wie wenig systematisch-wissenschaftliche Aufmerksamkeit dieses seltene Phänomen bisher in der Medizin erhalten hat. Führt uns doch die Natur bei Spontanremissionen vor, was wir als Krebsärzte mit und bei unseren Patienten erreichen wollen: ein Verschwinden der Krebserkrankung.
Seit Rudolf Virchow lag der Schwerpunkt der modernen wissenschaftlichen Medizin in der Erforschung der Prinzipien der Pathogenese und ihrer therapeutischen Beeinflussung. Sie erforschte also, wie sich der Körper und seine biologischen Funktionen in der Krankheit verändern und wie sie wieder normalisiert werden können. Die Gesundheitsforschung im Sinne der Salutogenese hat erst jüngst an Bedeutung gewonnen. Sie versteht Gesundheit nicht als etwas Festes, das in der Krankheit verloren geht, sondern als ein Lebensmerkmal, das genauso wie die Körpertemperatur ständig aktiv aufrechterhalten werden muss. Durch die Analyse von Spontanremissionen können wir möglicherweise mehr über die Prozesse und Abläufe im menschlichen Körper lernen, die gesund erhalten und gesund machen.
Auch wenn Spontanremissionen wegen ihrer Seltenheit kein praktisch gangbarer Weg aus einer Krebskrankheit sind, sind sie doch für uns Ärzte ein wichtiger Anlass, uns diesen neuen Gedanken intensiver zuzuwenden. Sie zeigen aber auch, wie bescheiden wir mit unserem vorhandenen Wissen umgehen müssen und wie vorsichtig wir mit Prognosen sein müssen. Für mich ist die eigene Erfahrung mit Spontanremissionen ein Trost und ein Grund zum Staunen.
Ich habe an der von mir geleiteten Nürnberger Medizinischen Klinik 5 bei mehreren Patienten sehr eindrucksvolle Spontanremissionen ihrer fortgeschrittenen Krebserkrankungen erleben dürfen. Dabei wurden diese Spontanremissionen selten direkt in der Klinik beobachtet. Die Patienten waren oft nach Hause entlassen oder in andere Krankenhäuser verlegt worden. Genauso erstaunlich wie das Phänomen der Spontanremission selbst war, wie wenig derartige Krankheitsverläufe als »Wunder der Medizin« überhaupt wahrgenommen wurden.
Ende der 1980er Jahre habe ich die Verbindung geknüpft zu kleinen Forschergruppen in Kalifornien, die versuchten, das Phänomen »Spontanremission bei Krebs« wissenschaftlich zu erhellen. Dadurch konnte dieses Phänomen 1990 bei einer von der Deutschen Krebshilfe ermöglichten internationalen Expertenkonferenz zum Thema »Psychoneuroimmunologie und Krebs« in Deutschland diskutiert werden.
Die Deutsche Krebshilfe hat von Anfang an erkannt, wie viele Hoffnungen Krebsbetroffene mit dem Phänomen Spontanremission verbinden. Sie hat ermöglicht, dass im Rahmen eines Förderprojektes »Biologische Krebstherapie« auch Spontanremission dokumentiert und untersucht werden können. 1997 hat die Deutsche Krebshilfe ein Symposium zum Thema »Spontanremissionen bei Krebs« ermöglicht, die weltweit zweite Konferenz überhaupt, die sich mit diesem Phänomen beschäftigte.
Mit dem Autor dieses ungewöhnlichen Buches verbinden mich mehr als zwei Jahrzehnte gemeinsamer Arbeit und intensiver Diskussionen an der von mir geleiteten Nürnberger Klinik. Frucht dieser gemeinsamen Arbeit ist bereits das von der Deutschen Krebshilfe herausgegebene Buch Nach der Diagnose Krebs – Leben ist eine Alternative, das seit Jahren von Krebsbetroffenen als verlässlicher Ratgeber geschätzt wird.
Dr. Kappauf – mit seinem fachlichen Hintergrund als erfahrener und bis heute praktisch tätiger Onkologe und gleichzeitig als Facharzt für Psychotherapeutische Medizin – versteht es nicht nur, komplexe biologische Vorgänge, die bei dem heiklen Thema Spontanremission eine Rolle spielen, verständlich zu erklären, sondern er anerkennt auch die jeweilige Einmaligkeit im Erleben und in den Geschichten der Patienten.
Das Buch ist die erste umfassende Darstellung des Phänomens Spontanremission bei Krebs, die sich primär an Krebsbetroffene und ihr mitbetroffenes Umfeld wendet. Ich wünsche diesem Buch mit seinen stets verlässlichen, breit fundierten und trotzdem immer verständlichen Informationen auch im Namen der Deutschen Krebshilfe einen breiten Leserkreis.
Professor Dr. med. Walter Michael Gallmeier
Mitglied des Medizinischen Beirats der Deutschen Krebshilfe
Präsident der Bayerischen Krebsgesellschaft
Ich bin 2003 nach fast 25 Jahren Tätigkeit an der Medizinischen Klinik 5 des Nürnberger Klinikums nach Starnberg gegangen, um dort eine onkologische Praxis als Kooperationsmodell mit der dortigen Kreisklinik aufzubauen.
Auch als niedergelassener Krebsspezialist habe ich inzwischen mehrere Fälle von Spontanremissionen bei Patienten mit Tumorerkrankungen erleben dürfen. Die wissenschaftliche Befangenheit im Umgang mit dem Thema Spontanremission ist geringer geworden. Bei einer Recherche im November 2010 in der medizinischen Datenbank PubMed, die lediglich seriöse, international zugängliche medizinische Fachzeitschriften umfasst, fanden sich zum Suchwort »spontaneous remission in cancer« 8846 Hinweise auf Artikel in wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Nach wie vor gilt jedoch Professor Gallmeiers Aussage: »Es ist erstaunlich, wie wenig systematisch-wissenschaftliche Aufmerksamkeit dieses seltene Phänomen bisher in der Medizin erhalten hat.«
Deshalb ist es auch möglich, dass dieses Thema Spontanheilung und Spontanremission im unkonventionellen Medizinsektor gegen eine wissenschaftlich fundiert Medizin instrumentalisiert werden kann.
So wird unter www.spontanheilung.com ein Buch Heilungswunder sind für alle da beworben und behauptet: »Kaum einer weiß, dass Heilungswunder (med. Bezeichnung »Spontanheilung« oder Spontanremission) wenigstens tausendmal öfter ›passieren‹ als die Öffentlichkeit erfährt. Die Medizin will es nicht wissen, spricht davon so wenig wie möglich und wir sollen es vermutlich nicht wissen! Könnten doch zu viele Hilfesuchende daraus lernen, aus einem »Unheilbar« ein Heilbar machen und die Aussagen der Medizin noch mehr hinterfragen.« In seinen weiteren Ausführungen hält der Autor des Buches Unterscheidungen zwischen Heilungswundern, Spontanremissionen und Spontanheilungen für eine »Haarspalterei, die nichts am Urgrund jeglicher Heilung ändert«.
Und ein Experte für »Geobiologische Untersuchungen« schrieb mir 2005:
»Mir wurden Ihre Erkenntnisse und Fragezeichen bezüglich Krebs-Spontanheilungen über Internet bekannt. Mich drängt es daher, Sie auf die eigentlichen Ursachen der vermeintlichen Spontanheilungen aufmerksam zu machen. Kompetenten »Rutengängern« sind die Ursachen schon längst bekannt. Leider ist es der Radiästhesie bisher, trotz verzweifelter Bemühungen und nachweislicher Beweise von Krebsheilungen, nicht gelungen, eine Hinwendung der Ärzteschaft zu diesen Erkenntnisfeldern zu erreichen. Zum unsäglichen Leid unzähliger Menschen.
Die Schulmedizin verharrt stur auf das, in den allermeisten Fällen, erfolglose Behandlungsschema: Bekämpfung der Symptome statt der Ursache.«
Als Krebsspezialist frage ich mich immer bei...