Die Welt der Faszien
Was sind diese Faszien eigentlich? Fest steht, dass sie derzeit das wohl populärste Gewebe in der Sportwissenschaft und auch über den wissenschaftlichen Bereich hinaus in aller Munde sind. Das Wissen über die vielfältigen Funktionen der Faszien bereichert die Sport- und Yogawelt gleichermaßen. Faszien sind jedoch schon immer Teil unseres Körpers, sie sind nicht neu dazugewachsen. Neu sind die Erkenntnisse der letzten Jahre, die sich durch wissenschaftliche Studien ergeben haben, sodass wir unsere Vorstellungen über unser Bewegungssystem überdenken und ergänzen können. Bisher gingen wir davon aus, dass Bewegungen allein durch das Zusammenspiel von Muskeln, Knochen und Nervensystem entstehen. Diese Vorstellung ist keineswegs falsch, doch lassen Sie uns diese Betrachtung durch eine weitere wichtige Komponente ergänzen, die einen großen Einfluss auf unser Bewegungssystem hat: Faszien.
Unter dem Begriff »Faszie« werden alle bindegewebigen Strukturen des Körpers zusammengefasst.
Zum Fasziengewebe zählen:
» Bänder
» Sehnen
» Sehnenplatten
» Unterhautgewebe
» Organ- und Gefäßhüllen
» Nervenhüllen
Muskeln, Knochen, Nerven und Organe – alles ist von Faszien umhüllt. Faszien verbinden alles in unserem Körper und trennen auch alles voneinander ab. Sie sind das Bindeglied zwischen den äußeren und inneren Körperstrukturen. Was besonders interessant ist: Faszien sind trainierbar! Sie können also selbst etwas für ein gesundes, flexibles Fasziennetz tun.
Aufbau der Faszien
Was haben unsere Faszien mit Orangen zu tun?
Gemeint ist hier nicht die umgangssprachliche »Orangenhaut«, die durch schwaches Bindegewebe entstehen kann. Vielmehr lässt sich anhand des Querschnitts einer frisch aufgeschnittenen Orange wunderbar der Aufbau unserer Faszien darstellen. Das Fruchtfleisch ist von weißen Fasern umhüllt, die dem Fleisch Form und Stabilität verleihen. So ähnlich würde es auch bei einem Querschnitt durch unseren Körper ausschauen. Die weißen Fasern sind auf allen Ebenen des Körpers zu finden und umhüllen alle anatomischen Strukturen. Jedes Organ, jeder Nerv, jedes Gefäß, jeder Muskel und jede Muskelfaser werden von einer Faszie umhüllt. Faszien dringen jedoch auch in das Innere ein, um dort für die Organe und Gefäße schützend zu wirken.
Im Grunde ist es falsch, von Faszien im Plural zu sprechen, denn eigentlich besitzen wir nur eine einzige große Faszie, die alles mit allem verbindet.
Grundsubstanz
In der flüssigen Grundsubstanz befinden sich alle Zellen und Fasern der Faszien. Sie ist wie ein großes Schwimmbecken, in dem die Zellen und Fasern dicht gepackt beieinanderliegen. Die Grundsubstanz besteht zu einem großen Teil aus Wasser und spielt daher eine große Rolle bei der Dämpfung von einwirkenden Kräften, zum Beispiel bei Stößen.
Organ der Form/Sektion
Faszien sind unser formgebendes Organ. Würde ein Pathologe alles bis auf die Faszien am menschlichen Körper entfernen, bliebe trotz fehlender Muskeln und Knochen die Körperform erhalten.
Grundsätzlich bestehen Faszien aus drei Grundbausteinen: der Grundsubstanz, den Fasern und den Zellen.
Fasern
Zu den Bindegewebefasern zählen Kollagen- und Elastinfasern. In welcher Menge und Kombination sie vorliegen, hängt von der Art der Faszie ab. Kollagenfasern stellen mit 60 bis 70 Prozent den mengenmäßig größten Teil der Bindegewebefasern. Kollagen ist ein sehr festes Strukturprotein und sorgt für Stabilität. Sie können die Kollagenfasern mit sehr reißfesten Seilen vergleichen. Elastin, der Gegenspieler zum Kollagen, ist ein elastisches Strukturprotein. Elastinfasern sind im Gegensatz zu den Kollagenfasern flexibel und um bis zu 100 bis 150 Prozent dehnbar. Sie puffern starke Dehnbelastungen ab und verteilen die einwirkenden Kräfte gleichmäßig auf das Kollagen. Beide Fasertypen unterscheiden sich deutlich hinsichtlich ihrer Struktur. Sie arbeiten jedoch Hand in Hand zusammen. Eine ausgeglichene Balance zwischen fest und elastisch, hart und weich ist die Basis für ein intaktes Fasziennetz.
Zellen
Die Bindegewebezellen sind für den Stoffwechsel der Faszien zuständig. Sie sind die Produzenten von Kollagen und Elastin und werden durch Bewegung angeregt. Auf Zug- und Druckbelastungen durch Dehnen oder elastisches Federn reagieren Sie mit der Produktion von Kollagen oder Elastin.
Je nach Anforderung im Körper kommen Faszien mal als straffes und festes Gewebe (z. B. Achillessehne) oder als lockeres Bindegewebe (z. B. Organhüllen) vor.
Straffes Fasziengewebe
Ein Paradebeispiel ist die Achillessehne. Sie muss hohen Zugbelastungen standhalten. Der Anteil an Kollagen ist deutlich höher als der Elastinanteil. Die Zugbelastungen verlaufen primär in zwei Richtungen, nach oben und unten. Entsprechend der Zugbelastung richten sich auch die Kollagenfasern aus. Sie liegen eng aneinander und verlaufen parallel zueinander, um wie ein festes Stahlseil den Kräften entgegenzuwirken.
Lockeres Fasziengewebe
Nehmen Sie Ihre Leber als Beispiel. Auch sie ist von einer faszialen Hülle umgeben, die sie von anderen Organen abtrennt, aber auch mit ihnen verbindet. Die Fasern sind hier eher locker angeordnet und gut beweglich. Der Wasseranteil in der Grundsubstanz sollte hoch sein, damit Stoß- und Druckbelastungen gut abgebremst werden können und das Organ unversehrt bleibt.
Funktionen der Faszien
So vielfältig wie die Erscheinungsformen der Faszien sind auch die Funktionen:
» Verbindung und Trennung: Das Fasziennetz ist der einzige Teil des Körpers, der alle Körperteile miteinander verbindet, gleichzeitig trennt es die Gewebe voneinander.
» Stütze: Ohne die Faszien würde das Muskel-Skelett-System nicht funktionieren, da keine Stabilität vorhanden wäre (s. Seite 21).
» Schutz: Alle in unserem Alltag auf uns einwirkenden Zug- und Druckbelastungen werden über die Faszien abgepuffert. Insbesondere das Wasser der Grundsubstanz und die Fettzellen wirken kompressionsdämpfend.
» Kraftübertragung: Muskeln und Faszien sind eine untrennbare Einheit. Faszien umhüllen jede Muskelfasereinheit, die Muskelfaserbündel und den gesamten Muskel. Über die Sehnen ist der Muskel mit dem Knochen verbunden. So entsteht eine kontinuierliche fasziale Verbindung aller Strukturen, die für die mechanische Kraftübertragung nötig sind.
» Transport: Die Grundsubstanz spielt eine wesentliche Rolle bei Stoffwechselvorgängen, da hier die Nährstoffe und Informationen aus den Blut- und Lymphgefäßen und den Nerven transportiert werden.
Leitbahnen des Körpers – die Faszienketten
Faszien bilden eine untrennbar miteinander verbundene Einheit. Dennoch lässt sich das Fasziengewebe grob in drei Bereiche untergliedern:
» Faszien des Zentralnervensystems
» Faszien der Organe
» Faszien des Bewegungsapparates
Die Faszien des Bewegungsapparates, sind im Yoga von großer Bedeutung, denn sie übertragen Kräfte und koordinieren die Bewegung. Die noch in vielen Köpfen verankerte Vorstellung, dass Knochen durch die Kraft einzelner Muskeln bewegt werden und die Muskelkraft dabei isoliert über eine Sehne auf den Knochen übertragen wird, muss mit dem heutigen Wissen über die Faszien revidiert werden. Die Faszien, das bis dato fehlende Bindeglied, arbeiten bei der Kraftübertragung Hand in Hand mit der Muskulatur. Auch Zug- und Druckbelastungen, wie sie beim Dehnen entstehen, werden von einer Körpereinheit zur nächsten weitergegeben, damit sich die Belastung über den ganzen Körper verteilt.
Die Faszien des Bewegungsapparates werden auch als »Myofaszien« bezeichnet. Das Wort »Myofaszie« beschreibt die untrennbar miteinander verbundene Einheit aus Muskelgewebe (Myo-) und dem bindegewebigen Fasziengewebe (Faszie). Häufig werden diese Linien auch als myofasziale Meridiane bezeichnet. Damit keine Begriffsverwirrung entsteht: Die Linien der myofaszialen Leitbahnen sind keine Akupunkturmeridiane, denn üblicherweise versteht man unter den Meridianen die energetischen Transmissionslinien in der Akupunktur. Es existieren eindeutig Überschneidungen, sie sind aber keinesfalls äquivalent.
Die Betrachtung unseres Körpers als eine Einheit ermöglicht bei Haltungsfehlern eine ganzheitliche Analyse der Problemursache. Haltungsfehler, wie zum Beispiel ein ausgeprägter Rundrücken im Brustwirbelbereich, führen zu einem Ungleichgewicht zwischen hinterer und vorderer Faszienkette: Eine Seite ist verkürzt, die andere wird zu sehr aufgedehnt. Der Körper...