2. Kapitel
Lisa erzählt ihre Geschichte
»Es gab für mich bis Oktober letzten Jahres keine Anzeichen, dass ich mich innerhalb einer Woche plötzlich in einem Alptraum befinden würde, der nicht enden wollte. Ich weiß nicht einmal mehr, wie es dazu kam, welchen Grund meine Bekannte überhaupt hatte, mich mit einer Frage zu konfrontieren, die mich völlig überraschte und damit den Stein ins Rollen brachte.
›Könntest du dir vorstellen, ich meine, kann es sein, dass Mike eine Freundin hat?‹, fragte sie mich eines Nachmittags, während unseres Stadtbummels, plötzlich aus heiterem Himmel.
Ich schaute sie erstaunt an und schüttelte vehement den Kopf.
›Waaaas? Nee, wie kommst du denn auf so was? Mike würde so was nie tun und es gibt auch gar keinen Grund für mich so was anzunehmen‹, antwortete ich.
Beate schwieg. Ich runzelte die Stirn. Was stellt sie mir denn da für eine komische Frage, dachte ich, wo sie mir doch sonst immer sagt, wie toll sie es findet, dass Mike und ich, auch nach 20 Jahren, noch so liebevoll miteinander umgingen und ewig verliebt aussähen. Ich lächelte, denn Mike war wirklich die Liebe meines Lebens, mein Ritter und der tollste Mann auf der Welt und ich war seine Prinzessin. Letztens hatten wir noch darüber gesprochen, wie wenige Menschen nach so langer Zeit noch so eine tolle Beziehung führten. In unserem Umfeld gab es einige, die Affären hatten. Mike hatte mir davon erzählt. Wir waren uns sofort einig, dass wir dies überhaupt nicht gut fanden.
›Man kann doch vorher reden, wenn man nicht zufrieden mit dem Verlauf der Partnerschaft ist und nicht einfach fremdgehen‹, sagte ich zu dem Thema immer.
›Kommt ja doch meistens raus‹, sagte er dann, worauf wir lachten.
Außerdem konnte ich sicher sein, weil ich Mike immer wieder zwischendurch fragte, ob alles in Ordnung war und er sich wohlfühlte mit mir.
Gerade weil wir ja schon so lange verheiratet waren, hab ich oft gesagt, dass man aufpassen muss und einen der Alltag nicht auffrisst. Ich bekam jedes Mal zu hören: ›Mach dir nicht so viel Gedanken und Sorgen, es ist alles gut.‹
Und wenn Mike sagte, es sei alles gut, dann WAR auch alles gut. Er betonte auch immer wie schön er es fand, dass wir fast nie stritten, weil wir einfach so sehr übereinstimmten.
Ich war sogar unheimlich stolz darauf, dass ICH einen Mann hatte, der anders war als so viele Männer. Einen treuen Mann. Und das, obwohl die letzten Jahre leider der Sex ziemlich eingeschlafen war. Das lag an dem furchtbaren Stress, dem er ausgesetzt war. Dadurch bedingt ging es ihm auch körperlich selten gut. Er klagte täglich entweder über Magenschmerzen oder Kopfweh und Verspannungen. Zudem nahm er vom Arzt verschriebene Tabletten, die sich leider sehr auf die Libido auswirkten.
Ich nahm Rücksicht darauf und sprach ihn einmal im halben Jahr darauf an, weil ich wusste, dass er über das Thema nicht gern sprach und er sagte ja auch immer, dass es sich wieder ändern würde, die Sache mit der Lust. Leider hatte ich so viel öfter Lust, aber es macht keinen Spaß, als Frau ewig den ersten Schritt zu tun und sich dann noch ablehnen zu lassen. Das war auch der einzige Punkt! Ansonsten verstanden wir uns wunderbar und waren sehr liebevoll zueinander. Dass es tatsächlich jetzt besser würde, zeigte das letzte Wochenende. Wir schliefen plötzlich drei Tage hintereinander zusammen – nach einer Ewigkeit von drei Jahren.
Nein, alles war in bester Ordnung. Oder nicht?
Ich fragte Beate nochmal: ›Hey, was sollte die Frage? Also sag schon, wieso hast du gefragt?‹
›Ich weiß nicht. Ich hab irgendwie den Eindruck. Er ist ziemlich oft in Düsseldorf, findest du nicht? Und immer wenn er erzählt, dass er dort war, sieht er extrem entspannt aus, wie nach Sex, obwohl er doch immer sagt, wie viel Stress er hat. Fast jedes Mal wenn wir zusammen essen gehen, erzählt er, dass er in Düsseldorf war. Außerdem lässt er sein Handy nicht aus den Augen, hast du das noch nicht bemerkt? Das nimmt er sogar mit zur Toilette! Er hat sogar ein Passwort für sein Handy. ICH kann jederzeit an das Handy meines Mannes, so was gibt es bei uns nicht.
Außerdem hat er sogar sein Autokennzeichen auf Düsseldorf‹, bekam ich zur Antwort.
Du lieber Himmel! Ich winkte ab: ›Dass mit dem Kennzeichen weiß ich, hat einen harmlosen Hintergrund‹, lachte ich.
›Tja, das bekommt man aber nur, wenn man nachweist, dass man da auch wohnt und gemeldet ist‹, meinte Beate und fügte hinzu, ›Schau doch mal in seinen Personalausweis, welche Adresse dort steht.‹
Ich war baff. Was die Leute alles so mitbekommen, unglaublich.
An diesem Nachmittag trennte ich mich von Beate mit gemischten Gefühlen. Normalerweise bin ich kein Mensch, der kontrolliert und ich vertraute Mike immer blind. Dennoch sagte erstmals eine leise Stimme in mir: ›Was soll’s, überprüf es, mach dir selbst ein Bild. Er ist wirklich viel in Düsseldorf.‹
Am Abend bekam ich die Gelegenheit in Mikes Portemonnaie zu schauen. Ich entnahm seinen Personalausweis und starrte darauf. Tatsächlich. Er war mit einer Adresse in Düsseldorf wohnhaft gemeldet. Das war der Anfang einer Woche, die alles verändern sollte. Ich sprach ihn darauf an und er sagte mir, dass wäre die Adresse seines Gitarrenlehrers. Er hätte sie gebraucht, damit er das Kennzeichen bekommt.
›Glaubst du mir etwa nicht?‹, fragte er pikiert und löste dadurch ein Schuldgefühl in mir aus. Ich WOLLTE natürlich wie immer glauben, was er mir sagte. Es war schlimm für mich, den Vorwurf in seiner Stimme zu hören, weil ich ihm scheinbar grundlos misstraute.
Dennoch wurde ich das ungute Gefühl nicht los, dass da irgendetwas nicht stimmte. Daher überprüfte ich den Namen des Gitarrenlehrers mit der Adresse im Ausweis. Ich fand heraus, dass der Lehrer eine ganz andere Adresse als die angegebene im Ausweis hatte. Mike hatte geschwindelt! Das enttäuschte mich zutiefst, wo er doch genau wusste, wie sehr ich Lügen verabscheute. Außerdem fand ich es nicht gerade toll, dass er mir nie was darüber gesagt hatte!
Ich wollte ihn nicht verdächtigen, weil mir das selbst zu wehtat, aber ich bin eigentlich weder naiv noch blöd! Vielleicht gewollt blind, doch jetzt war ich richtig misstrauisch. Ich musste einfach erfahren, was dahinter steckte, hoffend, dass es nichts Schlimmes war.
In dieser einen Woche wurde ich zum Detektiv, getrieben von dem Wunsch nach Wahrheit. Ich nahm mir seinen PC mit den Mails vor und erfuhr, dass er ein Bett gekauft hatte, das nach Düsseldorf geliefert wurde; dass er mehrere Termine mit Maklern für Wohnungsbesichtigungen hatte und letztlich einen Mietvertrag unterschrieben hatte, inklusive Küchenablösesumme.
Zu guter Letzt nahm ich eines Nachts, als Mike schlief, sein Handy vom Nachttisch und schlich mich mit klopfendem Herzen in mein eigenes Büro.
Ich hatte mühsam in den Tagen zuvor die Tastenkombination abgeschaut, die er eingab. Ich gab sie ein und hatte Zugriff. Es versetzte mir einen Stich, zu sehen wie viele Frauennamen gespeichert waren. Ich notierte mir die Namen und googelte jeden Einzelnen – gleichzeitig in Verbindung mit Düsseldorf.
Übrig blieb ein Name, der in mir sehr starkes Unwohlsein auslöste. Mir schlug das Herz mittlerweile bis zum Hals heraus. DIESEN fremden Namen hatte ich doch auf der Gehaltsliste unserer Firma in seinem PC bereits gesehen. Normalerweise kannte ich alle Angestellten.
Ich schlich mich zurück ins Schlafzimmer und legte das Handy leise zurück an seinen Platz. Schlafen konnte ich in dieser Nacht nicht mehr.
Wie immer konnte ich mich nicht zurückhalten. Im Geiste hörte ich schon Beate, die mir sagte, wie doof ich sei, ihn mit meinem Wissen zu warnen, aber ich bin halt so und sprach Mike am nächsten Tag auf meine Recherchen an.
Er hatte sofort eine Antwort parat und meinte, dass er, weil der Gitarrenlehrer die Situation nicht mehr wollte, tatsächlich eine möblierte Wohnung wegen des Kennzeichens gehabt hätte. Diese habe er aber untervermietet. Das Bett wäre für den Nachmieter gewesen, weil das in der Wohnung befindliche ›Schrott‹ gewesen sei. Allerdings hätte er diese Wohnung nicht mehr, er wäre nur noch nicht dazu gekommen sich umzumelden. Der Mietvertrag für die neue Wohnung wäre eine Zweigstelle für eine Mitarbeiterin, die in Düsseldorf wohnte, und die er eingestellt hatte, damit sie ihren Minijob für die Firma machen könne. Er bestritt für die Küche bezahlt zu haben.
Im Nachhinein weiß ich, dass ich da schon zu schockiert war über die geübte Schnelligkeit der Antworten. Und ich sollte noch mehr herausfinden. Das Gesagte sickert tiefer in die Gedanken und etwas später merkt man, dass schon wieder was nicht zusammen passt. Das ist ja das Dumme beim Lügen. Man weiß einfach nicht mehr, was man alles so gesagt hat, kann es nicht nachhalten. Er hatte jedenfalls eine Menge an mir vorbei gemacht und ich fragte mich, welche Art von Kommunikation wir eigentlich führten.
Etwas in mir wollte dennoch einfach nicht registrieren, dass eine teure Wohnung mit einer hohen Quadratmeterzahl sicher nicht nur für den Nebenjob, den man von zu Hause hätte erledigen können, gedacht war. Denn es hätte bedeutet, der Tatsache ins Gesicht zu sehen, dass ich mich schamlos belügen ließ. Das wollte ich nicht wahrnehmen. Nicht von Mike! Das machte mir solche Angst. Doch Lüge um Lüge folgte, das Netz zog sich zusammen und ich spürte, dass er unruhig wurde.
Plötzlich rief er mehrfach an, um zu wissen wo ich gerade war, wohl aus Angst, was ich noch alles...