Ich sah ihn mit einem Stock auf das hohe Gras einschlagen, dann griff seine Hand plötzlich in die Tiefe und zog das sich krümmende und windende Wesen hervor.
Die Frauen, die sich um die Hintertür versammelt hatten, kreischten. »Töten Sie sie rasch«, riefen sie, »gleich, gleich, bevor sie beißt.«
Der Gärtner lächelte, die Schlange, deren Kopf ihm hilflos ausgeliefert war, fest in der linken Hand. Ihre Zunge zuckte blitzschnell hervor und verschwand. Er schlug mit seinem Stock ein-, zweimal gegen das Schwanzende, und die Schlange ringelte sich zusammen. Dann trat der Gärtner an den großen Baum mit der ausladenden Krone, der ein paar Meter neben dem Küchengarten dicht bei der Hintertür wuchs.
»Sie stirbt noch nicht gleich«, sagte er zu ihnen, »sie stirbt erst bei Sonnenuntergang.«
Er legte seinen Stock beiseite, ging in den nahe gelegenen Werkzeugschuppen und kehrte mit Hammer und Nagel zurück. Die Frauen beobachteten ihn fasziniert. Er schlug den Nagel irgendwo zwischen Kopf und Schwanz durch die Schlange und hämmerte sie fest an den Baum. Dann trat er einen Schritt zurück und sah zu, wie sie zappelte.
»Das wird sie den ganzen Tag über tun«, stellte er fest, »doch das Gift verliert sich, wenn die Sonne untergeht. Dann stirbt sie.«
Er wandte sich ab und ging in den Küchengarten. Die Frauen verschwanden im Haus, die Küchenmagd schwatzte aufgeregt auf die Köchin ein, das Hausmädchen rannte die Hintertreppe hinauf, um der Kinderfrau davon zu erzählen. Das Drama war vorüber. Der Tag nahm weiter seinen Lauf. Es war Morgen.
Jetzt war außer mir niemand mehr an dem Baum, und ich trat näher und starrte zu der Schlange hinauf. Sie war nicht sehr groß, überhaupt nicht wie die Ungeheuer im Zoo. Ihre Farbe war grünlich-schwarz. Ihr Körper wand sich manchmal, doch nicht die ganze Zeit. Ich fragte mich, warum sie bis lange nach dem Tee warten musste, um zu sterben. Verwirrt entfernte ich mich und ging zur Hauswand in der Nähe des Kinderzimmers im unteren Stock. Ein Tisch stand neben dem Fenster, darauf ein Käfig, und darin saßen zwei Tauben. Die Tauben waren ein Geburtstagsgeschenk gewesen. Ich war fünf Jahre alt. Ich starrte die Tauben an, wie ich die Schlange angestarrt hatte, mit gemischten Gefühlen. Das Wort Langeweile gehörte noch nicht zu meinem Wortschatz, doch hätte ich es gekannt, hätte es ausgedrückt, was ich empfand. Die Tauben langweilten mich. Sie hockten nebeneinander auf der Stange, gurrten oder zupften an ihrem Gefieder und verursachten einen widerlichen Schmutz auf dem Käfigboden. Jeden Tag mussten sie mit frischem Sand, frischem Trinkwasser, frischen Körnern versorgt werden, und das nahm wertvolle Zeit in Anspruch, die ich mit anderen Dingen, zum Beispiel mit Streifzügen durch den Garten, hätte verbringen können. Meine ältere Schwester hielt Kanarienvögel, glückliche Tiere, die tirilierten und sangen und sich auf einer kleinen Schaukel hin und her schwangen. Sie fand es nicht lästig, sich um sie zu kümmern, sondern sang mit ihnen, wenn sie ihren Käfig säuberte. Die Tauben waren anders. Sie drängten sich aneinander, mutlos und doch aufgeblasen in einer Art verzweifelter Gier, mit der sie bei der Fütterung mit den Schnäbeln aufeinander einhackten und sich gegenseitig von dem kleinen Futternapf verdrängten.
Ich ging ein weiteres Mal zu dem Baum, um mir die Schlange anzusehen. Sie bewegte sich immer noch und versuchte mit machtlos zuckendem Schwanz, sich zu befreien. Sie hatte die Hoffnung nicht aufgegeben und würde es auch nicht tun, bis die Sonne unterging. Sie wusste nicht, dass sie zum Sterben verurteilt war. Sie war tapfer, denn sie war wild. Sie war nie in einen Käfig eingesperrt gewesen. Ich rannte rasch zu den wartenden Tauben, die noch nicht gefüttert waren, schob den Haken des Käfigverschlusses zur Seite, und sperrte die Tür weit auf …
Tauben und Schlange gerieten im Verlauf des langen Sommertages in Vergessenheit. Auf den nahen Feldern machten der Farmer und seine Männer Heu, und meine achtjährige Schwester war in Arthur verliebt, den gutaussehenden Dunklen. Er setzte sie auf sein Pferd, und sie lächelte stolz wie eine Königin auf mich herab. Der ältere Mann, Tom, hob mich auf seinen Sattel. Doch das war nicht das Gleiche. Man hatte mich mit dem Trostpreis abgefunden.
Vom Haus her riefen sie uns zum Tee, doch anstatt ihn draußen zu trinken, gingen wir in das stickige Kinderzimmer, denn die Tante unserer Kinderfrau war aus London angereist, um den Tag hier zu verbringen, und alles musste perfekt sein. Ich erinnerte mich an die Tauben und sah verstohlen aus dem Fenster. Mein Herz setzte aus. Nur eine von ihnen war ausgeflogen, und ihre Gefährtin hockte niedergeschlagen allein auf der Stange. Es war schrecklich.
Wir setzten uns zum Tee, meine ältere Schwester von Träumen über Arthur beseelt, während die Jüngste, noch immer in ihrem hohen Kinderstuhl, gebieterisch die Hand ausstreckte und Marmelade auf ihr Butterbrot forderte. Die Älteren unterhielten sich. Sie hatten den offenen Käfig nicht bemerkt. Das Geplauder summte eintönig dahin, doch ich hatte keinen Appetit, denn irgendwo war die mutigere Taube in Freiheit und traf auf den Bäumen von Bookham Common bereits mit ihren wilden Artgenossen zusammen, während ihre schüchterne Gefährtin auf ihre Rückkehr wartete.
»Und was sind die Pläne für August?«, fragte die Besucherin.
Unsere Kinderschwester rührte mit einem Blick auf ihre drei Zöglinge in ihrem Tee. »Dieses Jahr gibt es eine Veränderung«, sagte sie, »etwas anderes. Sie fahren nach Cornwall.«
Die Wirkung war dramatisch, das Wort ›Cornwall‹ in der Betonung deutlich hervorgehoben. Es hörte sich an wie eine Reise zum Mond. Ich sah von ihrem netten, ernsten Gesicht – denn sie lächelte nicht – zu der Besucherin, die, ein Stück Kuchen auf halber Höhe zum Mund, überrascht innehielt.
»Nach Cornwall?«, rief sie aus.
Sie tauschten Erwachsenenblicke. Etwas Unausgesprochenes schien in der Luft zu liegen. Unvermittelt trat eine Pause ein, dann gingen sie zu anderen Themen über, als wäre dieses im Moment verboten. Ich dachte erneut an die Taube, die entkommen war. Nicht umsonst hatte ich sie Peter genannt und ihre zögerliche Gefährtin Wendy. Sie war die Erste gewesen, die eines Wolkenkuckucksheims zuliebe verschwunden war, das sich hinter Bookham Common auftat; möglicherweise war sie gerade jetzt flugs unterwegs nach Cornwall. Auf irgendeine Art und Weise musste die andere ihr folgen. Die Schuld lastete schwer auf meinem Herzen. Niemand durfte etwas erfahren. Wieder trat Schweigen ein, und als ich mich umsah, stellte ich fest, dass das Kinderzimmer im Schatten lag und aus der dahinterliegenden Halle kein Sonnenstrahl mehr hereinfiel. Bald wäre Sonnenuntergang. Zeit für die Schlange, zu sterben.
Ich rutschte ruhelos auf meinem Stuhl hin und her. Unsere Kinderfrau ahnte möglicherweise etwas und warf mir einen prüfenden Blick zu. Sie rührte noch einmal in ihrem Tee, doch ihr Blick ließ mein Gesicht nicht los.
»Ja«, sagte sie langsam, »ja, sie fahren nach Cornwall …«
Ich fragte, ob ich aufstehen dürfe, und sie nickte wortlos. Ich schlüpfte aus dem Zimmer und rannte nach draußen zu dem Taubenkäfig. Ein Wunder war geschehen. Der Käfig war leer. Ich blickte hoch in die umstehenden Bäume, doch da war nichts. Beide Vögel waren ausgeflogen. Morgen würde es wegen meiner Nachlässigkeit Beschuldigungen, Vorwürfe und Schelte regnen. Das spielte keine Rolle. Die Tauben waren frei und ich ebenfalls, denn nun würde ich sie nicht mehr füttern oder ihren Käfig säubern müssen.
Ein flirrender Sonnenstrahl fiel auf die höheren Äste des großen Baums neben der Hintertür. Ich beobachtete, wie er verschwand. Als ich an den Baum trat, sah ich, dass das lange, dunkle Geschöpf nicht mehr länger zuckte. Die Schlange war tot.
Der Eisenbahnwaggon war voll. Wir waren in Begleitung unserer Mutter und einer neuen Kinderfrau. Außerdem eines Kindermädchens und einer Gouvernante für die Ferien. Tatsächlich hatte sich alles verändert, und es waren sehr viele Personen, die sich um drei kleine Kinder kümmerten.
Der Zug fuhr in einen geschäftigen Bahnhof ein. Es herrschten Durcheinander und Geschrei. Wir alle waren müde. Um uns aufzumuntern, sagte unsere Mutter: »Wenn wir Plymouth hinter uns haben, kommen wir zu einer Brücke, und sobald wir die Brücke überquert haben, sind wir in Cornwall.«
Voller Erwartung hüpften wir aufgeregt auf der Stelle. Das Warten war unerträglich. Die Erwachsenen lächelten geheimnisvoll. Endlich verließ der Zug den Bahnhof, und bald darauf war ein merkwürdiges Rattern zu hören, als die Waggonräder auf die Brücke auffuhren. Um unsere fieberhafte Erregung noch weiter anzustacheln, hob die Gouvernante warnend die Hand. »Macht schnell die Augen zu«, befahl sie, »und macht sie erst wieder auf, wenn wir in Cornwall sind.«
Wir gehorchten, doch ich schummelte und öffnete meine, während wir uns noch auf der Brücke befanden. Es gab nichts zu sehen, nur Ausschnitte von Wasser zwischen etwas, bei dem es sich wohl um Eisenträger handelte. Das Geräusch des ratternden Zuges war furchterregend. Im einen Augenblick war es hell, im nächsten dunkel, dann hell, dann wieder dunkel. Ich war verwirrt, und die wenigen Augenblicke kamen mir vor wie Stunden. Plötzlich brach das Rattern ab, und die Räder änderten ihre Melodie. Überall war Licht, und die Sonne strömte durch das Waggonfenster.
»So. Jetzt sind wir in Cornwall«, sagte unsere Mutter und lachte.
Ich blickte hinaus und war ernüchtert. Was war hier anders? Die Landschaft sah unverändert aus....