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Zen lehrt, ein Leben ohne Besitz zu führen
Putzen heißt, das Herz zum Glänzen zu bringen
Im Zen-Tempel sind die Mönche, die sich in der Ausbildung befinden, für das gründliche Putzen am Morgen und Abend zuständig. Sie fegen das gesamte Gelände und wischen sorgfältig die Tempelhalle.
Sie putzen nicht, weil es schmutzig ist. Sie putzen, um ihre Herzen zum Glänzen zu bringen.
Fühlen Sie sich beim Besuch eines Zen-Tempels nicht auch so angenehm erfrischt? Spüren Sie nicht, wie sich Ihr Rücken in dem gepflegten Garten und in der Tempelhalle ganz von selbst in die Länge streckt?
Dass allein schon der Besuch eines Zen-Tempels Wohlgefühl in uns auslöst und unser Geist zu sich kommt, ist nicht der Ansprache durch Worte geschuldet. Es ist der Raum an sich, der zu uns spricht.
Was aber wäre, wenn überall auf dem Gelände Unkraut wüchse oder in der Tempelhalle Müll herumläge? Der Besucher würde sich unwohl fühlen und den Ort so schnell wie möglich verlassen wollen.
Ein wohlgeordneter, schöner Raum wirkt sich auf die Herzen der dort Anwesenden aus. Und das Putzen selbst lässt die Herzen der Menschen erstrahlen.
Bei der Geburt sind unsere Herzen rein wie Spiegel, keine Wolke trübt sie.
Doch im Lauf des Lebens legt sich Staub auf unsere Herzen, und Müll setzt sich in ihnen fest. Das macht uns voreingenommen oder führt zu voreiligen Urteilen. So glauben wir beispielsweise, den Charakter eines bestimmten Menschen genau zu kennen, oder wir sind davon besessen, eine bestimmte Sache unbedingt haben zu wollen. Müll und Staub trüben unsere Herzen, die einst so unbefleckt wie ein Spiegel waren. Aber das müsste nicht so sein.
Wir selbst sind es, die sich von solchen Vorurteilen und Obsessionen verführen lassen und dann darunter leiden. Aus diesem Grund müssen wir unsere Herzen eifrig polieren, damit sich kein innerer Schmutz und Staub daran festsetzen kann.
Ein Gran Schmutz weniger, und schon wird uns leichter ums Herz.
Ein bisschen weggeräumter Müll, und gleich fühlen wir uns erfrischt.
Putzen Sie die Flecken von Ihrem Herzen, damit es in seiner ganzen Reinheit erstrahlt. Wenn Sie in aufgeräumten Räumen leben, wird sich Ihr Herz nur schwer trüben können.
Der Sinn des Putzens besteht nicht darin, den Schmutz zu beseitigen.
Der Sinn des Putzens besteht darin, das Herz zum Glänzen zu bringen.
Die Mönche lassen die Korridore wie Spiegel erglänzen
Während ihrer Ausbildung sind die Mönche Tag und Nacht mit Übungen beschäftigt.
Sie übernehmen diverse Aufgaben im Tempel, putzen, arbeiten auf dem Feld und sind für die gesamte Ausstattung des Tempels zuständig. Diese Aufgaben werden als samu, das heißt Arbeit, bezeichnet und gelten genau wie das meditative Sitzen, das Zazen, als Übungen. Das Putzen stellt dabei eine wichtige Arbeit dar.
In Tempeln wie dem Eiheiji, dem Haupttempel der Sōtō-Schule in der Fukui-Präfektur, sowie dem Sōjiji in der Präfektur Kanagawa, in denen Mönche ausgebildet werden, beginnt der Tag um vier Uhr morgens. Nachdem sich die Mönche angekleidet und eine Zazen-Sitzung absolviert haben, widmen sie sich dem morgendlichen Gebet, wischen gemeinsam die Böden und frühstücken.
Später am Vormittag putzen sie ein weiteres Mal und dann noch einmal nach dem Mittagessen, also mindestens drei Mal täglich. An Tagen, an denen der Wind viel Staub hereinweht, kommen ein bis zwei zusätzliche Wischgänge hinzu, so dass die Mönche an manchen Tagen bis zu fünf Mal sauber machen.
Deswegen glänzen die Böden auch, als seien sie lackiert. Vor allem die Korridore sind blank wie Spiegel.
Beim Wischen verwenden wir keinerlei Putzmittel, wir putzen nur mit Wasser und einem Scheuertuch. Die Böden werden dabei so sauber, dass man sich in ihnen spiegeln kann.
Beim Wischen der Korridore stellen sich die Mönche mit ihren Lappen in einer Reihe nebeneinander auf und legen zeitgleich los. Auf allen vieren und mit unbändiger Energie schieben sie ihre Tücher über den viele Meter langen Flur. Am Ende angekommen, drehen sie um und kehren wischend zum Ausgangspunkt zurück. Dort beginnen sie aufs Neue, sodass jeder Mönch seine Bahn insgesamt drei Mal wischt.
Wenn eine Gruppe fertig ist, macht sie sich an anderer Stelle an die Arbeit, und schon kommt die nächste Gruppe und wischt denselben Korridor noch einmal auf dieselbe Art und Weise. Pro Tag wischen also mehrere Dutzend Mönche drei Mal die Korridore. Wen wundert es da, dass sie so schön und sauber sind?
Warum aber muss ein und dieselbe Stelle Dutzende oder Hunderte Male gewischt werden?
Das geschieht, damit dieser schöne Ort in noch größerem Glanz erstrahlt. Durch das ständige Polieren soll er immer reiner werden.
Das bloße Putzen verlangt den Mönchen, die mit ganzem Einsatz dabei sind, eine Menge körperlicher Kraft ab. Im Winter schmerzen die Finger- und Zehenspitzen vor Kälte, und im Sommer ist es so heiß, dass den jungen Männern der Schweiß herunterrinnt.
Doch das Gefühl der Frische, das sie empfinden, wenn sie nach getaner Arbeit den strahlenden Flur betrachten, lässt sich durch nichts ersetzen.
Es ist der Beweis dafür, dass sie ihre Herzen zum Glänzen gebracht haben.
Das Zuhause ist ein heiliger Ort
Wissen Sie, warum wir uns in japanischen Häusern im Eingang die Schuhe ausziehen?
Natürlich tun wir dies auch, um keinen Dreck und Staub ins Haus zu tragen, aber tatsächlich hat es noch eine tiefere Bedeutung.
In alter Zeit wurde kutsu 靴, »Schuhe«, mit dem Zeichen沓 geschrieben, dessen zweite Lesung kegare, »Unreinheit«, bedeutet. Sich im Eingang die Schuhe auszuziehen hat also die zentrale Bedeutung, die Unreinheit von draußen nicht mit ins Haus zu tragen.
»Ein Schritt nach draußen beschert einem sieben Feinde«, heißt es, und diese Redewendung zeigt, dass jeder Gang nach draußen mit Stress verbunden ist.
Selbst wenn wir nur unsere Einkäufe oder irgendeine Kleinigkeit erledigen, kommen wir mit unzähligen Menschen in Kontakt, manchmal ärgern wir uns dabei oder fühlen uns unbehaglich. Auch in der Firma oder Schule kommt es vor, dass wir mit jemandem aneinandergeraten oder dass etwas nicht so läuft, wie wir es wollen.
Zu Hause erholen wir uns von dem Stress und der Erschöpfung, es ist ein wichtiger Ort, an dem wir wieder zu uns selbst finden. Aber was, wenn dort alles in der Gegend herumfliegt? Wir haben am Eingang extra alles Unreine abgelegt, doch jetzt werden wir mit neuem Stress konfrontiert.
Außerhalb des Hauses geben wir uns mehr oder weniger formell. Wir wappnen uns, sind gleichsam »kampfbereit«. Doch wenn wir nach Hause zurückkehren, legen wir unsere Rüstung ab und atmen erleichtert auf. Wir tauschen das öffentliche gegen das private Gesicht.
Tempel und Schreine werden auch als jōiki – reine Bereiche – bezeichnet, es sind reine Räume, in denen Buddha oder die Götter zu Hause sind. Wer in Tempeln und Schreinen arbeitet, fegt und wischt sie gründlich, um Buddha und den ehrwürdigen Göttern ein gebührendes Areal zu bieten.
Das Gleiche gilt für unser Zuhause, das wir mit unserer Familie bewohnen. Es sollte ein stets reiner, heiliger Ort sein.
Der Weg zur eigenen Wohnung soll wie der Weg zum Tempel sein
Zu jedem Tempel und zu jedem Schrein gehört der sogenannte sandō, der Weg, der zum Heiligtum führt. An dessen Eingang steht ein Tor, bei Tempeln mon genannt, bei Schreinen torii. Bei den bedeutenden Tempeln und Schreinen ist der Weg zur Haupthalle oder zum Hauptschrein lang und führt zuweilen durch mehrere solcher Tore.
Auf den ersten Blick mag diese Anordnung unnütz erscheinen, aber es gibt einen Grund dafür: »Distanz« und »Zeit« sind wesentliche Faktoren auf dem Weg zum Gebet.
Gäbe es diesen sandō nicht, müssten wir, gleich nachdem wir das Tor passiert haben, beten und stünden in der Hetze des Alltags vor Buddha oder den Göttern. Doch in einem solchen Zustand sind wir innerlich nicht bereit.
Der Weg zum Tempel dient also dazu, mit Zeit eine längere Distanz zurückzulegen und sich so körperlich und innerlich vorzubereiten.
Vor dem Gebet ist es üblich, sich an dem steinernen Wasserbecken, das am Rand des sandō steht, Hände und Mund zu waschen....