Auf ihn geht der Titel »Bürgermeister« zurück. Er war der erste Meister der Züricher Bürger und gab der Stadt ihre Zunftverfassung. Und er war ein gerissener Diktator, der nur auf den eigenen Vorteil bedacht war.
Sein Geburtstag ist unbekannt. Auch über das Jahr seiner Geburt bestehen Zweifel, es dürfte um 1300 gewesen sein. Wann er starb, wissen wir genau. Er wurde mit seinem Koch im Chor der Kirche Sankt Peter 19 ( ? D 3) begraben. Ihr schlichter, spitzer Turm mit den großen Zifferblättern prägt bis heute die Silhouette der Stadt. Rudolf Brun wurde in Sankt Peter ein Grabstein gesetzt. Der verschwand ebenso wie der spätromanische Kirchenbau, der um das Jahr 1450 von einem gotischen Bau ersetzt wurde, der wiederum im 18. Jahrhundert einem barocken weichen musste.
An dessen Nordseite ist eine Kopie der ursprünglichen Grabplatte angebracht: Ein Schild mit einem sechszackigen Stern trägt einen Helm, auf welchem wiederum ein sechszackiger Stern mit Kugelköpfen an den Spitzen thront. Der Schleier auf dem Helm, der im Wind zu schweben scheint und dessen Ärmel so leer sind wie die eines Zeichentrickgespenstes, gibt der Grabplatte etwas Leichtes, Modernes. Der Todestag, mit einem Kreuz markiert, ist klar benannt. Es ist der 17. September 1360.
Andererseits benennt die Grabplatte auch den Kirchherrn von Sankt Peter. Es war der Tote selber. Er hatte 1345 bereits die Rechte und Pflichten der Gemeinde übernommen. Das heißt: Er diktierte die Geschichte, die sie schrieb – womöglich auch seine eigene.Alles an Rudolf Brun wirkt irgendwie skurril, auch die Sache mit dem Koch. Weshalb sollte der würdige Herr Bürgermeister ausgerechnet zusammen mit seinem Koch bestattet worden sein? Warum nicht mit seiner Gattin? Oder seinem Sohn Ulrich, dem Ritter, der 1361, ein Jahr nach seinem Vater, verschied? Die Geschichtsschreiber vermuteten, der Bürgermeister sei vom eigenen Koch vergiftet und deshalb gleich mit diesem begraben worden. Die Grabstätte wurde 1972 anlässlich der erneuten Renovierung von Sankt Peter geöffnet. Bei dieser Gelegenheit unterzog man die Gebeine einer eingehenden Untersuchung. Nichts da – kein Gift!
Eigenartig auch die Geschichte von einem handgreiflichen Streit, in den Brun geraten sein soll. Man sagt, er habe sich im Jahre 1330 in einer Schänke namens Estrich mit dem Ritter Rudolf Biber geschlagen. Dafür sei er mit einer Geldbuße von 550 Gulden bestraft worden, einer ungeheuer hohen Summe. Er wird sie schlicht nicht haben zahlen können. Einigermaßen verbrieft scheint zu sein, dass Brun drei Jahre nach der Tat gemahnt wurde, die Strafe endlich zu bezahlen. Ausgesprochen hatte die Strafe der Rat der Stadt.
Und damit kommen wir zur nächsten Skurrilität. 1336 stürzte Brun den Stadtrat. Wegen der immer noch nicht bezahlten Buße? Wohl kaum. Bei genauerem Hinsehen wird alles noch eigenartiger. In der Geschichtsschreibung sind keine Hinweise zu finden, dass Brun zuvor politisch aktiv gewesen wäre. Und nichts lässt darauf schließen, dass er Erfahrung gesammelt hätte, die ihn befähigte, einen solchen Putsch vorzubereiten und durchzuführen.
Er wurde berühmt für das, was Historiker den »Umsturz« nennen. Denn Brun hat, daran gibt es nun keinen Zweifel, mithilfe der Handwerker und sogar des einfachen Volkes den von sechs Familien beherrschten alten Rat der Stadt gestürzt. Das hört sich demokratisch an, war es aber nicht lange. Denn Brun schwang sich sogleich zum Alleinherrscher auf und regierte fortan ohne jeglichen Rat. Den gab es zwar weiterhin. Dominiert wurde er vom alten Stadtadel und der nun aufstrebenden Handwerkerschaft. Doch zu sagen hatte er wenig – das hatte ausschließlich Brun, denn er gab der Stadt eine Verfassung, die nach ihm benannte »Brunsche Zunftverfassung«. Sie bevorzugte zwar eben jenen alten Stadtadel und die Handwerker, die sich in 13 Zünften organisierten, von denen heute noch sichtbare Zeichen vielerorts in der Altstadt zu erkennen sind, die Zunfthäuser ( ? E 2-F 4).
DER UMSTÜRZLER WIRD ZUM ALLEINHERRSCHER
Aber auch diese Verfassung war nicht so demokratisch, wie man meinen könnte. Sie war nämlich eine Verfassung, die dem Bürgermeister eine lebenslängliche Amtszeit garantierte und die vorsah, dass alle Bürger einen Treueeid auf ihn, den Bürgermeister, schwören mussten. Womit sie Brun zum Diktator machte.
Immerhin wissen wir ziemlich genau, wie er aussah. Es gibt nämlich ein »Bildnijßs Herren Rodolf Brun, Ritter, und Erster Burgermeister der Respub: Zürich«. Dieses wurde gezeichnet nach einem Stich von Johann Meyer aus dem Jahr 1396. Es zeigt den kantigen Brun mit Vollbart und einer Frisur, die an Cäsars Haarschnitt erinnert. Wobei es durchaus denkbar ist, dass der Herr Kupferstecher sich von Abbildungen des römischen Herrschers inspirieren ließ. Dessen Laufbahn war womöglich auch für Brun von Vorbild. Schließlich hatte sich Cäsar aus dem Kreis der gleichberechtigten Senatoren Roms ebenfalls zum Alleinherrscher aufgeschwungen.
Wie genau es zu Bruns »Umsturz« kam, ist, wie gesagt, umstritten. Es scheint, als habe nicht Brun selber die Pläne geschmiedet, als habe nicht er die Aufständischen mobilisiert. Viele vermuten, dass ein anderer die treibende Kraft hinter dem Umsturz war: der Ritter Götz Mülner. Er war mächtig, hatte Einfluss, stand schon lange in Gegnerschaft zur Ratsmehrheit. Er hatte ein Amt als Chorherr inne, kurz, er, nicht Brun, scheint der Mann gewesen zu sein, der die Herrschaftsverhältnisse in Zürich umzukrempeln in der Lage war. Aber er starb. Und zwar genau in den Tagen der Ständerevolution.
Brun, der mit Mülner verwandt war und der für ihn arbeitete, scheint die Gunst der Stunde erkannt zu haben. Und er dürfte ein Meister der Taktik gewesen zu sein. Am 7. Juni 1336 stürmten die Aufständischen das Rathaus ( ? E 3), die alten Räte sollten festgesetzt werden. Doch sie waren gewarnt worden, konnten fliehen und somit der Verhaftung entgehen. Tags darauf wurde Brun im Barfüsserkloster von einer Versammlung von Aufständischen zum Bürgermeister auf Lebenszeit ausgerufen.
Und schon begann die Jagd auf die alten Räte. Nach unterschiedlichen Graden der Gefährlichkeit ließ Brun seine Gegner – all jene, die ihm nicht die Treue schworen – in verschiedene Richtungen verbannen. Es waren jene Kaufleute aus den Patrizierfamilien, die zuvor geherrscht hatten. 20 der 22 Verbannten kamen aus ihren Kreisen.
Aber wie konnte all dies Rudolf Brun gelingen, der weder über Einfluss noch über Erfahrung verfügte? Die Antwort ist einfach. Er dürfte sich an Mülner angehängt haben. Und als dieser starb – zur Zeit der Ständerevolution war Mülner schon fast 70 Jahre alt –, nahm Brun geschickt und schnell das Heft in die Hand. Es schien, als habe er das Hinscheiden Mülners geradezu erwartet, denn es war Brun, der die Aufständischen beim Sturm auf das Rathaus anführte.
Nicht nur die Verfassung und das neue Amt des Bürgermeisters waren auf ihn zugeschnitten. Auch die Verfolgungswelle, die seiner Usurpation folgte, offenbarte seinen ungestümen Willen zur Macht. Die Zahl der Hinrichtungen stieg nach dem »Umsturz« rapide an. Schließlich gab er sogar einen Erlass heraus, nach dem die ehemaligen Räte und ihre Anhänger sich nicht zu Gesellschaften mit mehr als drei Personen zusammenfinden durften.
Die Verbannten flüchteten, aber nicht weit. Sie setzten sich ab nach Rapperswil, ein Stück weit den See hinunter. Dort bildeten sie – unter dem Schutz des in Rapperswil residierenden Grafen Johann I. von Habsburg-Laufenburg, der aus einer Seitenlinie der mächtigen, in Wien residierenden Habsburger kam – eine Gegenregierung zu Brun.
Dieser Graf zog seinerseits einen Vorteil aus der Protektion. Er war nämlich bei der Stadt Zürich und bei vielen der Verbannten hoch verschuldet. Er konnte hoffen, dass ihm die Protektion – oder soll man sagen: das Erpressen von Schutzgeld? – einen Schuldenerlass einbrachte. So betrachtet wird das Bild von Brun wieder sympathischer. Die Exilierten im »äußeren Zürich« überfielen mithilfe der Habsburger das Gebiet der Stadt Zürich. Der Bürgermeister schützte seine Stadt gegen den Feudalherren und dessen aus Zürich entkommenen zahlungskräftigen Entourage.
Tatsächlich zog Brun mit einem Heer – sehr groß kann es nicht gewesen sein – gegen den Grafen Johann ins Feld. Allerdings sicherte er sich, auch das spricht für sein taktisches Geschick, zuvor die Unterstützung des Grafen Kraft III. von Toggenburg aus der namensgleichen Ostschweizer Dynastie, die sich schon seit Langem der Habsburger erwehren musste. Brun gewann die Schlacht bei Grynau, und Graf Johann kam dabei um. Das aber rief die Hauptlinie der Habsburger auf den Plan, die den Bürgermeister nun ihrerseits zwangen, auf alle Eroberungen zu verzichten und den Verbannten ihre Vermögen zurückzugeben.
BRUN, DER JUDENHASSER
1348 brach die Pest aus. Da zeigte sich ein...