Mutterschaft und Kultur
Es wird immer ein grober Mißbrauch sein, dem einzelnen Individuum gegenüber die Durchschnittsmethode anzuwenden, um seiner Entwicklung Richtungslinien vorzuzeichnen, oder a priori die Grenzen seines Wesens zu bestimmen. Sobald man aber einräumt, daß der Mehrzahlstypus des weiblichen Geschlechtes sich wesentlich von dem des männlichen unterscheidet, muß man sich zunächst auch mit den Konsequenzen dieser Erscheinung auseinandersetzen. Dabei lassen sich Generalisationen nach dem Durchschnittlichen nicht vermeiden; doch sei vorausgeschickt, daß jede Generalisation mit Vorbehalt zu nehmen ist, weil ihr Geltungsgebiet sich nur in die Breite und nicht in die Tiefe erstreckt. Je genereller die Fassung einer Behauptung ist, desto genereller muß auch ihre Anwendung sein. Beispielsweise: man kann wohl sagen, das Weib ist der kindergebärende Teil der Menschheit; aber schon wenn man formuliert: der Beruf des Weibes ist, Mutter zu werden, überschreitet man die Grenze, die der Generalisation gesetzt ist, indem man einen Begriff einführt, den Beruf, von dem sich individualistische Bestandteile nicht trennen lassen.
Mit diesem Vorbehalt also räumen wir ein, daß der weibliche Mehrzahlstypus an Intellekt wie an Willenskraft dem männlichen nicht gleich ist.
Über die Ursachen dieser Erscheinung weichen die Meinungen erheblich voneinander ab. Während die einen das Milieu, die Erziehung, alle Einflüsse einer Jahrtausende langen Unterdrückung zur Erklärung heranziehen, suchen sie die andern in der ursprünglichen Anlage und Bestimmung des Weibes, in seiner Gebundenheit durch die Mutterschaft. Die Gebundenheit des Weibes ist eine naturgewollte, so argumentieren diese, weil die Natur dem Weibe in der Mutterschaft eine schwere und verantwortungsvolle Bürde zugeteilt hat; jene aber machen nicht die Natur, sondern den Mann dafür verantwortlich, daß diese Bürde ein Hemmschuh in der geistigen Entwicklung des weiblichen Geschlechtes geworden ist. Denn der Einfluß des Milieus und der Erziehung, der ganze Begriff der »Unterdrückung« bezeichne nur eine sekundäre Erscheinung, deren eigentliche Ursache in der sexuellen Eigenart des Mannes zu suchen ist, in seinem Bedürfnis nach Herrschaft über das Weib.
Man braucht sich weder für den einen oder den andern Standpunkt zu entscheiden – obwohl sie gegnerische und als jene der Feministen und Antifeministen bekannt sind –; denn unverkennbar haben beide Ursachen dazu beigetragen, den Mehrzahlstypus des weiblichen Geschlechtes zu bestimmen.
Wer gerecht über das Weib und seine Stellung im geistigen Leben der Kulturmenschheit urteilen will, darf die Bestimmung zur Mutterschaft bei der Bewertung weiblicher Leistungen nicht unberücksichtigt lassen. Von »Gleichheit« der Geschlechter im allgemeinen kann nur die Rede sein, sofern es sich um das Recht der Selbstbestimmung nach Individualität handelt; und der absolute Maßstab ist nur anzuwenden, wenn etwa zwischen Bewerbern verschiedenen Geschlechtes in einer Sache entschieden werden soll. Daß aber die gleiche Leistung einer Frau subjektiv viel höher einzuschätzen ist, weil sie viel größere Hindernisse von innen und von außen zu überwinden hat, kann nur der Parteigeist, der für oder wider verblendet ist, verkennen. Und vollends die weibliche Intellektualität historisch an der männlichen zu messen, den Mann einfach als Vergleichstypus für sie zu benützen, das ist eine der größten Ungerechtigkeiten, die eine vermeintlich objektive Wertmessung sich zuschulden kommen lassen kann.
Schon in der Art der Geschlechtsbeziehungen selbst, welche die Vorbedingung der Mutterschaft sind, liegt für das Weib etwas Bindendes, eine Disposition zu Unfreiheit und Unterordnung. Die Natur hat reichlich dafür gesorgt, daß das Individuum sich nicht seinen Pflichten gegen die Gattung entziehen kann. Diese Pflichten sind beim Manne durch einen aggressiven Trieb gesichert; beim Weibe, wo der Geschlechtstrieb keine aggressive Tendenz hat, überdies durch eine eigentümliche Willensschwäche und Suggestibilität, die es dem Einfluß des männlichen Willens unterwirft. Die Suggestibilität ist ein wesentlicher Faktor bei der sexuellen Eroberung, dessen sich die Natur bedient, um das Weib leichter in die Gewalt des Mannes zu geben, als es bei der gleichen Willensstärke auf beiden Seiten möglich wäre. Denn – immer im allgemeinen und von Mehrzahlserscheinungen gesprochen – der Mann gerät durch die Stärke seines Triebes nicht in die Gewalt des Weibes, sondern er bemächtigt sich des Weibes; ja seine psychische Disposition ist selbst der vorübergehenden Abhängigkeit, in die er durch die sexuelle Gemeinschaft notwendigerweise versetzt wird, so feindlich, daß sie ihm nur durch Eigentums- und Herrschaftsvorstellungen erträglich wird, während dieselbe Gemeinschaft bei dem Weibe von Ergebenheits- und Abhängigkeitsgefühlen begleitet ist.
Man würde nicht im Interesse des weiblichen Geschlechtes handeln, wenn man, von einer in einzelnen Fällen verwirklichten und als Entwicklungsmöglichkeit gewiß nicht selten vorhandenen Ebenbürtigkeit und Gleichheit der intellektuellen Begabung ausgehend, diese Umstände übersehen wollte. Denn wie dem Manne die teleologische Stärke, die ihm als Geschlechtswesen verliehen ist, auch als Kulturwesen zum Vorteil gereicht, so wird dem weiblichen Geschlecht seine teleologische Schwäche in dem Grade verhängnisvoll, als sich das menschliche Leben von seiner ursprünglichen und primitiven Verfassung entfernt.
Allerdings gehen auch sehr hohe Phänomene des menschlichen Seelenlebens aus den teleologischen Geschlechtseigenschaften hervor. Die mütterlichen Instinkte des weiblichen und die kriegerischen des männlichen Geschlechtes sind der Nährboden, auf dem unter Umständen die bewunderungswürdigste Erhebung des Individuums gedeiht – nur sind sie an sich nicht der Gradmesser für den Wert, nicht die Grenze für die Entfaltung des Individuums.
Die teleologische Auslegung der psychischen Geschlechtsdifferenzierung bietet allein die Möglichkeit, für das spezifisch Weibliche und namentlich für seine Beschränkung im Vergleiche zum spezifisch Männlichen einen objektiven und gerechten Maßstab zu gewinnen. Denn das Weib ist als Individuum durch seine Gattungspflichten schlecht weggekommen. Gerade für das Weib ist daher die zunehmende Differenzierung durch Übertreibung der teleologischen Eigenschaften durchaus kein wünschenswertes Ziel.
Zwar könnte es scheinen, als ob die homologe Entwicklung der Persönlichkeit nach den Tendenzen der primitiven Geschlechtsnatur einen Vorteil bedeuten müßte, da ja das Individuum, das für seinen natürlichen Beruf am zweckmäßigsten organisiert ist, auch das tauglichste sein wird. Aber so einfach läßt sich das Problem nicht entscheiden. Mit ebensoviel Geist als Scharfsinn hat Charlotte Perkins in ihrem Buche »Women and Economics« dargelegt, daß durch das Zusammenwirken erotischer und ökonomischer Momente im Laufe der Kulturentwicklung die teleologische Geschlechtsdifferenzierung übermäßig gesteigert wurde, daß die Menschheit im Vergleich zur Tierheit »oversexed«, übergeschlechtlich ist, das heißt, daß die den Gattungsaufgaben dienenden Eigenschaften sich über ihr natürliches Geltungsgebiet hinaus ausgedehnt haben. Wie sehr aber diese Übertreibung eine psychische Beschränkung des Weibes im Vergleich zum Manne bedeutet, läßt sich an dem nächstliegenden Beispiel zeigen, an dem Verhältnis der Geschlechter zur Nachkommenschaft. Hier wird die teleologische Geschlechtsdifferenzierung des Weibes mit allen Suggestivmitteln, religiösen wie sozialen und familialen, bestärkt; die Mütterlichkeit nimmt unter den sozial approbierten Eigenschaften der spezifischen Weiblichkeit den ersten Rang ein, und die bloße Abschwächung der ihr zugrunde liegenden Instinkte gilt als Entartungssymptom, während die Väterlichkeit in der männlichen Psyche weder durch die Erziehung noch durch die allgemeinen Anschauungen irgend eine Förderung erfährt, und die gänzliche Abwesenheit der ihr dienenden Instinkte das Individuum in keiner Weise herabsetzt. Sie gehört eben beim Manne nicht in das Gebiet der primitiven Geschlechtsnatur; sie steht zu den teleologischen Instinkten der Männlichkeit in einem gewissen Gegensatz, weil sie den Mann dem Weibe gleichmacht, indem sie ihn bindet. Denn es gibt nichts – außer der engeren physischen Verbindung, welche das Kind in der ersten Periode seines Daseins mit der Mutter verknüpft – wodurch sich ihrem Gefühlswert nach die Väterlichkeit von der Mütterlichkeit unterschiede. Väterlichkeit ist gar nichts anderes als die männliche Form der Mütterlichkeit.
Aber gerade weil sie ein Hinausschreiten des Mannes über die Grenze seiner teleologischen Natur ist, hat sie in der Geschichte der Menschheit eine ungeheure Bedeutung. War es nicht die Vaterschaft, die der ganzen Epoche der Zivilisation ihren Stempel aufgedrückt hat? War es nicht die Vaterschaft, durch die das weibliche Geschlecht um seine soziale Freiheit, der Mann hingegen zur Herrschaft über Leib und Seele des Weibes gekommen ist? Charlotte Perkins stellt es geradezu als Bedingung für die Entwicklung der Menschheit aus primitiven Zuständen zu höheren Entwicklungsstufen dar, »daß die freie Betätigung der mütterlichen Kräfte bei der Frau eingeschränkt und dafür ähnliche Kräfte im Mann geweckt und ausgebildet wurden«.
Doch nicht allein aus der Übertreibung des spezifischen Geschlechtscharakters – aus diesem selbst erwachsen unter den Bedingungen des Kulturlebens für das weibliche Geschlecht schwere Folgen. Unter diesen Bedingungen bringt schon die ehrenvolle und hochgeschätzte Seite der spezifisch weiblichen Natur erhebliche...