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E-Book

Propädeutik der Ohrakupunktur

AutorAxel Rubach
VerlagHippokrates
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783830455677
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis74,99 EUR
Ohrakupunktur - die ideale Grundlage von der Lernphase bis weit in die Praxis hinein: Als Lernender profitieren Sie von der didaktisch gut aufbereiteten Darstellung der Grundlagen und Techniken. Die Behandlungsschemata der bewährten Indikationen werden Ihnen ausführlich beschrieben. Das Vorgehen wird Ihnen Schritt für Schritt erklärt. Als Praktiker finden Sie die Therapieanleitungen auf Ihre Bedürfnisse zugeschnitten - bewährte Punktkombinationen auf einen Blick. Große, übersichtliche Ohrzeichnungen und Übungsfolien veranschaulichen Ihnen die Punktlokalisation. Neu in der 3. Auflage: Ca. 15 weitere bewährte Indikationen.

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Leseprobe

1 Einführung


1.1 Geschichte


Anfänge. Die Ohrakupunktur ist sicherlich, anders als häufig angenommen, im Vergleich zur Körperakupunktur keine junge Therapieform. Bereits im Huang Di Nei Jing, dem ca. 2100 Jahre alten Buch der Chinesischen Medizin, finden sich deutliche Hinweise auf reflektorische Beziehungen zwischen Ohrmuschel und einzelnen Körperregionen. Auch in Persien, Ägypten und dem alten Griechenland sind diese Beziehungen Überlieferungen zufolge vor etwa 2000 Jahren therapeutisch genutzt worden. In welcher Kultur die reflektorischen Zusammenhänge erstmals entdeckt und therapeutisch angewendet wurden, bleibt im Dunkeln, zumal es bis etwa zum 17. Jahrhundert nur wenige medizinische Aufzeichnungen gab. Infolgedessen trugen im Wesentlichen mündliche Überlieferungen über Generationen hinweg in Europa, im Nahen Osten und in Teilen Afrikas zum Überdauern bestimmter Elemente dieser Behandlungsmethode bei, wie etwa der Kauterisation im oberen Ohrmuschelbereich im Falle einer Lumboischialgie. Sowohl in der Kunst als auch in medizinischen Abhandlungen gibt es Hinweise, dass im Laufe des 17. Jahrhunderts auch in Europa gute Kenntnisse über die reflektorischen Beziehungen der Ohrmuschel bestanden. An erster Stelle ist das berühmte Gemälde „Der Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch anzuführen. Im rechten Flügel dieses Altartriptychons finden sich eine symbolische Darstellung der Hölle und eine Ohrmuschel, auf der sehr detailliert gewisse Zusammenhänge zwischen Ohr und übrigem Körper veranschaulicht sind. Die im oberen Bereich der Ohrmuschel von einer der beiden Lanzen durchstochene Region entspricht der erwähnten Kauterisationszone für Ischialgien. In einer Fallbeschreibung aus dem Jahr 1637 berichtet der portugiesische Arzt Zaratus Lusitanus über die Ischialgiebehandlung mittels Ohrkauterisation, und Valsalva beschreibt 1717 in seinem Buch „De Aura Humana tractatus“ ein Areal der Ohrmuschel, das bei Zahnschmerzen kauterisiert wurde.

Auch aus dem 19. Jahrhundert gibt es interessante medizinische Aufzeichnungen über Ohrmuschelkauterisationen bei ischialgiformen Syndromen; so die des Arztes Luciano aus Bastia sowie die dokumentierten Beobachtungen des Chirurgen Valette aus der Charité in Paris aus dem Jahr 1850.

Französisch-westliche Schule. Die in diesen Dokumenten unterschiedlich angegebenen Lokalisationen der Kauterisationszonen auf der Helix zeigen, dass es damals noch keine Systematik einer Ohrreflexologie gab. Erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte der französische Arzt Paul Nogier, dem auch die „Ausgrabung“ der angeführten medizinhistorischen Dokumente zu verdanken ist, auf der Basis zufälliger Beobachtung in jahrelanger, akribischer Arbeit die systematischen Grundlagen der Ohrakupunktur. Ihm waren bei einigen seiner Patienten Vernarbungen im oberen Bereich der Ohrmuschel aufgefallen, die von therapeutischen Kauterisationen wegen lumboischialgiformer Beschwerden herrührten. Alle diese Patienten hatten teils in Afrika, teils bei einer Laienbehandlerin in Marseille Hilfe gefunden, nachdem ihnen die westliche medizinische Kunst keinen Erfolg gebracht hatte. Die Laienbehandlerin hatte diese Art der Heilkunst von ihrem Vater übernommen, der lange Zeit als Arzt in Indochina gelebt hatte. Nogier stellte seine Arbeiten unter dem Namen „Aurikulotherapie“ erstmals 1956 auf einem Akupunktur-Kongress in Marseille vor und hat damit unbestreitbar die heutige Ohrakupunktur begründet. Jener erste Vortrag, der, übersetzt von Bachmann, bald darauf in der „Deutschen Zeitschrift für Akupunktur“ (DZA) erschien, bereitete der Methode den Weg.

Chinesische Schule. Durch diese Veröffentlichungen gelangten die Erkenntnisse Nogiers auch nach China und lösten dort eine Rückbesinnung auf eigene, jahrtausendealte Traditionen sowie umfangreiche und intensive Forschungsarbeiten aus. Die bisherigen chinesischen Ergebnisse belegten und ergänzten seine Arbeiten weitgehend, führten aber zuweilen auch zu widersprüchlichen Aussagen; dennoch wird Nogier auch in China als Entdecker der heutigen Ohrakupunktur voll gewürdigt. Internationale Anerkennung erlangte die chinesische Schule der Ohrakupunktur durch die österreichischen Ärzte Georg König und Ingrid Wancura sowie dank der Erfolge in der Akupunkturanalgesie.

Beide Formen, die so genannte chinesische Ohrakupunktur und die Aurikulotherapie von Nogier, weisen viele Gemeinsamkeiten auf, mitunter werden jedoch unterschiedliche Punktlokalisationen angegeben. Die Bestrebungen gehen sinnvollerweise dahin, gesicherte Erkenntnisse beider Richtungen unter dem neutralen Dach der angewandten Ohrakupunktur zu integrieren und zum Wohle der Patienten zu nutzen.

Die konkurrierende Forschungstätigkeit verschiedener Schulen und die gegenseitige Überprüfung der Ergebnisse gewährleisten eine Kontrolle und damit eine Seriosität dieser Studien; außerdem halten sie die Diskussion in Gang. Dazu haben bereits in den 70er Jahren russische Forscher einen erheblichen Beitrag geleistet. Als federführend sind hier Durinjan, Portnov und Velchover ( Abb. 1.1 und 1.2) zu nennen.

In jüngster Zeit haben positive Studienergebnisse internationaler Forschergruppen u. a. im Bereich der perioperativen Medizin und der Suchtbehandlung die Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Ohrakupunktur bereichert und zu weiterer Forschung angeregt.

So trägt beispielsweise in der perioperativen Medizin – wie aus einer Literaturübersicht von Usichenko ersichtlich – eine zunehmende Anzahl von randomisierten kontrollierten Studien (RCT) dazu bei, die Ohrakupunktur in Kombination mit der Pharmakotherapie zu einer effektiven Methode bei der integrativen Patientenversorgung in der perioperativen Medizin werden zu lassen. Die Datenlage dieser Übersicht zeigt die häufigsten perioperativen Indikationen der Ohrakupunktur auf: die Prämedikation, die Reduktion des Anästhetikaverbrauchs während der Allgemeinanästhesie und die postoperative Schmerztherapie.

Danach scheint die Ohrakupunktur ein effektives Ergänzungsverfahren zur präoperativen Anxiolyse und zur Reduktion des postoperativen Schmerzmittelverbrauchs zu sein.

Abb. 1.1 Beispiel für Organprojektion am Hundeohr.

Abb. 1.2 Beispiel für Organprojektion am Kaninchenohr (n. Portnov).

So sind hier beispielhaft einige neuere Forschungsarbeiten von Usichenko et al., Li et al. und Vorobiev und Dymnikov angeführt.

Die verblindete Studie zur postoperativen Schmerztherapie von Vorobiev und Dymnikov zeigt eine Reduktion der Schmerzintensität und des Analgetika-Verbrauchs nach ambulanten chirurgischen Eingriffen. In der doppelblinden Studie (RCT) von Li et al. wurde unter Ohrakupunktur eine signifikante Reduktion des Opioid-Verbrauchs innerhalb der ersten fünf Tage postoperativ bei Patienten festgestellt, die sich einem leberchirurgischen Eingriff unterzogen. Usichenko et al. untersuchte den Einfluss der Ohrakupunktur von „Hüftgelenk“, „Shen-Men“, „Lunge“ und „Thalamus“ versus Ohrakupunktur von „Sham“-Akupunkturpunkten auf den postoperativen Schmerzmittelverbrauch bei Patienten, die eine Hüftendoprothese bekamen.

So wird auch beispielsweise in einer Studie (RCT) von Usichenko zur präoperativen Anxiolyse mittels Ohrakupunktur versus Diazepam gezeigt, dass die Ohrakupunktur ebenso effektiv anxiolytisch wie die Verabreichung von 10 mg Diazepam war.

1.2 Der Begriff „Mikrosystem“


Der Begriff „Mikrosystem“ stammt aus der englischsprachigen Literatur. Er bezeichnet das Phänomen definierter Körperareale, die als Projektionszonen in sich die Gesamtheit des körperlichen Organismus in Form funktioneller Wechselbeziehungen widerspiegeln. Über diese Körperareale ist es möglich, wohldefinierte reflektorische Beziehungen zu äußeren oder inneren körperlichen Regionen für diagnostische Hinweise oder therapeutische Maßnahmen zu nutzen. Synonyma sind „Repräsentationszone“ oder „Somatopie“ (griech. soma = Körper, topos = Ort), ein Begriff, der vornehmlich aus der Neurologie bzw. Neuroanatomie bekannt ist. Dort wird er auf jene Hirnrindenareale angewandt, die nerval und funktionell bestimmten motorischen bzw. sensorischen Gebieten des Körpers entsprechen.

Bei den Mikrosystemen handelt es sich nicht, wie man annehmen könnte, um maßstabsgerechte Mikroprojektionen des Körpers, sondern um Repräsentationsfelder, die jeweils zu dem betreffenden Areal passende, charakteristische Reflexbeziehungen zum Organismus schwerpunktmäßig darstellen. So gibt es am Körper unterschiedliche Mikrosysteme, die zwar miteinander in Verbindung stehen, jedoch in ihrer Charakteristik und ihren speziellen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten jeweils ein eigenständiges funktionelles System individueller Gesetzmäßigkeit verkörpern. Nach Gleditsch erinnern die Überlagerungen und Überschneidungen der verschiedenen Mikrosysteme an das Bild übereinander gemalter Spielfelder einer Sporthalle: Je nach Markierung kommt die eine oder andere Spielart zum Tragen. In diesem Sinne kann auch das funktionierende Nebeneinander und...

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