Ausgehend von dem Beginn der Erdgasnutzung Anfang der 1960er Jahre hat sich die Bundesrepublik Deutschland mit einer erstaunlichen Dynamik zu dem größten Erdgaskonsumenten der gegenwärtigen Europäischen Union entwickelt. Ferner verschärft sich durch einen signifikanten Rückgang der einheimischen Fördermenge die Situation, so dass zur Deckung der anwachsenden Erdgasnachfrage zunehmend auf ausländische Quellen zurückgegriffen werden muss. Auf den nachfolgenden Seiten erfolgt eine Analyse der Versorgungssituation Deutschlands mit dem fossilen Energieträger Erdgas. Begonnen wird mit der Vorstellung der frühen Anfänge der Erdgasnutzung und der Formung des deutschen Gasmarkts. Ferner werden ebenfalls die wesentlichen Teilmärkte der Erdgasnachfrage vorgestellt, um zugleich die Vorzüge des Erdgaseinsatzes in den einzelnen Sektoren aufzuzeigen. Zugleich liefern die Fakten der heutigen Erdgasversorgung die wesentlichen Meilensteine für einen Zukunftsausblick. Aufgrund der gegenwärtigen Umstrukturierung des gesamten Energieversorgungssystems in Deutschland in Richtung der erneuerbaren Energien und Nachhaltigkeit, die bereits seit Jahren politisch gezielt vorangetrieben werden, erscheint die Vorstellung der künftigen Modelle besonders interessant, da zugleich eine wichtige Frage beantwortet wird, welche Rolle der fossile Energieträger für die Energieversorgung von morgen spielen wird. Ferner werden auch die gegenwärtigen Lieferstrukturen und die wesentlichen Routen für das Erdgas Richtung
Deutschland skizziert und somit bereits an dieser Stelle auf die geopolitischen Risiken der heutigen Energiesysteme hingewiesen.
Die Erdgasversorgung in Deutschland hat sich historisch seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus der Nutzung von Stadtgas entwickelt.[1] Während Erdgas überwiegend aus Methan besteht, setzte sich das Stadtgas aus Wasserstoff, Methan, Stickstoff und Kohlenmonoxid zusammen. Das Stadtgas wurde hauptsächlich in Gasanlagen und ferner Kokereien erzeugt und bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts als weithin üblicher Brennstoff verwendet. Das Gas diente zunächst der öffentlichen Versorgung und wurde überwiegend in den größeren Städten eingesetzt. Aus diesem Grund ist das Brenngas auch heute unter der veralteten Bezeichnung Stadtgas oder ebenso Leuchtgas bekannt. Zur Herstellung des Synthesegases, die auf dem Prinzip der Entgasung von Energieträgern beruht, wurde überwiegend Steinkohle eingesetzt. Durch Erhitzen des Rohstoffs unter Abschluss der Luft verwandeln sich die festen Bestandteile in Koks, der überwiegend für industrielle Zwecke weiterverwendet wurde. Mit dem anfallenden Gas als einem Nebenprodukt der Vergasung wurden die umliegenden Gemeinden über die Transportleitungen beliefert. Je nach Gaswerk und verwendetem Produktionsverfahren variierte die Zusammensetzung des Brenngases sehr stark, und aufgrund des KohlenmonoxidAnteils war das Stadtgas giftig.[2]
Die ersten Gaswerke waren überwiegend private Gründungen und wurden anfänglich von ausländischen Investoren errichtet. Da die Gasversorgung wirtschaftliche und technologische Erfolge mit sich brachte, wurde der Betrieb der städtischen Gasanalgen schnell von den Kommunen übernommen. Der Ausbau der Gastechnologie erwies sich schon in ihren Anfängen als ein recht lukratives Geschäft. Zum Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Renditen der Gasversorgung doppelt so hoch wie bei der kommunalen Elektrizitätsversorgung, die derzeit erstmals als eine Ausnahme blieb.[3] Zugleich wurden mit der Übernahme der Gasversorgung von Kommunen in Eigenregie, die Weichen für die vorherrschende Eigentumsstrukturen der kommunalen Ortsversorger, der Stadtwerke, gestellt, die auch noch heute vorzufinden sind.[4]
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich auch die Ferngasversorgung, mit dem Ziel, die Erzeugung und Verbrauch an synthetisch erzeugtem Gas regional zu entkoppeln. Angesichts zunehmender Fortschritte in der Transportinfrastruktur gründeten die Bergwerkgesellschaften des Ruhrgebiets im Jahr 1926 die Aktiengesellschaft für Kohleverwertung, die 1928 zur Ruhrgas AG umbenannt wurde. Eine vergleichbare Entwicklung vollzog ebenfalls die Thyssengas, die 1921 als Thyssensche Gas- und Wasserwerke gegründet wurde. Die beiden Unternehmen bildeten zugleich das Zentrum der anfänglichen Ferngasversorgung im Ruhrgebiet. Ferner kam es auch in anderen Regionen zum Aufbau und zur Ausdehnung der Gasversorgung über größere Entfernungen. Im Vergleich zu den vorwiegend städtischen Gaswerken etablierten sich die Ferngasgesellschaften vorwiegend in privatwirtschaftlicher Hand.[5]
Ferner wurde bedingt durch die Erdgasfunde in der Nordsee in den frühen 1950er Jahren die Stadtgasnutzung in Deutschland vielerorts durch das Erdgas ersetzt. Im Vergleich zu dem Stadtgas, der aufgrund seines Gehalts an Kohlenmonoxid (CO) giftig war, verfügte der fossile Energieträger einen deutlich höheren Energiegehalt.[6] Die unproblematische Nutzung der bereits bestehenden wirtschaftlichen und technologischen Strukturen beschleunigte die Verdrängung des Stadtgases, so dass bereits in den 1970er Jahren nahezu alle Verbraucher im öffentlichen Versorgungsnetz mit Erdgas versorgt werden konnten.[7] Allerdings wurde der westliche Teil des Berlins aus Gründen der Versorgungssicherheit bis zur Wiedervereinigung weiterhin mit dem Stadtgas versorgt. Erst im Jahr 1996 wurden die letzten Verbraucher auf Erdgas umgestellt.[8]
Der wesentliche Aufschwung der Erdgasnutzung begann in Deutschland erst 1959 mit der bedeutenden Entdeckung eines großen Erdgasfeldes bei Groningen in den Niederlanden. Die Größenordnung des Feldes lag über dem Eigenbedarf der Niederlande, die bisher sogar Kokereigas aus dem Ruhrgebiet bezogen.[9] Die Entdeckung des Erdgasfeldes, deren Produktionskosten deutlich geringer waren als die Herstellung der zuvor verwendeten Synthesegase auf Kohlebasis, beschleunigte die Umstellung. Die Niederlande wurden zum ersten wichtigen Erdgasproduzenten und Exporteur in Europa. Bereits 1963 begannen die Lieferungen nach Deutschland. Hinzu kam auch die inländische Erdgas-Förderung in Norddeutschland, die jedoch zu dieser Zeit sehr gering war. Sie beschränkte sich 1966 lediglich auf etwa sechs Prozent des gesamten Gasaufkommens. Dieses Erdgas wurde ausschließlich für industrielle Zwecke verbraucht oder in Gaskraftwerken zur Stromerzeugung genutzt.[10]
Bereits seit Beginn der Erdgasnutzung durchlief der Energieträger in Deutschland eine rasante Entwicklung. Während 1964 der Anteil am Primärenergieverbrauch noch unter einem Prozent lag, stieg bereits 1973 der Konsum an Erdgas auf einen Wert von über 10 Prozent an.[11] Eine umfassende Entwicklung der Gasaufkommen seit der frühen Erdgasnutzung in Deutschland ist in der Tabelle 2-1 aufgeführt. Im Anhang findet sich eine entsprechende Statistik zu Erdgaslieferungen.
Tab. 2-1: Erdgasaufkommen in Deutschland 1960-2011 (Angaben in Prozent).[12]
*Großbritannien, Dänemark und andere Quellen betrugen im Jahr 2011 lediglich 4 Prozent
Während in 1960er Jahren, bedingt durch einen vergleichsweise geringen Verbrauch, die Nachfrage an Erdgas nahezu durch die inländische Förderung gedeckt werden konnte, musste bereits in den späten 1970ern fast die Hälfte des Bedarfs importiert werden.[13] So beruhte die starke Expansion der deutschen Gaswirtschaft überwiegend auf der Einbeziehung der ausländischen Bezugsquellen. Eine klare Divergenz zwischen der heimischen Produktion und den Erdgasimporten lässt sich bereits in den frühen Phasen der Erdgasnutzung erkennen. Um die anwachsende Nachfrage an Erdgas zu decken, erfolgten ab 1973 ebenfalls die Lieferungen aus der Sowjetunion und 1977 aus Norwegen, die ihre Anteile in deutschem Erdgasmarkt kontinuierlich ausbauten. Bereits 1981 betrugen die Importe Deutschlands insgesamt 39,6 Mrd. m3 und entfielen dabei zu zwei Drittel auf die drei Bezugsquellen.[14] In zahlreichen Statistiken tauchen ebenfalls Nationen wie Dänemark und Großbritannien als Erdgaslieferanten auf, allerdings mir sehr geringen Anteilen, sodass sie hier nicht miterfasst werden. Während die UdSSR und Norwegen im Zeitverlauf stetig die Marktanteile hinzugewannen, gingen die Lieferungen aus den Niederlanden insbesondere ab den 1980er Jahren merklich zurück.
Erdgas ist ein breit einsetzbarer fossiler Primärenergieträger, dessen Anwendung in der Bundesrepublik Deutschland in der vergangen Jahrzenten unverkennbar an Bedeutung zugenommen hat. Der historisch gewachsene Stellenwert des Rohstoffs und die Aufteilung des Erdgasverbrauchs in den einzelnen Marktsektoren werden in der nachfolgenden Abbildung veranschaulicht. Mit einer gesamten Menge an Erdgas von 86,13 Mrd. m3, die im Jahr 2012 eingesetzt wurde, bleibt die Bundesrepublik Deutschland offenkundig der größte Erdgaskonsument in der gegenwärtigen EU.[15]
Abb. 2-1: Historisch gewachsene Bedeutung des Erdgaseinsatzes in einzelnen Marktsektoren in Deutschland.[16]
Der traditionelle Haupteinsatzbereich des Erdgases, der derzeit rund 46 Prozent...