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Biblische Frauengestalten im Religionsunterricht

Grundlegende und methodische bibeldidaktische Überlegungen

AutorYvonne Dämgen
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl141 Seiten
ISBN9783638409025
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Didaktik - Theologie, Religionspädagogik, Note: 1,7, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 199 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Werden biblische Frauen im Religionsunterricht thematisiert? In der Arbeit wird der grundlegenden Fragestellung nachgegangen, ob biblische Frauen Kindern und Jugendlichen bekannt sind und wenn ja, wo ihnen begegnet wird. In diesem Kontext muss erörtert werden, welche Bedeutung biblische Frauen im Leben von Schülerinnen einnehmen können und inwieweit Lehrkräfte für die Thematik sensibilisiert sind. Bibeldidaktisch ist anzufragen, welche biblischen Frauengestalten für eine Behandlung im Religionsunterricht geeignet sind und wie die Umsetzung in der Praxis auszusehen hat. Nach der Klärung der zentralen Begrifflichkeiten der Arbeit und ihrer Einbettung in die feministische Religionspädagogik wird unter Berücksichtigung der Geschlechtsspezifika auf anthropogene, soziokulturelle Voraussetzungen von Kindern und Jugendlichen eingegangen. Hierbei werden die Einflussfaktoren von (religiöser) Sozialisation auf die menschliche Identitätsausbildung aufgezeigt und nach der Bedeutung von biblischen Frauengestalten für letztere gefragt. Im Weiteren wird das Augenmerk auf die fachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit biblischen Frauen gerichtet. Die Bedeutung feministischer Hermeneutik wird entfaltet und exemplarisch anhand vier ausgewählter biblischer Frauengestalten (Debora, Rut, Maria und Marta) veranschaulicht. Im Hinblick auf die religionspädogische Praxis werden die aktuellen Lehrpläne, Bibeldidaktiken und Religionsbücher auf die Behandlung biblischer Frauen und/oder Feministischer Theologie hin analysiert. Ausgehend hiervon sollen Vorschläge für die Curriculumsentwicklung und Desiderate für die Bibeldidaktik formuliert werden. Anschließend werden Perspektiven sowie Möglichkeiten für die Thematisierung biblischer Frauengestalten im Religionsunterricht beleuchtet. Auf der methodischen Ebene geht es darum, schüler- und schülerinnenadäquate Zugangsweisen für den Unterricht zu erarbeiten, die die geschlechtsspezifische Sozialisation und religiöse Entwicklung berücksichtigen. In der Arbeit wird die Aufmerksamkeit vor allem auf Mädchen und (junge) Frauen gerichtet, da zum einen die Thematik 'Biblische Frauengestalten' dies impliziert, zum anderen aber auch ein großer Nachholbedarf hinsichtlich der Sensibilisierung und Bewusstmachung einer schülerinnengerechten Themenauswahl und -behandlung in der Unterrichtspraxis besteht. In den didaktischen Überlegungen wird der Versuch unternommen, die Relevanz biblischer Frauengestalten auch für Schüler herauszustellen.

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Leseprobe

3 Die Wiederentdeckung biblischer Frauengestalten durch Feministische Theologie


 

Feministischer Theologie ist es zu verdanken, dass seit ihrem Aufkommen in den USA Ende der 1960er/Anfang der 1970er-Jahre das Augenmerk verstärkt auf vergessene Frauen in der Bibel gerichtet wird.

 

Für die biblischen Frauengestalten haben die Anliegen Feministischer Theologie zur Folge, dass die überlieferten, eventuell negativ geprägten, Frauenbilder auf ihre Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte hin überprüft werden. Zum Beispiel wurde Gen 2-3 jahrhundertelang zu Lasten von Frauen ausgelegt und zur Legitimation für die Unterdrückung bzw. Benachteiligung von Frauen verwendet. Cheryl Exum konstatiert: „Kein anderes Dokument hat die Entwicklung der westlichen Kultur und die Ansichten über die Stellung der Frau und das Verhältnis der Geschlechter zueinander so nachhaltig geprägt wie die Bibel.“[207] Deshalb wird aus feministischer Sicht untersucht, ob in den biblischen Texten, in denen Frauen vorkommen oder nicht, patriarchale Traditionen und androzentrische Ansichten im Vordergrund stehen, um anschließend durch einen Perspektivenwechsel neue Aspekte der Erfahrungen biblischer Frauenfiguren aufzudecken. Die Erfahrungen von Frauen lagen nicht im besonderen Interesse der biblischen Autoren, eher im Hintergrund erscheinen Frauen in den Rollen der Ehefrau, Mutter oder Tochter. Es ist fraglich, ob nicht auch bei einer weiblichen Autorenschaft der Bibel die männlichen Erfahrungen in den Hintergrund gerückt wären. Allerdings gibt es Frauen, die in der Bibel erwähnt bzw. über die auch mehr berichtet wird. Meist handelt es sich dabei um Frauen, deren Erfolge mit männlich qualifizierten und somit positiv bewerteten Eigenschaften einhergehen.[208] Zwei Gefahren birgt auch die Frauenperspektive. Zum einen die der Ideologisierung, d.h. wenn es anstelle einer ausbalancierten Wahrnehmung von Mann und Frau nur noch um Frauen geht, und zum anderen die des Antijudaismus, d.h. es muss bei Kritik darauf geachtet werden, dass nicht antijüdische Urteile gefällt werden.[209]

 

Hilfreich bei der Herangehensweise an die biblischen Texte kann die feministische Exegese sein. Seit etwa zehn Jahren steht neben der Frage nach einer angemessenen Rede von Gott die Eruierung gegenwärtiger und vergangener Wirklichkeit von Frauen im Zentrum ihrer Arbeit.[210] Auch bezüglich der Aufmerksamkeit für biblische Frauengestalten vollzieht sich sowohl eine methodologische als auch hermeneutische Konkretisierung, d.h. einerseits richtet sich das Interesse auf die literarischen Ausformungen der Frauengestalten, andererseits werden Überlegungen mit sozialgeschichtlicher Ausrichtung sowohl aufgrund biblischer Aussagen als auch mit Hilfe außerbiblischer Quellen zu der Lebenswirklichkeit von Frauen angestellt.[211]

 

Neben den literarischen und historischen Überlegungen zu den biblischen Frauen und ihrer Lebenswelt ist die feministische Exegese demzufolge bestrebt, Bezüge zu heutigen Frauen und deren Erfahrungen in der Gegenwart herzustellen, d.h. kontextuell zu fragen.

 

Manfred Oeming hat sieben elementare Impulse der feministischen Exegese benannt:[212]

 

1) eine Wahrnehmungsveränderung bzw. -ausweitung für den Umgang mit Bibeltextstellen, die Frauen betreffen;

2) eine Sensibilität für die Nuancen von Formulierungen und deren Auslegungsmöglichkeiten;

3) eine kritische Beachtung der Wirkungsgeschichte;

4) eine Befreiung von maskulin dominierenden Sprach-Bildern, die das Weltbild einseitig prägen;

5) den Mut, Themen wie Körper und Erotik in der Theologie zu behandeln;

6) eine Aufmerksamkeit für jede Art der Diskriminierung;

7) eine feminine Form der Erkenntnis, die bewusst Gefühle und persönliche Betroffenheit integriert, ganzheitliche Zugänge zu Texterschließungen bevorzugt, mit anderen zusammen arbeitet und Intertextualität berücksichtigt.

 

Die heutige Relevanz biblischer Frauengestalten für Frauen liegt in der Rekonstruktion der biblischen Frauengeschichte und der Herstellung thematischer Bezüge zu gegenwärtigen Lebenskontexten von Frauen. Es wird versucht, anstelle einer history eine herstory[213] zu schreiben. Anhand der herstory können die Lebenswelten der damaligen weiblichen Personen näher kennen gelernt und die Frauen als Akteurinnen mit Charakter wahrgenommen werden. Es soll ein Bewusstsein dafür ausgeprägt werden, dass auch Frauen an dem Verlauf der christlichen Glaubensgeschichte nachhaltig mitgewirkt haben. Diese Einsicht kann zu einer befreienden und stärkenden Religiosität und Identitätsentwicklung bei Frauen und Mädchen beitragen. Es ist wichtig zu erkennen, dass Menschen auf eine christliche Tradition von Männern und Frauen zurückblicken können.

 

3.1 Verschiedene Zugänge und Verfahren feministisch-exegetischer Hermeneutik


 

Aus den bisherigen Überlegungen wurde ersichtlich, dass es keine wertfreie und objektive Perspektive gibt. Daher bedarf Feministische Theologie einer Feministischen Hermeneutik, die neu an die biblischen Texte herantritt und die androzentrische Sichtweise durch eine feministische ergänzt. Die Hermeneutik, von griech. e`rmhneu,ein („erklären, auslegen, übersetzen“), versteht sich als die Lehre der Auslegung und Interpretation. Da die feministische Exegese selbst keine neuen Methoden hervorgebracht hat, greift sie auf vorhandene zurück, um frauenrelevante Erkenntnisse aus den Texten zu ermitteln. Nicht die Methoden sind das besondere der feministischen Exegese, sondern ihre Hermeneutik.

 

Die Hermeneutik der Befreiung, welche heute die bedeutendste und von der reformistischen Strömung feministischer Theologen/Theologinnen angewandte Hermeneutik darstellt, legt ihren Schwerpunkt auf die Subjektwerdung aller Menschen als Kern der biblischen Botschaft und fordert somit zugleich die Subjektwerdung von Frauen ein. Die Vertreterinnen dieses Zuganges, u.a. Rosemary Radford Ruether, Letty M. Russell, Elisabeth Schüssler Fiorenza, Elisabeth Moltmann-Wendel und Luise Schottroff, greifen dabei auf unterschiedliche Verfahren zurück. Der bekannteste Ansatz wurde von Schüssler Fiorenza entwickelt, die sich sowohl auf die Erfahrung und Betroffenheit von Frauen als auch auf die befreiende Ausübung einer Gemeinschaft beruft. Sie bestimmt als Subjekt ihrer hermeneutischen Arbeit die Gemeinschaft von gleichgestellten Frauen und Männern.

 

Ihr Modell einer Bibelinterpretation vollzieht sich in einem Vierschritt:[214]

 

1) Mit der Hermeneutik des Verdachts wird ein Text kritisch gesichtet und dessen androzentrische Ausprägung aufgedeckt. Dieser Verdacht ist gegenüber allen Bibeltexten sowie überlieferten Traditionen zu äußern. Nach Schüssler Fiorenza müssen androzentrische Traditionen bereits bei der biblischen Textredaktion, der innerbiblischen Interpretation, den Übersetzungen und der Auslegungsgeschichte angenommen werden.[215] Bei dieser Heran­gehensweise wird die Differenz zur kirchlichen Tradition deutlich, die sich der biblischen Schrift mit einem generellen Vertrauen nähert. Das Vorhandensein biblischer Frauengestalten bedeutet für Schüssler Fiorenza grundsätzlich nicht, dass die biblischen Texte dadurch frauenfreundlich sind. Gerade hier muss die Hermeneutik des Verdachts einsetzen. Die zunächst neutral klingenden Darstellungen von Frauen können zur Legitimation patriarchaler Werte gedient haben.

2) Die Hermeneutik der Proklamation ist darum bemüht, unterdrückende Aussagen oder sexistische Absichten eines Autors nicht auf dieselbe Stufe zu stellen wie das Wort Gottes. Solche Texte sollen in der Verkündigung im Gottesdienst und im Unterricht kritisch dargestellt werden oder besser noch durch befreiende Texte ersetzt werden.

3) Der Hermeneutik des Erinnerns geht es darum, die Geschichten des Leidens und der Hoffnungen von Frauen in biblischer Zeit zu rekonstruieren. Dabei sollen Beispiele aufgespürt werden, die „Frauen ins Zentrum biblischer Gemeinde und Theologie stellen.“[216] Anhand dieser Rekonstruktion wird für heutige Frauen ihr Erbe sichtbar, welches zur Identifikation beitragen kann.

4) Bei der Hermeneutik kreativer Aktualisierung werden biblische Texte neu formuliert und in den jeweiligen Kontext der Frauenkirche gestellt. Die befreiende Tradition soll sich ganzheitlich auf das Leben auswirken.

 

Schüssler Fiorenza weist darauf hin, dass sich aufgrund des neuen Ausgangspunktes der Hermeneutik, und zwar der Frauenerfahrung, Konsequenzen für die Bibel im Hinblick auf ihre Autorität ergeben. Sie fasst die Bibel als „Prototyp“ im Gegensatz zu einem „Archetyp“ auf.[217] Während ein Prototyp sich verändern kann und Raum für christliche Glaubensmodelle und deren Dynamik lässt, stellt ein Archetyp eine unveränderliche und zeitlose Idealform dar, die keine Entwicklung zulässt.[218] Die Bibel als Prototyp bietet...

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