Die historischen Wurzeln des Bundesrates reichen weit zurück. In diesem Abschnitt soll daher holzschnittartig die Entwicklungsgeschichte des Bundesrates skizziert werden. Besonders die Struktur und Funktion der historischen Vorläufer soll berücksichtigt werden, wobei eine allumfassende und vollständige Darstellung nicht beabsichtigt ist.
Der Bundesrat „hat keine ausländischen Vorbilder“[45]. Dies ist begründet durch die Tatsache, dass Föderalismus in Deutschland „kein konstruktives Ordnungsprinzip mit prägender Kraft, sondern in erster Linie eine nicht zu umgehende politische Notwendigkeit“ darstellte.[46] Die bundesstaatliche Ordnung und mit ihr der Bundesrat muss als Instrument zur Entstehung einer nationalen politischen Einheit verstanden werden.
Schon der „Immerwährende Reichstag“ des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wies einige Strukturmerkmale des heutigen Bundesrates auf. Er war konstruiert als ein Gesandtenkongress, tagte zwischen 1663 und 1806 in Regensburg, und bestand aus drei Kollegien: Dem Kurfürstenkollegium, dem Reichsfürstenrat der geistlichen und weltlichen Fürsten sowie dem Kollegium der Freien Städte. Seine Funktion bestand in der Beschlussfassung über die Reichsgesetze, über die Erhebung von Steuern, die Bereitstellung und Einquartierung von Truppen sowie die Entscheidung über Bündnisse sowie über Krieg und Frieden.[47]
Die Auflösung des Reiches durch Napoleon 1806 bewirkte auch die Auflösung des „Immerwährenden Reichstags“. Seine Nachfolge trat die zwischen 1806 und 1813 tagende Bundesversammlung des Rheinbundes an. Der nach dem Wiener Kongress 1815 gegründete Deutsche Bund besaß als einziges Verfassungsorgan den „Deutschen Bundestag“, der in Frankfurt am Main ansässig war. In ihm waren die souveränen Fürsten und freien Städte Deutschlands sowie die Könige von Dänemark (wegen des Besitzes von Holstein und Lauenburg) und der Niederlande (wegen Luxemburg und Limburg) vertreten. Die Mitgliedsstruktur zeigt schon an, dass es sich hierbei nicht um einen Bundesstaat, sondern einen Staatenbund handelte. Seine Funktion war einzig und allein „die Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und die Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten“[48]. Der Bund hatte weder gesetzgebende, noch vollziehende, noch richterliche Gewalt, sondern konnte seinen Mitgliedern, also den Bundesstaaten, Gesetze nur zur Annahme empfehlen. Die Annahme war allerdings Bundespflicht und konnte durch Bundesexekution auch erzwungen werden. Die Beschlüsse wurden ohne weitere Beratung im Plenum zumeist durch einen „Engeren Rat“ verabschiedet, in dem nur die elf größeren der anfänglich 39 Bundesstaaten über eine volle Stimme verfügten, die kleineren Staaten teilten sich die insgesamt sechs Kuriatstimmen. Somit waren die Stimmen zwischen den Mitgliedsstaaten wie im jetzigen Bundesrat unterschiedlich verteilt (mindestens eine, maximal vier). Die Stimmabgabe musste einheitlich und gemäß der Weisung des Entsendestaates erfolgen.
Der Norddeutsche Bund, der nach dem preußischen Sieg im deutsch- deutschen Krieg von 1866 entstand, war durch die Hoheitsübertragung der 22 Mitgliedsstaaten der erste deutsche Bundesstaat. Mit wenigen Veränderungen wurde dessen Verfassung zur Grundlage des am 1. Januar 1871 nach dem deutsch- französischen Krieg gegründeten Deutschen Reiches, in den nun auch die süddeutschen Staaten einbezogen worden waren. Der Bundesrat bildete das oberste Reichsorgan, in dem die 22 Fürstentümer und 3 freien Städte repräsentiert waren. Jedes Mitglied des Bundes konnte so viele Bevollmächtigte in den Bundesrat entsenden, wie es über Stimmen verfügte. Insgesamt zählte der Bundesrat 58 Stimmen. Allein 17 fielen an Preußen. Die Stimmabgabe musste wiederum einheitlich erfolgen. Der Bundesrat hatte weitaus bedeutendere Zuständigkeiten und Einwirkungsmöglichkeiten als der Reichstag. So mussten Gesetzesentwürfe der Reichsregierung zunächst an ihn weitergeleitet werden. Nur mit Billigung des Bundesrates durften sie im Reichstag eingebracht werden. Alle Gesetze bedurften der Zustimmung von Reichstag und Bundesrat. Dadurch erhielt der Bundesrat ein absolutes Veto im Gesetzgebungsverfahren. Alle Gesetze waren in heutigem Sinne praktisch zustimmungsbedürftige Gesetze. Auch konnte der Bundesrat allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. Ausgeführt wurden die erlassenen Reichsgesetze von den Mitgliedstaaten als eigene Angelegenheit. Auf Reichsbehörden wurde weitgehend verzichtet.
Die Verfassung der im August 1919 entstandenen Weimarer Republik schwächte die Stellung des Reichsrates bedeutend ab. Das der Verfassung zugrundeliegende Prinzip der Volksvertretung verschob das politische Gewicht hin zum Reichtag. Die Gesetzgebungskompetenzen des Reiches wurden zu Lasten der Länder stark ausgeweitet. Die Kompetenzen des Reichsrates waren stark eingeschränkt. Im Gesetzgebungsprozess besaß er kein absolutes Vetorecht mehr. Zustimmungspflichtige Gesetze existierten nicht. Gegen vom Reichstag beschlossene Gesetze konnte der Reichsrat lediglich Einspruch erheben, der vom Reichstag mit Zweidrittelmehrheit zurückgewiesen werden konnte, was sich aufgrund des breiten parteipolitischen Spektrums im Reichstag als schwierig erweisen konnte. Die Stimmabgabe der Mitglieder des Reichsrates erforderte erneut die Einheitlichkeit. Die Stimmenzahl war stärker der jeweiligen Einwohnerzahl angepasst. Jedes Land hatte mindestens eine Stimme. Pro überschrittene Millionengrenze kam eine Stimme hinzu, wobei kein Land mehr als zwei Fünftel aller Stimmen besitzen durfte.
Der Reichrat erlangte trotz der geringen Kompetenzen eine höhere politische Bedeutung, als es bei der Schaffung der Weimarer Verfassung zu erwarten war, da er die ihm zugewiesenen Kompetenzen, im Gegensatz zum Bundesrat des Kaiserreiches von 1871, wirklich wahrnahm.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde der Reichsrat im Februar 1934 aufgehoben, nachdem zuvor schon die Hoheitsrechte der Länder auf das Reich übertragen worden waren. Formell existierten die Länder zwar noch weiter, der Bundesstaat war allerdings in einen Einheitsstaat umgewandelt worden.
Es wird deutlich erkennbar, dass der Bundesrat der Bundesrepublik keine generelle Neuerfindung der „Verfassungsväter“ im Parlamentarischen Rat war. Wichtige Strukturprinzipien, beispielsweise die Pflicht zur einheitlichen Stimmabgabe oder die gestaffelte Stimmenverteilung, waren schon bei dessen historischen Vorläufern zu finden.
Ein föderales System ist gekennzeichnet durch zwei unterschiedliche Ebenen. Es existiert ein Gesamtstaat, der wiederum aus mehreren Gliedstaaten besteht. Wie diese beiden Ebenen miteinander verknüpft sind, kann sehr verschiedenartig geregelt sein. Handelt es sich um einen Bundesstaat, wie ihn etwa die Bundesrepublik Deutschland darstellt, dann existieren zwei staatliche Ebenen, die über das gleiche Staatsvolk und Staatsgebiet herrschen. Beide staatlichen Ebenen verfügen dabei über einen Handlungsbereich (Bundes- und Landesgesetzgebung), in dem sie unabhängig von der jeweils anderen Ebene Entscheidungen treffen können, wobei für die Selbstständigkeit dieser Handlungsbereiche eine verfassungsrechtliche Garantie vorhanden sein muss. Wie die Kompetenzen zwischen den beiden Ebenen verteilt sind, kann ebenfalls sehr unterschiedlich geregelt sein. Die Bundesrepublik Deutschland zeichnet sich als ein Mischsystem aus, in dem die Kompetenzen der beiden Ebenen ineinander verschränkt sind, beispielsweise bei der Beteiligung des Bundesrates an der Gesetzgebung des Bundes, d.h. die Gliedstaaten werden an der Politik des Gesamtstaates beteiligt. In Deutschland ist diese Beteiligung in Form des Bundesratsprinzips gesichert.
Auf welcher Legitimationsgrundlage befindet sich nun der Bundesrat? Zunächst ist dieser nicht als „echte“ zweite parlamentarische Kammer zu kennzeichnen. Zwar besitzt der Bundesrat parlamentarische Funktionselemente, wie z.B. die Gesetzesinitiativfunktion. Es sprechen aber auch einige Gründe gegen die Charakterisierung als „echte“ parlamentarische Kammer. Die Ausschussmitglieder sind beispielsweise nicht ausnahmslos Mitglieder des Bundesrates. Es können auch Ministerialbeamte der Länder vertreten sein.[49] Als Kriterium für ein „echtes“ Zweikammersystem gilt die über die Beratungsfunktion hinausgehende Mitwirkung der zweiten Kammer an der Gesetzgebung. Der Bundesrat kommt in diesem Bereich einem parlamentarischen Gremium sehr nahe. Einen wirklichen Einfluss im Gesetzgebungsverfahren kann der Bundesrat aber nur bei zustimmungspflichtigen Gesetzen ausüben.[50] Bei Einspruchsgesetzen besteht die Möglichkeit einer Zurückweisung des Einspruchs durch eine Bundestagsmehrheit. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Vierten Rentenversicherungs- Änderungsgesetz so entschieden. Demnach sei der Bundesrat eben keine zweite Kammer „eines einheitlichen Gesetzgebungsorgans, die gleichwertig mit der „ersten Kammer“ entscheidend am Gesetzgebungsverfahren beteiligt wäre“[51].
Zweite Kammern besitzen in politischen Systemen bestimmte...