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E-Book

Zu nett für diese Welt?

Wer Nein sagen kann, hat mehr vom Leben

AutorJacqui Marson
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783641118082
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Den Fluch des Nettseins brechen!
'Warum habe ich nicht einfach Nein gesagt?' Das fragen sich sehr viele Menschen täglich aufs Neue. Sie wissen ganz genau, dass ihr Leben deutlich einfacher und angenehmer wäre, wenn sie nicht immer das Bedürfnis hätten, so nett zu sein.
Nettsein - ein Fluch? Definitiv!, sagt die anerkannte Psychologin Jacqui Marson. Denn wer auch mal aneckt und seine eigenen Interessen vertritt, wird auf lange Sicht zufriedener mit seinem Leben sein. In diesem Buch lernt man mit Hilfe von einfachen Übungen und Fallbeispielen, den Fluch des Nettseins zu brechen und auch mal entschieden Nein zu sagen.

Jacqui Marson ist staatlich anerkannte Psychologin und führt eine erfolgreiche Praxis in Covent Garden. Sie leitet weltweit Workshops und Trainings zu den Themen Kommunikation, Selbstbewusstsein und Teambildung für Einzelpersonen und Unternehmen. Sie ist eine gefragte Expertin für den Bereich Psychologie und hat regelmäßige Auftritte in der BBC und den Channel Five News. Außerdem schreibt sie für 'The Psychologist' und 'The Counselling Psychology Review' und hat eine monatliche Kolumne im 'Psychologies Magazine'. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen in London.

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Leseprobe

1. Kapitel: Ein Tag im Leben eines verflucht Netten

Schauen wir uns einen hypothetischen Tag im Leben eines verflucht Netten an, das sollte Ihnen helfen zu erkennen, ob Sie sich damit identifizieren können.

Die nette Person wacht auf, und in einer perfekten Welt würde sie gern einen Tee kochen, Radio hören, duschen, sich anziehen, frühstücken und dann zur Arbeit fahren oder mit dem Tag beginnen. In einer vollkommenen Phantasiewelt träumt sie vielleicht davon, sich bei einem oder allen diesen Dingen Zeit zu lassen: Vielleicht langsam eine gute Kanne ihres Lieblingstees zu kochen, sich in einem duftenden Schaumbad zu entspannen, sorgfältig die Kleider auszusuchen, von denen sie weiß, dass sie sich darin glücklich und selbstbewusst fühlt, die passenden Schuhe auszuwählen, die außerdem noch bequem sind … Keine kleine (oder nicht so kleine) Person ruft: »Wo ist mein blauer Pulli?«, während jemand anderes wissen will, warum im Kühlschrank keine Milch steht; eine Tante gerade angerufen hat mit der Bitte, ihre Oma zu besuchen, »sie ist ganz allein, die Arme«; und eine Freundin eine SMS geschickt hat, dass sie dringend mit jemandem sprechen muss, da ihr Freund sie seit 24 Stunden nicht zurückgerufen hat.

Nur wenige Minuten nach dem Aufwachen ist nicht nur jegliches Element der Phantasieversion lachhaft, sondern die nette Person übergeht bereits ihre eigenen Grundbedürfnisse, um sich um diejenigen anderer Menschen zu kümmern. An einem beliebigen Morgen verlässt sie oft genug das Haus, ohne gefrühstückt zu haben, in den Schuhen, die am großen Zeh zwicken, und mit trockenem Shampoo im Haar, hungrig, hektisch und etwas durcheinander, aber mit dem beruhigenden Gedanken, sich um alle anderen gekümmert und sie glücklich gemacht zu haben. Die mögliche schlechte Laune der anderen ist abgewendet, und es gab keine Schreierei oder bockige Gesichter im Haus. Und auf einer tieferen (und wahrscheinlich unbewussten) emotionalen Ebene fühlt sie sich sicher, dass sie geliebt wird, weil sie sich um alle anderen gekümmert hat. Oder vielleicht auch sicher, dass sie keinen Ärger bekommt, weil sie niemanden enttäuscht hat.

Eine Veränderung ist möglich

Wir sind natürlich nicht alle auf dieselbe Weise nett. Es gibt viele unterschiedliche Arten für unterschiedliche Typen des Nettseins in unterschiedlichen Situationen, aber sie alle gleichen sich darin, dass wir uns oft von den Erwartungen anderer vollkommen überrumpelt fühlen und überhaupt keine Ahnung haben, wie wir uns anders verhalten könnten. Tatsächlich jagt schon der schlichte Gedanke daran meistens Angst ein, also zum Beispiel eine Bitte abzuschlagen. Wir erschaffen Erwartungen, und dann fühlen wir uns irgendwann von ihnen gefangen. Die Eigenschaften, die diese Erwartungen geweckt haben, sind meist genau das Gegenteil von denen, die wir für die Veränderung brauchen.

Indira, die Sie im sechsten Kapitel wiedertreffen werden, beschrieb, dass ihre Familie sie als rund um die Uhr verfügbare Dienstleisterin sah, von der erwartet wurde, dass sie alles stehen und liegen ließ, um etwa den Klempner in ihre Mietshäuser zu lassen, ihre Zahnarzttermine abzumachen und Verwandten aus dem Heimatland Kost, Logis und eine erfolgreiche Fassade zu bieten. Als einzige unverheiratete Tochter sah sie voller Panik eine Zukunft als Pflegerin von einem oder beiden kranken Elternteilen vorher, während sie sich gleichzeitig als »schlechte, undankbare« Tochter fühlte, weil sie solche Gedanken hatte, und verzweifelte, weil ihr weder Zeit noch Energie blieb, um Männer kennenzulernen, die sie vor dem Schicksal der unverheirateten Tochter retten würden.

Wie Sie auch bei den Geschichten anderer Patienten in diesem Buch sehen werden, gibt es keine einfachen, schlagartigen Antworten. Unsere Denkmuster, Gefühle und Verhaltensweisen sind üblicherweise die meiste Zeit unseres Lebens präsent und haben uns oft gut gedient, bis zu dem Punkt, an dem sie es nicht mehr tun, dem Punkt, an dem sie sich sozusagen von Freunden in Feinde verwandeln.

Veränderung lässt sich durch kleine, überschaubare Schritte, immer nur wenige auf einmal, erreichen, die ausgesucht wurden im Bewusstsein, dass wir etwas Mutiges und Beängstigendes für uns versuchen. Indira experimentierte mit dem Leitbild, dass sie kein rund um die Uhr geöffneter Laden mehr ist, sondern zu bestimmten Zeiten auch schließen kann, eher wie eine Tankstelle, die um 23 Uhr zumacht (auch wenn die anderen die ganze Nacht aufhaben). Das scheinen immer noch lange Öffnungszeiten zu sein, aber sofort zu versuchen, strikte Bürozeiten von 9 bis 17 Uhr einzuhalten, wäre sowohl für Indira wie auch für ihre Freunde und Familie eine zu große Veränderung gewesen.

Wie die Familientherapeutin und Autorin Harriet Lerner sagt: Wenn Sie versuchen, zu viel zu schnell zu verändern, werden die Menschen in Ihrem Leben durch ihr Verhalten »Werde wieder, wie du warst!« signalisieren, und das wird zu einer Niederlage führen.

Wie der Fluch des Nettseins funktioniert

Kehren wir zu der Geschichte des gebrochenen Arms zurück, um nachzusehen, wie der Fluch überhaupt funktioniert, wie er oft beginnt und wie er über ein ganzes Leben bestehen bleibt.

Prinzipiell verfügen wir alle über mehrere Schichten von Regeln, an die wir uns halten, man kann sie »Persönliche Regeln« oder »Lebensregeln« nennen. Unterschiedliche Regeln werden von verschiedenen sozialen Instanzen in unserem Leben gelehrt und verstärkt, von Eltern und Verwandten bis zu Lehrern, Erziehern, später dann Arbeitgebern und staatlichen Stellen wie der Polizei und der Regierung. Manche sind eindeutig im Gesetz formuliert, und wenn man sie bricht, droht eine Strafe. Und manche, wie »Man spielt nicht mit Streichhölzern« oder »Schau rechts und links, bevor du die Straße überquerst«, werden uns schon früh beigebracht, um uns vor Gefahren zu schützen. Aber die schwierigeren sitzen oft in unserem Unterbewussten. Sie wurden dort von Eltern oder Erziehern in einem sehr jungen Alter platziert und können eine riesige Macht entfalten, und doch bringen wir sie nur sehr selten ans Tageslicht (das heißt unser aktuelles Erwachsenenleben), um nachzusehen, ob wir immer noch freiwillig nach ihnen leben, kurz, ob sie uns immer noch nutzen, so wie wir jetzt sind und wie wir unser Leben leben wollen. Wenn wir sie uns anschauten, könnten wir feststellen, dass einige (oder viele) sich in einem zweigeteilten Alles-oder-nichts-Modus befinden, sie haben jegliche Flexibilität verloren und sind zu dem geworden, was der Gründer der Kognitiven Verhaltenstherapie Aaron Beck »strikte persönliche Regeln« nennt. Man kann strikte persönliche Regeln daran erkennen, dass man Wörter wie »sollte«, »muss«, »immer«, »nie« verwendet (im fünften Kapitel wird das genauer betrachtet).

Bei der Geschichte mit dem gebrochenen Arm war meine Regel, »kein Aufhebens zu machen«, eine strikte persönliche Regel. Sie war so mächtig (obwohl halb in meinem Unterbewusstsein versteckt), dass ich die heftigen Schmerzsignale meines Körpers übergehen konnte und die Energie aufbrachte, die anderen zu beruhigen (»Mir geht’s gut! Mir geht’s gut!«), ein Lächeln aufzusetzen, weiterzutanzen und zehn Tage lang nicht zum Arzt, aber rudern zu gehen.

Diese Regel stammt zweifellos aus meiner Kindheit, wenn ein Kind sich wehtut und zu weinen beginnt, sagt die Mutter vielleicht: »Ach, mach nicht so ein Theater« (Ablehnung), oder umgekehrt, wenn das Kind groß genug ist, es aushalten zu können, wird es gelobt, weil es so »tapfer« ist (Anerkennung). Wie Pawlows Hunde, die darauf »konditioniert« wurden, dass ihnen das Wasser im Mund zusammenläuft, wenn sie eine Glocke fürs Fressen hören, selbst wenn gar kein Futter auftaucht, so können Kleinkinder relativ einfach auf Verhalten konditioniert werden, das belohnt wird (durch Lob, Anerkennung oder Goldsterne), und das Verhalten einstellen, das kritisiert, abgelehnt oder bestraft wird. In den letzten zehn Jahren hat die wissenschaftliche Forschung, verbreitet durch Massenmedien – egal ob die Supernanny im Fernsehen oder die vielen Erziehungsratgeberbücher –, die Eltern, Lehrer und Erzieher dazu angehalten, erwünschtes Verhalten zu belohnen und unerwünschtes zu ignorieren. Aber zu meiner Zeit – und in vielen Kulturen auch heute noch – wurden Kinder für sogenannte unerwünschte Eigenschaften oder Verhaltensweisen oft lächerlich gemacht, beschämt, erniedrigt oder bestraft.

Die Regeln brechen

Ich beschuldige weder meine eigenen noch irgendwelche anderen Eltern. Sie haben getan, was sie für das Beste hielten, und meist ist das eine Variante der Erziehung ihrer Eltern, sie geben die Regeln, die sie gelernt haben, weiter, bewusst oder unbewusst. Bestimmte Verhaltensweisen und Charakterzüge werden in unterschiedlichen Familiensystemen bevorzugt, das heißt, dass...

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