Studienarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Geschichte - Sonstiges, Note: 2,0, Universität Potsdam (Historisches Institut), Veranstaltung: Hauptseminar , Sprache: Deutsch, Abstract: In einer Reisebeschreibung des späteren Arztes Jung-Stilling heißt es:
'Nicht weit vom Ufer war ein Wirtshaus, Stilling mit seinen Kameraden ging da hinein und in die Stube, welche voller Stroh gespreitet war. Dort in der Ecke lag ein vortrefflicher ansehnlicher Mann. Eine Strecke von demselben ein Soldat. Wieder einen Schritt weiter ein junger Mensch, der einen versoffenen Kauz von Studenten so ähnlich sahe als ein Ei dem anderen. [...] Der andre hatte sein Schnupftuch um den Kopf gebunden und den Soldatenrock über ´sich her und schnarchte. Der dritte lag da mit bloßem Haupt im Stroh, und ein englischer Frack lag quer über ihn her;[...] Hinten in der Ecke lag etwas, man wusste nicht, was es war,[...] nun entdeckt Stilling, dass es eine Gattung von Weibsmenschen war.' Diese Beschreibung eines Wirtshauses von Jung-Stilling trifft in ihrer lebhaften Schilderung den Nerv der Zeit und wirft zugleich zahlreiche Fragen auf.
In einem Zeitalter der 'Medienrevolution', die durch den Bau von befestigten Straßen, der Entwicklung eines ausdifferenzierten Postsystems, der wachsenden Alphabetisierung und nicht zuletzt der Verbreitung von Zeitungen als Informationsquellen gekennzeichnet war, stellt sich zwangsläufig die Frage, welche Rolle ein öffentlicher Ort wie das Wirtshaus gespielt haben mag.
War es nur ein Ort, an dem sich die einheimische Bevölkerung zum abendlichen Trinkgelage eingefunden hat, oder fanden hinter der unscheinbaren Fassade eines Wirtshauses nicht vielmehr Kommunikationsprozesse zwischen den unterschiedlichsten sozialen Schichten ihren Anfang? Stellt man ferner in Rechnung, dass ein Zusammentreffen von verschiedenen Menschen nur durch die wachsende Mobilität und eine zunehmende Ausdifferenzierung der Verkehrsmittel möglich war, so ist die Gruppe der Reisenden als Gäste der Wirtshäuser von besonders hohem Interesse. Warum so viele Reisende der Frühen Neuzeit immer wieder Wirtshäuser besuchten, und welche Bedingungen sie dort vorfanden sind zentrale Fragen meiner Untersuchung. Um jedoch das Wirtshaus in den Kontext der oben erwähnten technischen und kommunikativen Veränderungen der Frühen Neuzeit einordnen zu können, muss hier zwangläufig die zentrale Frage nach der Rolle des Wirtshauses als kommunikativem und sozialem Zentrum im Zuge des zunehmenden Reiseverkehrs gestellt werden.
Vor diesem Hintergrund sollen die Reiseberichte von Reisenden des 18. Jahrhunderts einen Schwerpunkt der Arbeit darstellen. Die Fülle von Reiseberichten, die in dieser Zeit entstanden sind, veranlassten die Forschung zu einer breiten Diskussion um Probleme, die bei der Arbeit mit Reiseliteratur auftreten. Sie fragen nach den verschiedenen Reisetypen wie der Kavalierstour oder der Pilgerreise, aber auch der Einfluss geistesgeschichtlicher Strömungen auf die Reisenden sowie Frauenreisen werden problematisiert. Die genannten Aspekte sollen für diese Untersuchung allenfalls eine marginale Rolle spielen. Vielmehr sollen die Reiseberichte nach den Wirtshäusern des 18. Jahrhunderts befragt werden.
Die verwendete Methodik bedarf klärender Worte. Bevor ein gezieltes Augenmerk auf einige ausgewählte Reiseberichte gelegt werden kann, ist eine Beschäftigung mit der Bedeutung des frühneuzeitlichen Wirtshauses im Zuge des zunehmenden Reiseverkehrs unerlässlich. An dieser Stelle soll eine Auskunft über die Entwicklung des Wirtshauses in der Frühen Neuzeit bis zu dessen Funktion als Ort der Kommunikation für die Reisenden gegeben werden. Im Anschluss soll dem Leser ein orientierender Einblick in die Reisebeschreibungen frühneuzeitliche Reisender verschafft werden, um dann den Blick auf drei ausgewählte Reisebeschreibungen des 18. Jahrhunderts wenden zu können. Wie bereits oben angemerkt, brachte das 18. Jahrhundert eine Vielzahl von Reisebeschreibungen hervor. Daher muss an dieser Stelle der Untersuchung eine soziale Abgrenzung erfolgen, um einen möglichst differenzierten Blick auf die Rolle der Wirtshäuser für die Reisenden des 18.Jahrhunderts zu erhalten.
Aus diesem Grund habe ich mich dafür entschieden, den Reisebericht eines Schweizer Bauernsohnes, den der Pfarrerstochter Sophie Becker auf ihrer Reise als Gesellschafterin von Charlotte von der Recke sowie den eines englischen Gelehrten nach den Wirtshäusern des 18. Jahrhunderts zu befragen. Auf diese Weise werden die Wirtshausverhältnisse des 18. Jahrhunderts aus drei völlig konträren Blickwinkeln beleuchtet.
Den Abschluss der Untersuchung bildet ein Resümee, welches versucht, auf die hier aufgeworfenen Fragen unter Heranziehung der Untersuchungsergebnisse eine Antwort zu finden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen schließlich die Aussagen der Reiseberichte über die Wirtshäuser auf deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede betrachtet werden.
In der Gesamtschau und Würdigung aller Ergebnisse der Arbeit, soll schließlich eine abschließende These darüber aufgestellt werden, wie groß die Bedeutung des Wirtshauses als kommunikatives Zentrum für die Reisenden tatsächlich war.
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