Das Organisationskonzept Primary Nursing ist noch relativ unbekannt. Daher wird das Konzept im nun folgenden Kapitel vertiefend dargestellt. Nach einer Begriffsklärung und –abgrenzung sowie einem kurzen Überblick über die geschichtliche Entwicklung werden die Ziele, die Kernelemente und die Organisation von Primary Nursing beschrieben. Außerdem werden die Phasen sowie die Rollen und Aufgaben im Organisationskonzept Primary Nursing geklärt und die mögliche Einbindung von Primary Nursing ins Krankenhaus aufgezeigt. Abschließend wird das Anforderungsprofil für die Mitarbeiter dargestellt.
Die in der Literatur vorhanden Definitionen von Primary Nursing sind nahezu identisch und angelehnt an die Definition der Pionierin des Primary Nursing, Marie Manthey. Interessant ist, dass für die Bestandteile der Begriffe Primary und Nursing kaum Definitionen in der Literatur zu finden sind. Dieses könnte daran liegen, dass den englischsprachigen Autoren die Begriffe bezüglich der Definition selbstverständlich sind und somit kein Klärungsbedarf besteht.
Definition Primary
Die Übersetzung des englischen Wortes Primary bedeutet so viel wie primär, grundlegend.[13] Die deutsche Übersetzung primär bedeutet so viel wie zuerst vorhanden, ursprünglich, an erster Stelle stehend, erstrangig, vorrangig, grundlegend, wesentlich.[14]
Definition Nursing
Das englische Wort Nursing bedeutet so viel wie Krankenpflege.[15]
Definition Primary Nursing und Begriffsabgrenzung
Primary Nursing ist eine Methode der Pflegeorganisation, [16]
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Das Organisationskonzept Primary Nursing entstand Anfang der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts in den USA. Es lässt sich nicht zweifelsfrei nachvollziehen, wer genau mit dem Organisationskonzept begonnen hat. Trotz anders lautender Hinweise in der Literatur wird Marie Manthey als Begründerin des Primary Nursing bezeichnet. Sie führte Primary Nursing Ende 1968 an den Kliniken der University of Minnesota ein.[20]
Hintergrund bildeten zahlreiche Ansätze, die eine Umstrukturierung der Pflegeorganisation erforderlich machten. Grund dieser Entwicklung war eine zunehmende Unzufriedenheit der Patienten mit dem Krankenhaus, der Ärzte mit der Pflege und insbesondere der Pflege, die mit sich selbst und mit allen anderen unzufrieden war. Pflegende fühlten sich durch die Art und Weise, wie das Krankenhaus und die Pflege organisiert waren, in ihrer Arbeit eingeschränkt. Manthey, die zu dieser Zeit als Pflegedienstleiterin tätig war, kritisierte zudem die Unzulänglichkeit des damals praktizierten Pflegesystems. Hierdurch erhielten Patienten eine fragmentierte, unpersönliche und diskontinuierliche Pflege und Pflegende fühlten sich angesichts ihrer Arbeit entmutigt und frustriert. Ferner herrschte ein akuter Personalmangel.[21] Um diesen Zustand zu verändern, entwickelte Manthey mit ihren Mitarbeitern ein Organisationsmodell, bei dem jedem Patienten vom Tag der Aufnahme bis zum Tag der Entlassung eine Pflegende fest zugeordnet wurde. Diese Pflegende war für die Pflege des Patienten und die Koordination der Versorgung zuständig. Dieses System wurde Primary Nursing genannt.[22] Primary Nursing wurde in den USA in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zum meistverwendeten Organisationssystem, fand in vielen Ländern Zuspruch und verbreitete sich über Australien nach Großbritannien und von dort aus in die skandinavischen Länder, Nordirland und in die Niederlande. In Deutschland gewinnt Primary Nursing seit Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts an Bedeutung.[23] Das Evangelische Amalie Sieveking Krankenhaus und das Allgemeine Krankenhaus Barmbeck in Hamburg sowie das Therapiezentrum in Burgau gehörten zu den ersten Krankenhäusern, die Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts mit der Umsetzung von Primary Nursing begannen.[24] Im Juni 2000 wurde das Primary Nursing Netzwerk Deutschland gegründet. An diesem Netzwerk beteiligen sich Einrichtungen, die Primary Nursing bereits eingeführt haben oder solche, die sich auf eine Implementierung vorbereiten.[25]
Die Humanisierung der Krankenhauspflege beschreibt Manthey als ihr Hauptziel für die Implementierung von Primary Nursing. Primary Nursing gibt Pflegenden einen Rahmen für die Praxis und bietet die Möglichkeit, dass alle Patienten eine zielgerichtete, kompetente und individuell angepasste Pflege erhalten, an der sie aktiv beteiligt werden.[26]
Mit der Einführung von Primary Nursing wird das Ziel verfolgt, jedem Patienten eine persönliche Begleitung zu geben. Hierdurch soll der Anonymität und dem Ausgeliefertsein entgegengewirkt werden. Zudem sollen die Prozesse wirtschaftlich und effektiv gesteuert werden. Diese Ziele spielen insbesondere durch die Einführung der G-DRGs eine wichtige Rolle, da die Krankenhausaufenthalte, aufgrund der Leistungsdichte mit zunehmend verkürzten Verweildauern, immer komplexer werden.[27]
Josuks beschreibt die Ziele von Primary Nursing bezogen auf den Patienten, das Personal und die Organisation.
Patientenbezogene Ziele
Als wichtigstes patientenbezogenes Ziel ist die Zufriedenheit des Patienten zu nennen. Patienten und Angehörige erhalten eine feste Ansprechpartnerin in der Pflege, wodurch ein Gefühl von Sicherheit vermittelt wird. Es wird ein Vertrauensverhältnis hergestellt, welches eine individuelle, koordinierte und zielorientierte Pflege ermöglicht.
Personalbezogene Ziele
Die Berufs- und Arbeitszufriedenheit gehört zu den personalbezogenen Zielen. Sie kann durch die Übernahme von Verantwortung für die eigene Tätigkeit erreicht werden. Durch Primary Nursing werden eine qualitative Weiterentwicklung der Pflege, die Kontinuität in der Durchführung pflegerischer Tätigkeiten und das bewusste Wahrnehmen von Erfolgen in der Pflege des Patienten erreicht. Primary Nursing kann darüber hinaus die Einarbeitung neuer Mitarbeiter und die Anleitung von Auszubildenden begünstigen und zu einer Verringerung der Fluktuation führen.
Betriebsbezogene Ziele
Zu den betriebsbezogenen Zielen gehört die Dezentralisierung von Machtstrukturen. Pflegedienstleitung (PDL) und Stationsleitung (SL) delegieren die pflegerische Verantwortung an die Pflegenden. Ein weiteres Ziel ist die ökonomische Betriebsführung. Dieses wird beispielsweise erreicht, indem eine wirtschaftliche Personalbesetzung im Rahmen eines geeigneten Personalmix erfolgt oder effektiv gesteuerte Prozesse einen wirtschaftlichen Arbeitsablauf ermöglichen.[28]
Manthey beschreibt zum besseren Verständnis von Primary Nursing die vier Kernelemente Verantwortung, Fallmethode, direkte Kommunikation und Verantwortung für die Pflegeerbringung. Diese Elemente bilden die Basis des Primary Nursing.
Verantwortung
Die eindeutige und persönliche Übernahme der Verantwortung für das Treffen von Entscheidungen in der pflegerischen Versorgung des Patienten wird als Kernstück des Primary Nursing beschrieben. Die PN entscheidet eigenverantwortlich darüber, wie die ihr zugeteilten Patienten pflegerisch versorgt werden, und zwar kontinuierlich und für die gesamte Zeit des Aufenthaltes ihrer Patienten. Neben dieser Planungsentscheidung soll die PN die Pflege ihrer Patienten soweit wie möglich selbst übernehmen. Entscheidend für die Übernahme der Verantwortung durch die PN ist, dass die PN allen Beteiligten, d. h. Patienten, Angehörigen, Ärzten sowie den Mitgliedern des Gesundheitsteams namentlich bekannt ist.
Bei der Übernahme der Verantwortung durch die PN sind drei wesentliche Bereiche zu berücksichtigen:
Der erste Verantwortungsbereich beinhaltet, dass die PN die Verantwortung dafür übernimmt, dass alle notwendigen Informationen über ihre Patienten zur Verfügung stehen. Dabei muss sie wichtige von unwichtigen Informationen unterscheiden können.
Im zweiten Verantwortungsbereich trägt die PN die Verantwortung für die Planungsentscheidungen. Sie ist verantwortlich dafür, dass für die Zeit...