Was wird, vergeht
Alles, was entsteht und wieder vergeht, braucht eine Idee. Es sollten Ideen sein, die Vater Sonne und Mutter Erde gefallen und allen guttun. Viele solche Ideen gibt es schon, und auf die konzentrieren wir uns, wo immer wir können.
Viele dieser Ideen sind so groß, dass wir sie nicht zwischendurch, auch nicht während der Ferien oder im Urlaub, verwirklichen können. Manche Ideen sind sogar so groß, dass wir sie nicht einmal in einem Leben realisieren können. Zum Beispiel hatte vor ca. 800 Jahren die Bevölkerung von Straßburg, Chartres, Speyer und in vielen anderen Orten in Europa die Idee, ein großes Haus zu bauen – einen Dom. Die Leute, die diese Idee hatten, lebten zu jener Zeit in kleinen Hütten. Aber sie baten einen Architekten, mit ihrer Mithilfe die Idee von einem riesigen Gebäude zu verwirklichen, in dem sie alle gleichzeitig in einem Raum unter einem Dach Platz hätten und zusammen darin mit einem wunderbaren Echo singen könnten. Eine absolut gigantische Idee für die damalige Zeit.
Wer etwas länger darüber nachdachte, kam zu der Erkenntnis, dass alle, die mit der Realisierung dieser Idee beginnen würden, den fertigen Dom nicht erleben könnten – so gewaltig, so groß war die Idee. Das hielt die Menschen aber nicht davon ab, sie in Angriff zu nehmen – auch wenn kein Geld vorhanden war. Die Kirche, die heute solche Dome für ihre Zwecke innehat, hielt damals von diesen Ideen nichts und gab keinen Pfennig dafür. Die sogenannten kleinen Leute waren von ihrer Idee aber so begeistert, dass sie – zum Teil unter großen Opfern – allesamt mithalfen, dafür schwer zu arbeiten. An manchen dieser Dome haben fünf und mehr Generationen gearbeitet.
Würde man nur Ideen realisieren wollen, deren Fertigstellung man in einer einzigen Schaffensperiode erleben kann, würde nichts Besonderes entstehen. Wichtig bei einer Idee ist, dass sie so gut ist, dass sie auch von anderen unterstützt und beschützt wird. Es gibt Ideen – auch gute Ideen – für jedes Zeitmaß. Wichtig ist, dass man an seine Idee glaubt. Natürlich gibt es auch Ideen, die sich bei ihrer Umsetzung als zu wenig durchdacht erweisen und die Schwierigkeiten aufwerfen, die man nicht berücksichtigt hatte. In solchen Fällen muss man es übers Herz bringen, die Idee fallen zu lassen, egal, wie viel Energie man schon in sie investiert hat.
Viele Ideen haben ihre Zeit: Manche dulden keinen Aufschub, für andere Ideen ist die Zeit noch nicht reif. Für den richtigen Zeitpunkt braucht es ein Gespür und danach entschlossenes Handeln. Das Wichtigste bei jeder Idee ist die Motivation: Wofür will ich diese eine bestimmte Idee verwirklichen? Wem soll sie nützen? Verträgt sie sich mit Mama Erde und Papa Sonne? Ideen, die unseren kosmischen Eltern zuwiderlaufen, sollte man gleich aufgeben. Hingegen sollten Ideen, die Vater Sonne und Mutter Erde guttun und ihren Reichtum nutzen, ohne ihnen zu schaden, mit voller Kraft angegangen werden. Denn solche Ideen sind immer gut und richtig. Für solche Ideen lohnt es sich zu arbeiten, auch dann, wenn man ihre Fertigstellung nicht miterleben kann. Wer die Kraft hat, mit solchen Ideen zu beginnen, findet auch Nachfolger, die diese Idee vervollkommnen.
Wenn immer mehr Kinder, Jugendliche und Erwachsene ihr Leben für Vater Sonne und Mutter Erde einsetzen, wird sich dies auf die gesamte Menschheit positiv auswirken – und damit auf Natur, Tiere und Pflanzen, auf das Klima, den Wasserhaushalt, einfach auf das ganze Leben.
Welche Ideen realisieren wir?
Wie ist das mit dem erwähnten Baumhaus? Wer diese Idee nicht gleich wieder aufgibt, sondern wirklich an sie glaubt, muss anfangen, diese Idee zu verdichten, das heißt, man wälzt sie in seinem Kopf hin und her, beschäftigt sich sehr oft damit, konzentriert sich wirklich auf sie, und so bekommt die Idee allmählich eine Form.
Mit der Zeit wird klar, was da alles zum Bau eines Baumhauses gehört. Zunächst muss man einen Baum finden, in dem das Haus stehen soll. Und nach und nach merkt man, wie viel Entscheidungskraft man braucht, um daraus etwas Wahres zu machen, etwas, das sich anfassen lässt, in das man sich hineinsetzen kann und das nicht sofort wieder zusammenfällt, vergeht und ein vorzeitiges Ende findet.
Mit solchen Vorgängen, bei denen aus Geist Materie wird, haben wir ständig zu tun. Man nennt es Schöpferkraft, wofür wir meist den Begriff Kreativität verwenden (lat. creare). Leute, die kreativ sind, machen aus Geist Materie, die sich dann irgendwann wieder auflöst. Die meisten sind aber nur an der Entstehung der Materie interessiert. Für den Zerfall ihrer Schöpfung interessieren sie sich meist nicht. Sie hoffen, dass ihr Werk ewig bestehen bleibt, doch das tut es nicht. Sie selbst aber warten das nicht ab. Sie gehen von Schöpfungsprozess zu Schöpfungsprozess, bei denen ihre Ideen zu immer neuen Formen werden. Die meisten sind traurig, wenn die Form, die sie erschaffen haben, die sie lieben und an die sie sich gewöhnt haben, zu Bruch geht, sich auflöst, stirbt. Das vertragen sie nicht.
Kreativität macht aus Geist Materie.
Doch daran sollten wir uns gewöhnen, denn das ist ein Prinzip unseres Universums. Nach diesem Prinzip vergeht auch unser Körper. Wir nennen es den Tod. Für die meisten von uns ist Tod etwas Schlimmes, denn wir identifizieren uns nur mit dem Werden, nicht mit dem Vergehen. Wir sind fixiert auf die Materie, den Körper. Würden wir uns mit unserer Idee, dem Geist identifizieren, wäre es nicht schlimm, dass alles, was wird, auch wieder vergeht, denn die Ideen, bzw. der Geist, bleibt bestehen.
Wir könnten uns darüber sogar freuen, dass alles vergeht, denn es wäre ja schrecklich, wenn alles, was wird, auch bliebe. Stellen Sie sich nur einmal vor, die Pflanzen würden nicht verwelken und absterben. Jede Pflanze, jeder Baum – alles würde ewig halten. Die Welt wäre bald voll, und alles würde sich über- und untereinander auftürmen. Alles würde ersticken. Wenn Menschen und Tiere nicht sterben würden – es wäre unerträglich. Solche Massen an Tier- und Menschenkörpern würden sich gegenseitig zerquetschen.
Also, wir können sehr froh sein, dass alles, was wird, auch wieder vergeht. Darüber können wir wirklich sehr froh sein. Und wir können genauso froh darüber sein, dass die Ideen nicht vergehen. Egal wie viele Ideen es sind, sie können alle gleichzeitig und so lange bestehen bleiben, wie sie und wir wollen. Wir müssen nur genau darauf achten, welchen Ideen wir Form geben und wie lange wir wollen, dass die Form halten soll. Wenn alles, was Form hat, zu seiner Entstehung eine entsprechende Idee braucht, dann müssen wir selbst ebenfalls aus einer Idee hervorgegangen sein, denn wir haben eine Form, den Körper.
Vision
Wenn die Idee die Ursache für eine Form ist, was ist dann die Ursache für die Idee? Auch wenn wir die Idee irgendwo aufgeschnappt haben oder uns selbst zusammenreimten, so muss doch auch sie in diesem Universum eine Ursache haben, aus der sie hervorgegangen ist. Denn in diesem Universum richtet sich alles nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung. Was ist also die Ursache einer Idee? Das Verblüffende an der Ursache einer Idee liegt nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft! Wie bitte? Ja, was unglaublich klingt, ist deshalb möglich, weil der Geist, solange er keine Form angenommen hat, auch nicht an Zeit gebunden ist. Ideen sind Geist – und Geist ist frei von Raum und Zeit. Deshalb können Ideen ihre Ursache in der Zukunft haben. Wenn wir beispielsweise dieses Baumhaus bauen wollen, ist die Ursache für diese Idee eben genau ein solches Baumhaus, wie es in der Zukunft mal bestehen könnte.
Damit sich diese Idee verwirklichen kann, muss sie verdichtet werden. Das heißt: Man muss sich ganz stark auf sie konzentrieren, sich genau überlegen und vorstellen, wie viele Bretter benötigt werden, oder wie lang und stark die Bretter sein müssen. Was ist noch erforderlich, um die Bretter zusammenzuhalten? Wie fange ich mit dem Bau an? Wer hilft mir? – und so weiter und so fort. Es braucht also wirklich viel Konzentrationskraft, viel Arbeit am Detail, aber all das ist nicht die Ursache für die Idee Baumhaus. Alle diese Fragen dienen der Formgebung – wie aus der Idee Wirklichkeit wird. Die Ursache für die Idee Baumhaus ist etwas ganz Einfaches – ein Bild, und zwar das Bild eines fertigen Baumhauses. Es ist die Vision eines Baumhauses. Und woher kommt die Vision?
Diese Frage beantworten Sie sich am besten selbst. Das Geheimnis der Antwort liegt in den beiden Ebenen, die unserem Denken zugrunde liegen. Der Mensch und alle größeren Tiere besitzen ein Gehirn mit zwei Hälften. Die eine Hälfte dient der Ratio, die andere Hälfte der bereits erwähnten Intuition.
Intuition
Damit eine Idee zur Form werden kann, muss sie in die Hemisphäre des dreidimensionalen Raumes und in die lineare Zeit mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eintauchen. Die Intuition braucht das nicht. Die rechte Gehirnhälfte kann denken, ohne an die Barrieren von Raum und Zeit gebunden zu sein. Deshalb ist es mit ihr möglich, Visionen aus der Zukunft zu nehmen. Um diese Zusammenhänge zu verstehen, darf man in seinem Denken nicht allein auf die Ratio beschränkt sein oder die Ratio so viel hochwertiger ansehen als die Intuition.
Aus anderen Kulturen kennen wir das Ritual der Visionssuche. Sie hat mit Ratio nichts zu tun. Eine Vision entsteht absichtslos. Sie taucht auf, wenn ich passiv bin und meinem Geist einfach zuschaue. Da ist plötzlich eine...