2.
Leadership. Gestern. Heute. Morgen.
Vergessen Sie Lob.
Vergessen Sie Bestrafung.
Vergessen Sie Geld.
Sie müssen die Arbeit interessanter machen.11
– Frederick Herzberg
Gestern war heute morgen
Es mag stimmen, dass der sicherste Weg, Geld zu verlieren, gemeinsame und einheitliche Entscheidungen sind. Es mag immer wieder Situationen geben, in denen nur einer sagen kann, wo es langgeht. Doch nur mit dem Genie eines Einzelnen oder gar Sturheit und Ichbezogenheit lässt sich Großes nicht verwirklichen.
Wahrlich beachtliche Leistungen haben viel mit Verwirklichung zu tun. Verwirklichung erfordert in allererster Linie eine Idee, ein gemeinsames Ziel und einen höheren Sinn. Ohne Leader, die diesen Sinn anderen Menschen begeisternd vermitteln und diese Menschen emotional beteiligen, bleibt vieles unerreicht. Gleichgültig ob im Großen oder im Kleinen. Das war gestern so, das ist heute so und das wird auch morgen so sein.
Eine geteilte Vision
Ein Bergurlaub befreundeter Familien in den österreichischen Bergen. Die Jugendlichen errichten vereint einen Staudamm in einem Gebirgsbach. An dieser Stelle haben offensichtlich schon vielfach Versuche stattgefunden, den kleinen Bachlauf möglichst hoch aufzustauen. Einige der Burschen stehen bis zu den Knien im kalten Wasser, andere schleppen morsche Holzstücke und schwere Steine heran. Einer arbeitet augenscheinlich anders mit, er hilft, wo Not am Mann ist, konzentriert sich aber auf die Koordination und erzählt allen, er wolle gemeinsam den höchsten Damm errichten. Er setzt „Fachleute“ für bestimmte Arbeiten ein, die er selbst nicht beherrscht, motiviert, behält die Übersicht. Am Ende des Nachmittags ist der kleine Staudamm höher als je zuvor. Mit den Eltern lassen alle das aufgestaute Wasser unter Jubel wieder frei und wandern zufrieden zur Hütte zurück. Auf dem Rückweg sprechen die erwachsenen Beobachter über den Jungen, der ihnen aufgefallen ist. Bald ist man sich einig, warum. Er hat manuell weniger geleistet und machte sich auch durchaus weniger schmutzig. Sein Anteil am Gelingen des Projektes schien aber kein geringer zu sein. Der Damm erreichte nur deswegen eine enorme Größe, weil dieser Junge seine Vision mit den anderen geteilt hatte. Er konnte sie leidenschaftlich begeistern und allen deutlich machen, dass es nur gemeinsam gelingen wird. Diese Geschichte aus den Alpen hat etwas mit Leadership zu tun, genau wie folgende aus dem Amazonasgebiet.
Ein unvergleichliches Szenario
In dem Film „Fitzcarraldo“ von Werner Herzog zieht ein Visionär, der ein eigenwilliger Opernliebhaber ist, einen riesigen Flussdampfer über einen Urwaldberg in Peru. Natürlich nicht allein. Ausgangspunkt ist seine Vision. Seine Verwirklichungskraft realisiert sie. Er macht gemeinsam mit seinen Leuten Unmögliches möglich.
Bildgewaltig umgesetzt und einzigartig gelöst, schuf Herzog einen Film für die Ewigkeit. Man hatte ihm anfänglich vorgeschlagen, mit einem Modellschiff im Botanischen Garten von San Diego zu drehen. Herzog lehnte das kategorisch ab. „Selbstverständlich müssen es ein echtes Schiff und ein echter Berg sein.“ Am 12. Juli 1981 stand das 40 Meter lange und 160 Tonnen schwere Schiff oben auf der Bergkuppe. Die Schauspieler freuten sich vor der und das gesamte Film-Team hinter der Kamera. Die Schneise im Urwald ist längst wieder zugewuchert, doch die Bilder bleiben. Werner Herzogs Ansatz war: Es müssen Bilder und eine Glaubwürdigkeit sein, die man nie zuvor im Kino gesehen hat. Dies machte aus dem Film einen Welterfolg.
Herzogs große Leistung: Nicht besserwisserisch, sondern bestechend visionär zu sein. Ohne Leadership wäre so eine Realisierung nicht vorstellbar.
Ein negatives Paradebeispiel
Zwei Kriegsschiffe übten seit Tagen in schwerem Wetter Manöver. Nebelschwaden erschwerten gegen Abend die Sicht und so blieb auch der Kapitän auf der Brücke und überwachte alles. Kurz nach Anbruch der Dunkelheit meldete der Ausguck: „Licht Steuerbord voraus.“
„Bleibt es stehen oder bewegt es sich?“
Der Ausguck antwortete: „Es bleibt, Kapitän.“ Das hieß, dass sich das Schiff auf einem gefährlichen Kollisionskurs befand. Da rief der Kapitän dem Signalgast zu: „Schicken Sie dem Schiff ein Signal: Wir sind auf Kollisionskurs, empfehlen 20 Grad Kursänderung.“
Zurück kam das Signal: „Empfehlen Ihnen, den Kurs um 20 Grad zu ändern.“
Der Kapitän sagte: „Melden Sie, ich bin ein Kapitän, Kurs um 20 Grad ändern.“
„Ich bin ein Unteroffizier“, lautete die Antwort. „Sie sollten Ihren Kurs besser um 20 Grad ändern.“
Der inzwischen wütende Kapitän schimpfte: „Signalisieren Sie, dass ich ein Kriegsschiff bin. Er soll den Kurs um 20 Grad ändern.“ Prompt wurde eine Antwort zurückgeblinkt: „Ich bin ein Leuchtturm.“
Was wollen wir sein?
Was wollen wir sein? Privilegierter Chef oder Erster unter Gleichen? Was wollen wir sein? Regisseur mit Modellen oder Verwirklicher? Begnügen wir uns mit Mikromanagement, oder peilen wir große Lösungen an?
Was wollen wir sein? Militärischer Schiffsoffizier oder Leuchtturm? Wollen wir stur an einem eingeschlagenen Kurs festhalten, oder wollen wir heute Orientierung für morgen geben?
Leadership gestern
Zu den größten Führungsleistungen und logistischen Herausforderungen der Menschheit zählt auf beeindruckende Weise die Entdeckung der beiden Pole. Gerade der Südpol stellte dabei alles bisher Dagewesene in den Schatten. Der Norweger Roald Amundsen erreichte im Dezember 1911 erwiesenermaßen als Erster das „untere Ende“ der Welt. Indessen machen zwei Männer aus dem britischen Empire noch heute Schlagzeilen mit ihrem Scheitern in der Antarktis.
Amundsen war ein Entdecker. Als Entdecker muss man der Erste sein.12 Soweit hat er alles richtig gemacht und seine Mitbewerber, wenn auch denkbar knapp, geschlagen. Die beiden anderen Männer, deren Geschichte auf sehr eindrucksvolle Art mit dem Südpol verknüpft bleibt, sind Captain Robert Falcon Scott und Sir Ernest Henry Shackleton. Scott verlor bei seinem zweiten Versuch nicht nur den Wettlauf zum Pol, sondern auch sein Leben und das der ihm anvertrauten Männer. Shackleton hingegen sticht gerade durch seine Art von Leadership unter seinen Zeitgenossen hervor. Er verlor nie ein Menschenleben.
Ein historischer Abriss
Alle Episoden der Weltgeschichte scheinen sich zweimal zu ereignen: das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Dies gilt auch für die Eroberung der Pole, bloß in umgekehrter Reihenfolge.13 Die Times, seit jeher zur Fraktion der Expeditionsskeptiker gehörend, nahm damals kein Blatt vor den Mund. Die Bereitschaft, für ein geografisches Phantom Menschenleben zu riskieren, schrieb sie, entspringe der Fantasie eines kranken Gehirns.14
Der historisch stringente Lauf der Dinge sei hier bloß skizziert, das Hauptaugenmerk liegt auf der Relevanz von Führungsfähigkeiten.
Ein erster grandioser Versuch Die Discovery-Expedition – Juli 1901 bis Februar 1903
Obwohl Scotts Schiff, die Discovery, nicht direkt der Royal Navy unterstand, verlangte der Kapitän von den Expeditionsteilnehmern, sich der Disziplin der britischen Kriegsmarine unterzuordnen. Scott besaß keinerlei Erfahrung im Eis und hörte noch dazu Ratschläge nicht gerne. Er war impulsiv, aufbrausend und unberechenbar in seinen Entscheidungen. Aber er war ohne Zweifel ein Gentleman.
Als Kommandeur der National Antartic Expedition hatte er beschlossen, einfach auszuprobieren, wie weit sie in die Antarktis vordringen würden. Keiner hatte eine Ahnung, auf was sie sich da eingelassen hatten. Ohne Vertrauen zu Hunden zogen sie ihre Schlitten selbst. Scott kämpfte sich mit seinen Begleitern Ernest Shackleton und Edward Wilson bis 82°15’ südlicher Breite vor, 745 Meilen vom Südpol entfernt. Der bis dahin weiteste Vorstoß auf dem Kontinent. Eine grandiose Leistung.
Scott hielt nichts von Shackleton, brauchte ihn aber wegen seiner Fähigkeiten und schickte dann den ungefragten Ideengeber vorzeitig nach Hause. Beide waren großartige Männer, und doch war für sie einfach nicht genügend Platz in der Antarktis. Scott und Shackleton sind hervorragende Beispiele dafür, dass am und um den Pol schon immer viel gestritten wurde.
Viele von Scotts Führungsdefiziten rührten von seiner Ausbildung im späten 19. Jahrhundert her. Die Briten lebten schon damals gerne in der Vergangenheit. Die Angehörigen ihrer Marine waren selbstgefällig,...