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E-Book

Sein

Die wahre Natur der Erleuchtung

AutorAdyashanti
VerlagO.W. Barth eBook
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783426426197
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Warum wünschen wir uns Erleuchtung? Und wie kommt es eigentlich dazu? Wieso verliert man diesen glücklichen Zustand, sobald man wieder ins Alltägliche zurückkehrt? Oder was passiert mit einem, wenn man sogar in der Erleuchtung 'steckenbleibt'? Adyashanti gibt vor dem Hintergrund seiner langjährigen Erfahrung als spiritueller Lehrer genaue Anleitungen, wie man den Pfad in die eigene Tiefe sicher gehen kann und weist auf typische Fallstricke hin. Er motiviert, immer wieder über sein kleines Ego hinauszugehen und hineinzuwachsen in die Welt der Ungetrenntheit. Viele spirituelle Sucher sind seither in Adyashantis Umfeld zu ihrem wahren Wesen erwacht. In seinen Vorträgen und Retreats lehrt er in einer Weise, die man mit den großen Meistern des Zen und des Advaita-Vedanta vergleicht. Er selbst sagt jedoch: 'Wenn ihr meine Worte durch die Brille irgendeiner Tradition oder eines '-ismus' versteht, bekommt ihr nicht mit, was ich eigentlich sage. Die befreiende Wahrheit steht nicht ein für allemal fest, sie ist lebendig.'

Adyashanti ('ursprünglicher Friede') ist ein amerikanischer spiritueller Lehrer, der von seinem 25. Lebensjahr an sich immer weiter vertiefende Erleuchtungserfahrungen erlebt. Er ist 1996 von seiner Zen-Lehrerin autorisiert worden, öffentlich zu lehren. Seitdem bietet er Retreats und Satsangs in Nordamerika und Europa an - frei von jeder Tradition und Religion. Seine Lehren sind eine offene Einladung, das wahre und befreiende Herzstück aller Existenz zu erkunden. Er lebt mit seiner Frau Mukti in Kalifornien und ist dort spiritueller Leiter seiner Organisation Open-Gate-Sangha.

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Leseprobe

Freiheit durch forschendes Fragen


Da kommt es darauf an, alle »spirituellen Ausweichmanöver«, wie ich es gern nenne, zu unterlassen und eben nicht zu leugnen oder geflissentlich zu übersehen, dass wir uns doch wieder identifiziert haben. Zu diesem Zweck greifen wir gern auf nonduale Formeln zurück und sagen uns beispielsweise: »Ach, das ist einfach Identifikation. Sie passiert eben, und es ist niemand da, der sich identifizieren könnte. Alles geschieht einfach nur so, ganz von selbst.«

Das ist eine ebenso subtile wie wirksame Art, uns vor uns selbst zu verstecken. So lässt sich die Auseinandersetzung mit unserem nach wie vor bestehenden Hang zu Identifikationen umgehen. Aber genau das ist so wichtig: diese Augenblicke der erneuten Identifikation ungeschönt zur Kenntnis zu nehmen und genau zu betrachten.

Für diese Selbsterforschung gibt es viele verschiedene Vorgehensweisen. Ich habe das Schreiben als hilfreich empfunden, vor dem Erwachen und einige Zeit darüber hinaus. Sobald ich bemerkte, dass ich dabei war, in die Identifikation zurückzufallen, habe ich mich mit Schreibblock und Stift in ein Café verzogen und geschrieben. Beim Schreiben über das, was vorgegangen war, fand ich leichter in den Gedankengang zurück, der die erneute Identifikation ausgelöst hatte. Ich präzisierte dann, welcher Gedanke oder Glaubenssatz mich wieder »erwischt« hatte und was für ein Weltbild dahinter stand.

Angenommen, wir hätten etwas getan, was uns peinlich ist oder wobei wir uns blöd vorkommen, und dann regt sich der Gedanke: »Das hätte ich besser gelassen.« Oder »Wie dumm von mir.« Wenn ihr bei einem so kleinen Gedanken ansetzt und ihm nachspürt, werdet ihr augenblicklich sehen, wie Gedanken und Gefühle ineinandergreifen und wie eins zum anderen führt. Mit einem Gedanken wie »Das hätte ich besser gelassen« geht ein Gefühl einher, vielleicht bin ich peinlich berührt oder ärgere mich. Darin leuchtet das Weltbild hinter dem Gedanken auf, und wir erkennen, wie es uns in die Identifikation zurückzieht.

Es genügt aber nicht, diese Form der Selbsterforschung einfach wie ein Werkzeug anzuwenden, denn dann erfassen wir die Dinge am Ende nur mit dem Verstand. Leider hat der Verstand oft keine Verbindung zu unserem Fühlen, und dann verstehen wir etwas vom Kopf her ganz gut, während der Konflikt auf der Gefühlsebene bestehen bleibt. Deshalb müssen wir bei dieser Selbsterforschung Körper und Geist einsetzen, Denken und Fühlen. Nur so können wir verfolgen, welche Gedanken welche Gefühle hervorbringen und aus welchen Gefühlen welche Gedanken auftauchen. Es sind Zyklen: Ein Gedanke erzeugt ein Gefühl, und dieses Gefühl löst den nächsten Gedanken aus, der dann wieder ein Gefühl hervorbringt – und so weiter.

Wenn ich dann also mit meinen Schreibutensilien im Café saß, gab ich mir Mühe, sehr genau zu ermitteln, wie der Gedanke aussah, der den Rückfall in die Identifikation bewirkt hatte, und das schrieb ich dann auf. Ich vergegenwärtigte mir, wie von diesem Gedanken her die Welt aussah, also welchem Weltbild er entsprach. Das konnte ich aber nur, wenn ich erforschte, wie er sich anfühlte. Ich musste einkreisen, was der Glaube an diesen bestimmten – verurteilenden, peinlichen oder wie auch immer gearteten – Gedanken auf der Gefühlsebene nach sich zog. Dann ließ ich mich auf das Gefühl ein, ich gestattete mir, es wirklich zu fühlen.

Danach galt es weiterhin zu ermitteln, welche Überzeugungen und Glaubenssätze im Hintergrund standen. Wie nimmt dieses Gefühl die Welt wahr? Wie sieht es mich? Was für ein Weltbild ist das? Dabei wurde mir nach und nach klar, dass jeder Gedanke und jedes Gefühl eine ganze Welt enthält, einen minutiös durchgeformten Glauben. Durch meine Bereitschaft, auf das Gefühl einzugehen, fand ich heraus, dass es eine Stimme hat. Ich konnte diese Stimme hören, und sie berichtete von ganz bestimmten Vorstellungen und Überzeugungen.

Sehr häufig stellt sich heraus, dass die in unserem Denken und Fühlen verborgenen Vorstellungen und Überzeugungen aus der Kindheit stammen. Ihren Ursprung haben sie oft in unseren frühesten Erinnerungen an Beschämung oder Herabsetzung, an Dinge, die uns erschreckten oder ärgerten oder traurig machten. Wenn wir uns meditativ an diese Schnittstelle zwischen unserem Denken und Fühlen herantasten, wird unser fragendes Forschen uns an diese prägenden Erlebnisse heranführen. Es genügt nicht, sich diesen Dingen denkend zu nähern und dann zu sagen: »Das ist einfach ein Gedanke, ich weiß, dass er nicht zutrifft« – und fertig. Ich habe manchmal Stunden im Café zugebracht und nicht lockergelassen, bis ich solch einem Gedanken oder Denkmuster auf den Grund gegangen war. Und ich wusste: Wenn dieser Gedanke mich in die Identifikation zurücksaugen kann, dann kann es einem anderen auch gelingen. Je wacher wir sind, desto schmerzlicher wird jeder Rückfall in die Identifikation. Es fühlte sich an, als würde man gewaltsam aus dem Himmel in die Hölle verschleppt. Und wer sich wie in der Hölle fühlt, tut natürlich alles, um ihr zu entkommen.

Ich habe diese Selbsterforschung also sehr nachdrücklich betrieben. Ich blieb dran, bis solch ein Augenblick der Identifikation wirklich ganz durchdrungen und verstanden war. Wenn das erreicht war, erkannte ich es daran, dass die Identifikation wirklich ganz gelöst war.

Ich musste bestimmte Denk-, Gefühls- und Reaktionsmuster unter wechselnden Umständen immer wieder durchspielen, und jedes Mal drang die Einsicht tiefer und brachte noch mehr ans Licht. So stieß ich dann auf die Kernüberzeugungen, auf die Gedanken und Gefühle ganz am Grund. Dazu musste ich lediglich so lange bei dieser Selbsterforschung bleiben, bis die Illusion schließlich mit der Wurzel auszureißen war.

Das ist wie Unkraut jäten. Ich muss allerdings zugeben, dass ich in meinem Garten zu oberflächlichem Jäten neige. Das heißt, ich ziehe einfach an den Unkräutern, und was im Boden bleibt, das bleibt eben im Boden. Meine Frau ist da gründlicher. Wenn sie jätet, kann man sicher sein, dass auch die Wurzeln entfernt werden. Man erkennt es daran, dass an der Stelle monatelang kein Unkraut mehr wächst. Wo ich gejätet habe, sprießt es schon nach einer Woche wieder.

Im Garten meines Lebens habe ich es zum Glück nicht so gemacht. Ich war bei der geschilderten Selbsterforschung sehr konzentriert, und ich war bereit, jedem Gedanken auf den Grund zu gehen, um die Wurzel der unerfreulichen Reaktionen zu erreichen.

Natürlich muss das nicht unbedingt in der Form einer Niederschrift geschehen, jeder muss da seinen eigenen Weg finden. Vielleicht hilft euch das Schreiben, aber vielleicht ist es noch besser, euren Gedankengängen einfach meditativ nachzuspüren. Letztlich kommt es darauf an, zum Kern des Denkens und Fühlens vorzudringen. Nur so stoßen wir schließlich auf die fehlgeleiteten alten Glaubenssätze, die uns jetzt Unannehmlichkeiten bereiten.

Viele Menschen haben sehr schwierige Augenblicke oder Phasen erlebt und spontan entsprechende Bewältigungsmechanismen entwickelt. Wenn wir sehr jung sind und irgendetwas uns mehr Schmerz bereitet, als wir zu dem Zeitpunkt verarbeiten können, legen wir uns irgendeinen Glauben zurecht, der uns erst einmal zu überleben erlaubt.

Vielleicht sind die Eltern des Kindes irgendwie gestört, und das Kind ist einfach nicht in der Lage, sich die an sich simple Tatsache einzugestehen, dass seine Eltern sich nicht gerade gut um es kümmern. Dieser Gedanke ist ihm so unerträglich, dass es sich eine Geschichte zurechtlegen wird, mit der es irgendwie leben kann. Anstatt sich zu sagen, dass mit den Eltern etwas nicht stimmen kann, wird es sich vielleicht sagen, dass es selbst an dem ganzen Elend schuld ist. Solche Schlussfolgerungen sind in dem Augenblick, in dem wir zu ihnen gelangen, einfach das, was uns zu überleben erlaubt. Und was in der Kindheit so angefangen hat, kann ein ganzes Leben so weitergehen.

Aber wenn wir solchen Überzeugungen später auf den Grund gehen, stellt sich heraus, dass sie längst keinen Nutzen mehr erbringen. Sie mögen uns einmal wirklich geholfen haben, aber jetzt sind sie nur noch hinderlich. Das Denken als solches ist keine besonders nutzbringende Strategie. Geschichten, die wir uns über irgendetwas zurechtlegen, werden stets irgendwann unbequem und drücken. Unsere Annahmen über Vergangenheit und Gegenwart vertragen sich alle nicht mit dem Leben, wie es tatsächlich ist, mit dem, was tatsächlich vor sich geht.

Wenn also »Klett-Gedanken« und »Klett-Gefühle« auftauchen, kommt es darauf an, zu ermitteln, welche alten Überzeugungen hinter ihnen stehen. Dann ist unser Forschen die spirituelle Praxis des Augenblicks. Wenn wir dieser Praxis auszuweichen versuchen, weichen wir unserem Erwachen aus. Alles, wovor wir uns drücken, ereilt uns doch – immer wieder, bis wir uns endlich stellen und ergründen, was es wirklich damit auf sich hat.

Woran erkennen wir, dass wir wirklich ergründet haben, was es damit auf sich hat? Daran, dass die Geschichte, die wir uns dazu erzählt haben, von uns ablässt. Wir erkennen sie nicht nur gedanklich als Illusion, sondern fühlen das auch. Ich gebe gern den Rat, lieber bei ihr zu bleiben, bis sie von selbst abfällt. Wir müssen entscheiden, ob wir uns der meditativen Selbsterforschung widmen oder Opfer bleiben wollen. Jeder hat diese Wahl, ein Opfer seiner Ideen und Überzeugungen zu bleiben oder ihnen nachzuspüren, bis sie von uns lassen.

Unser Forschen lässt uns auch erkennen, dass alle Überzeugungen gleich viel wert sind. Wenn ich denke, jemand hätte dies tun oder jenes lassen sollen, bedeutet das eigentlich gar nichts. Was er tatsächlich getan hat, ist genauso berechtigt wie das, was er meiner Meinung...

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