Die ersten Könige aus Sachsen
Im Jahre 919 wurde Herzog Heinrich aus dem Geschlecht der Liudolfinger als erster Sachse zum deutschen König gewählt (Heinrich I.). Damit waren die sächsischen Stammlande plötzlich politisches Zentrum des Reiches. Nun hatte zu jener Zeit ein König wohl irgendwo seinen angestammten Sitz, doch eine feste Residenz hatte er nicht. Von den Fürsten gewählt, zog der König mit Gefolge über Land, um seine Herrschaft wahrzunehmen und vor allem auch durchzusetzen, denn nicht selten standen innerhalb der verschiedenen Clans Gruppeninteressen und Machtstreben einem bedingungslosen Gehorsam dem König gegenüber entgegen. Außerdem war der »Umritt« durch das Land zu jener Zeit praktisch die einzige Möglichkeit der Kommunikation.
Anlaufstellen auf solchen Reisen waren die königlichen Pfalzen: durch Befestigungen gesicherte Wohn- und Wirtschaftsgebäude, dazu Ländereien und Landwirtschaft, denn der den König begleitende Hofstaat umfasste oft mehr als 100 Personen, und die mussten versorgt werden. Auf diesen Pfalzen wurde Politik gemacht. Hier übte der König seine Regierungsgewalt aus, hielt Reichstage ab, erließ Gesetze, empfing Gesandtschaften und Delegationen. So entstanden denn im 10. Jahrhundert auch im Gebiet rund um den Harz zahlreiche Pfalzen. Die bedeutendsten waren Werla, Goslar und Pöhlde.
Es war im Jahre 924, als plötzlich die Ungarn ins Sachsenland einfielen. König Heinrich I. befand sich gerade in Werla. Die Pfalz war an einem strategisch günstigen Platz angelegt, nämlich auf einem Steilufer der Oker nördlich von Schladen. Indes, gegen die flinken Reiterhorden konnte das wenig bewegliche Bauernheer des Königs kaum etwas ausrichten, und so verschanzte sich Heinrich mit seinen Mannen in der Burg Werla. Aber dann gelang es ihnen, einen ungarischen Fürsten zu fangen. Heinrich handelte gegen die Freigabe des Fürsten und Zahlung von Tribut einen neunjährigen Frieden mit den Ungarn aus. Diese Zeit der Waffenruhe nutzte er zum Aufbau eines schlagkräftigen Heeres mit einer Reitertruppe als Kern und der Anlage von Burgen und Ortsbefestigungen. Nunmehr stark genug, verweigerte er den Ungarn weiteren Tribut, die daraufhin 933 erneut in Thüringen und Sachsen einfielen. Heinrich schlug sie bei Riade an der Unstrut vernichtend.
König Heinrich I. starb im Jahre 936. Beigesetzt wurde er im Dom zu Quedlinburg. Sein Sohn Otto I. folgte ihm auf dem Thron und trug von 962 an die Kaiserkrone. In der Schlacht auf dem Lechfeld 955 bezwang er die Ungarn endgültig und erhielt den Namen Otto der Große. 966 übertrug er das sächsische Herzogtum auf seinen Verwandten Hermann Billung.
Durch Otto wurde Werla von einer Königspfalz zur Kaiserpfalz. Irgendwann aber überflügelte Goslar, bedingt durch die Silberfunde im Rammelsberg, die Pfalz Werla. Hatten Otto I., dessen Nachfolger Otto II. und schließlich Otto III. Werla in regelmäßigen Abständen noch genutzt, so siedelte der im Jahre 1002 auf den Thron gelangte Heinrich II. aus Bayern nach Goslar um, das dann mit der Zeit zum Zentrum königlicher Herrschaft wurde.
Auch wenn das politische Geschehen jener Zeit oft genug in der unmittelbaren Nähe des künftigen Braunschweig ablief, direkt betroffen davon war dieses Siedlungsgebiet kaum. Kaiser Otto I. betrieb Politik von seiner faktischen Residenz Magdeburg aus. Schon zu Zeiten Karls des Großen war Magdeburg ein wichtiger Warenumtauschplatz geworden. Von Otto I. mit zahlreichen Privilegien ausgestattet, gehörte Magdeburg nun zu einer der bedeutenden Marktstätten mit Münze in dem wirtschaftlich aufstrebenden Sachsen. Nie aber hat Otto I. das spätere »Brunswiek« aufgesucht. Auch keiner seiner direkten Nachfolger überquerte je die Furt durch die Oker zu einem Besuch der Brunonen-Siedlung. Das geschah erst mit Lothar von Süpplingenburg.
Bau von Kirchen und Klöstern
Mit dem Ausbau der Siedlungen ging der Bau von Kirchen einher: kein Dorf und keine Siedlung ohne eigene Kirche. Eine reine Kaufmannskirche dürfte die von Hermen Bote erwähnte Jakobskirche am Eiermarkt gewesen sein, die mit der Jahreszahl 861 am Turm. Kurz nach der Weihe der Magnikirche durch den Bischof Branthag von Halberstadt im Jahre 1031 weihte der Hildesheimer Bischof Godehard auf der Burginsel Dankwarderode, wo sich nach Hermen Bote die Kirche St. Petri befand, das Stift des St. Blasius, eine Stiftung der brunonischen Gräfin Gertrud, Gemahlin des Grundherrn Liudolf. Der gleiche Godehard weihte dann auch um 1036 die Kirche St. Ulrici, Marktkirche auf dem Kohlmarkt, die bis zum Jahr 1544 bestand und dann abgerissen wurde.
Abb. 3: St. Magni ist die älteste noch existierende Kirche Braunschweigs. In der Weihe-Urkunde von 1031 für einen Vorgängerbau taucht erstmals der Name Braunschweig in der Schreibweise Brunesguik auf. Die Rekonstruktion der im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstörten Kirche erhielt am Giebel des Chores die Plastik »Der Rufer« des Bildhauers Bodo Kampmann.
Es ist eine der Merkwürdigkeiten in und um Braunschweig: ein relativ kleines Gebiet, aber zwei kirchliche Institutionen teilten es sich, wobei die Oker die Grenze bildete. Der östliche Teil gehörte der Diözese Halberstadt, der westliche der Diözese Hildesheim.
Am Damm nahe dem Oker-Hafen stand die Nikolaikirche, ebenfalls eine Kaufmannskirche. Erstmals 1179 erwähnt, überdauerte sie die Jahre bis immerhin 1700. In der Zeit vor 1068 gründeten die Brunonen unter Ekbert I. das Stift St. Cyriakus (etwa auf dem Gelände des späteren ersten Bahnhofs von Braunschweig, geweiht unter Ekbert II.). Ekberts Schwester Gertrud die Jüngere rief um 1115 das Benediktinerkloster St. Aegidien über dem rechten Okerufer nahe der Straße nach Halberstadt ins Leben.
Solche kirchlichen Stiftungen waren durchaus keine uneigennützigen Taten. In einer Zeit harter und rücksichtsloser Auseinandersetzungen innerhalb des Adels um Macht und Ansehen in dieser Welt wuchs gleichzeitig das Bedürfnis, für das Heil der Seele über den Tod hinaus durch die Nähe zu kirchlichen Handlungen und zu den Heiligen zu sorgen. Das religiöse Dasein auch der in der Vorstellung von Sündenschuld lebenden einfachen Bevölkerung war fast ausschließlich von solchem dominierenden Heiligenkult geprägt. Reliquien dienten dabei als direkte Verbindung zu eben diesen Heiligen, deren Hilfe und Fürsprache bei Gott man durch Gebete, Opfergaben und schließlich sogar durch die Ablasspraktiken zu erlangen suchte.
»Stadtluft macht frei«
Nur langsam wuchsen die Städte in die Agrargesellschaft hinein, die das Leben im frühen Mittelalter bestimmte. Weite Flächen des Landes gehörten den Grundherren. Sie hatten das Land vom König für besondere Dienstleistungen oder für Waffenhilfe in den oft zahlreichen Feldzügen erhalten. Wollte ein Bauer es nutzen, es erschließen und bewirtschaften, musste er sich die Erlaubnis durch Abgaben und Arbeitsdienste erkaufen. Dieser Abhängigkeit von einem Grundherrn versuchten immer mehr Bauern zu entgehen, indem sie in die Städte übersiedelten.
Die Städte lösten sich im Laufe der Zeit aus dem Landrecht heraus und bildeten eigene, von der ländlichen Grundherrschaft unabhängige Stadtrechte. Seit etwa Anfang des 12. Jahrhunderts hieß es dann: »Stadtluft macht frei.« Es galt der Rechtsgrundsatz: Wer ein Jahr und einen Tag unbescholten und unangefochten in der Stadt gelebt hat, der soll dort auch in Zukunft frei leben können.
Vom Bereich Eiermarkt mit der St. Jacobskirche aus wuchs die Siedlung der Kaufleute und Handwerker weiter in Richtung Norden und bezog dabei den Kohlmarkt mit ein, der ursprünglich Kohlenmarkt hieß, denn hier verkauften die Köhler ihre aus dem Harz über die Oker herangeschaffte Holzkohle. Das geschah zur Zeit der Brunonen-Markgrafen von Meißen: Ekbert I., der in der Zeit 1038 bis 1068 als Grundherr herrschte, und dessen Sohn Ekbert II. (1068–1090). Das Weichbild Altewiek auf der Ostseite der Oker jedoch blieb von dieser Entwicklung ausgeschlossen. Als Bauernsiedlung seinerzeit angelegt, war es ein »Hörigendorf« oder »Herrendorf«, also der Wirtschaftshof der Brunonen, Versorgungsstation für die Herren auf Burg Dankwarderode. Der Name Herrendorftwete für eine schmale Gasse im heutigen Magniviertel deutet darauf hin.
Die friedliche Entwicklung Braunschweigs hin zu einer prosperierenden Handelsstadt fand jedoch ein jähes Ende. König Heinrich IV. hatte sich den Unmut der Sachsen durch den Versuch zugezogen, die Herrschaftsrechte und Besitzungen des Königtums auszuweiten. Mit dem Bemühen um Rückgewinnung von Reichsgut in Sachsen war der verstärkte Bau von Burgen des Königs verbunden, für die Sachsen ein Zeichen unmittelbarer Bedrohung. So kam es im Jahre 1073 zum Krieg der Sachsen gegen den König. Mit dabei in führender Position: Ekbert II., der Brunone.
Eine schnelle Entscheidung fiel nicht. Zwar ging Heinrich aus einer Schlacht an der Unstrut (1075) als Sieger hervor, aber die Kämpfe tobten mit wechselndem Erfolg weiter. Erst als im Jahre 1090 Bedienstete des inzwischen zum Kaiser gekrönten Heinrich IV. – wahrscheinlich durch Heinrichs Schwester, die Äbtissin Adelheid von Quedlinburg, informiert – Ekbert II. in einer Mühle des Selketales am Nordrand des Harzes überfallen und erschlagen hatten, trat die Wende ein. Heinrich setzte seine Truppen in Richtung Braunschweig in Marsch und belagerte die Stadt.
HINTERGRUND
Erste Münzen
Von Ekbert II. (1068–1090), Markgraf von Meißen, Graf von Friesland und Bruder der Gertrud d. J. von Braunschweig, stammen die ersten Braunschweiger Münzen, zweifellos Beweis für das Anwachsen von Handel und Gewerbe in...