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Physik des Golfspiels

Mit Newton zum Tee

AutorIv?n Egry
VerlagWiley-VCH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783527412556
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Physik, die schlau macht. Erfahrener Autor beschreibt die physikalischen Grundlagen beim Golfsport. Für die an Naturwissenschaften interessierten Golfer, die schon immer wissen wollten, wie sie perfekter golfen können.

Ivan Egry ist Physiker und begeisterter Golfer. Er hat Physik in Frankfurt/Main, Oxford (UK) und Aachen studiert. Von 1985 bis 2011 arbeitete er am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), wo er unter anderem das Center of Excellence ZEUS für Erstarrungsforschung leitete. Er war als Gastprofessor am National Physical Laboratory (NPL, UK) und am MIT (Boston, USA). Ivan Egry ist leidenschaftlicher Golfspieler.

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Leseprobe

2


Der Golfschwung


It don‘t mean a thing if it ain‘t got that swing


2.1 Mensch und Modell


Der Golfschwung ist der einzige Teil des Golfspiels, den der Spieler aktiv gestaltet. Sobald der Ball in der Luft ist, ist kein Eingreifen mehr möglich; der Spieler ist zum Zuschauen verurteilt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass jeder ambitionierte Golfer, Amateur oder Pro, viel Zeit und Geld investiert, um an seinem Golfschwung zu arbeiten. Womit wir bei der Frage wären, welche Anforderungen an den Golfschwung zu stellen sind und was das Training bewirken soll. Schlicht gesagt soll der Golfschwung die von den Muskeln zur Verfügung gestellte Energie über Knochen und Gelenke auf den Ball so übertragen, dass dieser mit maximaler Anfangsgeschwindigkeit in die gewünschte Richtung fliegt. Dabei soll auch eine Eigenrotation des Balls, der Spin, erzeugt werden. Wichtig ist außerdem, dass der Golfschwung reproduzierbar ist, das heißt, konsistent gleiche Ergebnisse liefert.

Dem Phänomen des Golfschwungs kann man sich auf verschiedene Art und Weise nähern und jeweils unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund stellen. Zunächst einmal gibt es die physiologische Seite, die die Vorgänge im Körper des Golfspielers untersucht. Das ist das Gebiet der Biomechanik und der funktionellen Anatomie. Sie untersucht zum Beispiel, welche Muskelgruppen in welchem Ausmaß am Golfschwung beteiligt sind. Die Vorgehensweise ist empirisch, d. h. es werden Versuchsreihen mit Probanden unterschiedlichen Könnens durchgeführt und die Ergebnisse statistisch ausgewertet. Beispiele solcher Untersuchungen sind die Arbeiten von Maier [1] und Zunzer [2]. Abbildung 2.1 zeigt die beim Golfschwung beteiligten Muskelgruppen. Aus solchen Studien lassen sich Trainingsprogramme ableiten, wie zum Beispiel in dem Buch „Golfanatomie“ von Davies und DiSaia [3] beschrieben.

Um den genauen zeitlichen und örtlichen Bewegungsablauf bestimmter Körperteile sowie des Schlägers und insbesondere des Schlägerkopfs zu bestimmen und dreidimensional zu rekonstruieren, ist es notwendig, Hochgeschwindigkeitskameras einzusetzen. Schließlich dauert der gesamte Abschwung weniger als 0,3 s; darüber hinaus ist die Schlägerkopfgeschwindigkeit so hoch, dass kurze Belichtungszeiten erforderlich sind, um Bewegungsunschärfe zu vermeiden. Pionierarbeit in dieser Richtung leistete Harold „Doc“ Edgerton. Er hat bereits im Jahre 1938 stroboskopische Aufnahmen von Golfern angefertigt. Das MIT-Museum hat ihm eine Ausstellung gewidmet [4]. Später hat C. B. Daish im Rahmen der von der Golf Society of Great Britain 1968 veröffentlichten Studie „Search for the Perfect Swing“ [5] weitere solche Aufnahmen gemacht. In Abb. 2.2 ist ein von Edgerton mit der Multiflash-Technik aufgenommener Golfschwung von D. Shute gezeigt. Der Abstand der Blitze beträgt 10 ms, die Gesamtdauer der Aufnahme eine halbe Sekunde. Da die Zeitabstände zwischen den einzelnen Bildern konstant und bekannt sind, lässt sich zum Beispiel die Geschwindigkeit des Schlägerkopfs ermitteln. Diese und ähnliche Studien liefern das erforderliche empirische Material, auf dem die mathematisch-physikalische Modellierung, die wir weiter unten besprechen werden, aufbaut.

Abb. 2.1 Beim Golfschwung beteiligte Muskelgruppen. © Sabine Maier. Verwendung genehmigt.

Abb. 2.2 Stroboskopische Aufnahme eines Golfschwungs von D. Shute aus dem Jahre 1938. © 2010 MIT. Verwendung genehmigt.

Wie jeder Golfer weiß, spielt neben dem körperlichen auch der mentale Aspekt eine entscheidende Rolle. Dies ist das Feld der Sportpsychologie, das wir hier nicht betreten wollen. Es genügt, darauf hinzuweisen, dass die mentalen Probleme beim Golfspiel durch destruktive Interaktion zwischen bewussten und unbewussten Signalen an die beteiligten Muskeln entstehen. Der Treffmoment zwischen Schlägerkopf und Ball ist so kurz und die Schlägerkopfgeschwindigkeit so hoch, dass es praktisch unmöglich ist, visuelle und sensorische Eindrücke im Gehirn zu verarbeiten und an die Muskeln rückzukoppeln. Sobald der Schläger im Abschwung ist, muss man – im Vertrauen auf die erworbenen Fähigkeiten – das Gehirn ausschalten und den Muskeln die Kontrolle überlassen, oder – wie es Pohl in seiner Einführung in die Physik [6] so trefflich im Hinblick auf die Drehimpulserhaltung beim Salto formulierte: „Zum Springen gehört in erster Linie Mut. Für die nötigen Drehungen sorgt schon automatisch der Erhalt des Drehimpulses.“ Die mentale Aufgabe beim Golfspiel besteht also darin, seinen Mut zusammenzunehmen und die Gesetze der Physik wirken zu lassen. Dieses Stadium wird in der Psychologie oft als „unbewusste Kompetenz“ bezeichnet.

2.1.1 Reduktion der Freiheitsgrade


Kommen wir nun zur physikalischen Beschreibung des Golfschwungs. Für diese Methode ist charakteristisch, dass sie nicht den realen Prozess beschreibt, sondern sich zunächst ein Modell macht, das einerseits die wesentlichen Züge des eigentlichen Problems enthält, andererseits aber einfach genug ist, um einer mathematischen Analyse zugänglich zu sein. Die Kunst besteht darin, ein Modell zu definieren, das diese Forderungen erfüllt. Große Geister der Vergangenheit, darunter Goethe, haben diese Methodik scharf kritisiert und den Physiker als „terrible simplificateur“ [7] beschimpft; dennoch ist sie die Grundlage des Erfolgs dieser Wissenschaft.

Sehen wir uns also unter dem Aspekt der Modellbildung einen Golfer in der Ansprechposition an (Abb. 2.3) und zählen erst einmal die Anzahl der Freiheitsgrade, wobei wir jedem Gelenk je nach seiner Konstruktion ein bis drei Freiheitsgrade zuordnen. Dies ist etwas willkürlich und dient nur der groben Orientierung. Zum Beispiel haben Scharniergelenke wie das Knie nur einen Freiheitsgrad, d. h. eine Richtung der Beweglichkeit. Das Schultergelenk gestattet aufgrund seiner komplizierten Konstruktion eine dreidimensionale Bewegung. Die meisten anderen Gelenke haben zwei Freiheitsgrade. Wir erhalten also folgende Anzahl von Freiheitsgraden: Knöchel = 2, Knie = 1, Hüfte = 2, Schulter = 3, Ellenbogen = 2, Hände = 2, insgesamt 12. Bei einer vollständigen physikalischen Beschreibung muss jedem Freiheitsgrad eine unabhängige Variable zugeordnet werden.

Als Nächstes bleibt zu klären, welcher Anteil des Golfschwungs durch das Modell beschrieben werden soll. Bekanntlich besteht der Golfschwung aus Aufschwung, Abschwung und Durchschwung. Für den Ballflug und daher für die physikalische Modellierung ist allein der Abschwung entscheidend. Sobald der Ball den Schlägerkopf verlässt, gibt es zwischen beiden keine physikalische Wechselwirkung mehr; der Durchschwung spielt für den Ballflug keine Rolle. Genauso verhält es sich mit dem Aufschwung. Wie Körper und Schläger in die Anfangsposition gebracht werden, ist – im physikalischen Sinne – für den Abschwung unerheblich. Warum also legen Trainer so viel Wert auf den Auf- und Durchschwung? Die Antwort liegt im physiologischen und mentalen Bereich. Der Golfschwung soll für einen halbwegs trainierten Menschen durchführbar und nicht gesundheitsschädigend sein. Abrupte Beschleunigungen positiver und negativer Art (Abbremsen) müssen also vermieden werden. Zudem soll der Aufschwung die zum Schlag erforderliche Körperspannung aufbauen und das sogenannte „Muskelgedächtnis“ aktivieren. Die Konzentration auf den Durchschwung ist eine typische Ersatzhandlung: Da der Zeitpunkt des Ballkontaktes („Impact“) zu kurz ist, um auf ihn einwirken zu können, konzentriert man sich auf die darauffolgende Phase in der Hoffnung, dass man den Treffmoment rückwirkend beeinflussen kann. Durch die Ausführung eines sauberen Durchschwungs produziert man sozusagen nebenbei auch einen sauberen Ballkontakt.

Abb. 2.3 Ansprechposition beim Golf und am Schwung beteiligte Gelenke.

Betrachten wir den Abschwung etwas genauer. Er beginnt mit der Aktivierung der großen Rumpfmuskulatur: Zunächst dreht die Hüfte, dann die Schultern. Es folgen die Arme und schließlich das Handgelenk. Nach heutiger Lehrmeinung bleibt der linke Arm beim Abschwung gestreckt, das heißt, der Ellenbogen ist fixiert. Das war nicht immer so: Harry Vardon (1870–1937), einer der besten Golfer seiner Zeit, war berühmt dafür, dass er seinen Ellenbogen im Aufschwung abwinkelte und im Abschwung aktiv streckte. Diese Technik führte zu größerer Weite, aber zu einem für den Durchschnittsgolfer schwer zu kontrollierenden Schwung. Zusammenfassend kann man feststellen, dass die kleinen, flinken rumpffernen Muskelgruppen im Verhältnis zu den großen, trägen Muskeln verzögert einsetzen. Diese Verzögerung, insbesondere des Handgelenks, das sogenannte „Late Release“ wird uns später noch beschäftigen.

2.2 Das Doppelpendelmodell


Die vielen Freiheitsgrade und das Bewegungsmuster sind ganz offensichtlich zu komplex, um sie alle in das Modell einzubeziehen. Wir müssen entscheiden, welche Details die wichtigsten sind. Um sich die Reduktion des Golfschwungs auf das...

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