Frage 2
Erfolgsaussichten von verwaltungsgerichtlichen Klagen von F gegen die polizeilichen Maßnahmen vom 10. 9. 2010
A. Vorüberlegung
Ausgehend vom Rechtsschutzbegehren von F, keine der polizeilichen Maßnahmen hinnehmen zu wollen, ist es aus anwaltlicher Sicht zunächst angezeigt, die getroffenen Maßnahmen vorweg zu benennen.
Im Einzelnen geht es um folgende polizeiliche Maßnahmen:
- Aufforderung zum Anhalten, zum Ausweisen und zur Herausgabe der Ausweispapiere
- Aufforderung zum Öffnen des Kofferraums und Durchsuchung des Wagens.
B. Klage gegen die Aufforderung zum Anhalten, zum Ausweisen sowie zur Aushändigung der Ausweispapiere
I. Zulässigkeit
1. Verwaltungsrechtsweg
Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 12 Abs. 1 POG eröffnet, da es um präventives polizeiliches Handeln auf Grundlage des PAG geht.
2. Statthafte Klageart
Hier wendet sich F gegen die Aufforderungen zum Anhalten, zum Ausweisen und zur Aushändigung der Ausweispapiere. Sämtliche Maßnahmen sind Verwaltungsakte, da sie in befehlender Weise auf die Herbeiführung verbindlicher Rechtsfolgen gerichtet sind[20].
Statthaft könnte jeweils eine Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO sein. Allerdings haben sich die Verwaltungsakte vorliegend erledigt. Eine Erledigung von Verwaltungsakten tritt ein, wenn die mit ihnen verbundene Beschwer nachträglich wegfällt und sich ihr Regelungsgehalt damit erschöpft[21]. Dies ist hier eingetreten, nachdem F den Aufforderungen nachgekommen ist und er seine Ausweispapiere zurückerhalten hat sowie seine Fahrt fortsetzen konnte. Folglich kommen Anfechtungsklagen nicht mehr in Betracht.
Statthaft ist in allen Fällen vielmehr eine Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, da die Erledigung vor Erhebung der Klagen zum Verwaltungsgericht eingetreten ist[22]. Der Streit über die Rechtsnatur der Fortsetzungsfeststellungsklage kann offengelassen werden. Unabhängig davon, ob es sich um eine besondere Form der Anfechtungs- oder Feststellungsklage handelt beziehungsweise um eine eigenständige Klageart[23], sind die Statthaftigkeit und die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen anerkannt.
3. Fortsetzungsfeststellungsinteresse
Die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage setzt ein besonderes Feststellungsinteresse voraus.
Das so genannte Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist für vier Fallgruppen anerkannt. So kommt es in Betracht für den Fall einer konkreten Wiederholungsgefahr[24], bei Vorliegen eines Rehabilitierungsinteresses infolge diskriminierender Maßnahmen[25], zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses[26] sowie im Fall eines erheblichen Grundrechtseingriffs, der sich unmittelbar mit dem Eingriff erledigt[27].
Vorliegend ist die Vorgreiflichkeit für einen Amtshaftungsanspruch überlegenswert. Aber unabhängig von der Frage der Kausalität des polizeilichen Handelns für den Schaden an der Sonnenbrille, ist diese Fallgruppe des Fortsetzungsfeststellungsinteresses nur anwendbar, wenn sich der Verwaltungsakt nach Erhebung der Klage zum Verwaltungsgericht erledigt. Andernfalls ist, da es keinen Anspruch auf den sachnäheren Richter gibt, der Weg direkt zu der für die Amtshaftung zuständigen ordentlichen Gerichtsbarkeit einzuschlagen[28].
Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse lässt sich hier jedoch auf ein Rehabilitierungsinteresse stützen, da die Maßnahmen der Polizei außenwirksam auf dem Parkplatz der Rastanlage vor den Augen anderer Parkender erfolgten[29].
4. Zulässigkeit der – hypothetischen – Eingangsklage
Der Umstand der Erledigung führt nicht dazu, dass aus einer unzulässigen Anfechtungsklage eine zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage wird; in einem solchen Fall ist auch die Fortsetzungsfeststellungsklage unzulässig[30]. Die Zulässigkeit der – hier hypothetischen – Ausgangsklagen ist daher auch Voraussetzung für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklagen.
a) Klagebefugnis
Als Adressat belastender Verwaltungsakte besteht für F wegen des umfassenden Schutzes der Freiheitssphäre durch die Grundrechte die Möglichkeit, jedenfalls in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigt zu sein, so dass er gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt ist.
b) Vorverfahren
Ein Vorverfahren entfällt nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO, Art. 15 Abs. 2 AGVwGO.
c) Klagefrist
Bei Erledigung von noch nicht bestandskräftigen Verwaltungsakten vor Erhebung der Klage zum Verwaltungsgericht ist die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht relevant. Im Übrigen ist die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch nicht für die Fortsetzungsfeststellungsklage analog ab dem Zeitpunkt der Erledigung anwendbar[31].
5. Zwischenergebnis
Da die sonstigen Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind, ist die Fortsetzungsfeststellungsklage jeweils zulässig.
II. Begründetheit
Die Fortsetzungsfeststellungsklagen sind begründet, wenn die Verwaltungsakte rechtswidrig waren und F in eigenen Rechten verletzten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und 4 VwGO).
1. Richtiger Beklagter
Passivlegitimiert ist entsprechend § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der Freistaat Bayern als Rechtsträger der Polizei (Art. 1 Abs. 2 POG).
2. Rechtmäßígkeit der Verwaltungsakte
a) Formelle Rechtmäßigkeit
aa) Zuständigkeit
Vorliegend kann sich die sachliche Zuständigkeit der Polizei nur aus der allgemeinen Aufgabeneröffnung nach Art. 2 Abs. 1, Art. 3 PAG ergeben. Dann müsste es um die Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit (oder Ordnung) gehen. Öffentliche Sicherheit ist die Gesamtheit der Individual- und Allgemeinrechtsgüter, mithin die Gesamtheit der geschriebenen Rechtsnormen[32]. Hier geht es um die Verhinderung einer möglichen Straftat (Diebstahl eines Autos) und damit um den Schutz der öffentlichen Sicherheit. Für die Aufgabeneröffnung ist das Vorliegen einer abstrakten Gefahr ausreichend. Eine abstrakte Gefahr ist eine Sachlage, aus der sich nach allgemeiner Lebenserfahrung eine konkrete Gefahr ergeben kann. Angesichts der Umstände sowie der Erfahrungen der Polizeibeamten im Bereich der Fahndung lässt sich dies vorliegend bejahen, so dass die Aufgabe der Polizei nach Art. 2 Abs. 1, Art. 3 PAG eröffnet ist. Die örtliche Zuständigkeit resultiert aus Art. 3 Abs. 1 POG.
bb) Verfahren
Die gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG grundsätzlich erforderliche Anhörung ist hier erfolgt. Ob die Anhörung möglicherweise gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG entbehrlich gewesen wäre, kann folglich dahinstehen.
cc) Form
Die Verwaltungsakte durften nach Art. 37 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG mündlich erlassen werden.
b) Materielle Rechtmäßigkeit
aa) Befugnis
Als Befugnisnorm für die getroffenen und belastenden Maßnahmen kommt Art. 13 Abs. 2 Satz 1 und 2 PAG in Betracht. Dann müssten die Voraussetzungen für eine Identitätsfeststellung gemäß Art. 13 Abs. 1 PAG gegeben sein.
Vorliegend könnte es um einen Fall der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 PAG gehen. Die Maßnahmen erfolgten im Grenzgebiet, etwa 20 km von der deutsch-österreichischen Grenze entfernt, auf einer Bundesautobahn. Die Anwendung einer Befugnisnorm setzt zwar regelmäßig das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraus und damit einer Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Verletzung eines polizeilich geschützten Rechtsgutes führen wird[33]. Allerdings ermöglicht Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 PAG gerade eine verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrolle, um die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität effektiv zu gestalten. Da die Identitätskontrolle einen insgesamt nicht gravierenden Eingriff darstellt, ist die Einschreitensschwelle daher sehr niedrig[34]. Damit konnten die Maßnahmen auf Art. 13 Abs. 2 Satz 1 und 2 PAG gestützt werden.
bb) Maßnahmerichtung
Da die Maßnahmen auf Grundlage von Art. 13 Abs. 2 Satz 1 und 2, Abs. 1 Nr. 5 PAG verdachts- und ereignisunabhängig erfolgen dürfen, wirkt sich das konsequenterweise auch auf die Frage aus, welche Personen in Anspruch genommen werden können. Ein Rückgriff auf die allgemeinen Adressatenbestimmungen (Art. 7, 8 PAG) entfällt deshalb.
cc) Verhältnismäßigkeit (Art. 4 PAG)
Mit der Identitätsfeststellung wird im Zusammenhang mit der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität ein legitimer Zweck in geeigneter Weise verfolgt. Da ein gleich wirksames milderes Mittel insoweit nicht erkennbar ist, liegt auch die notwendige Erforderlichkeit vor.
Fraglich ist aber, ob die Maßnahmen vor dem Hintergrund...