2. Zehn Grundsätze der Sicherheitsplanung
1. | Frühzeitigkeit der Sicherheitsplanung |
2. | Schutz- und Verfügbarkeitsziele bestimmen |
3. | Vorrang der Prävention gegenüber Detektion und Schadenbekämpfung |
7. | Reduktion physischer Außenbeziehungen |
9. | Praktikabilität und Akzeptanz |
10. | Antizipation von Entwicklungen |
2.1 Erster Grundsatz: Frühzeitigkeit der Sicherheitsplanung in allen Phasen
Sicherheitsaspekte spielen, wie man in den vorigen Kapiteln nachvollziehen konnte, in alle Planungsbereiche hinein. Daher ist es nur selbstverständlich, dass die Integration aller Sicherheitsaspekte früh in allen Planungsthemen eine Rolle spielen muss. Wer zu spät Sicherheit plant, muss umplanen oder Sicherheit ganz ausklammern. Ersteres wird teuer, letzteres spätestens dann, wenn etwas passiert oder wenn nach Fertigstellung mangels Betriebserlaubnis oder mangels Abnahmefähigkeit „repariert“ werden muss.
Binsenweisheit
Insofern ist der Grundsatz der Frühzeitigkeit der Sicherheitsplanung in allen Phasen einer der wichtigsten Grundsätze. Eigentlich ist es eine Binsenweisheit, vorher zu denken und nachher zu handeln. In der Sicherheits-Planungspraxis ist das aber durchaus oft nicht so recht erkannt. In vielen Unternehmen werden Planungsaufträge erteilt, ohne die sicherheitsrelevanten Vorgaben im Vorhinein formuliert zu haben, und das Bemühen, nachträglich Sicherheit in die Planung einfließen zu lassen oder gar in das schon fertige oder fast fertige Objekt, endet nicht selten mit kläglichen Kompromissen, überhöhten Kosten, und wieder war die Sicherheit daran Schuld, dass sie so teuer ist. Das gilt für Organisationsprojekte und die Softwareentwicklung genauso wie für Neubauprojekte, Umbauten oder Sanierungen.
2.1.1 Gründe für die frühzeitige Planung
Das hat verschiedene Ursachen, die menschlich teilweise verständlich sind, dennoch nachhaltig angefochten werden müssen.
1. Für die meisten Planungsbeteiligten ist Sicherheit Tür, Schloss, Zutrittskontrolle und vielleicht auch etwas Alarmanlage. Die Komplexität und das Zusammenwirken von Standort, Organisationsablauf, Personenströmen, Logistikströmen, Unverträglichkeiten von Nachbarschaften etc. sind ihnen nicht bewusst. Dadurch sind Fehler – besser: Versäumnisse – vorprogrammiert.
Organisationsabläufe vernachlässigt
2. Künftige Organisationsabläufe des Nutzers werden leicht vernachlässigt. Die meisten Planer sind Dienstleister. Sie sehen das Gewerk als Baukörper. Organisationsabläufe sind ihnen nachrangig gegenüber der Tatsache, die Funktionsflächen unterzubringen. Man kann von einem Architekten oder Generalplaner keine unter Sicherheitsaspekten durchgeführte Organisationsanalyse erwarten, wenn der Bauherr nicht konkrete Vorgaben gemacht hat.
3. Der Bauherr sucht sich einen Planer für sein Gebäude oder seine Fabrikanlage. Fabrikplaner denken zwar an Abläufe, sind es aber nicht gewohnt, diese Abläufe unter Verfügbarkeitsaspekten zu sehen. Nicht umsonst kommen bei komplexen Projekten immer wieder hinterher Forderungen auf, Brandabschnitte anders zu konzipieren oder Versorgungstechnik anders auszulegen. Leider zumeist wenn das Projekt schon fortgeschritten ist. Typisches Beispiel: In über 80% der Rechenzentren in Deutschland stehen die USVen (Unterbrechungsfreie Stromversorgung) einträchtig in einem Raum nebeneinander. Brennt eine davon ab, dann hilft die andere, eigentlich redundante Anlage gar nichts. Diese ist oft noch mit der Niederspannungshauptverteilung und häufig sogar mit einem Bypass versehen. Der gute Sicherheitsplaner verweist in solchen Situationen selbstverständlich auf die Gefahrenagglomeration hin und empfiehlt neben der Geräteredundanz die Raumredundanz – getrennte Unterbringung im Interesse der Vermeidung von Betriebsunterbrechungen.
HOAI behindert gute Planung
4. Die Honorarordnungen – in Deutschland die HOAI – sind gelegentlich ein Hindernis für gute Planung. Für die Grundlagenermittlung sind je nach Planungsgegenstand vom Gesamtplanungsaufwand (= Honorar) nur 2% vorgesehen. Bis 2013 waren es noch immerhin 3%. Eine solche Grundlagenermittlung kann sich daher nur auf oberflächliches Erbsenzählen – wie viele Quadratmeter für welche Funktion, wie viele kW sind in der Klimatisierung zu leisten etc. – beschränken. Für mehr wird nicht bezahlt. Und: Der mörderische Wettbewerb in der Architekten- und Ingenieurplaner-Branche schießt jeden Anbieter aus dem Feld, der wagt, „besondere Leistungen“, welche die Ingenieurordnungen durchaus vorsehen, ins Gespräch zu bringen. Seine Kollegen unterlassen dies, sind damit billiger und erhalten den Zuschlag. Oft noch pauschaliert und in einer niedrigeren „Honorarzone“, wie die eigentlich nach Planungsschwierigkeit gestaffelten Tarife genannt werden. Das erklärt viele Schlechtplanungen auch renommierter Büros. Und die Überarbeitung der Tabelle zeigt, dass die Komplexität der Aufgabe auch nicht im entferntesten erkannt wird.
5. Es fehlt an Spezialisten. Auch gute Büros können sich angesichts dieser Situation keine Spezialisten für Sicherheitsfragen leisten. Wenn der Bauherr es also versäumt, seine Spezialisten und Sicherheitsverantwortlichen frühzeitig in das Projekt zu integrieren, bleiben die Sicherheitsnotwendigkeiten zu einer Zeit, in der sie kaum etwas kosten würden, auf der Strecke.
Normierungswahn
6. Qualitätshindernis Normierungswahn. Wir leben in einer pestartig grassierenden Epidemie des „Morbus Normitis“, des Normierungswahns. Normen sind übel. Sicher sind Normen notwendig. Inzwischen sind sie aber vielfach zu einem unübersichtlichen, z. T. gar widersprüchlichen Eigenleben erwacht. Aber: Der Bauherr ist normengläubig. Also werden in die Ausschreibungen lange Listen gesetzt, welche Normen alle zu beachten sind. Der Bauherr verlässt sich darauf, der Ingenieur muss es richten. Aber: Die Schutzziele der Normen sind sehr unterschiedlich und müssen nicht identisch mit den Zielen des Projektes sein, die anderer Lösungen bedürfen. Auch hier ist der Generalplaner hoffnungslos überfordert.
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Dieser Grundsatz wird Gorbatschow zugeschrieben, ist aber viel älter und immer noch gültig – auch für die Sicherheit eines Unternehmens und die wirtschaftliche Umsetzung eines Sicherheitskonzepts.
2.1.2 Verspätete Sicherheitsberatung treibt Kosten in die Höhe
Kostenexplosion
Für diese These gibt es nachvollziehbare Gründe: Die Kosten, Sicherheit zu realisieren, wenn das Planungsprojekt schon fortgeschritten ist, nehmen überproportional zu. Die Vergleichsrechnung eines Sicherheitsverantwortlichen bei einem Projekt, bei dem erst nach Fertigstellung der Architektenpläne die Sicherheitsanforderungen einflossen, gegenüber dem, was man hätte investieren müssen, wären die Anforderungen dem Fabrikplaner gleich bekannt gewesen, zeigte im konkreten Fall etwa 60% höhere Herstellkosten. Hinzu kommt, dass Etliches gar nicht mehr realisiert wurde, da das Projekt für die notwendigen Änderungen zu weit fortgeschritten war.
Beispiel 1:
Systemraum saniert, Standortfehlentscheidung
Für 120 m2 eines Prozessrechenzentrums für die Fertigungssteuerung sowie für Forschung und Entwicklung musste man einen hochwertigen Systemraum beschaffen. Kosten um 800.000 Euro. Der Systemraum wurde notwendig aufgrund einer falschen Standortentscheidung. Der Planer hatte das technische RZ so angesiedelt, dass es im Umfeld von Brandlasten einer Kunststofffertigung lag. Um der Brandlast zu begegnen, hatte er sorgfältig eine Umfassung (Wände, Decke, Bodenplatte (darunter war ein Lager) in F120 geplant.
Beispiel 2:
Wasserdampf schwängert Raumluft
Was heißt F90? Es besagt, dass auf der dem Feuer abgewandten Seite der Temperaturanstieg innerhalb von 90 Minuten nicht mehr als punktuell 180 Kelvin (K), im Mittel nicht mehr als 140 K betragen darf. Die verwendeten Kunststoffgranulate entwickeln im Abbrand eine Temperatur um die 900 bis 1050°C, die auf die Betonbauteile wirken. Aus dem erhitzten Beton tritt kristallin gebundenes Wasser (der Anteil am ausgehärteten Beton beträgt ca. 8 und im Extremfall bis zu 11 Vol.-%) als Wasserdampf mit ca. 110°C aus. Die Server und sonstigen elektronischen Komponenten vertragen aber nur ein Delta von ca. 25–40 K zur üblichen...